Gericht / Entscheidungsdatum: AG Leipzig, Beschl. v. 12.02.2013 - 231 OWi 208/13
Eigener Leitsatz: Für die Ermessensausübung nach § 109a Abs. 2 OWiG ist darauf abzuheben, ob sich für das Verhalten des Betroffenen, Entlastungsmomente erst spät vorzutragen ein verständlicher und einfühlbarer Grund finden lässt, oder ob es vom Standpunkt eines redlichen Betrachters aus nicht gebilligt oder entschuldigt werden kann. Billigenswerter Grund in diesem Sinne ist u.a. der Schutz eines nahen Angehörigen vor Verfolgung.
AG Leipzig
Abteilung für Strafsachen I
Aktenzeichen: 231 OWi 208/13
BESCHLUSS
In pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt Baatz Hans-Jürgen, Markt 10, 04860 Torgau
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
ergeht am 12.02.2013
durch das Amtsgericht Leipzig - Bußgeldrichter -
nachfolgende Entscheidung:
1. Der Kostenbescheid des Ordnungsamtes Leipzig vom 22.10.2012 wird insoweit aufgehoben, als darin die Auferlegung der notwendigen Auslagen der Betroffenen auf die Stadtkasse gemäß §§ 109a Abs.2 OWiG abgelehnt worden ist.
2. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse.
3. Die Kosten des Verfahrens zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung, einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen insoweit, trägt die Staatskasse.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Kostenbescheid vom 22.10.2012 hat das Ordnungsamt Leipzig folgende Entscheidung getroffen:
"Das Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Frau pp. wurde am 20.06.2012 gemäß § 46 Abs.1 OWiG i.V.m. § 170 Abs.2 StPO eingestellt und der Bußgeldbescheid zurückgenommen. Die Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Stadtkasse Leipzig wird gemäß § 109a Abs.2 OWiG abgelehnt, da durch ein rechtzeitiges Vorbringen der entlastenden Umstände die entstandenen Auslagen hätten vermieden werden können".
Grundlage der Kostenentscheidung ist die u.g. Mitteilung an den Verteidiger der Betroffenen:
"Gegenstand des Verfahrens war der Vorwurf, dass Ihre Mandantin am 15.03.2012 mit dem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen XXXXX, trotz eines Verkehrsverbots zur Vermeidung schädlicher Luftverunreinigungen am Verkehr teilgenommen haben soll.
Im daraufhin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren wurde Ihrer Mandantin am 21.03.2012 unter der vom Kraftfahrtbundesamt mitgeteilten Wohnanschrift ein Anhörungsbogen zugesandt. Der Anhörungsbogen kam nicht als unzustellbar zurück, so dass davon auszugehen ist, dass Ihre Mandantin dieses Schreiben auch erhalten hat, zumal sie unter Vorlage einer Vollmacht mit Schreiben vom 27.03.2012 Akteneinsicht beantragten. Diese wurde Ihnen am 02.04.2012 gewährt. Eine Äußerung erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht, weshalb nach Aktenlage zu entscheiden und von der Fahrereigenschaft Ihrer Mandantin auszugehen war. Gegen den am 10.05.2012 erlassenen und Ihnen am 12.05.2012 zugestellten Bußgeldbescheid legten Sie mit Schriftsatz vom 25.05.2012 Einspruch ein. Eine weitergehende Entlastung, beispielsweise durch die Mitteilung, dass die Mandantin nicht Fahrzeugführerin war bzw. wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hatte, erfolgten nicht.
Erst mit Schreiben vom 15.06.2012 teilten Sie mit, dass Ihre Mandantin zwar Halterin des Fahrzeuges, jedoch nicht Nutzerin im Zeitraum 12.03. - 16.03.2012 gewesen sei.
Der Fahrzeugführer sei der Sohn ihrer Mandantin, Herr pppppp, gewesen. Die Ordnungswidrigkeit konnte wegen Verfolgungsverjährung gegenüber dem tatsächlichen Fahrzeugführer nicht mehr verfolgt werden. Somit wurde das Verfahren am 20.06.2012 eingestellt und der Bußgeldbescheid zurückgenommen."
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass im Fall des rechtzeitigen Benennens des Fahrers der Erlass eines Bußgeldbescheides verhindert worden wäre. Die Antragstellerin soll durch ihr Schweigen dazu beigetragen haben, dass Verfahren gegen sie zu betreiben.
Der form- und fristgerecht gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 29.10.2012 hat Erfolg. Das Amtsgericht Lüdinghausen hat in seinen Beschluss vom 10.11.2006 in einem vergleichbaren Fall folgende Aufführung gemacht:
"Die angefochtene Auslagenentscheidung hält im Ergebnis der gerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar hat der Betroffene die Fahrereigenschaft sehr spät, nämlich nach dem Erlass des Bußgeldbescheides, vorgelegt, so dass der Tatbestand des § 109a II OWiG erfüllt war. Die Entscheidung war jedoch ermessensfehlerhaft. Die Auslagenentscheidung steht im Ermessen der Verfolgungsbehörde oder des Gerichts. Die Ermessensausübung hat darauf abzuheben, ob der Betroffene vernünftige und billigenswerte Gründe für sein Verhalten hatte und ob ein früheres Vorbringen ihm möglich und zumutbar war (OLG Hamm, MDR 1977, 1042). Es kommt darauf an, ob sich für das Verhalten des Betroffenen ein verständlicher und einfühlbarer Grund finden lässt, oder ob es vom Standpunkt eines redlichen Betrachters aus nicht gebilligt oder entschuldigt werden kann (OLG Stuttgart, Justiz 1987, 116 (117)). Billigenswerter Grund in diesem Sinne ist nach absolut herrschender Meinung der Schutz eines nahen Angehörigen vor Verfolgung (LG Aachen, AnwBI 1980, 122; LG Münster, AnwBI 1974, 227; LG Braunschweig, AnwBl 1979, 41; so auch: Schmehl, in KK-OWiG, 3.Aufl. (2006), § 109a Rd-nr.13, bzw. Göhler, OWiG, 14.Aufl. (2006), § 109a Rdn.13; a.A. LG Mainz, KostRspr § 467 StPO (B) Nr.80; LG Frankenthal, MDR 1979, 196), worunter nach Ansicht des Gerichts auch die "Verfahrensverzögerung" des eigenen Verfahrens bis zur Verjährung der Tat des nahen Angehörigen zählt, selbst wenn dieser dann anschließend als Täter benannt wird.
Dementsprechend musste es bei der allgemeinen Regelung der § 467 I StPO; § 46 I OWiG bleiben, wonach nach einer Einstellung des Verfahrens die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last fallen.
Eine abweichende Auslagenentscheidung auf Grundlage des § 467 IV StPO kam ebenfalls nicht in Betracht, da wie oben beschrieben keinerlei tatsächliche Hinweise auf eine Ordnungswidrigkeit des Betroffenen vorliegen. Das Gericht ist insoweit im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung gemäß §§ 108, 62 OWiG nicht gehalten, weitere Ermittlungen im Hinblick auf die angeblich begangene Ordnungswidrigkeit durchzuführen.
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens beruht auf § 46 I OWiG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 467 I StPO."
Das Gericht schließt sich diesen - aus seiner Sicht - völlig zutreffenden rechtlichen Ausführungen vollumfänglich an. Diese Ausführungen werden auch in keinster Weise durch die Mitteilung der Antragsgegnerin entkräftet. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass jede andere Entscheidung vorliegend das Recht eines jeden Betroffenen im Bußgeldverfahren zum Tatvorwurf zu schweigen, letztlich untergraben würde, da in diesem Falle immer mit negativen Kostenfolgen zu rechnen hätte.
Hätte die Betroffene vorliegend gänzlich geschwiegen, wäre ein Tatnachweis nicht möglich, da Halter und Führer eines Pkw's nicht identisch sein müssen.
Eine Kostenverteilungsvorschrift im Sinn des § 25a StVG hat der Gesetzgeber für den hiesigen Fall nicht geschaffen bzw. nicht schaffen wollen.
Erst recht würde im Falle der Bestätigung des angefochtenen Kostenbescheides das Recht der Betroffenen Angehörigen nicht belasten zu müssen, ebenfalls im Umwege über die Kostenverteilung vorliegend ausgehöhlt werden, was nicht hinnehmbar ist. Vielmehr überwiegen diese Rechte, denen Artikel 1 des Grundgesetzes eine erhebliche Gewichtung zukommen lässt. Das Interesse der Ermittlungsbehörde an der Sachaufklärung bzw. einer damit verbundenen aus ihrer Sicht angemessenen Kostenentscheidung hat daher zurückzustehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs.2 S.2. i.V.m. 467 Abs.1, 473 Abs.1 StPO.
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