Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.02.2025 – 16 B 668/24
Leitsatz des Gerichts:
Wird eine Fahrerlaubnis durch eine auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. den §§ 46, 11 Abs. 8 FeV gestützte Verfügung entzogen und liegen jedenfalls die - in der Verfügung ebenfalls genannten - Voraussetzungen des § 2a Abs. 3 StVG vor, darf das Gericht die Rechtmäßigkeit der Verfügung mit dieser Vorschrift begründen, weil sie der Behörde keinen Ermessensspielraum einräumt und die Verfügung nicht dadurch in ihrem Wesen geändert wird, dass § 2a Abs. 3 StVG als Rechtsgrundlage für dieselbe Rechtsfolge herangezogen wird.
In pp.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 3.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde, über die im Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin entscheidet (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO), ist unbegründet. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
Das Verwaltungsgericht hat die Ordnungsverfügung vom 17. Mai 2024, durch die dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen wurde, bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig angesehen. Es hat ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Entziehungsverfügung sei § 2a Abs. 3 StVG, wonach dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der einer vollziehbaren Anordnung der zuständigen Behörde nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht nachgekommen sei, die Fahrerlaubnis zu entziehen sei, ohne dass der Behörde dabei Ermessen zustehe. Der Antragsteller habe nach einer entsprechenden Aufforderung des Antragsgegners in der Verfügung vom 28. Juli 2022 nicht innerhalb der gesetzten Frist an einem Aufbauseminar teilgenommen. Auf die Nichtvorlage des vom Antragsgegner ebenfalls angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens komme es daher nicht mehr an.
Die dagegen gerichteten Einwände des Antragstellers bleiben ohne Erfolg.
Der Antragsteller macht zunächst geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 28. Juli 2022 auf die Nichtvorlage der Bescheinigung über die Teilnahme an einem besonderen Aufbauseminar gestützt worden sei; Gegenstand dieses Bescheides sei ausdrücklich die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung gewesen.
Dieses Vorbringen berücksichtigt nicht, dass der Antragsgegner unter dem 28. Juli 2022 zwei verschiedene Anordnungen in jeweils einem eigenen Schreiben erlassen hat. Zum einen ordnete er die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung an und setzte zur Vorlage des Gutachtens eine Frist bis zum 31. Oktober 2022 (Blatt 24 ff. des Verwaltungsvorgangs). Zum anderen forderte er den Antragsteller zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für alkoholauffällige Fahranfänger auf und setzte zur Vorlage einer entsprechenden Teilnahmebescheinigung eine Frist bis zum 28. Oktober 2022 (Blatt 36 ff. des Verwaltungsvorgangs). Diese zweite Anordnung war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Nach Aktenlage ist der Antragsteller dagegen nicht vorgegangen. An einem besonderen Aufbauseminar hat er erst lange nach Ablauf der gesetzten Frist, nämlich im Juli und August 2024, teilgenommen.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 17. Mai 2024 ist zwar (nur) auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. den §§ 46, 11 Abs. 8 FeV wegen der Nichtvorlage des Gutachtens gestützt, auch wenn zuvor ausgeführt wird, dass der Antragsteller weder ein Gutachten noch eine Teilnahmebescheinigung vorgelegt habe. Es stellt allerdings keinen Rechtsfehler dar, dass das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis mit § 2a Abs. 3 StVG und dem Hinweis auf die nicht fristgerecht erfolgte Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar begründet hat.
Denn Gerichte sind in ihrer Bewertung der Rechtslage unabhängig von der Rechtsauffassung der Verwaltung. Ist ein Verwaltungsakt zu Unrecht auf die von der Behörde herangezogene Rechtsnorm gestützt, ist das Gericht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet zu prüfen, ob (und ggf. in welchem Umfang) der Bescheid mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann, sofern der Bescheid durch die Berücksichtigung der anderen Rechtsnorm und die dadurch geänderte Begründung nicht in seinem Wesen verändert wird. Bei gebundenen Verwaltungsakten schadet eine inhaltlich fehlerhafte Begründung (auch) zur zugrunde liegenden Rechtsgrundlage daher grundsätzlich nicht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2010 - 8 C 12.09 -, juris, Rn. 16, und Beschluss vom 29. Juli 2019 - 2 B 19.18 -, juris, Rn. 24, jeweils m. w. N.
Entsprechendes gilt bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Ausgehend davon durfte das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung mit § 2a Abs. 3 StVG begründen, welcher der Behörde keinen Ermessensspielraum einräumt. Unabhängig von der Frage, ob sich die in Rede stehende Entziehung der Fahrerlaubnis (auch) auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. den §§ 46, 11 Abs. 8 FeV stützen lässt, wird die Ordnungsverfügung nicht dadurch in ihrem Wesen geändert, dass § 2a Abs. 3 StVG als Rechtsgrundlage für dieselbe Rechtsfolge herangezogen wird, zumal in der Begründung der Ordnungsverfügung die für diese Vorschrift erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen angeführt werden.
Den Vortrag des Antragstellers, die sofortige Vollziehung sei nicht geboten, weil erkennbar keine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit befürchtet werden müsse und evident keine Rückfallgefahr bestehe, versteht der Senat dahingehend, dass nach Ansicht des Antragstellers die allgemeine Interessenabwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu seinen Gunsten ausfallen müsse. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Der Gesetzgeber hat mit dem gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 2a Abs. 6 StVG) einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet und es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Solche Umstände hat der Antragsteller mit dem eben angeführten Vorbringen nicht dargelegt. Es entspricht gerade dem Ziel des § 2a StVG, frühzeitig auf Fahranfänger einzuwirken. Nach der Wertung des Gesetz- und Verordnungsgebers stellt es keinen atypischen Umstand dar, dass bereits eine Verkehrszuwiderhandlung die in § 2a Abs. 2 StVG vorgesehenen Folgen zusammen mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 2a Abs. 6 VwGO nach sich zieht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2024 - 16 B 998/23 -, juris, Rn. 15.
Soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen, es bestehe evident keine Rückfallgefahr, auch geltend macht, es müsse berücksichtigt werden, dass er seit dem Verkehrsverstoß im Oktober 2021 straßenverkehrsrechtlich nicht mehr aufgefallen sei, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Dabei kann offen bleiben, ob und ggf. unter welchen Umständen eine längere Untätigkeit der zuständigen Behörde bei einer rechtlich zwingenden straßenverkehrsrechtlichen Maßnahme zu deren Rechtswidrigkeit oder zur Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine solche Maßnahme führen könnte. Der Antragsteller kann aus dem Zeitablauf schon deswegen nichts zu seinen Gunsten herleiten, weil ein etwaiges Vertrauen auf eine Untätigkeit des Antragsgegners mit Blick auf dessen oben angeführte Anordnungen vom 28. Juli 2022 sowie die Anhörungen zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis vom 2. Januar 2023 und vom 18. April 2024 nicht schutzwürdig gewesen wäre.
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 15. März 2019 - 11 CS 19.199 -, juris, Rn. 13 (zur Verwirkung).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG sowie Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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