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RVG Entscheidungen

Allgemeine Gebühren-/Kostenfragen - Sonstiges

Umbeiordnung, Pflichtverteidiger, Gebührenverzicht, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Osnabrück, Beschl. v. 12.02.2014 - 10 Qs 4/14

Leitsatz: Zur Zulässigkeit der "Umbeiordnung“ eines Pflichtverteidigers über die Gründe der groben Pflichtverletzung des beigeordneten Verteidigers und einer endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses hinaus.


Landgericht Osnabrück
Beschluss
10 Qs - 1366 Js 49405/13 - 4/14
12.02.2014
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt L.
Verteidigerin:
Rechtsanwältin S.
wegen Verstoßes gegen das BtMG
hier: Beiordnung eines anderen Verteidigers
hat das Landgericht Osnabrück — 10. Große Strafkammer — am 12. Februar 2014 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 30. Dezember 2013 aufgehoben.
Dem Beschuldigten wird unter Entpflichtung von Rechtsanwalt L. auf seinen Antrag Rechtsanwältin S. aus Osnabrück kostenneutral beigeordnet.

Gründe:
I.
Der Beschuldigte wurde am 7. November 2013 mit dem Betäubungsmittel Kokain von der Polizei aufgegriffen. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls. Der Beschuldigte wurde am Folgetag dem Haftrichter beim Amtsgericht Osnabrück vorgeführt. Dieser erließ Haftbefehl wegen Fluchtgefahr und informierte den Beschuldigten darüber, dass ihm unverzüglich ein Verteidiger zu bestellen sei. Der Beschuldigte äußerte den Wunsch, das Gericht möge einen geeigneten Verteidiger auswählen und ihm beiordnen. Noch im Termin am 8. November 2013 ordnete das Gericht dem Beschuldigten — den nicht anwesenden — Rechtsanwalt L. bei.

Bevor Rechtsanwalt L. Kontakt zu dem inhaftierten Beschuldigten aufnehmen konnte, rief Rechtsanwältin S. den beigeordneten Verteidiger an und teilte mit, der Beschuldigte wünsche, von ihr verteidigt zu werden. Der Beschuldigte hat seinen Wunsch durch ein persönliches Schreiben an das Amtsgericht Osnabrück bekräftigt.

Rechtsanwalt L. respektierte den Wunsch des Beschuldigten und erklärte sich mit einer „Umbeiordnung" einverstanden. Rechtsanwältin S. sicherte die Kostenneutralität der „Umbeiordnung" zu.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht Osnabrück die „Umbeiordnung" abgelehnt. Hiergegen richtet sich die zulässige Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) des Beschuldigten.

II.
Die Beschwerde hat Erfolg.

Ob eine „Umbeiordnung" über die Gründe der groben Pflichtverletzung des beigeordneten Verteidigers (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 143 Rn 4) und einer endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen diesem und dem Beschuldigten (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn 5) hinaus zulässig ist und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, wird von der Rechtsprechung nicht einheitlich gesehen.

Zum Teil wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, eine auf Antrag erfolgende „einvernehmliche Umbeiordnung" sei dann zulässig, wenn der bisherige beigeordnete Verteidiger zustimme, das Verfahren durch den Verteidigerwechsel nicht verzögert werde und der Staatskasse keine Mehrkosten entstünden (so beispielsweise OLG Oldenburg NSIZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Bamberg NJW 2006, 1536). Dabei gehen die Gerichte davon aus, dass der ursprünglich beigeordnete Verteidiger alle Gebühren aus der Staatskasse erhält, die gesetzlich vorgesehen und bis dahin angefallen sind. Der an seiner Stelle beigeordnete Verteidiger hat — als Voraussetzung für die „Umbeiordnung" — den Verzicht auf diejenigen Gebühren zu erklären, die ansonsten durch seine Beiordnung doppelt anfielen.

1. Gebührenrechtliche Gründe stehen dieser Auffassung nicht entgegen.
a) Die vorgenannten Gerichte erachten einen teilweisen Verzicht auf Gebühren für wirksam und insbesondere mit § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO in Einklang stehend. Der die Vergütung des Rechtsanwalts regelnde § 49b BRAO, der ein Verbot geringerer Gebühren und Auslagen für Rechtsanwälte vorsieht, erfasse den vorliegenden Fall nicht, weil dessen Regelungsziel, einen Wettbewerb der Rechtsanwälte über niedrigere Preise zu verhindern, im Bereich von Strafverfahren nicht tangiert sei.

Dem entgegengesetzt wird die Auffassung vertreten, die erstgenannte Ansicht gründe sich auf rechtsfehlerhafte Erwägungen, denn ein Verzicht auf Gebühren sei wegen der Regelung in § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO unzulässig, weswegen die Voraussetzungen einer „einvernehmlichen Umbeiordnung" — schon aus Rechtsgründen — nicht vorliegen könnten (so etwa OLG Bremen, Beschluss vom 12. Juli 2013 — Ws 184/12; OLG Naumburg, Beschluss vom 14. April 2012 — 2 Ws 52/10; OLG Köln StV 2011, 659; OLG Jena JurBüro 2006, 365). Diese Gerichte begründen ihre Auffassung damit, dass § 49b BRAO nicht nur für vertragliche, sondern ebenfalls für sonstige Gebühren und damit auch für die eines beigeordneten Verteidigers gelte. Der Wettbewerb zwischen Rechtsanwälten sei auch im strafprozessualen Bereich gegeben und verlange Schutz vor Gebührenverzicht.

Das Amtsgericht Osnabrück hat sich in der angefochtenen Entscheidung der letztgenannten Auffassung angeschlossen.

b)
Die Kammer schließt sich im Ergebnis — nicht zuletzt im Hinblick auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Oldenburg — der erstgenannten Auffassung an.

(1)
Dem Gesetzeswortlaut des § 49b BRAO ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass die Vorschrift für sämtliche Gebührentatbestände Geltung beansprucht oder eben nur für solche, die auf vertraglicher Grundlage entstehen. § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO spricht vom „Vereinbaren" oder "Fordern" von Gebühren und Auslagen. Die Gerichte, die einen Verzicht für unzulässig halten, sehen in dem Antrag des beigeordneten Verteidigers auf Festsetzung seiner Gebühren (§ 55 RVG) ein „Fordern" im Sinne des § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO (vgl. nur OLG Naumburg, a.a.O., juris Rn 11).

Allerdings ist der Entstehungsgeschichte des § 49b BRAO zu entnehmen, dass der Gesetzgeber das „Fordern" nicht auf die Festsetzung von Gebühren eines beigeordneten Verteidigers aus der Staatskasse bezogen hat, sondern eher als Unterfall des „Vereinbarens", nämlich eines einseitigen Aktes des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit dem „Vereinbaren". Denn Hintergrund der gesetzlichen Regelung war die Erwägung, ein Mandant solle sich nicht aus fiskalischen Gründen einen besonders preisgünstigen Rechtsanwalt suchen müssen (Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucksache 12/4993, Seite 31). Dass der Gesetzestext bei seiner Entstehung auf zivilprozessuale Gegebenheiten bezogen war, ist schon daraus zu ersehen, dass die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang einzig von „Prozeßkostenhilfe", „Beratungshilfe" und "Aufträge erteilen" spricht (BT-Drucksache 12/4993, Seite 31). Sprachlich finden sich in der Gesetzesbegründung keine Anknüpfungspunkte dafür, dass die gesetzliche Regelung auch für den Strafprozess gelten soll, soweit Gebühren aus der Staatskasse zu zahlen sind. Für einen Mandanten, also den Beschuldigten, wird es im Falle einer „Umbeiordnung" im Übrigen auch nicht „preisgünstiger".

Dies erhellt, dass es sich bei der Gleichsetzung des „Forderns" mit dem Festsetzungsantrag des beigeordneten Verteidigers eher um eine sprachliche Finesse denn um ein inhaltliches Argument handelt.

(2)
Soweit die ratio der Vorschrift ins Feld geführt wird, um einen Gebührenverzicht für unwirksam zu erklären, teilt die Kammer diese Bedenken nicht. § 49b Abs. 1 BRAO soll einen Wettbewerb unter Rechtsanwälten verhindern oder zumindest begrenzen, soweit er über Gebühren geführt wird und nicht über die Qualität anwaltlicher Arbeit (BT-Drucksache 12/4993, Seite 31).


Diesem Gesetzeszweck ist dadurch Genüge getan, dass der bisherige Verteidiger der „Umbeiordnung" zustimmen muss. Es ist damit ausgeschlossen, dass er gegen seinen Willen aus der Verteidigung gedrängt wird.

Die dieser Auffassung entgegen tretenden Gerichte weisen für ihren Standpunkt darauf hin, dass auch der neu zu bestellende Verteidiger sein neues Mandat dadurch „erkaufe", dass er den gesetzlich vorgesehenen Preis unterbiete (so ausdrücklich OLG Bremen, Beschluss vom 12. Juli 2013 — Ws 184/12; OLG Jena JurBüro'2006, 365).

Die Kammer beobachtet den „Kampf um Pflichtverteidigermandate" schon seit längerem. Hierbei hat sie festgestellt, dass es in aller Regel die etablierten und wirtschaftlich stärkeren Kanzleien bzw. Rechtsanwälte sind, die eine Beiordnung auch um den Preis des teilweisen Verzichts auf Gebühren erstreben. Es ist mitnichten so, dass wirtschaftlich schwache Anwälte sich um den Preis eines teilweisen Gebührenverzichts den Zugang zu neuen Mandaten „erkaufen". Ein ruinöser Preiswettbewerb zu Lasten von wirtschaftlich schwächeren Anwälten ist deshalb nicht zu befürchten. Dass der ursprüngliche Verteidiger, bei dem es sich in aller Regel um den wirtschaftlich schwächeren handelt, gegen seinen Willen von dem Zustandekommen weiterer, erst im Laufe eines Strafverfahrens anfallender Gebühren abgehalten wird, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Denn es bedarf seiner Zustimmung zu dem Verteidigerwechsel.

2. Auch grundsätzliche Erwägungen stehen der Zulässigkeit einer „einvernehmlichen Umbeiordnung" jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Übernahme des (neuen) Verteidigermandats — wie hier — auf ausdrücklichen Wunsch des Beschuldigten erfolgt, denn das Recht eines Beschuldigten auf wirksame Verteidigung ist verfassungsrechtlich verbürgt (vgl. nur BVerfG> Beschluss vom 25. September 2001 — 2 BvR 1152/01; teilweise abgedruckt in NStZ 2002, 99) und wird auf diese Weise effektiv gewährleistet.

Der Beschuldigte stammt aus Portugal und ist Staatsbürger von Guinea-Bissau. Ihm ist vom Gericht am Tage seiner Vorführung ein Verteidiger beigeordnet worden, den er nicht kannte. Mit diesem Verteidiger hatte der Beschuldigte noch keinen persönlichen Kontakt. Nach nur wenigen Tagen begehrte der bestreitende Beschuldigte eine andere Person für seine Verteidigung. Angesichts dieser Umstände kommt seinem Wunsch auf Beiordnung der Rechtsanwältin seines Vertrauens besonderes Gewicht zu.

Aus den vorgenannten Erwägungen hält die Kammer entgegen stehende gesetzliche Regelungen für nicht gegeben und sieht in dem Recht des Beschuldigten auf eine Verteidigung durch eine Person seines Vertrauens einen hinreichenden Grund, vom Grundsatz der Stabilität in der Person des beigeordneten Verteidigers abzuweichen.

Im Übrigen trägt diese Entscheidung dem Bedürfnis Rechnung, im Bezirk des hiesigen Oberlandesgerichts eine einheitliche Rechtsprechung zu entwickeln.

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Pflichtverteidigerbestellung: Zeitpunkt
Von dem Grundsatz, dass eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbestellung unzulässig ist, ist jedenfalls dann abzuweichen, wenn ein rechtzeitig beantragten Beiordnungsantrag nicht zeitnah beschieden und aus nicht nachvollziehbaren Gründen über Monate hinweg von der Entscheidung abgesehen worden ist.
LG Potsdam, Beschl. v. 31. 1. 2014 - 25 Qs 8/14
(eingesandt von RA Sebastian Riemer, 17489 Greifswald)
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OLG Stuttgart, 28.06.2013, 5 Ws 42/13
Thema: Verteidigung in Strafsachen
Anhörungspflicht des Angeschuldigten vor der Beiordnung eines gerichtlich ausgewählten Pflichtverteidigers
Zusammenfassung erstellt am: 12.02.2014
Nach der StPO soll einem Angeschuldigten vor Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Die Soll-Vorschrift kommt als Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör einer Anhörungspflicht gleich, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Angeschuldigte im Zeitpunkt der Beiordnung des neuen Verteidigers bereits über einen Pflichtverteidiger seines Vertrauens verfügt. Andererseits kann das Beschleunigungsgebot in Haftsachen dem Wunsch eines Angeschuldigten, durch einen bestimmten Rechtsanwalt verteidigt zu werden, ausnahmsweise entgegenstehen. Den widerstreitenden Interessen ist im Rahmen einer Abwägung Rechnung zu tragen. Diese kann im Einzelfall dazu führen, dass dem Angeschuldigten eine sehr kurze Stellungnahmefrist zuzumuten ist.
Beschluss des OLG Stuttgart vom 28.06.2013, Az.: 5 Ws 42/13
Originalentscheidung in JURION aufrufen:
OLG Stuttgart, 28.06.2013, 5 Ws 42/13

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Pflichtverteidiger: Schwere der Tat
OLG Nürnberg, Beschl. v. 16. 1. 2014 - 2 OLG 8 Ss 259/13* Ein Fall der wegen der Schwere der Tat notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt in der Regel bereits dann vor, wenn der Angeklagte in erster Instanz zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist, nur er Berufung eingelegt hat und für den Fall seiner rechtskräftigen Verurteilung mit dem Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten rechnen muss, die insgesamt drohende Freiheitsstrafe somit ein Jahr beträgt.

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StV 2014, 10
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StV 2014, 11
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StV 2014, 11
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Zur rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers

Landgericht Hamburg
Az.: 632 Qs 31/13

Beschluss

In dem Strafverfahren gegen pp.

hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 32, durch
am 3. Dezember 2013 beschlossen
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - St. Georg vom 30.10.2013 aufgehoben.
Dem Angeklagten wird rückwirkend ab dem 06.05.2013 Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstr.14, 38106 Braunschweig als notwendiger Verteidiger beigeordnet.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Angeklagten gegen den amtsgerichtlichen Beschluss, mit dem die Beiordnung von Rechtsanwalt Funck als Pflichtverteidiger abgelehnt wird, hat in der Sache Erfolg.

Zu Unrecht hat das Amtsgericht die Beiordnung mit der Begründung abgelehnt, dass das Verfahren gern. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt sei und kein Fall der notwendigen Verteidigung gern. § 140 Absatz 1 oder 2 StPO vorliege. Denn entgegen der Ansicht des Amtsgerichts liegen hier die Voraussetzungen des § 140 Abs.2 StPO vor. Aufgrund der anhängigen Verfahren gegen den Angeklagten vor dem Amtsgericht Bad Doberan und dem ,Amtsgericht Halle (Saale), wo jeweils 23 bzw. 60 Straftaten, u.a. wegen Betruges und Erschieichene.; von Leistungen, angeklagt sind, hat der Angeklagte im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr zu rechnen.

Dem steht auch nicht entgegen, dass das vorliegende Verfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg — St. Georg vom 30.10.2013 gern. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Zwar ist die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers umstritten, wird jedoch überwiegend in den Fällen anerkannt, wo der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde und die Voraussetzungen des § 140 StPO vorlagen (LG Hamburg, Beschluss vom 27.05.1999, AZ: 620 Qs 14/99; LG Aachen, Beschluss vorn 13.10.2003, AZ 62 Qs 117/03; LG Dortmund, Beschluss vom 05. Januar 2009, AZ: 39 Qs 238/08; u.a.).

Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein Pflichtverteidiger, wenn er befürchten muss, bei Tä-tigwerden vor Ergehen eines Beiordnungsbeschlusses keine Vergütung zu erhalten, nicht mehr für den Angeklagten tätig wird (LG Bremen, NStZ-RR 2004, S. 114; LG Stuttgart, Beschluss vom 18.07.2008 u.a.). Hier erfolgte die Antragstellung bereits am 06.05.20'13, mithin über fünf Monate vor Verfahrenseinstellung. Ferner wurde am 23.05.2013 an den Beiordnungsantrag erinnert und am 19.06.20'13 Untätigkeitsbeschwerde erhoben.

Die gegenteilige Auffassung, die eine rückwirkende Beiordnung eines Verteidigers nach Verfahrenseinstellung mit dem Argument ablehnt, dass die Beiordnung nur der Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung dienen solle und nicht dazu, dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu sichern (u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.12.1995; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2008; OLG Bamberg, Beschluss vom 15 10.2007), kann im vorliegenden Fall angesichts der bereits im Mai 2013 beantragten Beiordnung, der entfalteten Tätigkeit des Verteidigers und der insgesamt mehr als fünfmonatigen Dauer, die das Amtsgericht nicht über die Pflichtverteidigerbeiordnung entschieden hat, nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

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Wiedereinsetzung: Unfähiger Pflichtverteidiger
Einem unter Betreuung stehendem Angeklagten, dem aus diesem Grund ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, kann von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages gewährt werden, wenn sein Verteidiger schuldhaft die Rechtsmittelfrist versäumt hat und der vom Verteidiger daraufhin gestellte Wiedereinsetzungsantrag mangels Begründung unzulässig war (§§ 44, 45, 140 StPO).
OLG Naumburg, Beschl. v. 16.10.2013 - 2 Ws 66/13
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Soll ein eine Verständigung im Sinne von § 257 c StPO zustande kommen, ist die Rechtslage schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO, weil ein Angeklagter sich bei der Erörterung einer solchen Verfahrensweise in der Regel nicht selbst wirksam verteidigen kann.

Ausfertigung
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
2 Ss 151/13 OLG Naumburg
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahls
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg
am 4. Dezember 2013 einstimmig gemäß § 349 Abs.4 StPO

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Pflichtverteidiger: Schwierigkeit des Sach- und Rechtslage
Wenn es im strafvollstreckungsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht nur um den Widerruf der Strafaussetzung einer Gesamtstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten, sondern auch um den Widerruf der Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt geht und es rechtlich zu beurteilen ist, ob im konkreten Fall der Abbruch einer stationären Therapie bereits einen beharrlichen und gröblichen Verstoß gegen die dem Verurteilten erteilte Weisung darstellt, liegt eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren vor, die die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebieten (§ 140 Abs. 2 StPO).
LG Landau, Verf. v. 11. 9. 2013 - 1 Qs 72/13
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Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bei einem Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren
Das Gericht verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn es über einen zeitgleich mit der Einlegung der Revision gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist entscheidet.

Hat ein Angeklagter wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens die Revision nicht rechtzeitig begründet, ist er über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu belehren.

Vor Eingang der Revisionsbegründung (versäumte Handlung) ist das Oberlandesgericht gehindert, Wiedereinsetzung ohne Antrag zu gewähren.
OLG Braunschweig 1. Strafsenat, Beschluss vom 20.11.2013, 1 Ws 366/13 = NStZ-RR 2014, 51
§ 45 StPO, § 140 Abs 2 StPO, § 345 StPO, § 346 StPO
Tenor
Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 30. September 2013 aufgehoben, soweit der als Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers auszulegende Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt wurde. Der Angeklagten wird Rechtsanwalt W als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.
Die Angeklagte wird darauf hingewiesen, dass ihr Wiedereinsetzung gewährt werden kann, wenn sie innerhalb einer Frist von 1 Woche, die mit der förmlichen Zustellung dieses Beschlusses beginnt, die Revision begründet.
Gründe
I.
1
Die Angeklagte ist vom Amtsgericht Goslar am 11. April 2013 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt worden. Ihre dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Braunschweig am 7. August 2013 verworfen, ihr jedoch gestattet, die Geldstrafe ratenweise zu begleichen. Im Anschluss an die Hauptverhandlung wurde die Angeklagte gemäß § 35 a StPO belehrt.
2
Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte noch am selben Tag zu Protokoll der Geschäftsstelle Revision eingelegt und zugleich die Bewilligung von „Prozesskostenhilfe“ beantragt. Die zuständige Rechtspflegerin hat dabei nicht darauf hingewiesen, dass Angeklagten im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann. Sie hat der Angeklagten vielmehr einen Vordruck für die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen übergeben, den die Angeklagte auch im August 2013 eingereicht hat. Außerdem hat sie die Erklärung der Angeklagten, sie werde die Revisionsbegründung nachreichen, protokolliert.
3
Der Angeklagten sind die schriftlichen Urteilsgründe am 28. August 2013 zugestellt worden. Eine Entscheidung über das „Prozesskostenhilfegesuch“ hat das Landgericht bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht getroffen. Die Kammer hat vielmehr die Revision durch den angefochtenen Beschluss vom 30. September 2013 (zugestellt am 4. Oktober 2013) gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil keine Revisionsbegründung eingegangen sei, und zugleich das Prozesskostenhilfegesuch abgelehnt, weil Angeklagten im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne.
4
Die Angeklagte hat mit einem am 9. Oktober 2013 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz einen „Antrag auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses“ gestellt.
5
Die Generalstaatsanwaltschaft fasst den Antrag als einen solchen auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 S. 1 StPO) auf. Sie beantragt, ihn als unbegründet zu verwerfen.
II.
6
Das Rechtsmittel hat zunächst einen Teilerfolg und führt zur Beiordnung des Pflichtverteidigers.
7
Die Angeklagte hat die Revision zwar nicht innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 S. 2 StPO begründet. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist aber - jedenfalls derzeit - dennoch nicht unbegründet, weil die Kammer den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat und die Angeklagte deshalb über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu belehren ist (zur Belehrungspflicht in solchen Fällen: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 5). Eine Verletzung der Verfahrensfairness liegt vor, weil die Kammer den nach dem Wortlaut auf Bewilligung von Prozesskosten gerichtete Antrag vom 7. August 2013 als solchen auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hätte ansehen (vgl. KG, Beschluss vom 14.01.1997, 1 AR 9/97, 5 Ws 19/97, juris, 1 AR 9/97, Rn. 2) und rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hierüber hätte entscheiden müssen. Durch die zeitgleiche Entscheidung wurde der Angeklagten die Möglichkeit genommen, die Revisionsbegründung mit Hilfe eines Pflichtverteidigers, dessen Beiordnung geboten war (dazu sogleich), zu fertigen.
8
Nachdem die Kammer den - als Beiordnungsgesuch anzusehenden - Antrag vom 7. August 2013 durch den angefochtenen Beschluss nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist abgelehnt hat, ist der Senat im hiergegen gerichteten Beschwerdeverfahren - erstinstanzlich bleibt weiterhin der Kammervorsitzende zuständig (BGH, Beschluss vom 26.08.2008, 4 StR 373/08, juris, Rn. 7; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 141 Rn. 6) - gemäß § 140 Abs. 2 StPO zur Beiordnung berufen. Denn die Angeklagte greift mit ihrem „Antrag auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses“ auch die im Beschluss vom 30. September 2013 getroffene Prozesskostenhilfeentscheidung und damit die Ablehnung des Beiordnungsantrags vom 7. August 2013 an.
9
Die Kammer hätte der Angeklagten einen Pflichtverteidiger beiordnen müssen. Zwar rechtfertigt allein die besondere Schwierigkeit des Revisionsverfahrens keine Beiordnung, weil ein Angeklagter die Revisionsbegründung zu Protokoll des Urkundsbeamten erklären kann (OLG Hamm, Beschluss vom 13.09.2012, III-3 Ws 249/12, Rn. 2; KG, Beschluss vom 08.08.2006, 2 AR 76/06, 5 Ws 284/06, 5 Ws 348 - 355/06, juris, Rn. 8) und auf diese Weise die erforderliche Unterstützung bei der Erfüllung der Darlegungsanforderungen erfährt (hierzu: BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 9). Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn besonders schwierige Revisionsrügen im Raum stehen, die den Urkundsbeamten erkennbar überfordern (KG, a.a.O., Rn. 9; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 2). Ob die Angeklagte im konkreten Fall schon deshalb nicht mehr an die Urkundsbeamtin verwiesen werden kann, nachdem sie von dieser nicht darüber belehrt worden ist, dass der Strafprozessordnung für Angeklagte das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe fremd ist, kann dahin stehen. Die Beiordnung ist hier jedenfalls geboten, weil - neben der allgemeinen Sachrüge - die Rüge der Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 5 StPO) in der Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (zu den Anforderungen: OLG Hamm, Urteil vom 12.02.2008, 3 Ss 541/07, juris, Rn. 12), also eine schwierige Verfahrensrüge, in Betracht kommt. Die Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers im tatrichterlichen Verfahren könnte hier gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen der Unfähigkeit der Angeklagten zur Selbstverteidigung geboten gewesen sein, weil die Angeklagte als Folge eines Verkehrsunfalls eine bleibende Schädigung des Gehirns erlitten hat, die mit wahnhaften Störungen, einer Enthemmung, Kritikminderung, einer gesteigerten Impulsivität sowie periodischen depressiven Verstimmungen einhergeht, weshalb sich die Kammer auf der Grundlage eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. D. mit der Schuldfähigkeit der Angeklagten auseinandergesetzt hat. In solchen Fällen ist regelmäßig schon deshalb ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil nur ein Verteidiger das Recht auf umfassende Akteneinsicht hat (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschluss vom 12.12.1986, 4 Ss 1434/86, juris; BayObLG, Beschluss vom 21.07.1993, 4 StRR 109/93, juris; Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 140 Rn. 76 m.w.N.). Hinzu kommt die weitere Schwierigkeit, dass der Sachverständige Dr. D. die Schuldfähigkeit im vorliegenden Fall anders bewertet hat als im Sicherungsverfahren 9 KLs 49/11, was - mag die Begründung für die abweichende Bewertung auch nachvollziehbar sein - ebenfalls die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers rechtfertigen könnte.
10
Im Gegensatz zur Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (NStZ 2012, 51) ist die Angeklagte lediglich über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit zu belehren (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 5). Wiedereinsetzung kann noch nicht gewährt werden, weil hierfür die Nachholung der versäumten Handlung notwendig ist, § 45 Abs. 2 S. 2 u. 3 StPO (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 6). Dafür steht der Angeklagten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Frist von lediglich einer Woche zur Verfügung (BGH, Beschluss vom 27.05.2008, 3 StR 173/08, juris, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 12.03.1996, 1 StR 710/95, juris, Rn. 5). Ein Fall, der ausnahmsweise zur Monatsfrist führt (dazu: BGH St 26, 335, 338 [Verstoß gegen § 146 StPO]) liegt nicht vor. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt mit Zustellung dieses Beschlusses (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2012, 2 BvR 1095/12, juris, Rn. 10)
11
Nach Ablauf der Frist wird der Senat über den Antrag nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO (Az. 1 Ss 66/13) entscheiden (zum weiteren Verfahren: Gericke in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 346 Rn. 29 ff.).

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Pflichtverteidiger: Sachverständigengutachten
Mit der Beurteilung eines Sachverständigengutachtens ist der unverteidigte Angeklagte jedoch regelmäßig überfordert, so dass ein Fall des § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist. Auch die erforderliche Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB macht die Bestellung eines Verteidigers erforderlich.
AG Backnang, Verf. V. 20. 11. 2013 - 2 Ds 93 Js 42049/13
(eingesandt von RiaAG T. Hillebrand, Backnang)


Pflichtverteidiger: Strafvollstreckungsverfahren
Dem Verurteilten ist im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten erforderlich ist und das Gutachten etwa psychiatrisch-neurologische, psychoanalytische oder auch kriminologische Fragestellungen aufwirft, mit deren fachlicher Beurteilung ein Verurteilter überfordert ist (§ 140 StPO) .
OLG Naumburg, Beschl. v. 2. 10. 2013 - 1 Ws 591/13
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StPO §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 146, 146a – Zuständigkeit für die Bestellung eines Pflichtverteidigers und für deren Aufhebung sowie für die Zurückweisung eines Wahlverteidigers im Ermittlungsverfahren; Beschwerderecht des Verteidigers


1. a) Zur Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Vorliegen
der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist gemäß § 141 Abs. 4
2. Halbsatz StPO das nach § 126 StPO (oder nach § 275a Abs. 6 StPO) zu
ständige Gericht, im Vorverfahren der Haftrichter berufen; das gilt auch für die
Aufhebung der Bestellung. Hat das Landgericht den Entpflichtungsbeschluss
des Haftrichters auf die Beschwerde des Beschuldigten aufgehoben und den
Verteidiger selbst entpflichtet, ist die hiergegen eingelegte (weitere)
Beschwerde des Beschuldigten nicht statthaft. Der Irrtum des Landgerichts
eröffnet keine dritte Instanz, weil dieses nach der wahren Rechtslage für die
Beschwerdeentscheidung, die eine eigene Sachentscheidung darstellt,
zuständig gewesen und nach § 310 Abs. 1 StPO der weitere Rechtsweg nicht
gegeben ist.
b) Dem früheren Pflichtverteidiger steht weder gegen seine Entpflichtung noch
gegen die Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers ein eigenes Beschwerde-
recht zu, auch wenn er den Beschuldigten als Wahlverteidiger weiter betreut.
2. a) Über die Zurückweisung des Verteidigers wegen eines Verstoßes gegen das
Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) entscheidet nach § 146a
Abs. 1 Satz 3 StPO vor Anklageerhebung das Gericht, das für das Hauptver-
fahren zuständig wäre. Ist angesichts der Strafdrohung bezüglich des dem
Beschuldigten zur Last gelegten Deliktes nach § 74 Abs. 1 GVG die große
Strafkammer als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges für das Haupt-
verfahren zuständig, hat sie – und nicht der Haftrichter – auch über die
Zurückweisung zu entscheiden.
b) Gegen den Zurückweisungsbeschluss nach § 146a StPO ist nach § 304
Abs. 1 StPO die (einfache) Beschwerde statthaft; sowohl der zurück-
gewiesene (Wahl-)Verteidiger, in dessen Rechtskreis die Entscheidung
eingreift, als auch der in seinen Verteidigungsrechten unmittelbar durch die
Zurückweisung betroffene Beschuldigte sind insoweit beschwerdeberechtigt.


KG, Beschluss vom 2. Oktober 2013 – 4 Ws 126-128/13



strichStPO § 140 Abs. 2 StPO – Notwendigkeit der Verteidigung; Vertrauensschutz; zweiter Pflichtverteidiger

1. Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Notwendigkeit der Verteidigung ist grundsätzlich schutzwürdig, es sei denn die für die Pflichtverteidigerbestellung maßgeblichen Umstände haben sich wesentlich geändert.

2. Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers setzt ein unabweisbares Bedürfnis voraus, eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Das besteht unter anderem bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie dann, wenn sich die Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann.

KG, Beschluss vom 20. September 2013 – 4 Ws 122/13141 AR 474/13

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StPO § 140 Abs. 2 – Notwendigkeit der Verteidigung, Vertrauensschutz


Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, gilt dies grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts ist jedoch dann nicht schutzwürdig, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat.

KG, Beschluss vom 10. September 2013 – 4 Ws 116/13141 AR 450/13
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Berufungshauptverhandlung: Notwendige Verteidigung wegen Schwierigkeit der Sachlage
Die Schwierigkeit der Sachlage (§ 140 Abs. 2 StPO) macht die Mitwirkung eines Verteidigers an der Berufungshauptverhandlung in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation notwendig, wenn aus weiteren Indizien allein nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen geschlossen werden kann, so dass eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung erforderlich ist, und weitere, die Beweiswürdigung zusätzlich erschwerende Umstände hinzukommen. In dieser Konstellation kann eine sachgerechte Verteidigung, insbesondere das Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen in den Angaben des Belastungszeugen, nur durch Kenntnis des gesamten Akteninhaltes gewährleistet werden. Dieser ist aber – auch nach der Neufassung des § 147 StPO – nur dem Verteidiger zugänglich, so dass in diesem Falle die Bestellung des Pflichtverteidigers unumgänglich ist.
KG, Beschl. v. 25. 9. 2013 – (4) 121 Ss 147/13 (184/13) –

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Pflichtverteidiger: Ablehnung der Bestellung wegen Ungeeignetheit
Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist abzulehnen, wenn sich der von dem Angeklagten gewünschte Verteidiger als ungeeignet erweist und damit der ordnungsgemäße Verfahrensablauf ernsthaft gefährdet ist. Das bisherige Verhalten als Wahlverteidiger kann eine solche Ablehnung nur rechtfertigen, wenn das Fehlverhalten des Verteidigers von besonderem Gewicht war (§ 142 Abs. 1 Satz 2 StPO).
KG, Beschl. v. 29. 7. 2013 – 2 Ws 369/13141 AR 390/13
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Als schwierig .S. des § 140 Abs. 2 StPO ist die Sachlage eines Verfahrens u. a. dann zu bewerten, wenn die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet werden kann.

Geschäftsnummer:

1 Qs 62/13
5 Cs 13 Js 7390/12

Landgericht Waldshut-Tiengen
1. Große Strafkammer

Beschluss

vom 19. September 2013
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BGH StV 2013, 610

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OLG Braunschweig StV 2013, 612
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LG Limburg StV 2013, 625
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OLG Bremen, Beschluss vom 12.07.2013 - Ws 184/12

1. Ein Verteidigerwechsel auf Antrag des Angeklagten kann auch zwischen den Instanzen ohne wichtigen Grund nur erfolgen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger damit einverstanden ist, die Beiordnung des neuen Verteidigers keine Verfahrensverzögerung zur Folge hat und die entstehenden Mehrkosten vom Angeklagten als Vorschuss gezahlt werden.
2. Wird die Bestellung des bisherigen Verteidigers aufgehoben und ein anderer Verteidiger beigeordnet, so entstehen die Ansprüche auf die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG und den Auslagenersatz gem. Nrn. 7000 ff VV RVG auch für den neu bestellten Verteidiger. Ein Verzicht des Verteidigers auf diese Ansprüche ist gem. § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO nicht zulässig.

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Zur verneinten Pflichtverteidigerbeiordnung zur Revisionsbegründung, selbst wenn Verfahrensrügen erhoben werden.

LG Gießen, Beschluss vom 08.07.2013 - 7 Qs 108/13



LG Flensburg, 20.11.2012, II Qs 68/12
Thema: Verteidigung in Strafsachen
Pflichtverteidigerbestellung bei mangelnder Fähigkeit zur Selbstverteidigung
Zusammenfassung erstellt am: 08.07.2013
Ein Pflichtverteidiger kann auch dann beigeordnet werden, wenn mehrere Besonderheiten des Einzelfalls die Annahme rechtfertigt, der Angeklagte werde sich nicht selbst verteidigen können. Dies kann der Fall sein, wenn Hauptbelastungszeugin eine kindliche Zeugin ist, die zum angeklagten Tatzeitpunkt gerade erst vier Jahre alt war, wenn der Angeklagte Ausländer ist und nach Angaben seines Verteidigers die Mitwirkung eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung erforderlich ist und wenn die Anklageschrift ihm bislang nicht durch das Gericht übersetzt worden ist. Für eine solche Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann zudem sprechen, wenn die Akte Hinweise darauf enthält, dass der Angeklagte phasenweise aggressiv und gewalttätig ist und sich nicht unter Kontrolle hat. Dies stellt seine Fähigkeit zur Selbstverteidigung in Frage.
Zur Originalentscheidung in JURION recherchieren:
LG Flensburg, 20.11.2012, II Qs 68/12


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LG Berlin StraFo2013, 285
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JGG § 68 Nr. 1 – Pflichtverteidigerbestellung im Jugendstrafverfahren

1. Nach §§ 68 Nr. 1, 109 Abs. 1 Satz 1 JGG ist dem heranwachsenden Angeklagten ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn einem Erwachsenen ein Verteidiger zu bestellen wäre. Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung im Jugendstrafverfahren gelten daher zunächst die Grundsätze, die auch bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafverfahren gegen Erwachsene gelten. Liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht vor, ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung und die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. In § 68 Nr. 1 JGG wird hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung uneingeschränkt auf das allgemeine Strafrecht verwiesen. Die zur näheren Konkretisierung und Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 140 Abs. 2 StPO im Erwachsenenrecht ergangene Rechtsprechung findet daher auch im Jugendstrafrecht Anwendung; den Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens ist jedoch Rechnung zu tragen.

2. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist nicht allein deshalb notwendig, weil Anklage vor dem Jugendschöffengericht erhoben worden oder überhaupt die Verhängung einer Jugendstrafe zu erwarten ist.

3. Die Schwere der Tat gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich auch im Jugendstrafrecht jedenfalls dann, wenn nach den Gesamtumständen eine Freiheitsentziehung von mindestens einem Jahr zu erwarten ist oder jedenfalls angesichts konkreter Umstände in Betracht kommt. Bei der Straferwartung von einem Jahr handelt es sich jedoch nicht um eine starre Grenze, sondern es sind vielmehr auch sonstige Umstände zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der verhängten bzw. drohenden Strafe dazu führen können, dass die Mitwirkung eines Verteidigers auch bei einer niedrigeren Strafe geboten erscheint. Neben der Frage eines möglichen Bewährungswiderrufs wegen der zu verhängenden Strafe können dabei auch, gerade im Jugendstrafrecht, andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Denn gerade im Jugendstrafrecht ist wegen der in der Regel geringeren Lebenserfahrung des jugendlichen oder heranwachsenden Angeklagten und seiner daher größeren Schutzbedürftigkeit eher die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich als im Erwachsenenstrafrecht.
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KG, Beschluss vom 7. Mai 2013 – 4 Ws 47/13



Es ist für die Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen Schwere der Tat ohne Bedeutung, dass eine weitere Verurteilung, in die das im Verfahren gefällte Urteil einzubeziehen wäre, möglich ist.

LG Hannover, Beschl. v. 18. 3. 2013 – 46 Qs 22/13
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Drohen dem Angeklagten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der „Schwere der Tat" im Sinne des § 140 StPO begründet, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig.

OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
IM NAMEN DES VOLK

URTEIL
2 Ss 65/13 OLG Naumburg

In der Strafsache pp.

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg in der Hauptverhandlung vom 22. Mai 2013,
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Pflichtverteidiger: Widerrufsverfahren
Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann. Die Bestellung eines Verteidigers kommt auch schon im Verfahren mit dem Ziel des Widerrufs der Strafaussetzung nach § 56f StGB in Betracht
AG Backnang, Verf. v. 4. 7. 2013 - 2 BWL 117/12
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Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Verfahren nach den §§ 35, 36 BtMG.

506 Js 6476/12 1 Ls

Beschuss
In der Strafsache
gegen pp-

hat das Amtsgericht - Schöffengericht - Arnstadt durch Richter am Landgericht am 27.06.2013 beschlossen:
Dem Verurteilten wird für das Zurückstellungsverfahren nach §§ 35, 36 BtMG Rechtsanwalt X. als Pflichtverteidiger beigeordnet,

Gründe:
Die Beiordnung im Zurückstellungsverfahren nach §§ 35, 36 BtMG ist in analoger Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO möglich (OLG Jena, Beschluss vom 01.10.2008, Az. 1 Ws 431/08;
Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 140 Rn 33a m.w.N) und vorliegend auch geboten,

Das Verfahren nach §§ 35, 36 BtMG ist sachlich und rechtlich nicht einfach (OLG Jena a.a.O). Einem durch Drogenmissbrauch beeinträchtigten Inhaftierten, der zudem haftbedingt in der Kommunikation mit der Außenwelt und damit auch in der Wahrnehmung seiner Rechte beschränkt ist, steht regelmäßig anwaltlicher Beistand zu, Eine Ausnahme ist nicht ersichtlich.

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StV 2012, 435

StV 2012, 435

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Schwere der Tat, wenn der Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung aus anderen Verfahren droht.

Ss 24/2013 (16/13) 3 Ds 396/12
SAARLÄNDISCHES OBERLAUDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Erschleichens von Leistungen
Verteidiger. Rechtsanwalt Olaf Möller, Völklingen

hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 15. März 2013 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht

beschlossen:
1. Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Ott-weiler vom 17. Oktober 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ottweiler zurückverwiesen.
2. Dem Angeklagten wird — durch den mit unterzeichnenden Vorsitzenden — Rechtsanwalt Olaf Möller, Völklingen, als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren und das weitere Verfahren beigeordnet.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den — erstinstanzlich unverteidigten — Angeklagten wegen Er-schleichens geringwertiger Leistungen in 9 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Nach den in dem amtsgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen benutzte der Angeklagte im Zeitraum vom 1.3.2012 bis 20.4.2012 in 9 Fällen Züge der Deutschen Bahn AG, ohne im Besitz des erforderlichen Fahrscheins zu sein.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte fristgerecht (§ 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1 StPO) Rechtsmittel eingelegt, das er — was zulässig ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 335 Rn. 2 f.) — innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) zur Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) bestimmt hat. Mit der form- und frist-gerecht (§§ 344, 345 StPO) angebrachten Verfahrensrüge macht der Angeklagte den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO geltend, da die Hauptverhandlung unter Verstoß gegen § 140 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des notwendigen Verteidigers stattgefunden habe. Darüber hinaus erhebt er die allgemeine Sachrüge. Schließlich beantragt er, ihm seinen bisherigen Wahlverteidiger für das Revisionsverfahren und das weitere Verfahren als Pflichtverteidiger beizuordnen.

II.
1. Die zulässige Sprungrevision hat mit der erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, so dass es auf die Sachrüge nicht ankommt. Es liegt der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO vor, weil die Hauptverhandlung vom 17.10.2012 vor dem Amtsgericht in Abwesenheit eines Verteidigers stattgefunden hat, obwohl die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig gewesen ist (§ 140 Abs. 2 StPO). Dabei ist es unerheblich, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt hat. Denn der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ist bereits dann gegeben, wenn die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen, ein Verteidiger aber nicht (von Amts wegen) bestellt worden ist (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1998, 243 m. w. N.; Senatsbeschluss vom 31.5.2012 — Ss 36/2012 (31/12)). So verhält es sich hier.

a) Gemäß § 140 Abs. 2 StPO bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

b) Im vorliegenden Fall hätte dem Angeklagten spätestens im Termin zur Hauptverhandlung wegen der Schwere der Tat ein Verteidiger bestellt werden müssen.

aa) Eine Tat ist schwer, wenn die zu erwartenden Rechtsfolgen einschneidend sind (vgl. BGHSt 6, 199; Senatsbeschluss, a.a.O.; KK-Laufhütte, StPO, 6. Aufl., § 140 Rn. 21). Das ist der Fall, wenn eine längere Freiheitsstrafe, eine gravierende Maßregel der Besserung und Sicherung oder sonst eine erhebliche Folge der Verurteilung droht, die nicht unmittelbar im Rechtsfolgenausspruch liegt (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.; KK-Laufhütte, a.a.O.). Jedenfalls bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe wird — auch wenn es sich hierbei nicht um eine starre Grenze handelt — unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers in aller Regel geboten sein, selbst wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O., m. w. N.; OLG Celle, Beschl. v. 30.5.2012 — 32 Ss 52/12 Rn. 11, zit. nach juris; KK-Laufhütte, a.a.O., m. w. N.; Meyer-Goßner, a. a. O., § 140 Rn. 23 m. w. N.). Als schwerwiegender mittelbarer

Nachteil, den der Angeklagte infolge der Verurteilung zu gewärtigen hat und der die Bestellung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen kann, ist unter anderem der drohende Widerruf einer Bewährung in anderer Sache anerkannt (vgl. — jeweils m. w. N. — Senatsbeschluss, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O., Rn. 10; KK-Laufhütte, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 25). Wenngleich sich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung eine schematische Zusammenrechnung der im zu beurteilenden Verfahren zu erwartenden Strafe mit einer zur Bewährung ausgesetzten Vorstrafe verbietet, kann auch bei einer verhältnismäßig geringen Straferwartung in dem aktuellen Verfahren die Bestellung eines Verteidigers geboten sein, wenn das drohende „Gesamtstrafübel" deutlich über eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr hinausgeht (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.).

bb) Nach diesen Maßstäben war im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat die Bestellung eines Verteidigers geboten. Zwar ergab sich aus den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten des Erschleichens der Beförderung durch ein Verkehrsmittel („Schwarzfahren") aufgrund des geringen Werts des nicht entrichteten Entgelts (insgesamt rund 40,-- €) auch unter Berücksichtigung der Anzahl der Taten und der Vorstrafensituation des Angeklagten keine erhebliche Straferwartung, sondern lediglich eine solche von deutlich unter einem Jahr (Gesamt-)Freiheitsstrafe. Dem Angeklagten droht jedoch im Falle einer Verurteilung der Widerruf der ihm hinsichtlich mehrerer gegen ihn verhängter Freiheitsstrafen von insgesamt 3 Jahren, 5 Monaten und 2 Wochen gewährten Strafaussetzung (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB).

(1) Ausweislich der in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht vom 17.10.2012 verlesenen Auskunft des Bundeszentralregisters vom 31.8.2012 wurde gegen den Angeklagten mit nachträglichem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Saar-brücken vom 24.8.2009 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Bewährungszeit: 3 Jahre). Zudem wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 25.3.2010 zu einer ebenfalls zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt (Bewährungszeit: 4 Jahre, verlängert bis 24.3.2015). Schließlich wurde gegen den Angeklagten mit nachträglichem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 1.6.2012 eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten und 2 Wochen verhängt, in die unter anderem eine mit Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 22.7.2011 verhängte Freiheitsstrafe von 4 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war (Bewährungs-zeit: 3 Jahre), einbezogen wurde. Die dem Angeklagten hier zur Last gelegten Taten betreffen den Zeitraum vom 1.3.2012 bis 20.4.2012 und somit die für einen Widerruf der Strafaussetzung hinsichtlich sämtlicher Bewährungsstrafen nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB relevante Bewährungszeit.

(2) Der Angeklagte hat daher selbst ohne Hinzurechnung der im vorliegenden Verfahren zu erwartenden Strafe aufgrund des drohenden Widerrufs der Bewährung in den anderen Sachen die Verbüßung mehrjähriger Haftstrafen zu gewärtigen. Das gilt umso mehr, als dem Angeklagten — wie im Übrigen das angefochtene Urteil zeigt — im Hinblick auf seine Vorstrafensituation, die hohe Rückfallgeschwindigkeit und sein mehrfaches Bewährungsversagen im vorliegenden Verfahren, auch wenn die ihm insoweit zur Last gelegten Straftaten dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzurechnen sind, die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung droht. In einem solchen Fall ist es regelmäßig — wenn auch nicht zwingend — naheliegend, dass sich das über den Widerruf der Strafaussetzung entscheidende Vollstreckungsgericht der sach- und zeitnäheren Prognose des letzten Tatrichters anschließt (vgl. BVerfG NStZ 1985, 357 und NStZ-RR 2008, 26 f.; OLG Köln StV 1993, 429; OLG Düsseldorf VRS 89, 33, 34; VRS 91, 173; StV 1998, 214, 216; NZV 1998, 163; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 59, 60; Senatsbeschlüsse vom 16.6.2000 — 1 Ws 107/00 —, vom 31.1. 2001 - 1 Ws 13/01 —, vom 21.12.2005 — Ss 47/05 (57/05) — und vom 27.2.2013 — 1 Ws 28/13; Fischer, StGB, 58. Aufl.,, § 56f Rdnr. 8b). Es liegt auch kein trotz dieser drohenden einschneidenden mittelbaren Folgen einer Verurteilung einfach gelagerter Fall vor, der die Mitwirkung eines Verteidigers ausnahmsweise entbehrlich machen könnte (vgl. Senatsbeschluss vom 31.5.2012 — Ss 36/2012 (31/12); Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 23).

c) Das Unterlassen der nach § 140 Abs. 2 StPO erforderlichen Bestellung eines Verteidigers steilt einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO dar (vgl. BGHSt 15, 306; Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rn. 41). Es liegen auch keine Umstände vor, aufgrund derer ein Einfluss dieses Verfahrensfehlers auf das Urteil zum Nachteil des Angeklagten denkgesetzlich ausgeschlossen und der Bestand des Urteils deshalb ausnahmsweise nicht berührt wäre (vgl. BGH NStZ 2006, 713; NStZ 2007, 352; StV 2011, 211; Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rn. 2).

d) Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ottweiler zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das neue Tatgericht den drohenden Widerruf der Strafaussetzung in den genannten anderen Verfahren und den damit dem Angeklagten drohenden Freiheitsentzug von insgesamt fast 3 3/4 Jahren sowohl bei der Bemessung der Einzelstrafen und der Bildung der Gesamtstrafe als auch bei der Prüfung der Frage, ob eine gegebenenfalls zu verhängende Freiheitsstrafe nochmals zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder nicht, in den Blick zu nehmen haben wird (vgl. Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 46 Rn. 55, § 56 Rn. 22).

3. Dem Angeklagten ist — wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt — gemäß § 140 Abs. 2 StPO unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat — hinsichtlich des Revisionsverfahrens mit Blick auf die besonderen Schwierigkeiten der ordnungs-gemäßen Erhebung einer Verfahrensrüge aber auch unabhängig hiervon (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13.1.2009 — 1 Ws 212/08, StraFo 2009, 518 f.) — durch den mitunterzeichnenden Vorsitzenden des Revisionsgerichts (§ 141 Abs. 4 Halbsatz 1 StPO; vgl. hierzu OLG Rostock NStZ-RR 2010, 342 f.) sowohl für das Revisionsverfahren als auch für das weitere Verfahren der von ihm gewünschte Pflichtverteidiger zu bestellen.
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OLG Hamm, 29.04.2013, 5 Ws 113-115/13

Gericht: OLG Hamm
Datum: 29.04.2013
Aktenzeichen: 5 Ws 113-115/13
Entscheidungsform: Beschluss
JURION Fundstelle: JurionRS 2013, 36300
Verfahrensgang: vorgehend:
LG Arnsberg - AZ: III-StVK 22/13 BEW
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Gegen den Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts Mülheim/Ruhr vom 02. Mai 2005 (Az.: 8 Ls 157 Js 58/05-13/05) eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung, durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 10. Januar 2007 (Az.: 32 Ds 500 Js 797/06-435/06) eine Freiheitsstrafe von drei Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung sowie durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 29. August 2007 (Az.: 32 Ds 55 Js 644/07-415/07) eine Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt worden. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der vorgenannten Freiheitsstrafen - die jeweils gewährten Strafaussetzungen zur Bewährung waren widerrufen worden - wurde durch Beschluss des Landgerichts Münster vom 20. März 2009 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den eingangs erwähnten Urteilen des Amtsgerichts Mülheim/Ruhr und des Amtsgerichts Bochum ausgesetzt und die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt. Nachdem der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erneut straffällig geworden war und in dem Verfahren 500 Js 1165/10 V StA Bochum durch Strafbefehl vom 04.11.2010 wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe und durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 22. Juni 2011 (Az.: 32 Ds 500 Js 264/11-300/11) wegen Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtgeldstrafe verurteilt worden war, wurde die Bewährungszeit durch Beschluss des Landgerichts Münster vom 07. September 2011 um ein Jahr auf insgesamt fünf Jahre verlängert.
Nachdem die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg die Bewährungsaufsicht unter dem 08. Januar 2013 übernommen hatte, gelangte versehentlich die Mitteilung über eine (vermeintliche) erneute Straffälligkeit des Verurteilten samt Urteilskopie des Amtsgerichts Hamm vom 26. September 2012 zu den Vollstreckungsheften. Tatsächlich betraf das Urteil - wie aus dem Rubrum zu ersehen war - nicht den Verurteilten, sondern eine andere Person. Dies bemerkte allerdings zunächst niemand. Vielmehr beantragten die zuständigen Staatsanwaltschaften den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung und die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg übersandte dem Verurteilten unter Bezugnahme auf das vorgenannte Urteil des Amtsgerichts Hamm unter dem 12. Februar 2013 ein Anhörungsschreiben, in dem dieser Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem beabsichtigten Bewährungswiderruf erhielt.
Daraufhin meldete sich Rechtsanwalt I in I2 mit Schreiben vom 20. Februar 2013 unter Vorlage einer Vollmacht beim Landgericht Arnsberg, beantragte Akteneinsicht und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger und beantragte ferner, "den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Bewährung abzuweisen." Zur Begründung führte er aus, seinem Mandanten sei eine Verurteilung durch das Amtsgericht Hamm vom 26. September 2012 nicht bekannt. Daraufhin teilte die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg dem Verurteilten und dem Verteidiger mit, das Anhörungsschreiben vom 12. Februar 2013 beruhe auf einem bedauerlichen Missverständnis. Das Urteil des Amtsgerichts Hamm vom 26. September 2012 betreffe nicht den Verurteilten. Ein Bewährungswiderruf sei demzufolge nicht beabsichtigt. Eine Durchschrift des Schreibens wurde der Bewährungshelferin zur Kenntnis zugeleitet. Die Vollstreckungshefte wurden unter Hinweis auf das Missverständnis den zuständigen Staatsanwaltschaften zur Kenntnis übersandt.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2013 erinnerte der Verteidiger an die Bescheidung des Beiordnungsantrages und führte aus, es sei ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird sein Schreiben vom 28. Februar 2013 Bezug genommen. Die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg lehnte den Beiordnungsantrag durch den angefochtenen Beschluss vom 06. März 2013 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, ein Beiordnungsgrund entsprechend § 140 Abs. 2 StPO sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere seien weder kognitive noch psychische Beeinträchtigungen des Verurteilten festzustellen. Für den Einwand, das Urteil des Amtsgerichts Hamm vom 26. September 2012 betreffe den Verurteilten nicht, sei die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht notwendig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verurteilten, die er durch Schreiben seines Verteidigers vom 13. März 2013 eingelegt hat. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, es liege ein Fall notwendiger Verteidigung vor, da insgesamt die "Verhängung bzw. Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, nämlich einem Jahr und fünf Monaten" gedroht habe.
Durch Beschluss vom 14. März 2013 hat die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat unter dem 08. April 2013 Stellung genommen und die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt.
II.
Die gem. § 304 Abs. 1 StPO statthafte, nicht fristgebundene Beschwerde ist zulässig, in der Sache erweist sie sich jedoch als unbegründet. Die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg hat den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zu Recht abgelehnt.
Dabei kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben, ob der Beiordnungsantrag vom 20. Februar 2013 bereits gegenstandslos und eine Beiordnung deshalb unzulässig ist, weil das (Vollstreckungs-)Verfahren betreffend den Bewährungswiderruf nach der schriftlichen Mitteilung der 2. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 20. Februar 2013, ein Bewährungswiderruf sei nicht beabsichtigt, bereits abgeschlossen war und daher eine rückwirkende Bestellung unzulässig und unwirksam wäre (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 18. April 2013 in III - 5 Ws 86/13, vom 03. April 2012 in III-5 Ws 80/12, vom 20. März 2012 in III-5 Ws 63/12, vom 15. November 2011 in III-5 Ws 321 u. 322/11, vom 14. Juli 2011 in III-5 Ws 211 u. 212/11, vom 12. Juli 2011 in III-5 Ws 208/11, vom 28. Mai 2009 in 5 Ws 146 u. 147/09 und vom 27. Mai 2008 in 5 Ws 184/08; im Übrigen herrschende Meinung: vgl. BGH NStZ 1997, 299; StV 1989, 378; OLG Hamm, Beschluss vom 04. März 2008 in 2 Ws 374 u. 375/07; Beschluss vom 28. Juni 2007 in 2 Ws 174/07; Beschluss vom 06. Juli 2004 in 1 Ws 203/04; Beschluss vom 02. November 2004 in 1 Ws 270/04; Beschluss vom 20. Juli 2000 in 1 Ws 206/00; Beschluss vom 24. August 1999 in 4 Ws 301/99; OLG Schleswig, Beschluss vom 24. Januar 2008 in 2 Ws 8/08 = SchlHA 2008, 174; KG Berlin, Beschluss vom 09. März 2006 in 5 Ws 563/05; OLG Düsseldorf, JMBl NW 2003, 58 u. JMBl NW 1998, 22; NStZ-RR 1996, 171; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 141 Rdnr. 8).
Jedenfalls liegen die Voraussetzungen für eine Beiordnung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO nicht vor.
Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO für eine anstehende gerichtliche Entscheidung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn dies aufgrund der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder der Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, geboten ist.
Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, sind - wie bereits die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg in dem angefochtenen Beschluss vom 06. März 2013 zutreffend ausgeführt hat - weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Auch die Entscheidung der Frage, ob die Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen war oder nicht, war weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten gewesen wäre. Das Urteil des Amtsgerichts Hamm vom 26. September 2012 betraf nicht den Verurteilten, was sich unschwer aus dem Rubrum ergab. Dementsprechend beruhte das Anhörungsschreiben zum beabsichtigten Bewährungswiderruf vom 12. Februar 2013 auf einem offensichtlichen Versehen. Die Klarstellung, dass das vorgenannte Urteil nicht gegen ihn ergangen war, war dem Verurteilten ohne Weiteres selbst durch (privatschriftliche) Mitteilung an die 2. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg möglich. Die Aufklärung eines offensichtlichen Versehens rechtfertigt die Pflichtverteidigerbestellung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Vollstreckungsverfahren nicht.
Soweit der Verteidiger des Verurteilten in der Beschwerdebegründung darauf hinweist, dass im Falle des Bewährungswiderrufs (Rest-)Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als einem Jahr zu vollstrecken gewesen wären, rechtfertigt auch dies keine andere Entscheidung. Wie bereits die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 08. April 2013 zutreffend ausgeführt hat, gilt der im Erkenntnisverfahren für die Bestellung eines Verteidigers maßgebende Gesichtspunkt der Schwere der Tat und des Gewichts der zu erwartenden Rechtsfolgen nicht im Vollstreckungsverfahren. Denn Tatschwere und Rechtsfolgen stehen bereits fest; über sie ist keine Entscheidung mehr möglich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06. Juni 2003, 2 BvR 772/03, veröffentlich unter: www.bundesverfassungsgericht.de/Entscheidungen).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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Pflichtverteidiger: Auswahl/Benennung des Verteidigers
LG Magdeburg, Beschl. v. 26. 3. 2013 - 21 Qs 22/13* Die in § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO normierte „Benennungsfrist“, innerhalb der der Beschuldigte einen Verteidiger seiner Wahl bezeichnen kann, der zum Pflichtverteidiger bestellt werden soll, ist keine Ausschlussfrist. Vielmehr ist auch ein Vorschlag des Beschuldigten, der nach Fristablauf eingeht, bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen, solange eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht ergangen ist oder eine bereits ergangene Entscheidung noch keine Außenwirkung erlangt hat.
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Wiederaufnahmeverfahren: Pflichtverteidiger
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ursprungsverfahren wirkt bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens fort.
KG, Beschl. v. 15. 2. 2013 – 4 Ws 25/13
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KAMMERGERICHT

Beschluss


1 Ws 30/12


Leitsatz:


Die Bestellung nach § 408b StPO bezieht sich nur auf das Strafbefehlsverfahren und gilt nicht für die Hauptverhandlung.

§ 408b StPO

KG, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 1 Ws 30/12

Geschäftsnummer:
1 Ws 30/12_
514 Qs 8/12



In der Strafsache gegen


x,
geboren am x in x,


wegen Steuerhinterziehung


hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 29. Mai 2012 beschlossen:

Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts Tiergarten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 6. März 2012 aufgehoben.

Die Rechtsanwalt O. aus der Landeskasse zu zahlende Pflichtverteidigervergütung wird auf 314,16 Euro festgesetzt.

Das Verfahren über die weitere Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.



Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten – Strafrichter - hat gegen den in der Hauptverhandlung am 21. Juli 2011 nicht erschienenen Angeklagten nach § 408a StPO einen Strafbefehl erlassen und wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung festgesetzt. Zugleich hat es dem Angeklagten gemäß § 408b StPO Rechtsanwalt O., der zuvor das Wahlmandat niedergelegt hatte, als Verteidiger bestellt. Nach Zustellung des Strafbefehls hat der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf die ihm erteilte Vollmacht erklärt, er „bestelle“ sich zum Verteidiger des Beschuldigten und lege gegen den Strafbefehl Einspruch ein. In der Hauptverhandlung vom 9. Januar 2012 hat der Angeklagte den Einspruch in Anwesenheit des Verteidigers nach kurzer Verhandlung zur Sache zurückgenommen. Unter dem 10. Januar 2012 hat Rechtsanwalt O. die Erstattung der Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 533,12 Euro beantragt und nach Abzug des Vorschusses von 290,36 Euro Zahlung von noch 242,76 Euro verlangt. Dabei hat er neben der Grund- und der Verfahrensgebühr auch die Terminsgebühr für den 9. Januar 2012 in Höhe von 184,- Euro angesetzt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Terminsgebühr nicht anerkannt und am 13. Januar 2012 die dem Verteidiger aus der Landeskasse noch zu zahlende Vergütung auf 23,80 Euro festgesetzt. Der Strafrichter hat die Erinnerung des Rechtsanwalts, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hatte, mit Beschluss vom 31. Januar 2012 zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Verteidigers hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten aufgehoben, die ihm aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung unter Anerkennung der Terminsgebühr und der hierauf bezogenen Umsatzsteuer auf 533,12 Euro festgesetzt und wegen der grundsätzlichen Bedeutung die weitere Beschwerde zugelassen. Mit der weiteren Beschwerde wendet sich der Bezirksrevisor des Amtsgerichts Tiergarten gegen die Ansetzung der Terminsgebühr.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Denn das Landgericht hat sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG), und sie ist auch rechtzeitig (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Dem Beschwerdegegner steht für den Hauptverhandlungstermin vom 9. Januar 2012 keine Vergütung aus der Landeskasse zu. Er hat den Termin nicht als Pflicht-, sondern als Wahlverteidiger wahrgenommen.

1. Seine Bestellung nach § 408b StPO bezog sich nur auf das Strafbefehlsverfahren. Der nach dieser Vorschrift bestellte Verteidiger kann für den Angeklagten wirksam Einspruch einlegen (§ 410 StPO); damit endet allerdings seine Beiordnung. Die Bestellung gilt daher nicht für die Hauptverhandlung (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; StraFo 2008, 441; AG Höxter NJW 1994, 2842; LG Aurich, Beschluss vom 12. August 2009 – 12 Qs 90/09 - bei juris; LG Dresden, Beschluss vom 5. Juli 2006 – 3 Qs 78/06 – bei juris; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 408b Rdn. 6; KMR-Metzger, StPO, § 408b Rdn. 10; Hohendorf, MDR 1993, 598; Lutz, NStZ 1998, 396). Würde die Bestellung nach § 408b StPO auch die Hauptverhandlung erfassen, ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu § 140 StPO und eine unangemessene Benachteiligung des im Normalverfahren Angeklagten. Denn der Angeklagte, gegen den ein Strafbefehl mit der Rechtsfolge aus § 407 Abs. 2 StPO erlassen worden ist, wäre in der Hauptverhandlung stets durch einen bestellten Rechtsanwalt verteidigt. Der im Normalverfahren nach § 200 StPO Angeklagte, der gegebenenfalls sogar eine unbedingte Freiheitsstrafe gewärtigen muss, genießt diesen Rechtsvorteil hingegen nur unter den (engen) Voraussetzungen des § 140 StPO (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 290; Meyer-Goßner aaO).

Die Gegenmeinung, welche die Bestellung gleichwohl auch auf die Hauptverhandlung erstrecken will (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle NStZ-RR 2011, 295; KK-Fischer, StPO 6. Aufl., § 408b Rdn. 8; LR-Gössel, StPO 26. Aufl., § 408b Rdn. 12; HK-Kurth, StPO 4. Aufl., § 408b Rdn. 6; Böttcher, NStZ 1993, 153; Schellenberg, NStZ 1994, 570), überzeugt nicht. Zwar beschränkt § 408b die Reichweite der Bestellung – anders als § 118a Abs. 2 Satz 3 StPO („für die mündliche Verhandlung“), § 350 Abs. 3 StPO („für die Hauptverhandlung“) und § 418 Abs. 4 StPO („für das beschleunigte Verfahren“) – nicht ausdrücklich. Die Begrenzung ergibt sich aber bereits daraus, dass der Gesetzgeber die Vorschrift über die Bestellung des Verteidigers in den Abschnitt über das Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO) eingestellt hat. Hätte die Bestellung im Strafbefehlsverfahren die gesamte Instanz oder das gesamte Verfahren umfassen sollen, wäre es angezeigt gewesen, die Bestellung im Zusammenhang mit der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) zu regeln. Denn die Beiordnung nach diesen Vorschriften umfasst grundsätzlich das gesamte Verfahren.

Auch die Gesetzesmaterialien (Bundestagsdrucksache 12/3832 Seite 42) legen nahe, dass die Bestellung nach § 408b StPO ausschließlich für das Strafbefehlsverfahren und nicht für die sich anschließende Hauptverhandlung gelten sollte. Darin heißt es: „Die Regelung ist als eigene Bestimmung in den Abschnitt über das Verfahren bei Strafbefehlen eingefügt worden, um zu verdeutlichen, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers allein aufgrund der besonderen prozessualen Situation geboten ist; der Katalog der notwendigen Verteidigung in § 140 StPO bleibt unberührt.“ Die „besondere prozessuale Situation“ ergibt sich im Wesentlichen aus dem Umstand, dass das Strafbefehlsverfahren eine ausschließlich schriftliche Straffestsetzung ermöglicht. Allein diese Besonderheit rechtfertigt es, dem nicht verteidigten Angeschuldigten zur Kompensation der im schriftlichen Verfahren nicht vorgesehenen persönlichen Anhörung einen Verteidiger beizuordnen. Nach Einlegung des Einspruchs weist das Verfahren gegenüber dem in §§ 226 ff. StPO geregelten Normalverfahren hingegen keine so grundlegenden Änderungen auf, dass die Anwesenheit eines Verteidigers erforderlich wäre. Denn der Angeklagte hat nun – noch dazu nach anwaltlicher Beratung – die Gelegenheit, sich in einer mündlichen Verhandlung zu äußern. Zwar weisen das OLG Celle und das OLG Köln (jeweils aaO) zutreffend darauf hin, dass im Verfahren nach Einspruchseinlegung gemäß den §§ 411 Abs. 2 Satz 2, 420 StPO für die Beweiserhebung, insbesondere in Bezug auf § 250 StPO, vereinfachte Regeln gelten. Das OLG Celle schließt daraus, das Kompensationsbedürfnis dauere auch nach Einspruchseinlegung fort und erfasse die Hauptverhandlung. Diese Beweiserleichterungen sind aber gerade dem Umstand geschuldet, dass das Verfahren in der Regel überschaubare Sachverhalte betrifft (vgl. BT-Drucksache 12/6853 Seite 34). Ein über das ausschließlich schriftliche Strafbefehlsverfahren hinausgehender Kompensationsbedarf, der die Anwesenheit eines Verteidigers notwendig machte, besteht bei diesen Sachverhalten gerade nicht. Sollte sich im Einzelfall – auch unter Berücksichtigung der vereinfachten Beweisregeln nach § 411 Abs. 2 Satz 2 StPO – etwas anderes ergeben, ist dem Angeklagten nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Auch der Einwand der Gegenmeinung (OLG Celle; OLG Köln jeweils aaO), aus der in § 411 Abs. 2 StPO fehlenden Verweisung auf § 418 Abs. 4 StPO sei zu folgern, dass die Bestellung im Strafbefehlsverfahren auch für die Hauptverhandlung gelten solle, überzeugt nicht. Zutreffend ist zwar, dass im beschleunigten Verfahren als Ausgleich für die Beweiserleichterungen dem Angeklagten nach § 418 Abs. 4 StPO ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist, dem durch Strafbefehl Angeklagten dieses Privileg nach der hier vertretenen Auffassung aber auch dann versagt bleibt, wenn eine entsprechende Freiheitsstrafe im Raum steht. Diese Differenzierung rechtfertigt sich aber zum einen aus dem Umstand, dass der Adressat des Strafbefehls jedenfalls vor der Hauptverhandlung durch den nach § 408b StPO bestellten Verteidiger beraten war. Sie ergibt sich zum anderen daraus, dass die durch die Oberlandesgerichte Celle und Köln vertretene Auffassung über die bereits genannte Ungleichbehandlung in Bezug auf den im Normalverfahren Angeklagten hinaus zu einem weiteren, gravierenden Wertungswiderspruch führt. Denn der Angeklagte, gegen den im Strafbefehl eine Freiheitsstrafe festgesetzt worden ist, wäre nach der durch das OLG Celle und das OLG Köln vertretenen Auffassung in der Hauptverhandlung stets verteidigt; dem Angeklagten, gegen den im Strafbefehl eine – gegebenenfalls hohe - Geldstrafe festgesetzt worden ist, wäre hingegen kein Verteidiger zu bestellen, obwohl auch er wegen der aufgrund § 411 Abs. 4 StPO drohenden Schlechterstellung mit einer Freiheitsstrafe selbst dann rechnen muss, wenn die Hauptverhandlung keinen schwerer wiegenden Sachverhalt ergibt (vgl. OLG Stuttgart StV 2007, 232 mwN).

Schließlich ist auch der Einwand des Beschwerdegegners, es sei „dem Recht der Pflichtverteidigung eigentümlich, dass eine Beiordnung so lange wirksam bleibt, bis sie aufgehoben wird oder das Verfahren (…) abgeschlossen ist“, wie §§ 118a Abs. 2 Satz 3, § 350 Abs. 3 und § 418 Abs. 4 StPO zeigen, unzutreffend. In all diesen Fällen ist die Bestellung innerhalb einer Instanz auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkt.

2. Rechtsanwalt O. ist dem Angeklagten für den Hauptverhandlungstermin am 10. Januar 2012 auch nicht gemäß § 140 Abs. 2 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Zwar sieht § 141 StPO keine bestimmte Form für die Bestellung vor. Sie bedarf daher auch keiner ausdrücklichen Erklärung, und es genügt, wenn sie sich aus dem Verhalten des zuständigen Richters schlüssig ergibt (vgl. LG Koblenz NJW 2004, 962). Erforderlich ist allerdings, dass das Verhalten des Vorsitzenden unter Beachtung der sonstigen maßgeblichen Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt (vgl. OLG Koblenz, NStZ-RR 1997, 384). Ein derartiges schlüssiges Verhalten könnte hier darin liegen, dass der Vorsitzende die Ladung des Rechtsanwalts als Verteidiger zu dem Hauptverhandlungstermin am 9. Januar 2012 verfügt hat. Allerdings ist Rechtsanwalt O. ersichtlich nicht als Pflicht-, sondern als Wahlverteidiger geladen worden. Denn in dem Einspruchsschriftsatz hatte er unter Hinweis auf die ihm erteilte Vollmacht mitgeteilt: „In der Strafsache gegen Ly Hoang – Akt.-Z.: 327 Ds 15/11 - bestelle ich mich zum Verteidiger des Beschuldigten.“ Da mithin selbst der Beschwerdegegner zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass die Pflichtverteidigerbestellung beendet war und das Verteidigungsverhältnis auf der Beauftragung durch den Mandanten beruhte, liegt es fern, dass der Vorsitzende ihn zum Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO bestellen wollte und als solchen geladen hat. Aus diesem Grunde geht auch der Einwand des Beschwerdegegners fehl, die Absetzung der Terminsgebühr widerspreche dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Zwar besteht eine prozessuale Fürsorgepflicht gegenüber allen am Strafverfahren Beteiligten, mithin auch gegenüber dem Verteidiger (vgl. Meyer-Goßner, aaO, Einl. Rdn. 157). Ein Anlass, diesem gegenüber klarzustellen, dass er nicht als bestellter, sondern als Wahlverteidiger geladen wurde, bestand aber schon deshalb nicht, weil er sich zuvor selbst als solcher gemeldet und Einspruch eingelegt hatte.

3. Dem Beschwerdegegner stehen damit die Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) in Höhe von 132,- Euro, die Verfahrensgebühr (Nr. 4106 VV RVG) in Höhe von 112,- Euro und die Entgeltpauschale (Nr. 7002 VV RVG) von 20,- Euro zu. Zuzüglich der Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) ergibt sich ein Erstattungsbetrag von insgesamt 314,16 Euro. Unter Abzug des bereits in Höhe von 290,36 Euro gezahlten Vorschusses verbleibt entsprechend der ursprünglichen Festsetzung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ein Differenzbetrag von 23,80 Euro, der auch bereits an den Pflichtverteidiger ausgezahlt ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
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Zu den Voraussetzungen einer unrichtigen Sachbehandlung i.S. von § 21 GKG im Hinblick auf eine nicht erfolgte Entpflichtung eines Pflichtverteidigers.


1 Ws 47/13

SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahls
Verteidigerin: Rechtsanwältin Lilla J., Trier 2043105C22"
hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken
am 11. März 2013 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 5. Juni 2012 wird die mit Urteil des Landgerichts Saarbrücken — 11. Kleine Strafkammer — vom 29. Mai 2012 getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung in Satz 1 dahingehend geändert, dass auch die Auslagen der Staatskasse zu 1/2 der Landeskasse auferlegt werden.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
3. Die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens werden dem Angeklagten mit der Maßgabe auferlegt, dass die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um 1/3 ermäßigt wird und die Landeskasse 1/3 der insoweit entstandenen Verfahrens- auslagen (Auslagen der Staatskasse) und notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat.

Gründe:
Das Amtsgericht - Strafrichter - Saarbrücken hatte den Angeklagten mit Urteil vom 24. Januar 2012 wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Auf die unbeschränkte Berufung des Angeklagten hat die Strafkammer die gegen ihn verhängte Strafe unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Bewährung ausgesetzt; die weitergehende Berufung des Angeklagten und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat sie verworfen.

Zugleich hat die Kammer folgende Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen:

Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Berufung einschließlich der ihm entstandenen notwendigen Auslagen mit der Maßgabe, dass die Gebühr für die Berufungsinstanz um die Hälfte ermäßigt wird und in diesem Umfang die entsprechenden notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt werden. Die Landeskasse trägt die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft einschließlich der dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

Die gegen das Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Mit Telefaxschreiben seiner Verteidigerin vom 5. Juni 2012, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Angeklagte sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung der Berufungskammer eingelegt. Er ist der Auffassung, dass ihm die Kosten für seine Wahlverteidigerin, jedenfalls aber diejenigen für seinen Pflichtverteidiger im Berufungsverfahren nicht hätten auferlegt werden dürfen.

Dem liegt folgender Geschehensablauf zugrunde: Mit Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 20. Mai 2011 wurde dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils zeigte Rechtsanwältin J. mit Telefaxschreiben vom 30. Januar 2012 unter Beifügung einer Vollmacht die Verteidigung des Angeklagten an und beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidigerin; zugleich legte sie Berufung gegen das Ur teil des Amtsgerichts ein. Nachdem Rechtsanwältin J. mit weiterem Telefaxschreiben vom 12. März 2012 an ihre Beiordnung erinnert und vorgetragen hatte, dass das Vertrauensverhältnis des Angeklagten zu dem Pflichtverteidiger stark gestört sei, lehnte die Strafkammer mit Beschluss vom 22. März 2012 eine Auswechselung des Pflichtverteidigers ab. Zur Begründung führte sie aus, dass ein wichtiger Grund zur Entpflichtung des beigeordneten Verteidigers weder vorgetragen noch ersichtlich sei und der Umstand, dass der Angeklagte nunmehr Rechtsanwältin J. beauftragt habe, nicht ausreichend sei, um allein unter diesem Aspekt einen Pflichtverteidigeraustausch, mit dem zusätzliche Kosten verbunden seien, vorzunehmen. Mit Telefaxschreiben vom 18. April 2012 teilte Rechtsanwältin J. mit, dass sie den Angeklagten als Wahlanwältin verteidige. In der Berufungshauptverhandlung erschienen sowohl der Pflichtverteidiger als auch die Wahlverteidigerin; eine Rücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers erfolgte nicht.

II.
1. Die gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 HS 1 StPO statthafte und fristgerecht eingelegte (§ 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist zulässig.

Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht § 304 Abs. 3 StPO entgegen. Der Beschwerdeführer wird vorliegend durch eine Kosten- und Auslagengrundentscheidung belastet, indem ihm die Kosten seines Rechtsmittels unter Ermäßigung der Gebühr für das Berufungsverfahren um die Hälfte und die Hälfte seiner notwendigen Auslagen auferlegt worden sind, wobei die Gebührenermäßigung bei verständiger Würdigung der Beschwerdebegründung nicht als angefochten anzusehen ist. Zu diesen Kosten und Auslagen ist neben der Hälfte der Gebühren und Auslagen der Wahlverteidigerin als notwendige Auslagen des Angeklagten (§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO) auch die Vergütung des für den Angeklagten bestellten Pflichtverteidigers als zu den Verfahrenskosten nach § 464 a Abs. 1 S. 1 StPO gehörende Auslage der Staatskasse zu rechnen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464 a Rn. 1 m.w.N.). Im Hin blick darauf, dass in der angefochtenen Entscheidung die Auslagen der Staatskasse nicht ermäßigt und damit dem Beschwerdeführer in vollem Umfang überbürdet worden sind, betragen bereits die Gebühren für den Pflichtverteidiger 432,-- Euro (Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG und Terminsgebühr Nr. 4126 VV RVG i.H.v. jeweils 216,-- Euro) zzgl. 19 % MWSt und übersteigen daher den Grenzwert des Beschwerdegegenstandes von 200,-- Euro.

2. Das Rechtsmittel ist lediglich teilweise begründet.

a) Soweit die Strafkammer nach Teilverwerfung der Berufung des Angeklagten - neben der nicht angefochtenen Ermäßigung der Gebühr für das Berufungsverfahren um die Hälfte - die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte der Landeskasse auferlegt hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung entspricht nämlich der gesetzlichen Regelung des § 473 Abs. 4 StPO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht, wenn das Rechtsmittel teilweise Erfolg hat, die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten (§ 473 Abs. 4 S. StPO) und gilt dies entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten (§ 473 Abs. 4 S. 2 StPO).

Teilerfolg hat ein Rechtsmittel, wenn es nicht in vollem Umfang verworfen wird, viel- mehr nur zu einem nicht ganz unerheblichen Teil erfolglos bleibt, also - mit anderen Worten - ein nicht unerheblicher Teil des erstrebten Erfolgs erreicht wird (vgl. LR- Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 25; KK-Gieg, StPO, 6. Aufl., § 473 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Der Erfolg wird dabei nach herrschender, vom Senat geteilter Auffassung grundsätzlich durch einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung und des Anfechtungsziels einerseits und den mit Hilfe des Rechtsmittels schließlich erreichten Ergebnissen andererseits ermittelt (KK-Gieg, a.a.O., m.w.N.). Mit seiner unbeschränkten Berufung hat der Angeklagte - wie sich aus seinen Anträgen in der Berufungshauptverhandlung ergibt - in erster Linie einen Freispruch erstrebt. Dieses Ziel hat er nicht erreicht. Allerdings hat die Strafkammer auf seine Berufung die Vollstreckung der von dem Amtsgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Dass die Kammer das Gewicht dieses Erfolges in der Weise bewertet hat, dass sie nicht nur die Gebühr für das Berufungsverfahren um die Hälfte ermäßigt, sondern den Angeklagten auch von der Hälfte der ihm entstandenen notwendigen Auslagen entlastet hat, erscheint unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass die von dem Amtsgericht verhängte Strafe nicht gemildert wurde, keinesfalls unbillig.

b) Allerdings hat die Strafkammer es rechtsfehlerhaft unterlassen, in Anwendung des § 473 Abs. 4 S. 1 StPO und der von ihr vorgenommenen Gewichtung des Erfolges der Berufung des Angeklagten auch die Hälfte der Auslagen der Staatskasse, zu denen - wie dargelegt - auch die Vergütungsansprüche des Pflichtverteidigers zu zählen sind, der Landeskasse aufzuerlegen. Insoweit war die sofortige Beschwerde des Angeklagten daher begründet und die angefochtene Kosten- und Auslagenentscheidung vom Senat zu ändern.

c) Demgegenüber kam eine Überbürdung der weiteren Hälfte der Gebühren und Auslagen der Wahlverteidigerin bzw. zumindest der weiteren Hälfte der Kosten für den Pflichtverteidiger im Berufungsverfahren auf die Landeskasse nicht in Betracht.

Die Frage, ob unter den vorliegenden Umständen auch die jeweils zweite Hälfte der Gebühren und Auslagen der Wahlverteidigerin bzw. der Pflichtverteidigergebühr für das Berufungsverfahren der Landeskasse aufzuerlegen war, kann nicht im Rahmen der Billigkeitsentscheidung des § 473 Abs. 4 StPO über Auslagen bei Teilerfolg eines Rechtsmittels, sondern nur im Zusammenhang mit der Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung nach § 21 Abs. 1 GKG erörtert werden, was auch im Rahmen der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung zulässig ist (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 1996, 655). Voraussetzung für eine Nichterhebung nach dieser Bestimmung wäre eine „unrichtige Sachbehandlung" durch das Gericht. Eine solche liegt aber nicht bei jedem gerichtlichen Fehlverhalten vor, sondern ist nur bei offensichtlichen schweren Verfahrensfehlern anzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 21 GKG Rn. 10 m.w.N.). Ein derartiger Verfahrensfehler ist vorliegend mit Blick auf die nicht erfolgte Entpflichtung des Pflichtverteidigers nicht gegeben.

Zunächst ist ein Verfahrensfehler nicht darin zu sehen, dass die Strafkammer den Antrag auf Auswechselung des Pflichtverteidigers mit Beschluss vom 22. März 2012 zurückgewiesen hat. Zwar ist nach überwiegender, vom Senat geteilter Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur eine Auswechselung des Verteidigers ausnahmsweise auch ohne Vorliegen von Widerrufsgründen zulässig, wenn beide Verteidiger damit einverstanden sind, dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten entstehen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. März 2009 - 1 Ws 54/09 -; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2010, 210; OLG Brandenburg, StV 2001, 442; OLG Düsseldorf, StraFo 2007, 156; OLG Frankfurt, StV 2008, 128; Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rn. 5 a m.w.N.) und gilt dies insbesondere bei einem Wechsel zwischen erster und zweiter Instanz (Meyer-Goßner, a.a.O.). Diese Voraussetzungen waren im Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung unabhängig von der Frage, ob die Kammer verpflichtet gewesen wäre, bei dem Pflichtverteidiger Nachfrage zu halten, ob er mit einer Auswechselung einverstanden sei, schon deshalb nicht gegeben, weil mit der Entpflichtung des Rechtsanwaltes B. und gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin J. zur Pflichtverteidigerin zumindest im Hinblick auf die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG Mehrkosten entstanden wären, auf deren Geltendmachung die Verteidigerin nicht verzichtet hat.

Die Strafkammer war aber auch nicht aufgrund des Schreibens der Rechtsanwältin J. vom 18. April 2012, mit dem sie mitteilte, den Angeklagten als Wahlanwältin zu verteidigen, gezwungen die Bestellung des Pflichtverteidigers gemäß § 143 StPO zurückzunehmen. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt, wovon vorliegend auszugehen ist. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen, z.B. wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Angeklagten wieder niederlegen werde (KG, StV 2010, 63; OLG Düsseldorf, StV 1997, 576; Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rn. 2 m.w.N.). Letzteres war hier der Fall. Nach den Feststellungen in dem amtsgerichtlichen Urteil musste die Strafkammer davon ausgehen, dass der Angeklagte in einem Schlachthof zur Einarbeitung auf 400 Euro-Basis beschäftigt war und ergänzend Arbeitslosengeld II bezog; zudem hatte er Schulden in Höhe von 8.000 bis 10.000 Euro. Aufgrund dieser Einkommens- und Vermögensverhältnisse war im Hinblick darauf, dass die Wahlverteidigerin bereits mit ihrer Verteidigungsanzeige einen Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin gestellt hatte, konkret zu besorgen, dass sie das Wahlmandat nach Entpflichtung des Rechtsanwaltes B. niederlegen und erneut ihre Beiordnung beantragen werde. Das Schreiben der Rechtsanwältin J. vom 18. April 2012 steht dieser Beurteilung nicht entgegen, denn mit diesem Schreiben teilte sie lediglich die aktuelle Situation in Bezug auf das Verteidigungsverhältnis mit, nicht aber, dass sie das Mandat auch als Wahlmandat künftig fortführen werde.

Dass die Strafkammer die Bestellung des Pflichtverteidigers in der Berufungshauptverhandlung nicht zurückgenommen hat, nachdem sie erstmals von der Änderung der Einkommensverhältnisse des Angeklagten Kenntnis erlangt hat, stellt ungeachtet der Frage, ob hierin überhaupt ein Verfahrensfehler begründet liegt, jedenfalls keinen schweren Verfahrensfehler dar, zumal die Terminsgebühr nach Nr. 4126 VV RVG zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Erscheinens des Pflichtverteidigers bereits zur Entstehung gelangt und eine Kostenreduzierung auf Seiten des Angeklagten daher nicht mehr zu erreichen war.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
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OLG Hamm Beschluss v. 17.01.2013 - III-3 Ws 349/12
Amtlicher Leitsatz:
Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers zum Zwecke der Mitwirkung bei der Erstellung einer Revisionsbegründungsschrift (im Anschluss an KG, NStZ 2007, 663).
Tenor:
Die Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen
Beschlusses sowie des Nichtabhilfebeschlusses vom 17. August 2012, die durch das Beschwerdevorbringen nicht ausgeräumt werden, als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Zusatz:
Der Angeklagte begehrt die Bestellung eines Pflichtverteidigers zum Zwecke der Mitwirkung bei der Erstellung einer Revisionsbegründungsschrift. Als Grundlage für die Bestellung eines Pflichtverteidigers kommt in der vorliegenden Sache allein § 140 Abs. 2 StPO in Betracht. Liegen die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidiger-bestellung nach dieser Vorschrift ohne Berücksichtigung der mit der Abfassung einer Revisionsbegründungsschrift verbundenen Schwierigkeiten nicht vor - dies hat das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss zutreffend dargelegt -, kann die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung nicht allein mit dem Argument bejaht werden, das Revisionsrecht sei für einen Angeklagten zu kompliziert (KG, NStZ 2007, 663). Denn der Gesetzgeber hat mit der einem jeden Angeklagten eingeräumten Möglichkeit, die Revisionsbegründung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erklären, eine andere gesetzliche Regelung getroffen (KG, a.a.O. m.w.N.). Die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung kann in dieser Fall-konstellation allenfalls für die Abfassung besonders schwieriger Revisionsrügen, mit denen der Urkundsbeamte überfordert wäre, oder für den Fall, dass der Angeklagte auf Grund objektiver Umstände des Verfahrensgeschehens oder subjektiver Eigenschaften nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die Revision - auch unter Mitwirkung des Urkundsbeamten - zu begründen, bejaht werden (KG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Mittellosigkeit des Angeklagten begründet als solche ebenfalls keinen Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers
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Zulässigkeit der gleichzeitigen Vertretung mehrerer Nebenkläger durch denselben Rechtsbeistand - Ortsnähe des Nebenklagebeistands als zu berücksichtigender Gesichtspunkt i.R.d. Auswahl durch das Gericht
Gericht: OLG Hamburg
Datum: 17.12.2012
Aktenzeichen: 2 Ws 175/12
Entscheidungsform: Beschluss
Pflichtverteidiger: Verteidigter Mitangeklagter
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 140 StPO) kann aus Gründen des fairen Verfahrens und des Grundsatzes der Waffengleichheit namentlich dann geboten sein, wenn der Antragsteller nicht über einen Verteidiger verfügt, wohl aber der. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich aber anhand einer umfassenden Würdigung der Gesamt- umstände im jeweiligen Einzelfall. Dass ein Angeklagter durch einen Verteidiger vertreten wird, ein anderer hingegen nicht, begründet für sich allein noch nicht eine notwendige Verteidigung. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die im konkreten Fall eine Beiordnung geboten erscheinen.
OLG Hamburg, Beschl . v. 31. 1. 2013 - 3 Ws 5/13
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JURION Fundstelle: JurionRS 2012, 30166
Rechtsgrundlagen: § 142 Abs. 1 StPO
§ 396 StPO
§ 397a Abs. 3 StPO
Verfahrensgang: vorgehend:
LG Hamburg
Amtlicher Leitsatz:
1. Die gleichzeitige Vertretung mehrerer Nebenkläger durch denselben Rechtsbeistand ist grundsätzlich zulässig. In Fällen gleichgelagerter Interessen zahlreicher Nebenkläger kann es im Rahmen des gemäß §§ 397 a Abs. 3 Satz 2, 142 Abs. 1 StPO durch den Vorsitzenden auszuübenden Ermessens bei der Auswahl des Rechtsbeistands zulässig sein, die Bestellung jeweils eigener Rechtsbeistände für die Nebenkläger abzulehnen, wenn ein sachlicher Grund für die Bestellung personenverschiedener Rechtsbeistände nicht vorliegt und die Wahrnehmung der Interessen der Nebenkläger in dem Verfahren auch durch einen einzelnen Rechtsbeistand sachgerecht erfolgen kann (Gruppenvertretung).
2. Auch nach der Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO gehört die Ortsnähe des Rechtsanwalts zu den durch den Vorsitzenden bei der Auswahl eines Pflichtverteidigers bzw. Rechtsbeistands zu berücksichtigenden Gesichtspunkten (Anschluss an OLG Köln, NStZ-RR 2011, 49 [OLG Köln 21.09.2010 - 2 Ws 594/10]).
3. Zur Wirksamkeit der Anschlusserklärung nach § 396 StPO sowie der Einlegung eines Rechtsmittels für einen minderjährigen Verletzten.
Tenor:
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Es ist nicht stets dann aus Gründen des fairen Verfahrens dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn einem Mitangeklagten einer bestellt wurde.

Landgericht Dessau –Roßlau
Geschäftszeichen: 2 Qs 8/13

In pp.
wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen hat die 2 . Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau durch die unterzeichnenden Richter am 15.01.2013 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köthen vorn 13.12.2012 ( 2 Ls 31/12)), mit dem der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen wurde, wird zurückgewiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat durch den o.a. Beschluss, auf den Bezug genommen wird, die zuvor beantragte Beiordnung der Wahlverteidigerin als Pflichtverteidiger des Angeklagten als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde durch anwaltlichen Schriftsatz vom 18.12.2012, der das Amtsgericht nicht abhalf.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens liegt kein Fall der Pflichtverteidigerbestellung vor. Zwar ist dem Mitangeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden, dies jedoch offensichtlich wegen dessen Vorbelastungen, die eine Einheitsjugendstrafe von mehr als einem Jahr erwarten fassen. Die Kammer ist — entgegen der in der Beschwerde zitierten Entscheidungen einzelner Landgerichte — nicht der Auffassung, dass aus Gründen des fairen Verfahrens stets dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn einem Mitangeklagten einer bestellt wurde, aus welchem Grund auch immer. Diese Auffassung ist zunächst dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das sie ( allein ) stützende Argument, der pflichtverteidigte Mitangeklagte wäre wegen der Aktenkenntnis des Verteidigers bevorteilt, mag in komplizierten Fallgestaltungen seine Berechtigung haben. Hier liegt ein solch komplexer Fall nicht vor. Der Beschwerdeführer ist lediglich teilgeständig und wird im Übrigen vom Mitangeklagten belastet.
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OLG Stuttgart, 22.11.2012, 4a Ws 151/12

Gericht: OLG Stuttgart
Datum: 22.11.2012
Aktenzeichen: 4a Ws 151/12
Entscheidungsform: Beschluss
JURION Fundstelle: JurionRS 2012, 31618
Verfahrensgang: vorgehend:
AG Reutlingen - 22.07.2010 - AZ: 6 Ls 43 Js 19873/09
LG Tübingen - 10.09.2012 - AZ: 3 Ns 43 Js 19873/09 Jug.
StA Tübingen - AZ: 43 Js 19873/09
Amtlicher Leitsatz:
Weder der Grundsatz des fairen Verfahrens, noch das Prinzip der Waffengleichheit führen zur Annahme einer Selbstverteidigungsunfähigkeit i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO allein aufgrund des Umstandes, dass ein Mitangeklagter über einen Verteidiger verfügt. Vielmehr ist stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, die in Fällen tatsächlicher gegenseitiger Belastung von verteidigten und unverteidigten Mitangeklagten zur Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung führen kann, sofern die Kenntnis des Akteninhalts zur Verteidigung von entscheidender Bedeutung ist.
— — — — —
In der Strafsache gegen
wegen
- Verteidiger:
Tenor:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 3. Großen Jugendkammer des Landgerichts Tübingen vom 10. September 2012 wird als unbegründet
v e r w o r f e n .
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
Dem Beschwerdeführer und 14 weiteren Angeklagten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Tübingen vom vorgeworfen, sie hätten sich als Anhänger des Fußballvereins anlässlich eines Auswärtsspiels am in zu Lasten dreier Anhänger des Fußballvereins der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Diesbezüglich ist der Beschwerdeführer vom Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Reutlingen mit Urteil vom 22. Juli 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte, ebenso wie die Staatsanwaltschaft zu seinen Lasten, Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 hat er beantragt ihm einen Verteidiger zu bestellen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende der 3. Großen Jugendkammer des Landgerichts Tübingen mit Verfügung vom 10. September 2012 abgelehnt.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
1.
Die Beschwerde ist gem. § 304 Abs. 1 StPO zulässig und insbesondere nicht nach § 305 StPO unstatthaft, da hiernach nur solche Entscheidungen einer Beschwerdeanfechtung entzogen sind, die im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen und bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichtes unterliegen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 142 Rn. 19; OLG Celle, NStZ 2009, 56; OLG Stuttgart, NStZ-RR 1996, 207).
2.
Die Beschwerde des Angeklagten ist jedoch unbegründet.
a)
Ob hinsichtlich des Beschwerdeführers ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist, beurteilt sich vorliegend ausschließlich nach § 140 StPO. Soweit der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz auf § 68 JGG verwiesen und vorgetragen hat, im Verfahren vor dem Jugendschöffengericht, respektive nunmehr der Jugendkammer, sei stets von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen, verkennt er, dass diese Norm bei gem. § 103 JGG verbundenen Verfahren gegen Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene nur für die beiden erst genannten, nicht jedoch für die Erwachsenen Mitangeklagten gilt. Für diese beurteilt sich die Notwendigkeit der Verteidigung ausschließlich nach § 140 StPO (Eisenberg, JGG, 15. Auflage, § 68 Rn. 1 und 2).
b)
Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach dem Katalog des § 140 Abs. 1 StPO ist vorliegend nicht gegeben. Insbesondere wird dem Angeklagten kein Verbrechen zur Last gelegt (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Nach teilweiser Ansicht (Meyer-Goßner, StPO, § 140 Rn. 12) ist von einer Zurlastlegung in diesem Sinne nur dann auszugehen, wenn der Beschuldigte wegen eines Verbrechens angeklagt ist, eine entsprechende Nachtragsanklage nach § 266 StPO erhoben wurde oder er in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit einer Verbrechensverurteilung nach § 265 Abs. 1 StPO hingewiesen wird (KG Berlin StV 85, 184; Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 12). Die Gegenansicht (OLG Bremen StV 1984, 13; Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage, § 140 Rn. 9; Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 140 Rn. 24) geht demgegenüber davon aus, dass eine Zurlastlegung im Gesetzessinne bereits dann anzunehmen sei, wenn die nicht nur entfernte Möglichkeit besteht, dass die dem Gericht unterbreitete Tat als Verbrechen beurteilt werden wird. Welcher Ansicht zu folgen ist kann vorliegend deshalb dahinstehen, da die seitens des Angeklagten geführte Argumentation, ihm drohe auch eine Verfolgung wegen eines Verbrechens des Raubes nach § 249 StGB, da den Opfern in vorliegender Sache Teile ihrer Fanausrüstung weggenommen wurden, als fernliegend einzustufen ist. Es ist vielmehr in keiner Weise ersichtlich, dass sich die Angeklagten Fans von die seitens der Geschädigten mitgeführten Schals, Trikots und Fahnen des zueignen wollten.
c)
Ebenso ist die Mitwirkung eines Verteidigers auch nicht nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO geboten. Die Schwere der Tat bedingt dies vorliegend eindeutig nicht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die zu erwartenden Rechtsfolgen einschneidend sind (BGHSt 6, 199). Die hierzu ergangene, mittlerweile als verfestigt anzusehende höchstrichterliche Rechtsprechung nimmt dies regelmäßig ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheits- oder Jugendstrafe an (Laufhütte, a.a.O., § 140 Rn. 21 m.w.N.). Der Angeklagte ist vorliegend erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Zwar hat die Staatsanwaltschaft zu seinen Lasten Berufung eingelegt, jedoch steht gleichwohl keine Strafe zu erwarten, die die Schwelle von einem Jahr Freiheitstrafe auch nur annähernd erreicht. Soweit der Angeklagte hierzu vorträgt, bereits die Anklageerhebung zum Jugendschöffengericht habe die entsprechend hohe Straferwartung der Staatsanwaltschaft erkennen lassen, verkennt er, dass das Jugendschöffengericht gem. den §§ 39, 40 JGG bereits dann zuständig ist, wenn die Verhängung von Jugendstrafe zu erwarten ist. Die zu erwartende Überschreitung der Rechtsfolgenkompetenz des Jugendrichters nach § 39 Abs. 2 JGG wird gerade nicht vorausgesetzt.
d)
Auch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage führt vorliegend nicht zur Notwendigkeit der Verteidigung. Soweit der Beschwerdeführer hierzu vorträgt die besondere Schwierigkeit ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass in erster Instanz an fünf Tagen verhandelt worden sei und die Akte mittlerweile mehr als 500 Seiten umfasse überzeugt dies nicht, da beide Umstände vielmehr der Tatsache zuzurechnen sind, dass gegen 15 Mittäter Anklage erhoben wurde. Auch die Argumentation, es sei notwendig gewesen einen Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden der Jugendkammer zu stellen führt ebenso wenig zur Annahme einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, wie die seitens des Verteidigers erfolgte Ankündigung der Stellung zahlreicher Beweisanträge für die Berufungshauptverhandlung. Eine derartige Rechtsansicht würde vielmehr dazu führen, dass der Angeklagte durch die Stellung entsprechender Anträge selbst die Notwendigkeit einer Verteidigerbeiordnung bewirken könnte. Es ist allenfalls denkbar, dass sich bei bestimmten Fallgestaltungen die Notwendigkeit der Stellung von Anträgen aus der Komplexität der Sache selbst ergibt. So liegt der Fall vorliegend jedoch eindeutig nicht. Überdies war der seitens des Angeklagten gestellte Ablehnungsantrag, der mittlerweile seitens des Landgerichts Tübingen zurückgewiesen wurde, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NStZ 2011, 44; 2012, 519) zu etwaiger Befangenheit bei vorangegangener Tätigkeit in abgetrennten oder Parallelverfahren, eindeutig unbegründet.
e)
Zuletzt war auch kein Umstand ersichtlich, aufgrund dessen der Angeklagte unfähig wäre sich selbst zu verteidigen. Soweit er diesbezüglich vorträgt, dem Mitangeklagten sei bereits erstinstanzlich durch Beschluss des Amtsgerichts Reutlingen vom 06. Juli 2010 gem. § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt worden, weshalb es der Grundsatz des fairen Verfahrens und das Prinzip der Waffengleichheit gebiete nun auch ihm einen Verteidiger beizuordnen, überzeugt dies nicht. Zwar kann der Angeklagte auf zahlreiche Rechtsprechung verweisen, die die Notwendigkeit der Verteidigerbestellung bei verteidigtem Mitangeklagten entweder uneingeschränkt (OLG Celle, StV 2006, 686; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2007, 244; LG Bremen, StV 2005, 81; LG Freiburg, StraFo 2009, 384; LG Kassel, Beschluss vom 11. Februar 2010, 3 Qs 27/10, zitiert nach [...]; LG Köln, Beschluss vom 23. Juli 2009, 111 Qs 312/09, zitiert nach [...]; LG Magdeburg, Beschluss vom 29. September 2010, 21 Qs 805 Js 70914/10, zitiert nach [...]; AG Saalfeld, NStZ-RR, 2000, 219), oder zumindest dann annimmt, wenn die bloße Möglichkeit einer gegenseitigen Bezichtigung von verteidigten und nicht verteidigten Angeklagten besteht (OLG Brandenburg, NStZ-RR 2002, 184; LG Oldenburg, Beschluss vom 07. August 2000, 1 Qs 118/00, zitiert nach [...]; LG Kiel, Beschluss vom 10. Oktober 2008, 32 Qs 146/08, zitiert nach [...]; ähnlich aber letztlich offen gelassen OLG Hamm, StV 2009, 85).
Die Gegenansicht (OLG Köln, Beschluss vom 20. Juni 2012, 2 Ws 466/12, zitiert nach [...]) ist der Meinung, dass es einen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass einem Angeklagten ein Pflichtverteidiger nur deshalb beizuordnen ist, weil auch der Mitangeklagte einen solchen hat, nicht existiert. Dieser Rechtsansicht schließt sich der Senat an. Weder der Grundsatz des fairen Verfahrens, noch das Prinzip der Waffengleichheit sprechen für die grundsätzliche Annahme einer Selbstverteidigungsunfähigkeit des Angeklagten, sofern ein Mitangeklagter anwaltlich vertreten ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es besondere Konstellationen geben mag, bei deren Vorliegen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten ist. Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn Mitangeklagte sich tatsächlich gegenseitig belasten und zu einer angemessenen Verteidigung die Kenntnis des Akteninhalts von entscheidender Bedeutung ist. Dies ist jedoch im Einzelfall zu beurteilen und entzieht sich der Annahme einer generellen Vermutung, wie sie der Gesetzgeber einzig für den Fall kodifiziert hat, dass dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist (§ 140 Abs. 2 Satz 1 StPO). Selbst für den Parallelfall, dass sich der Nebenkläger auf eigene Kosten eines Beistandes bedient wird man nicht von einer generellen Erweiterung der gesetzlichen Vermutungsregelung ausgehen können (KG Berlin, Urteil vom 14. März 2012, 161 Ss 508/11, zitiert nach [...]).
In vorliegender Sache wurde einem der Mitangeklagten einzig aus individuellen Gründen, wegen des drohenden Widerrufes einer Strafaussetzung zur Bewährung, ein Pflichtverteidiger bestellt. Daraus allein ergibt sich die Notwendigkeit den 14 weiteren Angeklagten jeweils Verteidiger zu bestellen nach Ansicht des Senates eindeutig nicht. Überdies liegen keine gegenseitigen Bezichtigungen der Angeklagten vor, die vielmehr bislang in beiden Instanzen geschwiegen haben. Auch ist nicht erkennbar, warum die detaillierte Kenntnis des Akteninhalts zur Herstellung einer etwaigen Waffengleichheit vorliegend unerlässlich sein sollte. Insgesamt liegen daher keine Besonderheiten im Einzelfall vor, die es rechtfertigen würden von einer Notwendigkeit der Verteidigung auszugehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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Pflichtverteidiger: Inhaftierter Beschuldigter
Hat der inhaftierte r Beschuldigte ausdrücklich erklärt, die Auswahl des Pflichtverteidigers dem Ermittlungsrichter zu überlassen und hat er selbst keinen gewünschten Verteidiger benannt, verbleibt es i.d.R. bei der Auswahl der Ermittlungsrichters, und zwar auch dann, wenn sich später ein anderer Verteidiger meldet, diese Meldung den Ermittlungsrichter vor der Bestellung des Pflichtverteidigers nicht mehr erreicht (§§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 143 StPO).
LG Dresden, Beschl. v. 4. 2. 2013 - 1 Qs 1/13
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JGG § 68 Nr. 1

Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung im Jugendstrafverfahren; Schwere der Tat

1. Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung im Jugendstrafverfahren gelten die Grundsätze, die auch bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafverfahren gegen Erwachsene gelten; den Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens ist jedoch Rechnung zu tragen.

2. Für die Gewichtung des Tatvorwurfs ist auch im Jugendstrafrecht maßgeblich auf die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung abzustellen. Die Schwere der Tat gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich auch im Jugendstrafrecht jedenfalls dann, wenn nach den Gesamtumständen eine Freiheitsentziehung von mindestens einem Jahr zu erwarten ist oder jedenfalls angesichts konkreter Umstände in Betracht kommt.

3. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist nicht allein deshalb notwendig, weil Anklage vor dem Jugendschöffengericht erhoben worden oder überhaupt die Verhängung einer Jugendstrafe, deren Mindestmaß nach § 18 Abs. 1 Satz 1 JGG mit sechs Monaten deutlich über dem Mindestmaß der Freiheitsstrafe liegt, zu erwarten ist.

KG, Beschluss vom 26. November 2012 – (4) 161 Ss 226/12 (286/12) –

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Nebenklägerbeistand: Zulässigkeit der gleichzeitigen Vertretung mehrerer Nebenkläger
Die gleichzeitige Vertretung mehrerer Nebenkläger durch denselben Rechtsbeistand ist grundsätzlich zulässig. In Fällen gleichgelagerter Interessen zahlreicher Nebenkläger kann es im Rahmen des gemäß §§ 397 a Abs. 3 Satz 2, 142 Abs. 1 StPO durch den Vorsitzenden auszuübenden Ermessens bei der Auswahl des Rechtsbeistands zulässig sein, die Bestellung jeweils eigener Rechtsbeistände für die Nebenkläger abzulehnen, wenn ein sachlicher Grund für die Bestellung personenverschiedener Rechtsbeistände nicht vorliegt und die Wahrnehmung der Interessen der Nebenkläger in dem Verfahren auch durch einen einzelnen Rechtsbeistand sachgerecht erfolgen kann (Gruppenvertretung). Auch nach der Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO gehört die Ortsnähe des Rechtsanwalts zu den durch den Vorsitzenden bei der Auswahl eines Pflichtverteidigers bzw. Rechtsbeistands zu berücksichtigenden Gesichtspunkten (Anschluss an OLG Köln StRR 2011, 63 m. abl. Anm. Burhoff).
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Pflichtverteidiger: Entpflichtung; Verletzung des Anhörungsrechts
Eine Pflichtverteidigerbestellung ist für den Angeschuldigten mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. Satz 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat. Ist die Anhörung (§ 142 Abs. 1 Satz 1 StPO) des Angeschuldigten vor der Beiordnung eines Pflichtverteidigers unzulässig unterblieben, muss die Beiordnung nach § 143 StPO zurückgenommen werden, wenn sich für den Angeschuldigten ein Wahlverteidiger meldet, und zwar auch dann, wenn er seinerseits die Beiordnung beantragt. Durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen sind wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht unbegrenzt hinnehmbar. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 11. 3. 2013 - Ws 2/13


Beim Vorwurf eines Diebstahls mit Waffe gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB ist die Mitwirkung eines Verteidigers insbesondere dann geboten, wenn die Frage des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt hinsichtlich des Beisichführens der Waffe streitig ist.
21 Qs-222 Js 347/12-98/12 82 Ds 439/12
Landgericht Bonn
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
gegen pp.
Verteidiger: Rechtsanwältin Andrea Klamser, Kaiserstr. 1 c, 53113 Bonn
hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts auf die Beschwerde vom 10.12.2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 27.11.2012 - Az: 82 Ds 439/12 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am 07.01.2013 beschlossen:
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 27.11.2012 - Az. 82 Ds 439/12 - wird aufgehoben.
2. Dem Angeklagten XX. wird Rechtsanwältin Andrea Klamser, Kasierstr. 1c, 53113 Bonn als Pflichtverteidigerin bestellt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
Die Pflichtverteidigerbestellung ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO veranlasst, da wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage bezüglich der Feststellung eines Diebstahls mit Waffe gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Insbesondere die Frage des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt hinsichtlich des Beisichführens des Teleskopschlagstocks erscheint nicht einfach angesichts dessen, dass der Angeklagte angegeben hat, den Teleskopschlagstock berufsmäßig als Sicherheitsfachkraft dabei gehabt zu haben (vgl. etwa OLG Hamm v. 02.01.2007, Az. 2 Ss 459/06, juris-Rn. 10; BayObLG v. 25.02.1999, Az. 5St RR 240/98, juris-Rn. 8).

StPO §§ 140 Abs. 2, 412

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO bei Berufung gegen ein Verwerfungsurteil nach § 412 StPO.

KG, Beschluss vom 10. Mai 2012 -2 Ws 194-195/12




KAMMERGERICHT

Beschluss


Geschäftsnummer:
2 Ws 194-195/12 - 141 AR 212/12


In der Strafsache gegen

M. V.,
geboren am
wohnhaft in,
Vorderhaus Etage 3 rechts,


wegen Geldwäsche

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 10. Mai 2012 beschlossen:

1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer XY des Landgerichts Berlin vom 22. Februar 2012 wird verworfen.

2. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der XY. Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 6. März 2012 wird verworfen.

3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.



G r ü n d e :

Das Amtsgericht Tiergarten verhängte gegen die Beschwerdeführerin mit Strafbefehl vom 22. Dezember 2010 wegen Geldwäsche eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 Euro und ordnete die Einziehung von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 10.000 Euro an. Der Angeklagten wurde zur Last gelegt, am 13. Januar 2010 durch Barabhebung von 9.500 Euro von ihrem Konto über einen Betrag verfügt zu haben, den ihr gesondert verfolgter Ehemann ihr unter unbefugter Inanspruchnahme eines Dispositionskredites zu Lasten eines von ihm unter falschen Personalien eröffneten Kontos überwiesen hatte.

Die Angeklagte legte gegen den Strafbefehl rechtzeitig Einspruch ein und beantragte zugleich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Nachdem das Amtsgericht die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt und das Landgericht die hiergegen gerichtete Beschwerde der Angeklagten verworfen hatte, beraumte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung an. Die Angeklagte, die weiterhin die Beiordnung eines Verteidigers begehrte, blieb diesem Termin fern und war auch nicht durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten. Daraufhin verwarf das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl gemäß § 412 StPO mit Urteil vom 14. September 2011, gegen das die Angeklagte (neben einem inzwischen rechtskräftig abgelehnten Wiedereinsetzungsantrag) Berufung einlegte.

1. Den Antrag der Angeklagten auf Bestellung des Rechtsanwaltes Dr. A zu ihrem Verteidiger für das Berufungsverfahren lehnte die geschäftsplanmäßig zuständige Vorsitzende der nunmehr zuständigen Berufungskammer XY mit Beschluss vom 22. Februar 2012 ab. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Angeklagten.

2. Ferner lehnte die Angeklagte die Richterin, die den Beschluss erlassen hatte, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Ablehnung wurde durch Beschluss der XY. Strafkammer vom 29. Februar 2012 in der Besetzung mit der geschäftsplanmäßigen Vertreterin der Vorsitzenden als unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin lehnte die Angeklagte diese Richterin am 1. März 2012 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieses Ablehnungsgesuch verwarf die abgelehnte Richterin mit Beschluss vom 6. März 2012 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Angeklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 10. März 2012.

II.

1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss vom 22. Februar 2012 ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist insbesondere nicht durch die Vorschrift des § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, die auch für Entscheidungen des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts gilt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2008 – 2 Ws 522/08 -; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 305 Rn. 3 mit weit. Nachweisen). Denn der angegriffene Beschluss steht in keinem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung, sondern dient unabhängig davon der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und hat daher eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. KG StV 2010, 63; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 Ws 612/06 – mit weit. Nachweisen; std. Rspr.).

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Strafkammervorsitzende hat die beantragte Pflichtverteidigerbestellung zu Recht abgelehnt, da die Voraussetzungen des – hier allein in Betracht kommenden - § 140 Abs. 2 StPO nicht gegeben sind.

a) Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage gebietet die Mitwirkung eines Verteidigers.

aa) Ob eine Pflichtverteidigerbestellung wegen der Schwere der Tat erforderlich ist, richtet sich in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner, § 140 StPO Rdnr. 23 mit weit. Nachweisen). Eine Tat ist insbesondere dann regelmäßig als schwer anzusehen, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr (vgl. KG VRS 95, 113; Beschlüsse vom 28. September 2010 – 3 Ws 488/10 - und 17. November 2009 – 3 Ws 619/09 –; std. Rspr.; Meyer-Goßner a.a.O. mit weit. Nachseisen) oder eine gravierende Maßregel der Besserung und Sicherung droht (vgl. Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO 6. Aufl., § 140 Rdn. 21). Neben der im hiesigen Verfahren zu erwartenden strafrechtlichen Sanktion sind auch die weiteren –mittelbaren - Auswirkungen eines Schuldspruchs auf den Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. OLG Brandenburg NJW 2005, 521; KG, Beschlüsse vom 17. November 2009 – 3 Ws 619/09 -, 29. Juni 2009 – (3) 1 Ss 129/09 (77/09) und 9. Juli 2008 – (3) 1 Ss 83/08 (80/08) -; Laufhütte a.a.O.; Meyer-Goßner, § 140 StPO Rdn. 25). Das Ergebnis der Gesamtschau der strafrechtlichen Sanktion und der weiteren Auswirkungen entscheidet darüber, ob die Folgen einer Verurteilung so schwer wiegen, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Daher kann bei Hinzutreten eines sonstigen schwerwiegenden Nachteils auch bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsentzug die Beiordnung eines Verteidigers geboten sein (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. November 2009 – 3 Ws 619/09 –, 10. September 2008 – 3 Ws 263/08 – und 9. Juli 2008 – (3) 1 Ss 83/08 (80/08); OLG Brandenburg a.a.O.).

Danach war die Beiordnung eines Verteidigers hier nicht geboten. Das Amtsgericht hat gegen die Angeklagte lediglich eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 Euro verhängt. Diese Strafe wiegt auch unter Berücksichtigung der zusätzlich angeordneten Einziehung von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 10.000 Euro nicht so schwer, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung anzunehmen wäre. Zwar kann die Einziehung wertvoller Gegenstände eine schwerwiegende Rechtsfolge im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO darstellen (vgl. KG VRS 95, 113; Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 21). Es bedarf insoweit jedoch – wie dargelegt – einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände. Danach ergibt sich hier mit der Geldstrafe und der daneben angeordneten Einziehung insgesamt nur ein – betragsmäßig begrenzter – Vermögensnachteil für die Angeklagte. Der Fall unterscheidet sich damit grundlegend von der zuvor durch das Kammergericht entschiedenen Konstellation (VRS 95, 113), bei der eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit der Einziehung von drei Kraftfahrzeugen sowie der Anordnung einer Fahrerlaubnissperre von 18 Monaten zusammentraf. Anhaltspunkte für sonstige mittelbare Auswirkungen – etwa die konkrete Gefahr einer der Angeklagten als Ausländerin drohenden Ausweisung (vgl. KG, Beschluss vom 10. September 2008 – 3 Ws 263/08 -) – sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Da sich die Angeklagte mit ihrer Berufung gegen ein nach § 412 StPO ergangenes Verwerfungsurteil wendet, hat die Strafkammer allein darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs gegen den Strafbefehl vorgelegen haben (vgl. Meyer-Goßner, § 412 StPO Rdn. 10). War dies der Fall, so verbleibt es bei der Verwerfungsentscheidung; anderenfalls wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen (Meyer-Goßner a.a.O.). Danach geht es im Berufungsverfahren nur um den Bestand des bereits erlassenen Strafbefehls mit der oben dargelegten Rechtsfolgenentscheidung.

bb) Eine schwierige Sachlage ist gegeben, wenn die Feststellungen zur Täterschaft oder Schuld eine umfangreiche, voraussichtlich länger dauernde Beweisaufnahme erfordern, wenn – bei voraussichtlich kurzer Beweisaufnahme – besondere Probleme auftreten oder wenn die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet werden kann (vgl. Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 22 mit weit. Nachweisen; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 Ws 612/06 -). Die Rechtslage ist schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt oder die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird; dabei wird häufig eine Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage vorzunehmen sein, um den Schwierigkeitsgrad zu beurteilen (vgl. Senat NJW 2008, 3449; Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 23).

Danach ist die Mitwirkung eines Verteidigers im vorliegenden Fall nicht geboten. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht der Tatvorwurf als solcher, sondern – wie dargelegt – allein die Frage, ob das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl zu Recht nach § 412 StPO verworfen hat, ob also insbesondere die Angeklagte der auf ihren Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben ist. Eine Verhandlung zur Sache findet nicht statt. Zwar kann auch die Beurteilung der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 412 Satz 1 StPO besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig machen (vgl. OLG Stuttgart StV 2005, 657 – juris Rdn. 12). Derartige Schwierigkeiten sind im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich.

Ebenso wenig bedarf es zur Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung umfassender Kenntnis des bisherigen Akteninhalts. Vielmehr reicht die (zum Teil bereits erfolgte) Erteilung von Auskünften und Abschriften an die Angeklagte (§ 147 Abs. 7 StPO) im vorliegenden Verfahren - das insbesondere keine aufwendigen Ermittlungen zwecks Prüfung der Wirksamkeit von Zustellungen erfordert (zu einer solchen Konstellation vgl. OLG Düsseldorf VRS 83, 193) – zur Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung ohne weiteres aus.

b) Es bestehen schließlich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann.

Die Ausländereigenschaft begründet nicht automatisch das Erfordernis einer Verteidigerbestellung (vgl. KG, Beschluss vom 6. Januar 2009 – 4 Ws 1/09 –). Zwar kann die Unkenntnis der Verhandlungssprache im Rahmen des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dazu führen, dass dem Angeklagten wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ein Verteidiger zu bestellen ist. Insoweit sind jedoch die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. KG, Beschluss vom 17. September 2002 – 4 Ws 146/02 -); denn die Sprachunkundigkeit eines Angeklagten steht der Annahme einer ausreichenden eigenen Verteidigungsfähigkeit nicht ausnahmslos entgegen (vgl. BGHSt 46, 178; OLG Karlsruhe StV 2005, 655; Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 24). Einer Pflichtverteidigerbestellung bedarf es daher nicht, wenn die mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch den Einsatz von Übersetzungshilfen, insbesondere durch die (unentgeltliche) Hinzuziehung eines Dolmetschers, angemessen ausgeglichen werden können (vgl. OLG Karlsruhe StV 2005, 655; KG, Beschluss vom 17. September 2002 – 4 Ws 146/02 -). So liegt es hier. Sprachliche Defizite der Angeklagten können in Anbetracht der auch für einen juristischen Laien überschaubaren Sach- und Rechtslage im Berufungsverfahren durch Hinzuziehung eines vereidigten Dolmetschers in der Hauptverhandlung so weit ausgeglichen werden, dass eine sachgerechte Verteidigung gewährleistet ist.

Einschränkungen der Verteidigungsfähigkeit lassen sich schließlich auch nicht daraus herleiten, dass die Beschwerdeführerin die Bestellung eines Betreuers zur Regelung ihrer rechtlichen Angelegenheiten anstrebt. Vielmehr lässt der bisherige Gang des Verfahrens erkennen, dass die Beschwerdeführerin ohne weiteres in der Lage ist, ihre Interessen mit Nachdruck zu vertreten.

2. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 6. März 2012 ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 28 Abs. 2 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie ist nicht durch § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeschlossen. Denn der nach § 27 StPO zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen den erkennenden Richter – hier die geschäftsplanmäßig zuständige Vorsitzende der XY. Strafkammer - berufene Richter – hier die geschäftsplanmäßige Vertreterin der Vorsitzenden - ist zwar seinerseits ebenfalls "erkennender Richter" im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 2. Februar 1995 – 1 Ws 193/94 – juris; KG JR 1976, 26; Beschluss vom 21. August 2007 – 3 Ws 452/07 -). Diese Eigenschaft endet indes, wenn er über das Ablehnungsgesuch entschieden hat (vgl. BGH NStZ 2007, 719; OLG Dresden a.a.O.; OLG NStZ 1999, 50; Meyer-Goßner, § 28 StPO Rdn. 6).

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Strafkammer hat das Ablehnungsgesuch der Angeklagten vom 1. März 2012 mit zutreffenden Erwägungen als unzulässig verworfen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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OLG Hamm, 24.10.2012, III-3 Ws 215/12

Gericht: OLG Hamm
Datum: 24.10.2012
Aktenzeichen: III-3 Ws 215/12
Entscheidungsform: Beschluss
JURION Fundstelle: JurionRS 2012, 27076
Verfahrensgang: vorgehend:
LG Detmold - AZ: 4 StVK 202/11
Amtlicher Leitsatz:
1. 1.
Der Senat hält daran fest, dass die nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Verfahrensbeendigung nicht möglich ist.
2. 2.
Dies gilt auch dann, wenn das Gericht erster Instanz die prozessuale Überholung durch (grob) unrichtige Sachbehandlung provoziert und der Verteidiger es aus offensichtlicher Unkenntnis versäumt hat, dem durch die Einlegung einer Untätigkeitsbeschwerde entgegenzuwirken.
Tenor:
Die Beschwerde ist gegenstandslos.
Gründe
I.
Der Verurteilte wendet sich gegen einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold vom 2. Februar 2012, mit dem diese es abgelehnt hatte, ihm im Verfahren über eine Reststrafenaussetzung einen Verteidiger zu bestellen.
Das Landgericht Bielefeld hatte den Beschwerdeführer am 24. Januar 2007 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung und in zwei Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Er hatte seine damals sechs bzw. sieben Jahre alte Tochter sexuell missbraucht. Das Urteil wurde am 24. Januar 2007 rechtskräftig. Bereits seit dem 10. August 2005 hatte sich der Verurteilte in Untersuchungshaft befunden.
Nach Rechtskraft des Urteils verbüßte der Verurteilte seine Strafe zunächst in der JVA C, von wo aus er im Juni 2007 zunächst in die JVA I, im September 2007 dann in die sozialtherapeutische Abteilung der JVA E verlegt wurde. Zum 2/3-Termin am 8. Dezember 2010 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold eine Reststrafenaussetzung ab.
Der Verurteilte stellte am 1. September 2011 durch Schriftsatz seiner Wahlverteidigerin Rechtsanwältin Q ein Reststrafengesuch. Nach einem Anhörungstermin am 10. Januar 2012 beschloss die Strafvollstreckungskammer, gemäß § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung entgegen standen. Daraufhin beantragte der Verurteilte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Januar 2012, ihm Rechtsanwältin Q als Verteidigerin zu bestellen.
Die Strafvollstreckungskammer teilte zunächst schriftlich mit, dass die Voraussetzungen einer Bestellung nicht erfüllt seien und fragte an, ob der Antrag zurückgenommen werde. Als der Verurteilte durch weiteren Schriftsatz seiner Verteidigerin auf einer Bestellung bestand, lehnte die Kammer diese schließlich mit dem jetzt angefochtenen Beschluss vom 2. Februar 2012 ab und führte zur Begründung aus:
"(...) Die hier anstehende Entscheidung, ob die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Etwas anderes ergibt sich auch nicht allein aus dem Umstand, dass hier ein Sachverständigengutachten zu der Frage, ob Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen, eingeholt werden muss. Schließlich ist nicht erkennbar, dass der Verurteilte unfähig ist, sich selbst zu verteidigen."
Durch Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 21. März 2012, eingegangen beim Landgericht Bielefeld am gleichen Tage, legte der Verurteilte Beschwerde gegen den Beschluss ein. Mit Schreiben vom 27. März 2012 fragte die Strafvollstreckungskammer bei der Verteidigerin an, ob die Weiterleitung der Akten an das OLG Hamm "sofort oder erst nach Erstellung des Gutachtens durch den Sachverständigen T erfolgen" solle. Da sich die Akten beim Sachverständigen befänden und zurückgefordert werden müssten, könne es zu einer Verzögerung der Gutachtenerstattung kommen. Die Verteidigerin antwortete mit Schreiben vom 3. April 2012, dass über die Beschwerde ohne Verzögerung entschieden werden könne, notfalls müssten Zweitakten angefertigt werden. Die Kammer reagierte hierauf zunächst nicht. Nachdem am 11. April 2012 die Akten mitsamt dem Gutachten wieder bei Gericht eingegangen waren, beraumte sie mit Verfügung vom 17. April 2012 einen Anhörungstermin auf den 8. Mai 2012 an. Im Ladungsschreiben an die Verteidigerin heißt es:
"(...) Weiter gehe ich davon aus, dass die Vorlage der Beschwerde vom 21. März 2012 an das Oberlandesgericht Hamm nunmehr nach der Entscheidung über die Strafaussetzung erfolgen kann, andernfalls müsste der Anhörungstermin aufgehoben werden. Die Akten sind sowohl für die Entscheidung über die Strafaussetzung als auch für die Entscheidung über die Beschwerde nicht entbehrlich. Die Erstellung von Zweiakten kommt angesichts des Umfangs des Vollstreckungsheftes mit 365 Seiten nicht in Betracht."
Hierauf reagierte die Verteidigerin nicht. Im Termin vom 8. Mai 2012 wurde der Verurteilte von einer Kanzleikollegin der Verteidigerin vertreten. Die Strafvollstreckungskammer beschloss am gleichen Tage, die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Der Beschluss ist seit dem 23. Mai 2012 rechtskräftig. Der Verurteilte wurde aus der Strafhaft entlassen.
Die Akten gingen am 8. August 2012 beim Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde ein.
II.
Die Beschwerde ist als einfache, nicht fristgebundene Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Indes ist sie gegenstandslos. Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache verwehrt, da das Verfahren über die Aussetzung der Reststrafe durch den Beschluss der Kammer vom 8. Mai 2012 rechtskräftig abgeschlossen ist, so dass ein Verteidiger nicht mehr beigeordnet werden kann:
1. Dem Verurteilten ist allerdings zuzugeben, dass die Strafvollstreckungskammer ihm antragsgemäß einen Verteidiger hätte bestellen müssen. Nach § 140 Abs. 2 StPO, der nach allgemeiner Auffassung im Vollstreckungsverfahren entsprechend gilt (vgl. Bundesverfassungsgericht NJW 2002, 2773), bestellt der Vorsitzende namentlich dann einen Verteidiger, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Diese Voraussetzung war erfüllt, denn die Sachlage war schwierig. Zur Entscheidung war ein Sachverständigengutachten einzuholen und auszuwerten, dass zu komplexen psychiatrisch-psychologischen Fragen Stellung nehmen musste: Der Verurteilte, der gravierende Straftaten begangen hatte, befand sich bereits seit mehr als sechs Jahren in Haft. Einer Stellungnahme des psychologischen Dienstes der JVA E vom 24. Oktober 2012 zufolge war er unter zwei Diagnosen behandelt worden, nämlich einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, zwanghaften und anderen Anteilen (ICD-10: F61) sowie einer Pädophilie (ICD-10: F65.4). Hinzu kommt, dass die Strafvollstreckungskammer die vorzeitige Entlassung bereits einmal abgelehnt hatte. Unter diesen Umständen, insbesondere mit Blick auf das vielschichtige Krankheitsbild des Verurteilten, war die Mitwirkung eines Verteidigers unabdingbar, um ihn in die Lage zu versetzen, seine Verfahrensrechte wahrzunehmen (zu einem ähnlich liegenden Fall vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20.09.2011, Az. 2 Ws 242/11, bei [...] = StraFO 2011, 523).
2. Überdies entsprach das Verfahren der Strafvollstreckungskammer nach Eingang der Beschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Verfahrensgestaltung verstieß gegen den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch des Verurteilten auf ein faires Verfahren:
Nach § 306 Abs. 2 StPO hat das Gericht, falls es nicht abhilft, eine Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen. Diese Vorschrift hat die Strafvollstreckungskammer nicht beachtet: Die Beschwerde ist mit einer Verzögerung von mehr als vier Monaten beim Oberlandesgericht eingegangen.
Unzulässig war es in diesem Zusammenhang, dem Beschwerdeführer mit dem Schreiben vom 27. März 2012 nahezulegen, auf die Einhaltung der Frist des § 306 Abs. 2 StPO zu verzichten, da andernfalls die Erstellung des Gutachtens verzögert werden könne. Sowohl das Verfahren über die Aussetzung der Reststrafe als auch das Beschwerdeverfahren sind beschleunigt zu führen: Für das Aussetzungsverfahren ergibt sich dies aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, der in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die angemessene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens gewährleistet (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.09.2010, Az. 2 BvR 447/10, bei [...] = StV 2011, 41). Das Beschleunigungsgebot für das Beschwerdeverfahren lässt sich bereits dem einfachen Recht in § 306 Abs. 2 StPO entnehmen. Notfalls müssen zur Beschleunigung Zweiakten angelegt werden, und zwar zweckmäßigerweise bereits vor Aktenversendung, wenn - wie hier - eine Beschwerde zu erwarten ist. Eine Verknüpfung der Art, nach Wahl des Betroffenen werde entweder das eine oder das andere Verfahren gefördert, kommt nicht in Betracht.
Rechtsfehlerhaft hat die Strafvollstreckungskammer zudem der Verteidigerin am 17. April 2012 mitgeteilt, sie - die Kammer - gehe davon aus, dass die Vorlage der Beschwerde nach Entscheidung über die Strafaussetzung erfolgen könne; andernfalls müsse der Anhörungstermin aufgehoben werden. Die Erstellung von Zweitakten komme wegen des Aktenumfangs nicht in Betracht. Denn einerseits beinhaltete diese Mitteilung stillschweigend, eine dem Verurteilten günstige Entscheidung über die Bestellung sei nach der Aussetzungsentscheidung überhaupt noch möglich. Dies aber ist unzutreffend (siehe sogleich). Andererseits war es erneut unzulässig, eine Verzögerung des Aussetzungsverfahrens für den Fall in Aussicht zu stellen, dass die Verteidigerin auf der unverzüglichen (und gesetzlich gebotenen) Aktenvorlage beim Beschwerdegericht bestehen sollte. Weshalb das Erstellen von Zweitakten nicht in Frage kam, erschließt sich nicht. Jedenfalls ist es von der Strafprozessordnung offenkundig nicht gedeckt, die Gewährung von Rechtsschutz von der Blattzahl der Verfahrensakten abhängig zu machen. Bei einer Überlastung der für die Anfertigung von Kopien zuständigen Geschäftsstelle oder Wachtmeisterei - zu der sich aus den Akten allerdings nichts ergibt - müssen Eilsachen vorgezogen werden.
3. Die materielle Unrichtigkeit des Beschlusses vom 2. Februar 2012 und die vorgenannten Verfahrensfehler der Strafvollstreckungskammer ändern jedoch nichts daran, dass die Beschwerde gegenstandslos ist. Der Senat hält an der nach wie vor herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung fest, nach der eine nachträgliche (rückwirkende) Bestellung eines Verteidigers nicht mehr möglich ist, sobald das betreffende Verfahren - wie hier - rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 20.07.2009, 1 StR 344/08, bei [...] = NStZ-RR 2009, 348; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2008, Az. 4 Ws 181/08, bei [...] = NStZ-RR 2009, 113; Kammergericht, Beschluss vom 09.03.2006, Az. 5 Ws 563/05, bei [...] = StV 2007, 372).
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Die Strafprozessordnung enthält zwar keine ausdrückliche Regelung, bis zu welchem Zeitpunkt ein Verteidiger bestellt werden kann. Aus dem Gesamtzusammenhang der §§ 140 ff. StPO ergibt sich aber, dass die Bestellung eines Verteidigers einem einzigen Zweck dient: Nämlich das Verfahren justizförmig und rechtsstaatlich zu führen, wenn in bestimmten schwerwiegenden Fällen der Angeklagte bzw. (bei entsprechender Anwendung im Strafvollstreckungsverfahren) der Verurteilte eines rechtskundigen Beistands bedarf. Sie geschieht damit im öffentlichen Interesse, nicht im Kosteninteresse des jeweils Betroffenen. Daraus folgt weiter, dass ein Verteidiger im Laufe eines Verfahrens nur so lange bestellt werden kann, wie er überhaupt noch eine Tätigkeit entfalten kann. Nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss scheidet eine Bestellung aus: Etwaige bisherige Tätigkeiten hat der Verteidiger als Wahlverteidiger erbracht; weitere Tätigkeiten kann er nicht mehr erbringen. Jetzt würde eine Bestellung nur noch dem verfahrensfremden Zweck dienen, eine bereits abgeschlossene Tätigkeit in diejenige eines bestellten Verteidigers umzuwidmen, um ihm einen Anspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (vgl. BGH; OLG Hamm; Kammergericht a.a.O).
Die in der Rechtsprechung der Landgerichte verbreitete Gegenansicht will dagegen eine rückwirkende Bestellung des Verteidigers unter den Voraussetzungen des § 140 StPO auch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss zulassen, wenn ein Antrag rechtzeitig gestellt und nicht beschieden wurde (vgl. nur LG Stuttgart, Beschluss vom 18.07.2008, Az. 7 Qs 64/08, bei [...] = StRR 2009, 226). Diese Rechtsprechung wäre auf den Fall der unterlassenen Weiterleitung einer Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung erst recht anwendbar. Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, es gehe bei der rückwirkenden Bestellung nicht darum, dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen. Vielmehr solle verhindert werden, dass sich ein Gerichtsversehen, auf das der Betroffene keinen Einfluss habe, sich zu seinen Lasten auswirke. Die rückwirkende Bestellung sei ein Fall der Fehlerkorrektur (so ausdrücklich LG Stuttgart, a.a.O.). Müssten Verteidiger befürchten, trotz Vorliegens der Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung für Tätigkeiten vor dem Bestellungsakt keine Vergütung zu erhalten, weil die Bestellung rechtswidrig unterbleibe, wirke sich dies "strukturell" zu Lasten des effektiven Rechtsschutzes aus. Denn Verteidiger würden dann von solchen "vorzeitigen" Tätigkeiten absehen (LG Stuttgart, a.a.O.). Im Übrigen sei auch im Zivilprozessrecht eine rückwirkende Beiordnung eines Rechtsanwalts nach allgemeiner Auffassung der Rechtsprechung zulässig.
Doch diese Auffassung berücksichtigt die institutionelle Zweckbestimmung der notwendigen Verteidigung nicht. Es handelt sich gerade nicht um eine Sozialregelung für mittellose Beschuldigte, da sie nicht von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten bzw. Verurteilten abhängt (vgl. Kammergericht, a.a.O.). Außer Acht lässt die Gegenauffassung auch, dass die Korrektur gerichtlicher Fehler auf andere Weise geregelt ist: So hat der Verurteilte bei fehlender Weiterleitung der Beschwerde die Möglichkeit der Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 304 StPO, weil das Unterlassen hier einer ablehnenden Entscheidung gleichsteht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 304 Rz. 3). Unter den Voraussetzungen des Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB können dem Verurteilten nachträglich Amtshaftungsansprüche zustehen, zumal das so genannte Richterprivileg bei pflichtwidriger Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts nicht gilt (vgl. § 839 Abs. 2 BGB). Schließlich steht ihm der Weg offen, die Dienstaufsicht anzurufen.
Verfehlt ist der Vergleich mit der Prozesskostenhilfe. Diese ist von der Idee chancengleicher Teilhabe beim Verwirklichen des Rechtsschutzes geprägt und demzufolge als Sozialleistung ausgestaltet (vgl. nur Motzer in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 114 Rz. 2). Dies rechtfertigt eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch im Nachhinein. Dieser Gedanke ist auf das Recht der strafprozessualen Verteidigung nicht übertragbar.
In jüngerer Zeit wird allerdings vertreten, die Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eines Verteidigers sei aus Art. 6 Abs. 3c) der Europäischen Menschenrechtskonvention abzuleiten (so etwa Haizmann in KMR-StPO, 6. EL, März 2012, § 141 Rz. 8). Nach dieser Bestimmung hat jede angeklagte Person das Recht, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Daraus folgert etwa Wohlers (StV 2007, 376 ff.), eine konventionskonforme Auslegung der §§ 140 ff. StPO ergebe, dass diese Vorschriften zumindest auch bezweckten, die Möglichkeit des Beschuldigten, sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, nicht von seinen finanziellen Verhältnissen abhängig zu machen. Damit fänden das Fürsorgeprinzip und der Sozialstaatsgedanke in das Recht der Pflichtverteidigung Eingang. Der Anspruch des mittellosen Beschuldigten könne dann aber nicht deshalb obsolet werden, weil die Strafverfolgungsbehörden auf einen Antrag, dem stattzugeben sei, nicht reagierten oder ihn zu Unrecht ablehnten. Daher sei über einen im laufenden Verfahren gestellten Antrag auch dann zu entscheiden, wenn das Verfahren abgeschlossen sei (Wohlers a. a. O., 379).
Der Senat vermag sich dieser Ansicht nicht anzuschließen. Dabei kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls inwieweit ein Verurteilter im Verfahren über die Strafaussetzung zur Bewährung unter den Begriff des Angeklagten im Sinne des Art. 6 Abs. 3 EMRK fällt (vgl. Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 EMRK, Rz. 42). Jedenfalls entspricht es gefestigter (nationaler) Rechtsprechung, dass Art. 6 Abs. 3c) EMRK - soweit er den unentgeltlichen Beistand eines Verteidigers garantiert - ebenfalls vorrangig die Durchführung eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrens sichern soll. Dies wird daraus abgeleitet, die Art. 6 Abs. 3c) EMRK schon nach seinem Wortlaut kein uneingeschränktes Recht auf Beiordnung eines Verteidigers gewährt, sondern dies von der Voraussetzung der Interessen der Rechtspflege abhängig macht. Auf dieser Grundlage ist anerkannt, dass Angeklagten, denen ein Verteidiger bestellt worden ist, nach ihrer Verurteilung die Verteidigerkosten auferlegt werden können (siehe etwa OLG Hamm, Beschluss vom 10.01.2000, Az. 2 Ws 351/99, bei [...] = NStZ-RR 2000, 160; vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.09.2002, 2 BvR 705/02, bei [...]). Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ist daher für die Frage der rückwirkenden Bestellung eines Verteidigers nichts herzuleiten.
Das Beschwerdeverfahren war damit für gegenstandslos zu erklären. Eine Beschwerdegebühr fällt nicht an.


OLG Köln NStZ-RR 2012, 351

OLG Köln NStZ-RR 2012, 251

LG Nürnberg-Fürth StV 2012, 658

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Die Schwere der Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Allerdings ist nicht jede zu erwartende Freiheitsstrafe, aber eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers.
1 Ws 246/12
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
In der Strafsache gegen pp.

- Verteidiger: Rechtsanwalt Jan-Robert Funck aus Braunschweig -
wegen Diebstahls
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 29. Juni 2012


Einsender: RÄin K. Straub, Osnabrück

Anmerkung:


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