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RVG Entscheidungen

Gebühren-/Kostenfragen - Auslagen

Kostenerstattung, auswärtiger Wahlverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2017 - 1 Ws 140/17

Leitsatz:
Reisekosten eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Wahlverteidigers sind als notwendige Auslagen eines Beteiligten gemäß §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten, wenn sich der frühere Angeklagte einem schwerwiegenden Tatvorwurf gegenüber sah, der auch massiv beruflich und wirtschaftlich in seine Existenz eingreifen konnte. Eine Erstattung dieser Kosten ist vor allem dann vorzunehmen, wenn der Wahlverteidiger gemäß § 142 StPO als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können und in diesem Fall die Mehrkosten ihrer auswärtigen Residenz jedenfalls ersetzt bekommen hätte.


Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Marktmanipulation
hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - am 12. Oktober 2017 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 14. Juni 2017 insoweit a uf ge ho be n, als darin der Antrag auf Erstattung von Reisekosten, Abwesenheitsgeld und Kosten für Übernachtungen des Verteidigers teilweise zurückgewiesen wurde.

Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren, auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf € 19.235 festgesetzt.

Gründe:

I.
Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. März 2016, rechtskräftig seit 28. Juli 2016, wurde der Beschwerdeführer vom Vorwurf der Marktmanipulation freigesprochen.

Entsprechend der Kostengrundentscheidung macht der Beschwerdeführer seinen Anspruch auf Ersatz der notwendigen Auslagen gegen die Staatskasse geltend.

Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Juni 2017 erfolgte eine Festsetzung zu erstattender Auslagen in Höhe von 33.651,12 Euro einschließlich Umsatzsteuer in Höhe von 5.372,87 Euro. Hierbei wurden fiktive Reisekosten für die - in Düsseldorf ansässige - Rechtsanwältin des Beschwerdeführers in Höhe von 1.519,60 Euro berücksichtigt.

Gegen den am 26. Juni 2017 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Beschwerdeführer mit Schreiben seiner Verteidigerin, Frau …, vom 28. Juni 2017, eingegangen bei Gericht am 3. Juli 2017, sofortige Beschwerde eingelegt, die mit Schriftsatz vom 17. Juli 2017 begründet wurde. Er begehrt die Erstattung von Mehrkosten (Fahrtkosten, Abwesenheitsgeld und sonstige Auslagen), die durch die Beauftragung seiner nicht am Gerichtsort ansässigen Verteidigerin entstanden sind.

II.
Nach § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben, wobei sich das Beschwerdeverfahren nach den Grundsätzen der StPO richtet (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 464b Rn. 6). Der Senat entscheidet über die sofortige Beschwerde gemäß § 122 Abs. 1 GVG auch im Kostenfestsetzungsverfahren in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden (OLG Rostock, Beschluss vom 18. Januar 2017, 20 Ws 21/17, juris Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 21. April 2016, 1 Ws 187/16, juris Rn. 6; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2012, 160, juris Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464b Rn. 7).

Das zulässige Rechtsmittel ist auch begründet.

Zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der - wie vorliegend - nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und dort auch nicht wohnt, sind nur insoweit von der Staatskasse zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 S. 1 ZPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 464a Rn. 12).

Grundsätzlich macht allein weder das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu einem auswärtigen Rechtsanwalt noch die ständige Zusammenarbeit mit diesem dessen Hinzuziehung notwendig (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007, VII ZB 93/06, juris Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.). Allerdings sind in einem Strafverfahren die Mehrkosten eines auswärtigen Wahlverteidigers jedenfalls dann zu erstatten, wenn sich der frühere Angeklagte einem schwerwiegenden Tatvorwurf gegenüber sah, der auch massiv beruflich und wirtschaftlich in seine Existenz eingreifen konnte (OLG Naumburg, Beschluss vom 17. Oktober 2008, 1 Ws 307/08, juris Rn. 4). Dies ist vorliegend der Fall. Dem früheren Angeklagten war in seiner Funktion als Vorstand Finanzen und Betriebswirtschaft der … ein Verstoß gegen das Verbot der Marktmanipulation vorgeworfen worden. Ungeachtet der Aufmerksamkeit, die diesem Verfahren und dem früheren Angeklagten durch die Medien entgegengebracht wurde, hätte eine Verurteilung auch erhebliche Folgen für den Beschwerdeführer mit sich gebracht. Darüber hinaus war seine Verteidigerin, Frau …, bereits im Jahr 2009 während des Ermittlungsverfahrens für ihn tätig und daher bei Eröffnung des Hauptverfahrens im August 2014 bereits lange mit dem Fall vertraut.

Für die Erstattung der Kosten des auswärtigen Verteidigers spricht im Übrigen auch § 142 StPO, der die Auswahl des zu bestellenden Pflichtverteidigers regelt. Wäre die Wahlverteidigerin gemäß § 142 StPO als Pflichtverteidigerin bestellt worden, hätte sie ihre notwendigen Auslagen - einschließlich der Mehrkosten, die dadurch entstanden, dass sie weder Wohnsitz noch Kanzlei am Gerichtsort hatte - ersetzt bekommen (BVerfG, Beschluss vom 24.1.2000, 2 BvR 813/99, juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. Januar 2014, 1 Ws 770/13, juris Rn. 10). Das Gleiche muss aber dann gelten, wenn eine Bestellung als Pflichtverteidiger zwar nicht erfolgt ist, die Voraussetzungen hierfür aber vorgelegen hätten, denn der Beschuldigte soll mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. Dezember 2010, 2 Ws 567/10, juris Rn. 13; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Oktober 2014, 1 Ws 162/14, juris Rn. 13).

Hiervon ist vorliegend auszugehen: Während die alte Fassung des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO vorsah, dass das Gericht als Pflichtverteidiger möglichst einen Rechtsanwalt auswählt, der im Bezirk des ihn bestellenden Gerichts niedergelassen ist, hat man diese Beschränkung auf im Gerichtsbezirk ansässige Rechtsanwälte mit der Neufassung von § 142 Abs. 1 StPO aufgegeben, da sie „aus verschiedenen Gründen [für] nicht mehr sachgerecht“ erachtet wurde (so BT-Drucks. 16/12098, S. 20). Dies heißt zwar nicht, dass jeder vom Beschuldigten benannte, auswärtige Rechtsanwalt vom Gericht als Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Vielmehr sind neben der Entfernung weitere Faktoren zu berücksichtigen, „die dem Kriterium der Gerichtsnähe mindestens gleichwertig erscheinen“ (BT-Drucks. a.a.O). In diesem Zusammenhang ist - neben der Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts Mehrkosten entstehen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 8. Juli 2013, 2 Ws 349/13, juris Rn. 7; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Oktober 2014, 1 Ws 453/14, juris Rn. 13), beispielsweise auch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem Rechtsanwalt zu berücksichtigen (so bereits OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2006, 2 Ws 5/06, juris Rn. 8; Lüderssen/Jahn in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 142 Rn. 6 und 7). Dabei tritt das Kriterium der Ortsnähe im Bestellungsverfahren im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung grundsätzlich hinter dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigen zu seinem Verteidiger zurück (Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Nach diesen Kriterien hätte eine Bestellung von Frau … als Pflichtverteidigerin erfolgen können.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
IV.

Der Beschwerdewert entspricht der als erstattungsfähig geltend gemachten Gebührensumme, deren zusätzliche Festsetzung der Beschwerdeführer begehrt hat, zuzüglich der zugehörigen Umsatzsteuer.


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