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RVG Entscheidungen

§ 48

Erstreckung, Pflichtverteidiger, Rechtsmittel

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 25.11.2013 - Ws 359/13

Leitsatz: Die gebührenrechtliche Erstreckung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG a. F. (jetzt § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG) setzt voraus, das der Verteidiger in dem später hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung bereits (als Wahlverteidiger) eine gebührenauslösende Tätigkeit entfaltet hat.


In pp.
wegen Betruges u.a
hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss der 83. Strafkammer - Kleine Jugendkammer - des Landgerichts Neubrandenburg vom 14.08.2013 -, mit dem sein Antrag zurückgewiesen worden ist, seine Beiordnung gemäß § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG a. F. auf das hinzuverbundene Verfahren 83 Ns 12/13 zu erstrecken, nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 25. November 2013 beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Verteidigers als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde am 17.04.2013 vom Amtsgericht Waren (Müritz) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 06.08.2012 - 383 Ls 1065/12 - zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt (43 Ds 68/12). Am Folgetag (18.04.2013) wurde er ebenfalls vom Amtsgericht Waren (Müritz) wegen Unterschlagung und Betruges nach Erwachsenenstrafrecht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt (407 Ds 58/13).
Der Angeklagte hat gegen beide Urteile Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren bezüglich der Verurteilung vom 17.04.2013 ist unter Geschäftszeichen 83 Ns 9/13 bei der 83. Strafkammer als Kleine Jugendkammer des Landgerichts Neubrandenburg anhängig geworden; das Berufungsverfahren bezüglich der Verurteilung vom 18.04.2013 gelangte zunächst zur 90. Strafkammer des Landgerichts (90 Ns 94/13). Von dort wurde es mit Blick auf die Regelung in § 32 i. V. m. § 105 Abs. 1 JGG an die Jugendkammer abgegeben und dort zunächst unter dem Geschäftszeichen 83 Ns 12/13 registriert.
Mit Schreiben vom 30.05.2013 forderte der Vorsitzende der Jugendkammer im Verfahren 83 Ns 9/13 den Angeklagten auf, einen Verteidiger zum Zwecke der nach „§ 140 StPO“ für erforderlich erachteten Beiordnung zu benennen. Nachdem darauf keine Reaktion erfolgt war, wurde dem Angeklagten mit Beschluss vom 26.06.2013 Rechtsanwalt B. in jenem Verfahren als Verteidiger bestellt. Mit Verfügung vom selben Tag gewährte der Jugendkammervorsitzende dem Rechtsanwalt Einsicht sowohl in die Akten 83 Ns 9/13 wie auch in das zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinzuverbundene Verfahren 83 Ns 12/13 „mdB um Stellungnahme zur beabsichtigten Verbindung“. Mit Schreiben vom 15.07.2013 beantragte der Verteidiger daraufhin, dem Angeklagten auch im Verfahren 83 Ns 12/13 als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Zu der beabsichtigten Verfahrenverbindung wurde ausdrücklich keine Erklärung abgegeben.
Nach zustimmender Äußerung der Staatsanwaltschaft wurden beide Berufungsstrafsachen mit Beschluss vom 25.07.2013 unter Führung des Verfahrens 83 Ns 9/13 verbunden.
Mit Schreiben vom 05.08.2013 beantragte der Verteidiger, „gem. § 48 Abs. 5 RVG festzustellen, dass sich die Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf diejenigen Verfahren erstreckt, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war“. Dies lehnte der Vorsitzende der Jugendkammer mit Beschluss vom 14.08.2013 mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Erstreckung lägen nicht vor, weil der Verteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren (gemeint: 83 Ns 12/13) vor der Verbindung und vor seiner Beiordnung im führenden Verfahren nicht tätig gewesen sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde vom 03.09.2013, der das Landgericht unter dem 03.09.2013 nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für begründet.
II.
Die Beschwerde bleibt erfolglos.
1.
a) Die Anfechtung der getroffenen Entscheidung ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Es gelten die allgemeinen Regeln der StPO, weil das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach (jetzt:) § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29. Januar 2008 - 4 Ws 9/08 - bei juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. April 2004 - 3 Ws 94/07 - bei juris; KG Berlin, Beschluss vom 27. September 2011 - 1 Ws 64/10 -, juris; Burhoff RVGreport 2004, 411; ders. in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl. § 48 Rdz. 154 m. w. N.). Der Pflichtverteidiger hat auch ein eigenes Beschwerderecht (vgl. OLGe Hamm und Düsseldorf a. a. O.), weil die angefochtene Entscheidung seinen Gebührenanspruch betrifft. Der Fall ist vergleichbar mit einer Beschränkung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts, die der bestellte Verteidiger - anders als die Ablehnung seiner Bestellung - selbstständig anfechten kann (vgl. OLG Düsseldorf VRS 116, 273; KG Berlin a. a. O.).
b) Auch ist der in Kostensachen erforderliche Beschwerdewert von 200 EUR (§ 304 Abs. 3 StPO) vorliegend erreicht. Dem Rechtsanwalt geht es - was das Landgericht allerdings anders gesehen hat - wohl nicht nur darum, auch für das hinzuverbundene Verfahren die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG abrechnen zu können, die sich nach der Fassung der Bestimmung im dafür maßgeblichen Zeitpunkt der Beiordnung (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG) nur auf 132,00 EUR netto belief, sondern er möchte entsprechend dem Wortlaut des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG wohl auch erreichen, dass „die Wirkungen des Satzes 1“ auf das hinzuverbundene Verfahren erstreckt werden, er mithin auch die Vergütung als Pflichtverteidiger abrechnen kann, die in jenem Verfahren „für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung, in Strafsachen einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage“ angefallen ist. Das wären - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - dann jedenfalls auch die Verfahrensgebühren für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG in Höhe von 112,00 EUR und gegebenenfalls sogar für das erstinstanzliche Verfahren nach Nr. 4106 VV RVG in Höhe von weiteren 112,00 EUR.
2.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Zutreffend hat das Landgericht darauf abgestellt, dass Voraussetzung für eine (gebührenrechtliche) Erstreckung der Beiordnung auf ein hinzuverbundenes Verfahren ist, dass der Verteidiger zuvor in jenem Verfahren überhaupt eine Tätigkeit (als Wahlverteidiger) entfaltet hat (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt a. a. O. Rdz. 149, so auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 07. August 2012 - Ws 137/11 -, Rdz. 14, 17 in juris). Das ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut von § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG („... für seine Tätigkeit ...“; bzw. „ ... seine Tätigkeit ...“). Das hat vorliegend auch der Beschwerdeführer noch in seinem Schriftsatz vom 05.08.2013 nicht anders gesehen (a. a. O. S. 2 oben). Seine gegenteilige Auffassung in der Beschwerdeschrift vom 03.09.2013, einziges Kriterium für die Erstreckung sei, ob (auch) in dem hinzuverbundenen Verfahren die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorliegen bzw. schon vor der Verbindung vorgelegen haben, der auch die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrer Argumentation im Wesentlichen gefolgt ist, geht fehl. Sie vermengt die rein strafprozessuale Frage, ob bei isolierter Betrachtung auch in dem hinzuverbundenen Verfahren die Kriterien des § 140 StPO vorliegen, mit der allein gebührenrechtlichen Problematik, ob ein bereits in einem Verfahren beigeordneter Pflichtverteidiger infolge der Verfahrensverbindung nun auch einen Gebührenanspruch gegen die Staatskasse in dem hinzuverbundenen Verfahren erhält, obwohl er dort bislang nur als Wahlverteidiger tätig gewesen ist. Während dies nach der zu § 97 Abs. 3 BRAGO ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung automatisch der Fall war, bedarf es für diese Erstreckung seit der Regelung in § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG a. F., die seit dem 01.08.2013 wortgleich in Abs. 6 Satz 3 der Vorschrift fortgilt, einer ausdrücklichen Entscheidung des Gerichts (Burhoff a. a. O., Rdz. 146).
Vorliegend ist der Beschwerdeführer im Verfahren 83 Ns 12/13 bis zu dessen Verbindung zum führenden Verfahren 83 Ns 9/13 jedoch zu keinem Zeitpunkt als Verteidiger tätig gewesen mit der Folge, dass insoweit auch keine Gebührenansprüche als Wahlverteidiger entstanden sind, die er nun als beigeordneter Verteidiger gegenüber der Staatskasse geltend machen könnte. In keinem Fall führt nämlich eine Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG dazu, dass dem Pflichtverteidiger Tätigkeiten in dem hinzuverbundenen Verfahren vergütet werden, die er gar nicht erbracht hat (Burhoff a. a. O. Rdz. 149).
Der Beschwerdeführer ist auch nicht dadurch - auch nicht konkludent - zum Verteidiger in jener Sache geworden, dass ihm nach seiner Beiordnung - nur - im Verfahren 83 Ns 9/13 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der vom Gericht erst in Aussicht genommenen Hinzuverbindung des weiteren Verfahrens 83 Ns 12/13 gegeben und ihm auch insoweit Akteneinsicht gewährt worden ist. Diese Möglichkeit zur Stellungnahme wurde ihm allein in seiner Eigenschaft als Pflichtverteidiger in der Sache 83 Ns 9/13 gewährt. Selbst wenn man das anders sehen wollte, hätte dies nur zur Folge, dass er dann bereits vor der Verfahrensverbindung auch im Verfahren 83 Ns 12/13 mit der gebührenrechtlichen Folge des § 48 Abs. 5 Satz 2 RVG a. F. (jetzt: Abs. 6 Satz 2) zum Pflichtverteidiger geworden wäre.
Von der Frage der nach dem Vorgesagten hier zu verneinenden gebührenrechtlichen Erstreckung der Verfahrensverbindung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG zu trennen ist die strafprozessuale Konsequenz dieser Entscheidung auf die Beiordnung: Mit der Verbindung nach § 3 StPO erstreckt sich die zunächst nur für das Verfahren 83 Ns 9/13 erfolgte Beiordnung prozessual automatisch auf das Gesamtverfahren, das von da an auch verteidigerseitig nur als Einheit gesehen und fortgeführt werden kann (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 5 Rdz. 1; § 140 Rdz. 5).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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