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RVG Entscheidungen

Nr. 4143 VV

Adhäsionsverfahren, Pflichtverteidiger, Umfang, Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 08.11.2012 - III 3 Ws 139/12

Leitsatz: Die Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Pflichtverteidiger umfasst das Tätigwerden zur Abwehr gegen den Angeklagten gerichteter Adhäsionsanträge nicht.


In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 08.11.2012 beschlossen:

1. (Entscheidung des Einzelrichters Richter am Oberlandesgericht G)

Das Verfahren wird dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

2. (Entscheidung des Senats in der Besetzung mit drei Richtern)


Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.


Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
In der vorliegenden Sache meldete sich Rechtsanwalt Dr. L am 16. April 2004 als gewählter Verteidiger des (damaligen). Beschuldigten. Am 10. April 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen des Vorwurfes des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung Anklage vor dem Landgericht Bielefeld. Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens bestellte der Vorsitzende der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld mit Beschluss vom 13. September 2011 Rechtsanwalt Dr. L zum Pflichtverteidiger des Angeklagten; weitere Ausführungen enthält der Bestellungsbeschluss nicht. Im Laufe des Verfahrens vor dem Landgericht machten sowohl der durch die Tat Verletzte T P als auch die Witwe des durch die Tat Verletzten B U vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Angeklagten im Verfahren nach §§ 403 ff StPO geltend. Das Landgericht sah jeweils nach § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge ab und sprach den Angeklagten am 20. Dezember 2011 frei. Das Urteil ist seit dem 28. Dezember 2011 rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2011 beantragte Rechtsanwalt Dr. L die Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung. Er machte u.a. Verfahrensgebühren nach Nr. 4143 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) hinsichtlich der beiden Adhäsionsanträge in Höhe von insgesamt 1.220,00 € zuzüglich Umsatzsteuer geltend. Am 2. Februar 2012 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts die Rechtsanwalt Dr. L aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung fest. Die Festsetzung der geltend gemachten Verfahrensgebühren nach Nr. 4143 VV RVG lehnte die Urkundsbeamtin ab. Gegen diese Ablehnung wandte sich Rechtsanwalt Dr. L mit seiner am 10. Februar 2012 beim Landgericht eingegangenen Erinnerung. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. April 2012, an Rechtsanwalt Dr. L zugestellt am 18. April 2012, wies die 2. große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld die Erinnerung durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter zurück. Gegen diesen Beschluss wendet sich Rechtsanwalt Dr. L mit seiner am 19. April 2012 beim Landgericht eingegangenen Beschwerde.

Der Einzelrichter des Senats überträgt das Verfahren nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 7 RVG form- und fristgerecht eingelegt.

2. Das Rechtsmittel ist indes unbegründet. Dem Beschwerdeführer steht der mit der Beschwerde geltend gemachte Anspruch nicht zu.

a) Auf den Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse sind in materiell-rechtlicher Hinsicht nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes anzuwenden, weil der Beschwerdeführer nach dem 1. Juli 2004 gerichtlich bestellt worden ist. Dass er bereits vor diesem Zeitpunkt als Wahlverteidiger tätig war, ändert hieran nichts (vgl. OLG Jena, NJOZ 2005, 3709; BeckRS 2006, 10179; BT-Drucksache 15/1971, S. 203).

b) Dem Beschwerdeführer steht ein Anspruch auf Festsetzung von Verfahrensgebühren nach Nr. 4143 VV RVG gegen die Staatskasse nicht zu.

Nach § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Umfang des Vergütungsanspruches des Rechtsanwaltes gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen, durch die der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist.

aa) Die Bestellung des Beschwerdeführers zum Pflichtverteidiger des Angeklagten nach §§ 140, 141 StPO als solche umfasste das Tätigwerden zur Abwehr der gegen den Angeklagten gerichteten Adhäsionsanträge nicht.

(1) In der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur wird die Frage, ob die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch das Tätigwerden zur Abwehr von Adhäsionsanträgen umfasst, unterschiedlich beantwortet. Nach der wohl überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Abwehr von Adhäsionsanträgen nicht von der Bestellung zum Pflichtverteidiger umfasst (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. April 2012 – III-1 Ws 84/12; KG, Beschluss vom 24. Juni 2010 – 1 Ws 22/09; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. Juni 2010 – 2 Ws 237/09; OLG Oldenburg, Beschluss vom 22. April 2010 – 1 Ws 178/10; OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. April 2009 – 1 Ws 38/09; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – 1 Ws 576/08; OLG Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2008 – 1 Ws 142/08; OLG Jena, Beschluss vom 14. April 2008 – 1 Ws 51/08; OLG Celle, Beschluss vom 6. November 2007 – 2 Ws 143/07; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11. September 2006 – 1 Ws 347/06; OLG München, Beschluss vom 26. November 2001 – 2 Ws 1340/01). Nach anderer Ansicht umfasst die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach §§ 140, 141 StPO auch das Tätigwerden im Adhäsionsverfahren (OLG Rostock, Beschluss vom 15. Juni 2011 – 1 Ws 166/11 – ; OLG Dresden, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 Ws 155/06; OLG Köln, Beschluss vom 29. Juni 2005 – 2 Ws 254/05; OLG Hamm [2. Strafsenat], Beschluss vom 31. Mai 2001 – 2 (s) Sbd 6 - 87/01; OLG Schleswig, NStZ 1998, 101; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. [2012], § 140 Rdnr. 5).

(2) Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung und hier insbesondere den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen in den oben zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Hamburg an. Entscheidend für die Auffassung des Senats sind hierbei namentlich folgende Erwägungen:

(a) § 404 Abs. 5 StPO sieht für die gerichtliche Entscheidung, dem Angeklagten zur Abwehr von gegen ihn gerichteten Adhäsionsanträgen einen Rechtsanwalt beizuordnen, ein besonderes Verfahren vor, das sich sowohl in seinem Ablauf als auch in den anzuwendenden Entscheidungsmaßstäben von dem Verfahren zur Bestellung eines Pflichtverteidigers unterscheidet. Während die Bestellung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich keinen hierauf gerichteten Antrag des Angeklagten voraussetzt, sondern auch von Amts wegen erfolgen kann (vgl. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO), macht § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO die Beiordnung von einem Antrag des Angeklagten abhängig. Inhaltlich gelten auch nicht die in § 140 StPO dargelegten Maßstäbe für die Notwendigkeit der Mitwirkung eines Verteidigers, vielmehr sieht § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO vor, dass dem Angeklagten Prozesskostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bewilligt werden kann und ihm im Rahmen der Bewilligungsentscheidung in entsprechender Anwendung des § 121 ZPO ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann. Die Regelung in § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO setzt dabei voraus, dass der Durchführung dieses Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens der Umstand, dass der von einem Adhäsionsantrag betroffene Angeklagte bereits einen Verteidiger hat, nicht entgegensteht. Hieraus ergibt sich, dass nur ein Rechtsanwalt, der dem Angeklagten im Rahmen einer Prozesskostenhilfebewilligung nach § 404 Abs. 5 StPO beigeordnet worden ist, im Sinne des § 48 Abs. 1 RVG mit der Abwehr von Adhäsionsanträgen betraut ist und insofern einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse hat.

(b) Es besteht kein Anlass, § 404 Abs. 5 StPO einschränkend dahin auszulegen, dass die Vorschrift im Anwendungsbereich des § 140 StPO keine Anwendung findet. Eine derartige Einschränkung lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Regelungszusammenhang der Vorschrift entnehmen. Auch Sinn und Zweck der Regelungen über die Pflichtverteidigerbestellung einerseits und der Regelung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 404 Abs. 5 StPO andererseits sprechen gegen eine derartige Einschränkung.

(aa) Die Vorschrift des § 140 StPO enthält eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips. Mit der Bestellung eines Verteidigers ohne Rücksicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten sichert der Gesetzgeber das Interesse des Rechtsstaates an einem prozessordnungsgemäßen Strafverfahren; diesem Zweck dient gerade auch die wirksame Verteidigung des Angeklagten (OLG Hamburg, a.a.O.; vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 24. Oktober 2012 – III-3 Ws 215/12 – [zur Veröffentlichung in NRWE vorgesehen]). Im Gegensatz dazu ist die Prozesskostenhilfe als Sozialleistung für wirtschaftlich nicht oder nur eingeschränkt leistungsfähige Verfahrensbeteiligte ausgelegt. Das Sozialstaatsprinzip gebietet zu verhindern, dass Verfahrensbeteiligte aus wirtschaftlichen Gründen gehindert werden, ihr Recht vor Gericht zu suchen (OLG Hamburg, a.a.O.).

(bb) Da für Prozesskostenhilfebewilligung und Pflichtverteidigerbestellung grundlegend unterschiedliche Voraussetzungen gelten, würde der Angeklagte, dem ein Pflichtverteidiger bestellt ist, gegenüber demjenigen, der im Zivilverfahren in Anspruch genommen wird, bei Zugrundelegung der hier abgelehnten Mindermeinung zum gesetzlichen Aufgabenbereich des Pflichtverteidigers ohne sachliche Rechtfertigung besser gestellt werden. Ihm würde die Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs auf Kosten des Staates im Strafverfahren ermöglicht werden, obwohl die Voraus-setzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vorliegen, während er, sofern der Verletzte – vorher, parallel oder anschließend – einen Zivilprozess angestrengt hätte, keinen Rechtsanwalt auf Staatskosten erhalten würde. Die strukturell schlechtere Situation, in der sich der Angeklagte im Strafverfahren aufgrund der gegenüber dem Zivilverfahren abweichenden Beweisregeln befindet, wird bereits dadurch kompensiert, dass die Tätigkeit des bestellten Verteidigers sich jedenfalls bei einer auf einen Freispruch wegen fehlender Tatbeteiligung gerichteten Verteidigungsstrategie notwendigerweise auch auf den Anspruchsgrund der geltend
gemachten Adhäsionsansprüche mitbezieht. Darüber hinaus geht es ausschließlich um die privatrechtlichen Interessen des Angeklagten, weshalb es sachlich nicht gerechtfertigt ist, auf die besonderen Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, insbesondere die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverteidigung und die Bedürftigkeit, zu verzichten, nur weil der zivilrechtliche Anspruch (mehr oder weniger zufällig) im Strafverfahren geltend gemacht wird und dem Angeklagten unter den – abweichenden – Voraussetzungen des § 140 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist. Eine Bevorzugung des Angeklagten im Strafverfahren gegenüber dem Beklagten im Zivilverfahren kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Angeklagte sich regelmäßig gegen seinen Willen einem Adhäsionsantrag ausgesetzt sieht, denn der Beklagte im Zivilprozess kann auch nicht darüber disponieren, ob er in Anspruch genommen und verklagt wird (OLG Hamburg, a.a.O.).

(cc) Gegen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 404 Abs. 5 StPO spricht auch die auf dem Rechtsgedanken der „Waffengleichheit“ beruhende Regelung in § 140 Abs. 2 Satz 1 a. E. StPO. Gehörte die Abwehr von Adhäsionsansprüchen zum Aufgabenbereich des Pflichtverteidigers, hätte es nahegelegen, auch den Fall, dass einem Adhäsionsantragsteller nach § 404 Abs. 5 StPO Prozesskostenhilfe bewilligt und insoweit ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, als Regelbeispiel für die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuführen. Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber indes nicht getroffen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).

(c) Schließlich spricht für die hier vertretene Auffassung, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Bestellung eines Beistandes für den Nebenkläger nach § 397a Abs. 1 StPO – mithin die der Pflichtverteidigerbestellung vergleichbare Bestellung eines Rechtsanwaltes im Hinblick auf die strafrechtliche Verurteilung – nicht zugleich die Tätigkeit für den Nebenkläger im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH, NJW 2001, 2486).

bb) Dem Beschluss, mit dem der Vorsitzende der Strafkammer den Beschwerdeführer zum Pflichtverteidiger bestellt hat, lässt sich auch keine konkludente gleichzeitige Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 404 Abs. 5 StPO entnehmen.

cc) Der Beschwerdeführer kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihm ein Vergütungsanspruch für das Tätigwerden im Adhäsionsverfahren unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zustehe. Es ist bereits nicht ersichtlich, wann und wodurch das Landgericht einen diesbezüglichen Vertrauenstatbestand geschaffen haben soll. Dass andere Gerichte in anderen Verfahren eine von der hier vertretenen Auffassung abweichende Rechtsauffassung vertreten, begründet für den Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren kein schutzwürdiges Vertrauen.

3. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

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