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RVG Entscheidungen

Gebühren-/Kostenfragen - Vergütungsfestsetzung

Erstattungsfähigkeit, auswärtiger Residenzort eines Wahlverteidigers, Mehrkosten

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 16.09.2011 - 1 Ws 417/11

Leitsatz: Zur Erstattungsfähigkeit der durch den auswärtigen Residenzort des Wahlverteidigers verursachten Mehrkosten.

Für eine Anrechnung der aus der Staatskasse gezahlte Pflichtverteidigervergütung auf die als Teil der notwendige Auslagen des Angeklagten zu erstattende Wahlverteidigervergütung ist insbesondere dann kein Raum, wenn der Pflichtverteidiger aus vom Angeklagten nicht zu vertretenden Gründen zusätzlich zum vorhandenen Wahlverteidiger bestellt wurde.


In der Strafsache pp.
wegen Untreue u.a. hier: Kostenfestsetzung

hat auf die sofortige Beschwerde des vormaligen Angeklagten Dr. R gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 22.12.2010 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht , Richterin am Oberlandesgericht und Richter am Landgericht am 16. September 2011 beschlossen:

1.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts E vom 22.12.2010 wird dergestalt abgeändert, dass die dem vormaligen Angeklagten Dr. R infolge der Beauftragung von Rechtsanwalt Prof. Dr. N aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 10.598,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.6.2010 festgesetzt werden.
2.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird verworfen.
3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen, jedoch wird die Gebühr auf die Hälfte ermäßigt. Die Landeskasse hat die Hälfte der dem Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen und die Hälfte der Auslagen der Landeskasse zu tragen.
Gründe
I.
Mit Schriftsatz vom 18.1.2005 zeigte Rechtsanwalt Prof. Dr. N unter Vorlage einer Vollmacht vom 4.12.2004 die Verteidigung des vormaligen Angeklagten Dr. R an. Zuvor hatte bereits Rechtsanwalt Z mit Schriftsatz vom 29.10.2001 die anwaltliche Vertretung von Dr. R angezeigt.

Mit Beschluss vom 1.2.2005 bestellte der damalige Vorsitzende der 2. Strafkammer des Landgerichts E Rechtsanwalt Z auf dessen Antrag im Schriftsatz vom 12.11.2004 dem ehemaligen Angeklagten Dr. R gemäß § 140 Abs. 1 StPO zum Verteidiger. Zur Begründung heißt es, dem Antrag sei zu entsprechen gewesen, auch wenn sich inzwischen mit Rechtsanwalt Prof. Dr. N ein weiterer Verteidiger gemeldet habe. Rechtsanwalt Prof. Dr. N habe seinen Dienstsitz in Dortmund. Für den Fall der Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens sei zur Sicherung der Durchführung einer Hauptverhandlung die Beiordnung eines gerichtsnäher ansässigen Anwalts erforderlich.

Mit Beschluss vom 31.3.2010 stellte das Landgericht das Verfahren gegen den ehemaligen Angeklagten Dr. R gemäß § 153a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO und gemäß § 153 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO ein und ordnete zugleich an, dass die notwendigen Auslagen des Angeklagten einschließlich der Kosten eines zweiten Verteidigers zu 60 Prozent der Staatskasse zur Last fallen.

Mit am 30.6.2010 eingegangenem Schriftsatz vom 28.6.2010 beantragte Rechtsanwalt Prof. Dr. N, Gebühren und Auslagen in Höhe von 16.425,35 EUR gegen die Landeskasse festzusetzen.

Mit Schriftsatz vom 17.9.2010 beantragte Rechtsanwalt Z, über die bereits gezahlte Pflichtverteidigervergütung hinaus Wahlverteidigergebühren und Auslagen in Höhe von 4.943,20 EUR festzusetzen.

In seiner Stellungnahme vom 15.10.2010 hielt der Bezirksrevisor beim Landgericht E für Rechtsanwalt Prof. Dr. N einen Betrag von 5.064,70 EUR für gerechtfertigt. Ihm stünde grundsätzlich nur ein Kostenanspruch in Höhe 14.844,20 EUR zu. Der Termin vom 13.12.2006 habe ausweislich der Akten nicht stattgefunden. Die von Rechtsanwalt Prof. Dr. N geltend gemachten Reisekosten und Abwesenheitsgelder seien nicht erstattungsfähig. Von dem Kostenanspruch von 14.844,20 EUR seien die an Rechtsanwalt Z gezahlten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 7.776 EUR in Abzug zu bringen. Die Kosten mehrerer Anwälte seien nur insoweit erstattungsfähig, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht überstiegen. Seien in einem Verfahren sowohl ein Wahlverteidiger als auch ein Pflichtverteidiger tätig geworden, so sei von den Wahlverteidigerkosten grundsätzlich nur der Unterschiedsbetrag zu den Kosten des Pflichtverteidigers zu erstatten. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Pflichtverteidiger ohne Verschulden des Freigesprochenen oder seines Wahlverteidigers - etwa zur Sicherung des Verfahrens - bestellt worden sei. Dies sei hier nicht anzunehmen, weil die Pflichtverteidigerbestellung ausweislich des entsprechenden Beschlusses mit Rücksicht auf den außerhalb des Landgerichtsbezirks E liegenden Residenzort von Rechtsanwalt Prof. Dr. N erfolgt sei. Nach der Kostengrundentscheidung seien schließlich nur 60 Prozent der notwendigen Auslagen erstattungsfähig.

In einer weiteren Stellungnahme vom 15.10.2010 sowie in der Stellungnahme vom 6.12.2010 beantragte der Bezirksrevisor, den Antrag von Rechtsanwalt Z vom 17.9.2010 zurückzuweisen. Zur Begründung verwies der Bezirksrevisor erneut darauf, dass die Kosten mehrerer Anwälte nur insoweit erstattungsfähig seien, als sie die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht überstiegen. Weil der Antrag von Rechtsanwalt Prof. N zeitlich vor dem Antrag von Rechtsanwalt Z auf Erstattung von Wahlverteidigergebühren gestellt worden sei, sei er zu berücksichtigen.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.12.2010 setzte die Rechtspflegerin die zu erstattenden notwendigen Auslagen von Rechtsanwalt Prof. Dr. N unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 15.10.2010 auf 5.046,70 EUR fest.

Gegen diesen dem vormaligen Angeklagten Dr. R am 8.1.2011 und Rechtsanwalt Prof. Dr. N am 10.1.2011 zugestellten Beschluss legte dieser mit am 12.10.2011 eingegangenem Schriftsatz vom Vortage "Erinnerung" ein.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.4.2011 wies die Rechtspflegerin ferner den Kostenfestsetzungsantrag von Rechtsanwalt Z unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des Bezirksrevisors vom 15.10.2010 und vom 6.12.2010 zurück. Diesen Beschluss hob der Senat auf die gegen ihn eingelegte sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 28.7.2011 unter Zurückverweisung der Sache an das Landgericht E auf, weil im vorliegenden Falle nicht lediglich die Kosten eines Verteidigers erstattungsfähig sind (1 Ws 306/11).

II.

1. Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.12.2010 ist gemäß §§ 11 RPflG, 464b StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 Satz 1, 567 ff. ZPO die sofortige Beschwerde statthaft.

Der Beschluss unterliegt nicht den Rechtsmitteln des § 56 RVG, obwohl Rechtsanwalt Prof. Dr. N nach dem 30.6.2004 mandatiert wurde (§ 61 Abs. 1 RVG). Er macht nämlich mit seinem Antrag vom 28.6.2010 für seinen Mandanten Wahlverteidigergebühren auf Grundlage der Kostengrundentscheidung im Beschluss des Landgerichts E vom 31.3.2011, nicht aber Pflichtverteidigergebühren gemäß § 55 RVG geltend.

Das mit Schriftsatz vom 11.1.2011 für den vormaligen Angeklagten Dr. R eingelegte und als Erinnerung bezeichnete Rechtsmittel ist gemäß § 300 StPO im Sinne des statthaften Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde auszulegen.

2. Die sofortige Beschwerde ist im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 Satz 1 StPO eingelegt (vgl. zu deren Geltung Senatsbeschluss vom 3.5.2006, 1 Ws 75/06, [...]).

3. Das Rechtsmittel ist teilweise begründet.

a) Zu Recht hat das Landgericht allerdings die von Rechtsanwalt Prof. Dr. N für einen Hauptverhandlungstermin vom 13.12.2006 beantragten Gebühren abgesetzt. An diesem Tag fand ausweislich der Akten keine Verhandlung statt.

b) Zu Recht hat das Landgericht ferner das Tage- und Abwesenheitsgeld sowie die Reisekosten für die einzelnen Verhandlungstage abgesetzt.

Diese durch den auswärtigen Residenzort von Rechtsanwalt Prof. Dr. N verursachten Mehrkosten sind nicht erstattungsfähig.

Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz ZPO werden solche Kosten nur insoweit erstattet, als die Hinzuziehung des auswärtigen Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn der auswärtige Anwalt über besondere Fachkenntnisse auf einem Spezialgebiet verfügt, es am Sitz des Gerichts einen Fachanwalt nicht gibt oder der Angeklagte selbst weit entfernt vom Gerichtsort wohnt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 464a Rd.-Ziff. 12).

Keiner dieser Fälle liegt vor.

Der Angeklagte wohnte bei Mandatserteilung am 4.12.2004 in Weimar und damit in der Nähe des Gerichtsstandortes. Es bestand für ihn keine Veranlassung, gerade den in Dortmund ansässigen Rechtsanwalt Prof. Dr. N zu mandatieren. Im Landgerichtsbezirk E gab es schon damals ausgewiesene Fachanwälte für Strafrecht. Es bestand im vorliegenden Verfahren auch kein Bedarf, etwa vorhandene Spezialkenntnisse von Prof. Dr. N in Anspruch zu nehmen. Auch die politische Brisanz des Verfahrens hinderte den Angeklagten nicht, einen ortsansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen.

Dementsprechend hatte er zunächst selbst auch Rechtsanwalt Z aus E beauftragt, der ihm auf seinen Wunsch hin sodann auch als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde.

Es kann offenbleiben, ob in Ausnahmefällen allein ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger geeignet ist, die durch den auswärtigen Residenzort verursachten Mehrkosten als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz ZPO notwendig erscheinen zu lassen (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O, § 464a Rd.-Ziff. 12). Für ein solches besonderes Vertrauensverhältnis sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst auch ersichtlich, zumal der vormalige Angeklagte Dr. R zunächst allein Rechtsanwalt Z aus E beauftragt hatte.

c) Zu Unrecht hat das Landgericht allerdings die an Rechtsanwalt Z gezahlten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 7.776 EUR in Abzug gebracht.

Entgegen der Einschätzung des Landgerichts sind im vorliegenden Falle nämlich nicht lediglich die Kosten eines Verteidigers erstattungsfähig.

Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO werden die Kosten mehrerer Anwälte grundsätzlich nur insoweit erstattet, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn neben dem Wahlverteidiger ein Pflichtverteidiger bestellt wird. In diesem Falle ist deshalb im Allgemeinen von den Wahlverteidigerkosten nur der Unterschiedsbetrag zu den Kosten des Pflichtverteidigers erstattungsfähig (Meyer-Goßner, a.a.O., § 464a Rd.-Ziff. 13).

Wegen des auch verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf freie Verteidigerwahl darf die für den Zivilprozess angemessene Einschränkung der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten indessen nicht ausnahmslos auf den Strafprozess übertragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 28.3.1984, 2 BvR 275/83, [...]). Für eine Anrechnung der Pflichtverteidigervergütung ist insbesondere dann kein Raum, wenn zusätzlich zum vorhandenen Wahlverteidiger ein Pflichtverteidiger aus vom Angeklagten nicht zu vertretenden Gründen, etwa zur Sicherung des Verfahrens, bestellt wird (OLG Dresden, Beschluss vom 19.10.2006, 1 Ws 206/06, [...]; OLG Düsseldorf , Beschluss vom 21.12.19984, 1 Ws 121/84, [...]; Beschluss vom 8.8.2002, 3 Ws 256/02, [...]; Beschluss vom 4.5.2005, 3 Ws 62/05, [...]; KK-Gieg, StPO, 6. Aufl. § 464a Rd.-Ziff. 13; Meyer-Goßner, a.a.O., § 464a Rd.-Ziff.13).

So liegt der Fall hier.

Das Landgericht E hatte Rechtsanwalt Z dem ehemaligen Angeklagten Dr. R ausweislich des Beschlusses vom 1.2.2005 ausdrücklich zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet. Diese Beiordnung zur Sicherung des Verfahrens hat der ehemalige Angeklagte Dr. R auch nicht zu vertreten. Dafür genügt es insbesondere nicht, dass sein Wahlverteidiger Prof. Dr. N außerhalb des Landgerichtsbezirks E in Dortmund residiert. Der Angeklagte hat grundsätzlich die Wahl, von welchem Verteidiger er sich verteidigen lassen möchte. Er ist nicht verpflichtet, sich einen ortsansässigen Verteidiger zu suchen, mag er grundsätzlich auch keinen Anspruch darauf haben, dass ihm die durch die Diskrepanz zwischen dem Gerichtsstandort und dem Residenzort des Rechtsanwalts verursachten Mehrkosten erstattet werden. Im Vorfeld der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt Z ist es auch nicht zu Verfahrensverzögerungen durch die Beauftragung von Rechtsanwalt Prof. Dr. N gekommen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich Prof. Dr. N erst unmittelbar vor dem Beschluss des Landgerichts E vom 1.2.2005 mit Schriftsatz vom 18.1.2005 als Verteidiger bestellt hat. Dementsprechend erfolgte die Beiordnung von Rechtsanwalt Z ausweislich des Beschlusses des Landgerichts vom 1.2.2005 auch nicht wegen, sondern trotz des Wahlverteidigers Prof. Dr. N (vgl. Senatsbeschluss vom 28.7.2011, 1 Ws 306/11).

Unter Abzug der Terminsgebühren für den 13.12.2006 und der Reisekosten sowie der Tage- und Abwesenheitsgelder verbleibt von den von Rechtsanwalt Prof. Dr. N in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 28.6.2010 geltend gemachten Gebühren ein Betrag von 14.330 EUR. Zuzüglich der Pauschalen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20 EUR (Nr. 7002 VV RVG) und für (3.178) Ablichtungen in Höhe von 494,20 EUR (Nr. 7000 Abs. 1 VV RVG) sowie zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent (Nr. 7008 VV RVG) ergibt sich ein erstattungsfähiger Gesamtbetrag von 17.664,60 EUR.

Nach der Kostengrundentscheidung des Landgerichts im Beschluss vom 31.3.2010 resultiert daraus ein Zahlbetrag von 10.598,76 EUR.

4. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 473 Abs. 4 StPO.


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