Gericht / Entscheidungsdatum: VG Bremen, Urt. v. 27.01.2025 – 5 K 2090/23
Eigener Leitsatz:
Zur Verhältnismäßigkeit einer Abschleppmaßnahme und zu den Anforderungen an die Einzelfallprüfung.
In pp.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu den Kosten einer Abschleppmaßnahme.
Er parkte sein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen pp. am 04.07.2021 kurz nach 18:00 Uhr in der Straße Am Deich in Höhe der Langemarckstraße im absoluten Halteverbot.
Das Ordnungsamt veranlasste das Abschleppen des Fahrzeugs mit dem Abschleppgrund „Parken im Halteverbot“. Vor Beendigung der Abschleppmaßnahme entfernte der Kläger das Fahrzeug. Nach Anhörung des Klägers setzte das Ordnungsamt mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 19.08.2021 Kosten und Gebühren in Höhe von insgesamt 223 € (165 € Kosten für die Leerfahrt, 58 € Verwaltungsgebühr) gegen ihn fest. Dagegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, für eine Abschleppmaßnahme reiche das bloße verbotswidrige Parken im absoluten Halteverbot nicht, sondern es bedürfe einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Eine solche habe nicht vorgelegen. Der Verstoß habe sich an einem Sonntagabend ereignet, zu einer Zeit, zur der gewöhnlich wenig Verkehr vorherrsche. Das Fahrzeug sei zudem nur eine relativ kurze Zeitspanne abgestellt worden. Es fehle an einer einzelfallbezogenen Prüfung und Begründung der Maßnahme.
Der Senator für Inneres und Sport wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2023 zurück.
Am 06.09.2023 hat der Kläger Klage erhoben. Er meint, das bloße Parken im absoluten Halteverbot rechtfertige für sich genommen nicht das Abschleppen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Bremen sei eine Einzelfallprüfung unter Zugrundelegung der konkreten Verkehrssituation vor Ort erforderlich. Eine solche auf den Einzelfall bezogene Prüfung habe vorliegend nicht stattgefunden. Es liege ein Ermessensfehlgebrauch vor. Es habe zu keinem Zeitpunkt durch sein Fahrzeug eine konkrete Gefahr bzw. Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer vorgelegen. Lkw’s hätten wegen des Sonntagfahrverbots nicht fahren dürfen und vor seinem Fahrzeug sei noch Platz für einen abbiegenden Pkw gewesen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
der zum Aktenzeichen pp. ergangene Bescheid vom 19.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2023 mit dem Aktenzeichen pp. wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Entgegen der Auffassung des Klägers seien Ermessenserwägungen angestellt worden. Der Kläger habe unmittelbar vor dem Kreuzungsbereich geparkt, was zu massiven Gefährdungen des Gegenverkehrs durch daran vorbeifahrende Pkw führen könne. Vor dem Pkw des Klägers sei noch maximal für einen weiteren ausfahrenden Pkw Platz gewesen, Lkw’s wären hingegen gezwungen gewesen, hinter dem Pkw des Klägers zu warten, was eine zusätzliche erhebliche Gefährdung mit sich bringen könne.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsätzen vom 06.01.2025 und vom 10.01.2025 zugestimmt. Mit Beschluss vom 20.01.2025 ist der Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Einzelrichterin kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 19.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.08.2023 ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die verfügte Heranziehung zu den Kosten des Abschleppvorgangs ist § 19 Abs. 3 BremVwVG. Die Vorschrift bestimmt, dass, wenn eine Handlung auf Kosten des Pflichtigen im Wege der Ersatzvornahme durchgeführt wird, die Vollzugsbehörde die ihr daraus entstandenen notwendigen besonderen Aufwendungen (Kosten) gegenüber dem Pflichtigen festsetzt.
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Der geltend gemachte Begründungsmangel liegt nicht vor. § 39 Abs. 1 BremVwVfG (a.F.) normiert für Verwaltungsakte lediglich eine formelle Begründungspflicht; eine „inhaltliche Richtigkeit“ der Begründung wird von § 39 Abs. 1 BremVwVfG (a.F.) nicht gefordert (BVerwG, Beschl. v. 29.07.2019 – 2 B 19/18 –, juris Rn. 24). Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 07.08.2023 die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe für ihre Entscheidung dargelegt und damit ihrer Begründungspflicht genügt.
2. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 BremVwVG liegen vor.
§ 19 Abs. 3 BremVwVG setzt zunächst eine rechtmäßige Ersatzvornahme voraus. Die Zulässigkeit des Verwaltungszwangs ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 2 BremVwVG. Danach kann der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn dies zur Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr geboten erscheint und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt.
a) Beide Tatbestandsalternativen sind erfüllt. Zweck der in § 11 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BremVwVG enthaltenen Ermächtigung ist die Verhinderung (der Fortdauer) einer objektiv mit einer Geldbuße bzw. einer strafrechtlichen Sanktion bedrohten Handlung. Das verbotswidrige Parken stellt eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO). Erfüllt ist auch die zweite Tatbestandsalternative des § 11 Abs. 2 Satz 1 BremVwVG. Der Verstoß gegen die Vorschriften der StVO stellt gleichzeitig eine Störung der öffentlichen Sicherheit mit fortwirkender Gefahr dar. Diese bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit geht über das gesetzliche Erfordernis der drohenden Gefahr hinaus. Einer zusätzlichen konkreten Gefährdung oder Behinderung der übrigen Verkehrsteilnehmer durch das verbotswidrig abgestellte Fahrzeug bedarf es auf dieser Ebene nicht.
b) Der im Rahmen der Ersatzvornahme tätig gewordene Mitarbeitende des Ordnungsamts handelte auch innerhalb seiner Befugnisse. Bei Anwesenheit des Klägers wäre er befugt gewesen, ihm gegenüber – gestützt auf § 10 Abs. 1 Satz 1 BremPolG – das Gebot zu erlassen, das Fahrzeug zur Störungsbeseitigung wegzufahren. Insbesondere wäre er hierfür als Mitarbeiter des Ordnungsamts gemäß § 128 Abs. 2 BremPolG sachlich zuständig gewesen.
c) Die Anordnung der Abschleppmaßnahme war auch verhältnismäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Nachteile, die mit einer Abschleppmaßnahme für den Betroffenen verbunden sind, nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg stehen dürfen, was sich aufgrund einer Abwägung der wesentlichen Umstände des Einzelfalles beurteilt. Soweit mit dem Verkehrszeichen 283 ein absolutes Halteverbot angeordnet wurde, liegt dem eine konkrete Verkehrssituation vor Ort zugrunde, die auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Einzelfallprüfung notwendig macht, ob eine Abschleppmaßnahme gerechtfertigt ist (OVG Bremen, Urt. v. 15.04.2014 – 1 A 104/12 –, juris Rn. 28 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 09.04.2014 – 3 C 5/13 –, BVerwGE 149, 254-265, juris Rn. 12).
Das Abschleppen aus einem absoluten Halteverbot ist kein Selbstzweck, sondern findet seine Rechtfertigung in der Gefahr für die Verkehrssicherheit, die einer solchen Regelung regelmäßig zugrunde liegt. Maßgeblich ist daher eine Einzelfallprüfung der dem Verkehrsschild zugrundeliegenden konkreten Verkehrssituation vor Ort. Zu prüfen ist demnach in einem ersten Schritt, welche Verkehrssituation – damit regelmäßig: welche (abstrakte) Gefahr für die Verkehrssicherheit – dem Halteverbot zugrunde liegt und sodann in einem zweiten Schritt, ob mit Blick auf diesen (abstrakten) Zweck der mit der Abschleppmaßnahme bezweckte (konkrete) Erfolg für die Verkehrssicherheit – also die sofortige Beendigung des Verstoßes – die Nachteile für den Betroffenen überwiegt. Dabei sind Abschleppmaßnahmen ohne konkrete Behinderungen nicht ausgeschlossen, die gegenläufigen Interessen bekommen aber naturgemäß ein größeres Gewicht (BVerwG, a.a.aO.).
(aa) Die durch Fotos dokumentierten und bei google view erkennbaren örtlichen Verhältnisse zeigen einen durch Kfz-, Rad- und insbesondere auch Straßenbahnverkehr gekennzeichneten Kreuzungsbereich. Es besteht nur teilweise eine Ampelregelung. Es kann von der Langemarckstraße sowohl aus der Innenstadt kommend als auch von der B6 kommend in die Straße „Am Deich“ eingebogen werden. Durch die mit dem Halteverbot bezweckte Freihaltung des Kreuzungsbereichs soll ersichtlich sichergestellt werden, dass in diesem Abschnitt die aus der Straße „Am Deich“ herausfahrenden und die in die Straße „Am Deich“ hineinfahrenden Fahrzeuge problemlos aneinander vorbeifahren können.
Wenn der abstrakte Zweck des hier streitgegenständlichen Halteverbots danach gerade in der Freihaltung eines unübersichtlichen und engen Kreuzungsbereichs liegt, dann war in der konkreten Situation auch das Abschleppen des Fahrzeugs des Klägers gerechtfertigt. Das Abstellen des Kraftfahrzeugs im absoluten Halteverbot hat mindestens zu einer deutlichen Verengung der Fahrbahn geführt, die durch die Anordnung des absoluten Halteverbots gerade verhindert werden sollte. Diese Gefährdung der Verkehrssicherheit ist nicht dadurch aufgehoben, dass vor dem Fahrzeug des Klägers noch Platz für einen weiteren Pkw war. Denn auch dies konnte nicht verhindern, dass an dem Fahrzeug des Klägers vorbeifahrende Fahrzeuge auf entgegenkommende in die Straße „Am Deich“ einfahrende Fahrzeuge treffen und es an der unübersichtlichen Kreuzung zu gefährlichen Verkehrssituationen durch abruptes Bremsen oder einen Rückstau kommen konnte. Das Fahrzeug des Klägers beeinträchtigte in dieser besonderen Verkehrssituation die Sicherheit und Leichtigkeit des Kreuzungsverkehrs. Es kommt nicht darauf an, dass es sich um einen Sonntag handelte. Die Kreuzung liegt innenstadtnah in unmittelbarer Nähe zur Schlachte, einem Bereich mit großem gastronomischen Angebot, das Besucher gerade auch an Sonntagabenden anzieht. Bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung ist in diesem Bereich mit einem erhöhten Parksuchverkehr zu rechnen.
(bb) Dieses Verständnis führt auch nicht dazu, dass letztlich jeder Verstoß gegen ein absolutes Halteverbot die Behörde zum Abschleppen berechtigen würde. Es sind genügend Fälle denkbar, in denen die Analyse des dem Halteverbot zugrundeliegenden (abstrakten) Regelungszwecks ergeben kann, dass ein (konkreter) Abschleppvorgang nicht erforderlich oder angemessen ist. So kann etwa das Abschleppen bei einem verbotswidrigen Parken an einem Taxistand dann unverhältnismäßig sein, wenn der (dem Verkehrsschild abstrakt zugrundeliegende) Regelungszweck – der reibungslose Taxenverkehr – im konkreten Fall nicht beeinträchtigt ist, weil offenkundig nicht (mehr) mit einer Inanspruchnahme des Taxenstandes durch Taxen und deren Fahrgäste zu rechnen ist (ausdrücklich: BVerwG, Urt. v. 09.04.2014 – 3 C 5/13 –, juris Rn. 20). Denkbar wäre etwa ebenfalls, dass für einen bestimmten Tag ein Halteverbot zum (abstrakten) Zweck, eine Sinkkastenreinigung zu ermöglichen, errichtet worden ist (vgl. zu dieser Konstellation etwa OVG Bremen, Beschl. v. 24.06.2020 – 1 LA 90/20 –, juris), dieser Zweck durch ein später abgestelltes Fahrzeug jedoch konkret nicht (mehr) beeinträchtigt wird, weil etwa die Reinigung bereits erfolgreich durchgeführt wurde.
d) Der Kläger ist auch kostenpflichtig im Sinne des § 19 Abs. 3 BremVwVG.
e) Der Kostenansatz ist nicht zu beanstanden. Die Kosten für die Leerfahrt i. H. v. 165 € sind von der Beklagten verauslagt worden. Dass sie in ihrer Höhe unangemessen wären, ist nicht ersichtlich. Die Verwaltungsgebühr i. H. v. 58 € entspricht Ziffer 102.03 der Anlage zu § 1 der Allgemeinen Kostenverordnung in der bei Anwendung des Verwaltungszwangs maßgeblichen Fassung.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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