Gericht / Entscheidungsdatum: LG Mannheim, Beschl. v. 18.04.2023 - 22 Qs 3/24
Eigener Leitsatz:
Wird das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt, erscheint eine Ermessensentscheidung, dem Beschuldigte seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen, zweifelsfrei unbillig, wenn ihm der zur Einstellung führende Fehler in keiner Weise angelastet werden kann, sondern der zur Einstellung führende Verfahrensfehler in der Sphäre der Staatsanwaltschaft liegt, die einen Strafbefehl am örtlich unzuständigen Gericht beantragt hat, sowie beim AG, das seine örtliche Zuständigkeit vor dem Erlass eines Strafbefehls von Amts wegen zu prüfen gehabt hätte. Das anzuwendende Ermessen auf der Ebene der Auslagenentscheidung ist dann auf Null reduziert.
Beschluss vom 18.04.2024
Beschwerdesache der
1. R.,
2. H.
Im Strafverfahren wegen des Verdachts der verbotenen Geschäfte (KWG)
Hier: sofortige Beschwerden gegen die Kosten- bzw. Auslagenentscheidungen
1. Das Beschwerdeverfahren wird gem. §§ 73 Abs. 1, 74c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GVG übernommen.
2. Auf die sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführer R. und H. wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen vom 24. Januar 2024, Az. 1 Cs 607 Js 18935/20 aufgehoben.
3. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers R. werden die gesamten Kosten des Verfahrens, einschließlich des Beschwerdeverfahrens, sowie die ihm insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, inklusive seiner Auslagen im Ausgangsverfahren, der Staatskasse auferlegt.
4. Die Staatskasse trägt darüber hinaus alle weiteren Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Beschwerdeführerin Kristin H. im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
I.
Die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer ergibt sich aus §§ 73 Abs. 1, 74c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GVG. Bei dem vom Amtsgericht Schwetzingen zurecht gem. § 206a StPO eingestellten Verfahren handelte es sich um eine Wirtschaftsstrafsache iSd § 74c Abs. 1 Nr. 2 GVG, da gegen die Beschwerdeführer ein Verdacht der verbotenen Geschäfte nach dem Kreditwesengesetz besteht. Die Zuständigkeit der Kammer als Beschwerdekammer ergibt sich dabei aus § 74c Abs. 2 i.V.m § 73 Abs. 1 GVG.
II.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim führte gegen die Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der verbotenen Geschäfte nach dem Kreditwesengesetz. Auf ihren Antrag hin erließ das Amtsgericht Schwetzingen gegen die Beschwerdeführer am 30.11.2022 Strafbefehle wegen gemeinschaftlichen, vorsätzlichen Handelns ohne Erlaubnis gem. §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG, 25 Abs. 2 StGB.
Hiergegen legten die Beschwerdeführer wirksam Einsprüche ein und rügten mit jeweils einem weiteren Schriftsatz - vom 17.08.2023 (Rechtsanwalt G.), vom 22.08.2023 (Rechtsanwalt v.D.) und vom 24.08.2023 (Rechtsanwalt L.) - nachdem das Amtsgericht Schwetzingen Termine zur Hauptverhandlung auf den 26.09., 13.10., 18.10. und 20.10.2023 bestimmt hatte - die örtliche Zuständigkeit des Gerichts.
Das Amtsgericht Schwetzingen stellte das Verfahren daraufhin mit dem Beschluss vom 19.09.2023 hinsichtlich aller Beschwerdeführer gem. § 206a StPO ein mit der Begründung, aus der Akte sei nicht ersichtlich, dass einer der Angeklagten im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Schwetzingen gehandelt habe bzw. dass keine Wohnsitzzuständigkeit bestehe und eine Strafbarkeit wegen Betrugs nicht in Betracht komme. Das Amtsgericht legte die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auf, sah jedoch davon ab, die Staatskasse mit den notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer zu belasten. Diesbezüglich führte es aus, dass die Kostenentscheidung auf §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO beruhe und § 467a StPO nicht anzuwenden sei.
Gegen die getroffene Kostenentscheidung legte ausschließlich der Beschuldigte R. über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 20.09.2023 „Beschwerde" ein, soweit seine Auslagen nicht der Staatskasse auferlegt wurden. Zur Begründung führte er insbesondere aus, die engen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO lägen nicht vor.
Mit Stellungnahme' vom 27.09.2023 bejahte die Staatsanwaltschaft Mannheim hingegen das Vorliegen der Voraussetzungen der Kostenentscheidung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO. Es komme nicht auf eine Schuldspruchreife an, ein erheblicher Tatverdacht und das Fehlen von Umständen, die im Falle der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts in Frage stellen, seien ausreichend.
Nachdem das Amtsgericht Schwetzingen mit Beschluss vom 09.10.23 der „Beschwerde" nicht abgeholfen hatte, legte die Staatsanwaltschaft die Akte dem Landgericht Mannheim mit Verfügung vom 16.10.2023 vor.
Mit Beschluss vom 19.12.2023, Az. 4 Os 45/23 hob das Landgericht Mannheim die den Beschwerdeführer R. betreffende Auslagenentscheidung auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen sowie die Kosten des Rechtsmittels an das Amtsgericht Schwetzingen zurück. Die Rückverweisung begründete das Landgericht damit, dass die bloße Bezugnahme des Amtsgerichts Schwetzingen auf die Gesetzesbestimmung der §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO dem Begründungserfordernis des § 34 StPO nicht genügen würde. An einer eigenen Entscheidung in der Sache sah sich das Beschwerdegericht durch § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO - Bindung an die tatsächliche Feststellungen - verhindert. Ergänzend wies das Landgericht darauf hin, dass das Amtsgericht unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Norm eine Ermessensentscheidung zu treffen habe.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen vom 24.01.2024 entschied das Gericht, dass „die Kosten des Verfahrens" die Angeklagten zu tragen hätten. Die Entscheidung begründete das Amtsgericht mit § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Für die Frage der Kostentragung sei entscheidend gewesen - so das Amtsgericht Schwetzingen -, dass „nach Aktenlage alle Angeklagten nur aufgrund dieses Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wurden". Das Amtsgericht sei von einem hinreichenden Tatverdacht ausgegangen, wie sich aus der Eröffnungsentscheidung sowie Terminierung ersichtlich sei. Es sei nach vorläufiger Aktenlage - davon auszugehen, dass im Rahmen der Hauptverhandlung aufgrund der bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sowie des Zwischenverfahrens gesammelten Sachverhaltspunkte eine weitere Verdichtung dieses Tatverdachts im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgt wäre. Die Kostenentscheidung sei unter Abwägung aller Umstände daher wie aus dem Tenor ersichtlich zu treffen gewesen.
Die Zustellung an den W verlief erfolglos. Den anderen zwei Beschwerdeführern wurde der Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen am 02.02.2024 zugestellt. Rechtsanwalt v.D. ist der Beschluss am 05.02.2024 und Rechtsanwälten L. und G. ist der Beschluss am 06.02.2024 zugegangen. Mit Schriftsatz vom 07.02.2024 legte Rechtsanwalt G. im Namen von R. sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein und verwies zur Begründung auf seine früheren Ausführungen. Ebenso mit dem Schriftsatz vom 07.02.2024 legte Rechtsanwalt L. im Namen von Kristin H. sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 24.01.2024 ein. Er wies zunächst darauf hin, dass es gem. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht möglich sei, der Mandantin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil der Wortlaut nur die Auslagenerstattung erfasse. Hilfsweise wurde angemerkt, dass das Ermessen rechts-fehlerhaft ausgeübt worden sei. Richtigerweise sei die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zu beachten, weswegen die Versagung der Auslagenerstattung nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht komme. Ein solcher liege hier nicht vor. Außer-dem liege der Fehler hier in der Sphäre der Staatsanwaltschaft, die den Strafbefehl am örtlich unzuständigen Gericht beantragt habe. Darüber hinaus habe das Amtsgericht es unterlassen, seine örtliche Zuständigkeit - vor dem Erlass des Strafbefehls -von Amts wegen zu prüfen. Es könne dagegen kein Fehlverhalten der Beschwerde-führer gesehen werden, das eine Kostentragungspflicht rechtfertigen könnte. Schließlich sei bereits mit dem Beschluss vom 19.09.2023 eine Kostengrundentscheidung getroffen worden. Eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft sei nicht bekannt.
Ein Rechtsmittel des Beschuldigten W. ging nicht ein.
Mit Verfügung vom 02.04.2024 legte die Staatsanwaltschaft Mannheim die sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführer R. und H. dem Landgericht Mannheim vor und beantragte, diese „kostenpflichtig als unbegründet aus dessen zu-treffenden Gründen zu verwerfen". Sie nahm schließlich Bezug auf die Stellungnahme aus dem ersten Beschwerdeverfahren.
Mit Verfügung vom 05.04.2024 legte der Vorsitzende der 5. Großen Strafkammer die Akte der Wirtschaftsstrafkammer mit der Bitte um Übernahme vor.
Die zulässigen Beschwerden haben in der Sache Erfolg.
1. Sofortige Beschwerde R.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers R. hat insgesamt Erfolg.
Der Entscheidung des Amtsgericht Schwetzingen bezüglich der Kosten des Verfahrens stand bereits die insoweit eingetretene Rechtskraft des Beschlusses vom 19.09.2023 entgegen. Die Beschwerde vom 20.09.2024 bezog sich einzig und allein auf die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts Schwetzingen; auch nur insoweit erfolgte die Aufhebung des Beschlusses durch das Landgericht Mannheim. Der erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens - unabhängig davon, dass sich die Kostentragungspflicht der Staatskasse aus § 467 Abs. 1 StPO ergibt, - stand ein Verfahrenshindernis entgegen. Bereits aus diesem Grund war der Beschluss insoweit aufzuheben.
Hinsichtlich der Frage der Auslagen konnte die Kammer offenlassen, ob ohne Vorliegen des Verfahrenshindernisses eine Verurteilung erfolgt wäre, und somit auch selbst in der Sache entscheiden. Denn die Kammer ist der Auffassung, dass es jedenfalls auf der Ebene der Ermessensentscheidung zweifelsfrei unbillig erscheint, dem Beschwerdeführer die Auslagen aufzuerlegen, obwohl der Fehler ihm in keinster Weise angelastet werden kann. Der Fehler lag in der Sphäre der Staatsanwaltschaft, die den Strafbefehl am Örtlich unzuständigen Gericht beantragte, sowie beim Amtsgericht Schwetzingen, das seine Örtliche Zuständigkeit - vor dem Erlass des Strafbefehls - von Amts wegen zu prüfen hatte. Das anzuwendende Ermessen auf der Ebene der Auslagenentscheidung war daher im vorliegenden Fall auf Null reduziert.
Aus diesem Grund war der Beschluss des Amtsgericht Schwetzingen auch hinsichtlich der Entscheidung über die Auslagen im Ausgangsverfahren aufzuheben und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers R. waren insgesamt - einschließlich der des Ausgangsverfahrens - der Staatskasse aufzuerlegen.
2. Sofortige Beschwerde H.
Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin H. hat Erfolg, soweit die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Schwetzingen vom 24.01.2024 angestrebt wurde. Da H. den Ausgangsbeschluss des Amtsgericht Schwetzingen vom 19.09.2024 nicht angegriffen hatte, erwuchs dieser sowohl hinsichtlich der Kostenentscheidung als auch hinsichtlich der Auslagenentscheidung in Rechtskraft. Danach wurden die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt werden, ihre Auslagen dagegen der Beschwerdeführerin.
Der Entscheidung des Amtsgericht Schwetzingen bezüglich der Kosten des Verfahrens stand bereits die insoweit eingetretene Rechtskraft des Beschlusses vom 19.09.2023 entgegen. Der erneuten Entscheidung über die Kosten des Verfahrens -unabhängig davon, dass sich die Kostentragungspflicht der Staatskasse aus § 467 Abs. 1 StPO ergibt, - stand ein Verfahrenshindernis entgegen. Bereits aus diesem Grund war der Beschluss vom 24.01.2024 insoweit aufzuheben.
Da die ursprüngliche Entscheidung über die Auslagentragungspflicht hinsichtlich dieser Beschuldigten mangels eingelegten Rechtsmittels ebenso in Rechtskraft erwuchs, konnte die Beschwerde gegen den zweiten Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen vom 24.01.2024 die bereits rechtskräftige Entscheidung nicht mehr zum Fall bringen. Daher hatte die Kammer auch nicht mehr über die Auslagen zu entscheiden, die bei der Beschuldigten H. verbleiben.
3. W.
Weder der Beschuldigte W. noch sein Verteidiger v.D. legten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen vom 24.01.2024 (ebenso wenig wie gegen den Beschluss vom 19.09,2023) sofortige Beschwerde ein, so dass die Kammer diesen Beschuldigten betreffend nicht zu einer Entscheidung berufen ist. Angesichts der Erstreckung des Verfahrenshindernisses der entgegenstehenden Rechtskraft auf den Beschuldigten W. läuft der Beschluss des Amtsgerichts Schwetzingen vom 24.01.2024 nach der Rechtsauffassung der Kammer allerdings ohnehin ins Leere, worauf zur Klarstellung hingewiesen werden darf.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO entsprechend.
Einsender: RA B. Grunst, Berlin
Anmerkung:
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