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Entscheidungen

StPO

Wiedereinsetzung, chaotische Fristenkontrolle, versäumte Rechtsmittelfrist

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 08.04.2010 - 2 Ws 197/10

Fundstellen:

Leitsatz: Einem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sein Verteidiger es versäumt hat, für eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle zu sorgen, aber gleichwohl auf Basis einer anwaltlichen Versicherung einer in der Kanzlei tätigen Kollegin davon ausgegangen werden kann, dass der Mandant rechtzeitig den Auftrag zur Rechtsmitteleinlegung gegeben hat.


In pp.
1. Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des Amtsgerichts B. vom 27.11.2009 gewährt
2. Die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen hat er selbst zu tragen. Im übrigen fallen die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 27.11.2009 hat das Amtsgericht in B. den Angeklagten wegen Leistungserschleichung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit am 11.01.2010 beim Amtsgericht B. eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt und wegen der versäumten Rechtsmittelfrist zugleich Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung hat der Verteidiger ausgeführt, der Angeklagte habe ihn unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit der Einlegung der Berufung beauftragt. Dieser Auftrag sei wegen krankheitsbedingter Ausfälle in der Kanzlei und daraus resultierender Arbeitsüberlastung nicht ausgeführt worden. Die Richtigkeit seines Vorbringens hat der Verteidiger anwaltlich versichert und zur weiteren Glaubhaftmachung eine Kopie des Kalenders vorgelegt, in dem unter dem 02.12.2009 „ RM B. einlegen !“ und unter dem 4.12.2009 „ B.: R.M eingelegt ?“ notiert ist. Das Verschulden des Verteidigers an der unterbliebenen Rechtsmitteleinlegung, deren er sich erst aufgrund der Zustellung des mit Rechtskraftvermerk versehenen Urteils am 08.01.2010 bewußt geworden sei, müsse sich der Angeklagte nicht zurechnen lassen.
Durch Beschluss vom 19.02.2010 hat das Landgericht B. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen. Es hat dem Vorbringen des Verteidigers nicht geglaubt, weil dieser mit der Vorgehensweise, die Schuld für eine Fristversäumnis auf sich zu nehmen, schon in einem früheren Verfahren (dessen Gegenstand ein Bewährungswiderruf war, vgl Senat Beschluss vom 7.5.2004 – 2 Ws 174/04 -) Erfolg gehabt und dies gegenüber dem Vorsitzenden Richter sinngemäß als „tolle Masche“ bezeichnet habe, mit der ein Mandant jederzeit eine Wiedereinsetzung erreichen könne. Zugleich hat das Landgericht auch ein eigenes Verschulden des Angeklagten darin gesehen, dass dieser aufgrund der Erfahrungen mit seinem Verteidiger in dem Widerrufsverfahren – das ihm eine mehrwöchige Inhaftierung eingebracht habe – diesem kein Vertrauen auf eine rechtzeitige Rechtsmitteleinlegung habe schenken dürfen, sondern sich darum auch selbst habe kümmern müssen.
Hiergegen hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 05.03.2010, am 08.03.2010 bei Gericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde beim Landgericht B. eingelegt, mit der er zur weiteren Glaubhaftmachung seines Vorbringens Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der in seiner Kanzlei mit Fristensachen betrauten Anwaltsgehilfin und des weiteren die anwaltliche Versicherung einer in seiner Kanzlei beschäftigten Rechtsanwältin vom 03.03.2010 vorlegt, der zu folge sich der Angeklagte vor Ablauf der Rechtsmittelfrist telefonisch nach der Einlegung der Berufung erkundigt habe.
II.
Die gem. §§ 46 Abs. 3 StPO an sich statthafte, rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte und damit insgesamt zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. 44, 45 StPO zu gewähren, wenn ein Angeklagter ohne sein Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Der Wiedereinsetzungsantrag ist – wovon auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgegangen ist - mit Schriftsatz vom 11.01.2010 innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO gestellt worden, nachdem der Verteidiger die auf der unterbliebenen Rechtsmitteleinlegung beruhende Fristversäumnis aufgrund der Urteilszustellung am 08.01.2010 erkannt hatte.
2. Die tatsächlichen, den Wiedereinsetzungsgrund tragenden Umstände sind - jedenfalls im Beschwerdeverfahren - ausreichend glaubhaft gemacht worden (§ 45 Abs. 2 S. 1 StPO). Danach ist davon auszugehen, dass den Angeklagten kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist trifft.
a) Die Darstellung des Verteidigers, er sei von dem Angeklagten unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit der Einlegung der Berufung beauftragt worden, er habe die Erledigung dieses Auftrags aber versäumt, erscheint in der Gesamtschau nunmehr ausreichend glaubhaft. Die Kalendereinträge vom 02.12. und 04.12.2009 bieten zwar das Bild einer völlig unzulänglichen, vom Verteidiger selbst treffend als „chaotisch“ bezeichneten Fristenkontrolle, die mit der Erkrankung der damit betrauten Anwaltsangestellten kaum gerechtfertigt werden kann, zumal der Kalender – soweit zu entziffern - auch offenbar private Eintragungen („Impfung“, „Weihnachtsmarkt“, „Toto“ u.a.m.) enthält und berufliche und private Angelegenheiten nicht in der gebotenen Weise voneinander trennt.
Eine anwaltliche Fehlleistung liegt des weiteren darin, dass der Verteidiger seine Pflichtverteidigergebühren mit Schriftsatz vom 30.11.2009 geltend gemacht hat, ohne sich - wie das angesichts des Ausfalls seiner Angestellten geboten gewesen wäre - persönlich zu vergewissern, ob Berufung eingelegt war, was mit nur geringer Mühewaltung feststellbar und ggfs nachholbar gewesen wäre.
Befremdlich erscheint auch, dass der Verteidiger nach den vom Senat nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Landgerichts einen mit eigenem Anwaltsverschulden begründeten Wiedereinsetzungsantrag sinngemäß als „tolle Masche“ bezeichnet hat, „gegen die ein Rechtsmittelgericht nicht ankomme“. Eine derartige Haltung ist mit den beruflichen Pflichten eines Rechtsanwalts, der nach § 1 BRAO die Stellung eines Organs in der Rechtspflege hat, unvereinbar.
Anlaß zu der Annahme, die Eintragungen betr. den Angeklagten B. entsprächen nicht den tatsächlichen Vorgängen und seien etwa nachträglich hinzugefügt worden, bietet all das gleichwohl nicht. Denn nach der mit der Beschwerde vorgelegten Erklärung der Rechtsanwältin W., die die Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben anwaltlich versichert hat, hat der Angeklagte vor Ablauf der Rechtsmittelfrist in der Kanzlei des Verteidigers angerufen, um mit Rechtsanwalt H. „wegen seines Verfahrens und der Einlegung des Rechtsmittels zu sprechen“, aber nur Rechtsanwältin W. erreicht. Wenngleich nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, dass der alltägliche Vorgangs eines mehr als drei Monate zurückliegenden Anrufs eines Mandanten in einer Anwaltskanzlei dem Gesprächspartner in Erinnerung geblieben ist, kann der Erklärung von Rechtsanwältin gefolgt werden. Denn sie hat ihre Erinnerung damit motivieren können, dass ihr der Angeklagte aus anderer Sache persönlich bekannt gewesen sei und sie deswegen Anlaß gehabt habe, aufgrund des Anrufs die Fristen im Kalender anzusehen, worauf auch ihre Erinnerung beruhe, dass der Anruf noch innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgt sei.
b) Das Verschulden des Verteidigers, von dem hier nach alledem auszugehen ist, ist dem Angeklagten in der Regel nicht zurechenbar (S enat 01.02.2010 – 2 Ws 31/10 – ; Meyer-Goßner, StPO, 52.Aufl., § 44 Randnr. 18 m.w.N.).
Von einem eigenen Verschulden des Angeklagten – der nach ständiger Rechtsprechung des Senats (a.a.O.) einen Sachverhalt, der ein eigenes mitwirkendes Verschulden an der Fristversäumung ausschließt, vorzutragen und glaubhaft zu machen hat – vermag der Senat abweichend von der Auffassung des Landgerichts hier nicht auszugehen.
Mit dem Auftrag, Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts B. vom 27.11.2009 einzulegen, hatte der Angeklagte alles getan, was seinerseits erforderlich war. Zu einer Überwachung seines Verteidigers war er nicht verpflichtet, weil ihm etwa dessen Unzuverlässigkeit bekannt war (vgl dazu BGH 25,89; Meyer-Goßner, a.a.O. m.w.N.). Soweit Rechtsanwältin W. es unterlassen hat, den Verteidiger von dem Anruf des Angeklagten zu unterrichten, läge auch darin ein Anwaltsverschulden, das dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen kann, zumal ihm ein Rückruf von Rechtsanwalt H. – soweit von ihm für erforderlich gehalten – zugesagt worden war.
Dass das Vertrauen des Landgerichts in Rechtsanwalt H. erschüttert ist, ist für den Senat nachvollziehbar, kann für die maßgebliche Sichtweise des Angeklagten aber nicht gelten. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Widerrufsentscheidung in dem Verfahren StA B. … liegt sechs Jahre zurück. Der Senat hatte sich im Beschwerdeverfahren 2 Ws 174/04 mit der Frage, ob der Angeklagte positive Kenntnis davon hatte, „ dass Rechtsanwalt H. nicht in der Lage ist, Rechtsmittelfristen einzuhalten“, nicht zu befassen, weil es mangels wirksamer Zustellung des seinerzeit angefochtenen Widerrufsbeschlusses einer Wiedereinsetzung wegen der Versäumung einer Rechtsmittelfrist nicht bedurfte. Der Angeklagte ist seither nach der unwidersprochenen Darstellung seines Verteidigers von diesem in vier weiteren Verfahren vor den Amtsgerichten D. und E. sowie vor dem Amts- und Landgericht B. zu seiner Zufriedenheit verteidigt worden.
Bei den Anforderungen an den Wiedereinsetzungsgrund in Fällen, in denen es um die eigene Verpflichtung des Angeklagten geht, bei der Rechtsmitteleinlegung nach Kräften mitzuwirken (vgl dazu BGH vom 27.02.1973 – 1 StR 14/73 – ), darf letztlich nicht übersehen werden, dass der Angeklagte – wie auch im Urteil des Amtsgerichts erwähnt – nur über einen Hauptschulabschluß verfügt und eine langjährige Drogenkarriere hinter sich hat .
Insoweit unterscheidet sich der Fall deutlich von dem Sachverhalt, der der erwähnten Entscheidung des BGH des zugrunde lag. Dort war einem Angeklagten, der im Urteil als sehr intelligent und gewandt geschildert worden war, als eigenes Verschulden angelastet worden, dass er unzulängliche Auskünfte seines Verteidigers zur Einreichung einer Revisionsbegründung, deren Frist der Verteidiger vorsätzlich überschritten hatte, nicht zum Anlaß genommen hatte, sich in geeigneter Weise selbst einzuschalten.
Damit ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar.
III.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 3 S.2 Nr.1 StPO. Das erstinstanzliche Vorbringen hätte auch dem Senat für die Gewährung von Wiedereinsetzung nicht ausgereicht. Der für den Erfolg der Beschwerde maßgebliche Umstand liegt in der Erklärung von Rechtsanwältin Wittkamp, die erst mit der Beschwerde vorgelegt worden ist.
In einem solchen Fall hat der Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl Meyer-Goßner, a.a.O., § 473 Randnr. 2; KK-Gieg , StPO, 6. Aufl., § 473 Randnr. 5., je m.w.N.)


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