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RVG Entscheidungen

§ 55

Verschweigen von Mandantenzahlungen, Kürzung der Vergütung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 15.02.2016 - 6 WF 46/14

Leitsatz: Der (eklatante) Verstoß des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die ihm nach § 55 Abs. 5 Satz 2 und 4 RVG obliegende Verpflichtung, empfangene Mandantenzahlungen mitzuteilen, führt nicht zwingend zu einem Wegfall oder einer Kürzung der aus der Staatskasse festzusetzenden Vergütung.


In pp.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Siegen vom 17.01.2014 (15 F 171/10) dahin abgeändert, dass die Kostenfestsetzung vom 04.11.2013 aufgehoben wird und es bei der Festsetzung vom 13.10.2010 verbleibt.

Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anrechnung von Zahlungen seiner Mandantin auf die ihm festgesetzte und ausgezahlte Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt. Er wurde durch Beschluss des Amtsgerichts vom 23.03.2010 der Ehefrau (im Folgenden: Mandantin) in einem Scheidungsverfahren unter Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe als Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet. Im Termin vor dem Amtsgericht am 16.09.2010 einigten sich die Eheleute unter Mitwirkung des Antragstellers über Unterhaltszahlungen, den Zugewinn und die sonstige Vermögensauseinandersetzung; außerdem stimmten die Eheleute darin überein, dass der Hausrat bereits geteilt war. Durch Beschluss vom selben Tage wurde der Mandantin auch Verfahrenskostenhilfe für den Abschluss des Vergleichs bewilligt. Den Wert für das Scheidungsverfahren setzte das Amtsgericht auf 12.600,00 € und denjenigen für den Versorgungsausgleich (vorläufig) auf 1.000,00 € fest. Den Gegenstandswert des Vergleichs bestimmte das Amtsgericht auf 56.400,00 €. Durch Beschluss vom selben Tage sprach das Amtsgericht die Scheidung aus.

Am 17.09.2010 beantragte der Antragsteller, seine Vergütung aus der Staatskasse mit 1884,96 € festzusetzen. Neben einer 1,3 Verfahrensgebühr aus einem Wert von 13.600,00 € stellte er eine 0,8 Verfahrensdifferenzgebühr aus einem Wert von 56.400,00 €, eine 1,2 Terminsgebühr aus 70.000,00 €, eine 1,5 Einigungsgebühr aus einem Wert von 56.400,00 € sowie die Pauschale nach Nr. 7002 VV-RVG und die gesetzliche Umsatzsteuer in Rechnung. Mit dem Antrag erklärte er, für eine außergerichtliche Vertretung bezüglich desselben Gegenstandes sei keine Gebühr nach Nrn. 2300-2303 VV-RVG entstanden und dass er spätere Zahlungen entsprechend § 55 Abs. 5 S. 2, 2. Halbsatz RVG anzeigen werde. Tatsächlich hatte er von der Mandantin aufgrund seiner Rechnungen vom 30.12.2009 und 30.06.2010 pauschale Honorarvorschüsse von 500,00 € bzw. 1000,00 €, jeweils zuzüglich einer Pauschale für Post-und Telekommunikationsdienstleistungen und der gesetzlichen Umsatzsteuer (= 618,80 € bzw. 1.213,80 €), erhalten. Aufgrund seiner Rechnung vom 07.10.2010 ließ er sich ein weiteres Honorar von 500,00 €, diesmal einschließlich der Pauschale sowie der Umsatzsteuer, von seiner Mandantin zahlen. Ohne Kenntnis von den Zahlungen der Mandantin hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die dem Antragsteller im Vorschusswege zu erstattende Vergütung durch Beschluss vom 13.10.2010 antragsgemäß auf 1.884,96 € festgesetzt.

Diese Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.332,60 € wurden im nachträglichen Verfahren zur Überprüfung der fortdauernden Bedürftigkeit der Mandantin aktenkundig. Mit Schriftsatz vom 23.07.2013 erklärte der Antragsteller, die pauschalen Vorschüsse von netto 500,00 € und netto 1.000,00 € für Verhandlungen in Rechnung gestellt zu haben, die unter anderem in eine Vereinbarung hinsichtlich des gemeinsamen Hauses der Eheleute gemündet hätten; nach der Scheidung habe er sich mit seiner Mandantin im Oktober 2010 zur Abgeltung dieser Verhandlungen auf eine pauschale abschließende Zahlung von 500,00 € geeinigt.

Durch Entscheidung vom 04.11.2013 und nach Kenntniserlangung von den Zahlungen der Mandantin hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die dem Antragsteller aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung abweichend von dem Beschluss vom 13.10.2010 auf 0,00 € festgesetzt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass mangels Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Mehrvergleich die Terminsgebühr lediglich aus einem Wert von 13.600,00 € entstanden sei, so dass sich eine Vergütung von 1.693,61 € ergebe. Da die Mandantin nach der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe insgesamt 1.713,80 € (1.213,80 € + 500,00 €) an den Antragsteller gezahlt habe, seien diese Beträge auf die Vergütung anzurechnen, so dass ein Anspruch auf Vergütung aus der Staatskasse nicht mehr bestehe. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Erinnerung des Antragstellers vom 08.11.2013 hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 17.01.2014 zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.
Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Aufgrund der Festsetzung vom 13.10.2010 steht dem Antragsteller eine – bereits gezahlte – Vergütung von 1.884,96 € zu; die nachträglich bekannt gewordenen Zahlungen der Mandantin von insgesamt 2.332,60 € sind im Ergebnis auf diese Vergütung nicht anzurechnen.

1. Die am 13.10.2010 vorgenommene Festsetzung eines Honoraranspruchs von 1.884,96 € ist für das weitere Verfahren bindend. Eine Abänderung von Amts wegen sieht § 55 RVG im Gegensatz etwa zu § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG nicht vor (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 45. Auflage 2015, § 55 Rn. 33; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 21. Auflage 2013, § 56 Rn. 5f.), so dass selbst bei einer fehlerhaften Festsetzung eine Abänderung nur auf die Erinnerung des Vertreters der Landeskasse stattfinden kann. Auf die Frage, ob das Amtsgericht zutreffend neben der Einigungsgebühr auch eine Verfahrensdifferenz- und eine Terminsgebühr aus einem erhöhten Gegenstandswert festsetzen durfte, kommt es damit nicht an.

2. Die Zahlungen der Mandantin an den Antragsteller sind im Ergebnis auf dessen Vergütung als beigeordneter Anwalt nicht anzurechnen.

Zwar hat der Antragsteller in eklatanter Weise und entgegen seiner eigenen schriftlichen Ankündigung gegen die in § 55 Abs. 5 Satz 2, 4 RVG statuierte Pflicht verstoßen, bei der Antragstellung schon erhaltene Mandantenzahlungen mitzuteilen und später erlangte Zahlungen unverzüglich mitzuteilen. Eine Regelung, dass verschwiegene Zahlungen später in jedem Fall anzurechnen wären, fehlt jedoch im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Eine Rückforderung bereits erfolgter Zahlungen durch die Staatskasse kann daher nicht allein wegen eines unlauteren Verhaltens des beigeordneten Anwalts erfolgen. Die Pflicht des Anwalts, empfangene Zahlungen bei der Antragstellung mitzuteilen oder unverzüglich nach Erhalt anzugeben, dient der Prüfung, ob diese Zahlungen auf die festzusetzende Vergütung anzurechnen sind. Mangels gesetzlich normierter Sanktion für Verletzungen dieser Pflicht verbleibt es bei nachträglich bekannt gewordenen, vom Anwalt verschwiegenen Zahlungen des Mandanten bei der Überprüfung, ob diese Zahlungen auf die (festgesetzte) Vergütung anzurechnen sind. Die unterlassene Anzeige erhaltener Mandantenzahlungen kann lediglich berufsrechtlich verfolgt werden oder auch strafrechtliche Relevanz entfalten.

Im Zeitpunkt der Zahlungen der Mandantin war der Antragsteller bereits außergerichtlich tätig geworden. Diese Tätigkeit betraf nach seinen Schilderungen zumindest Fragen des Unterhalts, des Zugewinns und der weiteren Vermögensauseinandersetzung. Der Gegenstandswert dieser außergerichtlichen Tätigkeit deckt sich mit dem vom Gericht für den Vergleich festgesetzten Wert (56.000,00 €). Eine 1,3 Geschäftsgebühr aus diesem Wert ergibt nach den bis zum 31.07.2013 geltenden Gebührensätzen zuzüglich der Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen und der gesetzlichen Umsatzsteuer eine Vergütung von 1.761,08 €. Nach Verrechnung der Zahlungen der Mandantin (2.332,60 €) auf diese Vergütung verblieb zunächst eine Überzahlung von 571,52 €.

Diesen Betrag durfte der Antragsteller sodann nach § 58 Abs. 2 RVG auf die Differenz zwischen der Vergütung eines Wahlanwalts und derjenigen eines beigeordneten Anwalts verrechnen.

Diese errechnet sich wie folgt:
1,3 Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV-RVG(Wert: 13.600,00 €) 735,80 €
0,15 Verfahrensdifferenzgebühr Nr. 3101 Nr. 2 VV-RVG(Wert: 56.400,000 €, 0,8 – 0,65 Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbemerkung 3 Absatz 4; Grenze: §§ 15 Abs. 3 RVG) 169,45 €
1,2 Terminsgebühr Nr. 3104 VV-RVG(Wert: 70.000,00 €) 1.440,00 €
1,5 Einigungsgebühr Nr. 1003VV-RVG (Wert: 56.400,00 €) 1.684,50 €
Nr. 7002 VV-RVG 20,00 €
Umsatzsteuer 469,45 €
Summe 4.819,20 €

Damit beträgt die Differenz zu der festgesetzten Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt mindestens 2.934,24 €. Dieser Betrag übersteigt den nach der Verrechnung der Zahlungen der Mandantin auf die Geschäftsgebühr noch verbleibenden Betrag (571,52 €). Damit sind die Zahlungen der Mandantin nicht auf die festgesetzte Vergütung des Antragstellers anzurechnen.

Dieser Anrechnung steht nicht entgegen, dass der Antragsteller von der Mandantin nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO möglicherweise keine Zahlungen einfordern durfte. Schon die Anrechnung von Zahlungen auf die Differenz zwischen der Vergütung des Wahlanwalts und des beigeordneten Anwalts nach § 58 Abs. 2 RVG zeigt, dass dem Anwalt auch im Falle der Beiordnung die höhere Wahlanwaltsvergütung zusteht, er sie nur nicht einfordern darf (Musielak/Voit-Fischer, ZPO, 12. Auflage 2015, § 122 Rn. 7). Auch die vom Amtsgericht aus § 3a RVG hergeleiteten Bedenken gegen die Formwirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung zwischen dem Antragsteller und der Mandantin sowie die Bedenken gegen die Abrechnung der Vergütung gemäß § 10 RVG stehen einer Anrechnung der gesetzlich entstandenen Vergütung nicht entgegen.

Eine Kostenentscheidung ist wegen § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG nicht veranlasst.


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