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Entscheidungen

Zivilrecht

Einfahren in Kreuzungsbereich, Ampelgrün, Sichtbehinderung, Nachzügler, besondere Vorsicht

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.09.2024 – 3 U 28/24

Leitsatz des Gerichts:

Kann der bei Grün in eine Kreuzung Einfahrende wegen der Sichtbehinderung durch einen abbiegenden Lkw nicht sicher abschätzen, ob sich im Kreuzungsbereich bevorrechtigte Nachzügler befinden, muss er besondere Vorsicht walten lassen.


In pp.

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5.4.2024 – 1 O 291/22 – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.601,08 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.134,55 €, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2022, zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die pp. Versicherungen als Kaskoversicherer des Klägers 5.705,79 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2022 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 55 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 45 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 18 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 82 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 31.8.2022 in pp. im Kreuzungsbereich pp. ereignet hat.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Mercedes Benz 212 K/E350 CDI (amtl. Kz.: pp.) die pp. Straße aus Richtung Innenstadt kommend in Richtung pp.. Die Erstbeklagte befuhr mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug Mercedes Benz 245G/CLA 180 (amtl. Kz.: pp.) die pp. in Richtung pp.. Im Kreuzungsbereich auf der pp. Straße kam es im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang eines LKW von der pp. nach links in die pp. Straße in Richtung Innenstadt zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Der Kläger ließ sein Fahrzeug zu einem Betrag von 15.553,47 € reparieren, der von seinem Kaskoversicherer bis auf eine Selbstbeteiligung von 300,- € reguliert wurde.

Mit der Klage hat der Kläger die Beklagten zuletzt auf Zahlung von 4.294,21 € (300,- € Selbstbeteiligung + 100,- € Wertminderung + 25,- Kostenpauschale + 1.815,21 € Gutachterkosten + 2.054,- Nutzungsausfall) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten von 1.375,88 € an sich selbst und Zahlung weiterer 5.705,88 € nebst Zinsen an seinen Kaskoversicherer in Anspruch genommen. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, der Klage bis auf einen Teil der vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Rotlichtverstoß bzw. eine überhöhte Geschwindigkeit eines der Unfallbeteiligten könne nicht festgestellt werden. Die Erstbeklagte habe aber gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da sie ohne freie Sicht und ohne auf von rechts kommende Fahrzeuge zu achten trotz des noch nicht vollständig abgebogenen LKW unter Nutzung des dem Linksabbiegerverkehr aus der pp. vorbehaltenen Bereichs angefahren sei. Damit habe sie grob fahrlässig gehandelt, sodass die allein verbleibende Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs vollständig zurücktrete.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie eine Haftungsteilung anstreben. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen und begegnet keinen Bedenken.

2. Die danach gebotene Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG, die aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2023 - VI ZR 287/22, Rn. 12, juris), führt hier zwar zur überwiegenden, entgegen dem Landgericht aber nicht zur Alleinhaftung der Beklagten.

a) Keinen Bedenken begegnet, dass das Landgericht auf Beklagtenseite einen Rotlichtverstoß der Erstbeklagten für nicht bewiesen erachtet hat. Für einen solchen streitet entgegen der Auffassung des Klägers auch kein Anscheinsbeweis.

aa) Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt stets einen Geschehensablauf voraus, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Dabei muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2023 - VI ZR 287/22, Rn. 18, juris).

bb) Danach kommt ein Anscheinsbeweis für einen Rotlichtverstoß der Erstbeklagten hier nicht in Betracht. Dass der Kläger erst angefahren ist, nachdem die für ihn geltende Lichtzeichenanlage Grün anzeigte, lässt unter den gegebenen Umständen nach der Lebenserfahrung nicht den Schluss zu, dass die Erstbeklagte bei für sie angezeigtem Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sein muss. Da der abbiegende LKW den aus der pp. kommenden Verkehr an der Überquerung der Kreuzung hinderte, bleibt ebenso möglich, dass die Erstbeklagte ebenfalls bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist und dort den Abbiegevorgang des LKW abgewartet hat. Soweit der Kläger meint, in diesem Fall habe der LKW nicht ohne Inanspruchnahme der Linksabbiegerspur der klägerischen Fahrtrichtung abbiegen können, trifft dies ausweislich der Skizze im Gutachten des Sachverständigen pp. nicht zu (Bl. 167 GA).

b) Mit Recht hat das Landgericht auf Beklagtenseite einen Verstoß der Erstbeklagten gegen § 1 Abs. 2 StVO berücksichtigt. Selbst wenn es sich bei der Erstbeklagten – was freilich nicht feststeht – um einen „echten Nachzügler“ gehandelt haben sollte, hätte sie die Kreuzung nur vorsichtig und unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs verlassen dürfen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 26. August 2016 - 7 U 22/16, Rn. 24, juris; KG Berlin, Urteil vom 13. Juni 2019 - 22 U 176/17, Rn. 23, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 3. Mai 2021 - 1 U 18/20, Rn. 13, juris). Die Erstbeklagte hat demgegenüber – wie das Landgericht zutreffend angenommen hat – ein besonders gefährliches Fahrmanöver durchgeführt, indem sie die Kreuzung unter Nutzung des dem Linksabbiegerverkehr aus der pp. vorbehaltenen Bereichs trotz der Sichtbehinderung durch den abbiegenden LKW und ohne auf den von rechts kommenden Verkehr zu achten überquert hat. Sie hat damit die gebotene Sorgfalt in erheblichem Maße missen lassen. Dem kann die Berufung nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Nutzung der Gegenfahrbahn schütze den Kläger als querenden Verkehr nicht, da es keinen Unterschied mache, ob der von links kommende Verkehr die Kreuzung unter Nutzung der eigenen oder der Gegenfahrbahn räume.

c) Aber auch auf Klägerseite ist entgegen dem Landgericht ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen.

aa) Ein Kraftfahrer, der – wie der Kläger – bei Grün in eine Kreuzung einfährt, braucht zwar im Allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass Querverkehr unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in die Kreuzung einfährt (vgl. Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 12.12.2023), Rn. 27 mwN). Dieses ihm an sich zustehende Vorfahrtrecht entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, den aufgrund vorangegangener Lichtphase in die Kreuzung eingefahrenen Verkehrsteilnehmern, die diese nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten, das Vorrecht einzuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1976 - VI ZR 264/75, Rn. 9, juris). Eine unübersichtliche Kreuzung darf daher auch bei Grün nur vorsichtig mit Anhaltebereitschaft durchfahren werden, weil mit Nachzüglern zu rechnen ist (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, 47. Aufl. 2023, StVO § 37 Rn. 14, beck-online mwN). Auf einen Vertrauensgrundsatz dahingehend, dass sich keine Nachzügler mehr in der Kreuzung aufhalten, kann sich der Einfahrende nicht berufen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1967 - 4 StR 382/67, Rn. 6, juris).

bb) Da dem Kläger hier die Sicht nach links in Richtung der pp. durch den abbiegenden LKW versperrt und daher ungewiss war, ob sich von dort kommend Nachzügler in der Kreuzung befanden, denen er den Vorrang einzuräumen hatte, durfte der Kläger sich dem Kreuzungsbereich nur mit besonderer Vorsicht und in Anhaltebereitschaft nähern. Vor seiner Einfahrt in die Kreuzung musste er sich vergewissern, dass sich aus der pp. kommend keine Nachzügler in der Kreuzung befanden. Der Kläger handelte daher sorgfaltswidrig, wenn er trotz der Sichtbehinderung durch den abbiegenden LKW und ohne vorherige Vergewisserung nach möglichen Nachzüglern in die Kreuzung einfuhr. Dass der LKW zum Zeitpunkt des Anfahrens des Klägers noch die Spur aus der pp. in die pp. blockierte, ändert hieran nichts. Denn das Fahrmanöver der Erstbeklagten, ihre Fahrt in Richtung der pp. unter Umfahren des noch im Abbiegen befindlichen LKW fortzusetzen, stellt sich zwar als erheblich sorgfaltswidrig, aber nicht als so atypisch dar, dass der Kläger mit diesem Verhalten nicht zu rechnen brauchte. Das sorgfaltswidrige Verhalten des Klägers, das zu dem Unfall beigetragen hat, ist bei der Haftungsabwägung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob es sich bei der Erstbeklagten um einen „echten Nachzügler“ handelt.

d) Der Verstoß der Erstbeklagten überwiegt aufgrund des besonders gefährlichen und sorglosen Fahrmanövers den auf Klägerseite zu berücksichtigenden Sorgfaltsverstoß, sodass eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten angemessen erscheint.

3. Bei der Schadensberechnung ist das nach Inanspruchnahme der Kaskoversicherung durch den Kläger aus § 86 Abs. 1 VVG resultierende Quotenvorrecht zu berücksichtigen und demzufolge zwischen quotenbevorrechtigten und nicht quotenbevorrechtigten Schadenspositionen zu unterscheiden. Danach kann der Kläger verlangen:

- Selbstbeteiligung: 300,00 €
- Wertminderung: 100,00 €
- SV-Kosten: 1.815,21 €
- Nutzungsausfall (2/3 aus 2.054,- € = 1.369,20 €
- Auslagenpauschale (2/3 aus 25,- € = 16,67 €
3.601,08 €

4. Die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers nach Rechtshängigkeit und der damit einhergehende Forderungsübergang (§ 86 VVG) führt nicht zur (Teil-)Erledigung des Rechtsstreits (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 10. November 2016 - 4 U 211/16, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 28. Oktober 2014 - 22 U 150/13, Rn. 6, juris). Nach § 265 Abs. 2 ZPO bleibt der Kläger aktivlegitimiert und muss der nach Klageerhebung eingetretenen Rechtsnachfolge – wie geschehen – allein dadurch Rechnung tragen, dass er seinen Antrag auf Zahlung an den Rechtsnachfolger umstellt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9. November 2022 - 11 U 38/22, Rn. 5, juris).

Bei einem Gesamtschaden von 19.547,68 € (15.553,47 € Reparaturkosten + 100,- Wertminderung + 1.815,21 € SV-Kosten + 2.054,- € Nutzungsausfall + 25,- € Auslagenpauschale) ergibt sich ein Haftungsanteil der Beklagten von 13.030,48 €. Unter Berücksichtigung der dem Kläger weiterhin zustehenden Ansprüche belaufen sich die auf den Kaskoversicherer übergegangenen Ansprüche auf (13.030,48 € - 3.601,08 € =) 9.429,40 €. Dieser Betrag liegt über dem vom Landgericht zuerkannten Betrag, sodass die Berufung der Beklagten insoweit erfolglos bleibt.

5. Der Kläger kann ferner nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, die aus dem Wert der berechtigten Forderung zu ermitteln sind (vgl. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2023 - 3 U 49/23, Rn. 23, juris mwN). Der Anspruch beträgt 1.134,55 € (1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG + Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG + Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG).

6. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 ff. BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).


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