Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 20.12.2017 - 1 Ws 70/17
Leitsatz: Für den Rechtsanwalt, der den Betroffenen in einem Verfahren wegen Abschöpfungsmaßnahmen vertritt, entstehen nicht nur die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG, sondern ggf. auch (gerichtliche) Verfahrensgebühr und Terminsgebühren.
KAMMERGERICHT
Beschluss
1 Ws 70/17
In der Strafsache
gegen Ö. u.a.,
hier nur gegen Ö.,
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz
hier nur wegen Kostenfestsetzung
hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts am 20. Dezember 2017 beschlossen:
Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. Oktober 2017 wird verworfen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Vor dem Landgericht Berlin wurde gegen den Verurteilten Ö., dem Rechtsanwalt F. als Pflichtverteidiger beigeordnet war, und gegen weitere Personen ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geführt, und zwar zunächst vor der 4. großen Strafkammer, die jeden der damaligen Angeklagten durch Urteil vom 16. Oktober 2015 (504 KLs) 254 Js 244/14 (10/15) zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilte und gegen alle den erweiterten Verfall von Wertersatz in Höhe von insgesamt 253.490,00 Euro anordnete. Nachdem das vorbezeichnete Urteil auf die Revisionen des Verurteilten Ö. sowie weiterer damaliger Angeklagter aufgehoben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen worden war (allerdings in Bezug auf ersteren nur hinsichtlich der erweiterten Wertersatzverfallsanordnung in einer 13.790,00 Euro übersteigenden Höhe), war die 25. große Strafkammer mit dem Verfahren befasst. In der sodann am 3., 20. und 25. April 2017 im Umfang der Aufhebung und Zurückverweisung durchgeführten neuen Hauptverhandlung, an der auch Rechtsanwalt F. teilnahm, wurde im Hinblick auf eine etwaige Einziehungs- oder Verfallsentscheidung nach § 430 Abs. 1 StPO a.F. verfahren, und zwar betreffend den Verurteilten Ö., der während des gesamten Verfahrens inhaftiert war, verbunden mit der Überbürdung der Kosten des Revisionsverfahrens, während seine notwendigen Auslagen für das Verfahren vor der 25. große Strafkammer der Landeskasse auferlegt wurden.
Der zuständige Rechtspfleger des Landgerichts Berlin hat auf verschiedene Anträge von Rechtsanwalt F. bereits dessen Vergütung gemäß § 55 Abs. 1 RVG festgesetzt, und zwar diejenige für das Verfahren vor der 25. großen Strafkammer am 3. Mai 2017 und dergestalt, dass neben der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG, welche unbeanstandet geblieben ist, vor allem eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4113 VV RVG und drei Terminsgebühren gemäß Nr. 4115 VV RVG berücksichtigt worden sind. Gegen die Festsetzung der letztgenannten Gebühren, die sich zuzüglich Umsatzsteuer auf insgesamt 1.328,04 Euro belaufen, hat die Bezirksrevisorin zunächst Erinnerung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG die gesamte Tätigkeit von Rechtsanwalt F. im Verfahren vor der 25. großen Strafkammer, wo es bezüglich des Verurteilten Ö. allein um die erweiterte Wertersatzverfallsanordnung in Höhe von 239.700,00 Euro gegangen sei, abdecke. Die Vorsitzende des vorbezeichneten Spruchkörpers hat sich diese Auffassung ebenso wenig zu eigen gemacht wie der zuständige Rechtspfleger und den Rechtsbehelf, dem letzterer nicht abgeholfen hat, am 17. Oktober 2017 als Einzelrichterin zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete zulässige Beschwerde der Bezirksrevisorin, über die der Senat nach Übertragung gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet, bleibt ohne Erfolg.
1. Die Vergütung des Verteidigers für das gerichtliche Verfahren im ersten Rechtszug ist für den bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt ebenso wie für den Wahlanwalt im Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG geregelt, wobei ihm nach dem Unterabschnitt 3 zuvörderst verschiedene Pauschgebühren zustehen. Diese umfassen für das erstinstanzliche Verfahren vor einer Strafkammer insbesondere die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG und die Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 VV RVG, wobei erstere die Tätigkeit des Verteidigers außerhalb der Hauptverhandlung honoriert und sich in Haftsachen nach Maßgabe von Nr. 4113 VV RVG erhöht, während letztere für die Verteidigung in der Hauptverhandlung anfällt, und zwar für jeden Sitzungstag gesondert und in Haftsachen mit dem Zuschlag gemäß Nr. 4115 VV RVG. Zusätzliche Gebühren kann der Anwalt, dem die Vollverteidigung d.h. die Verteidigung insgesamt übertragen wurde, nach dem Unterabschnitt 5 beanspruchen, und zwar namentlich die Wertgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG, wenn seine Tätigkeit zugleich eine möglicherweise nur drohende Einziehung betraf oder aber dieser verwandte Maßnahmen, zu denen vor den Änderungen durch das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung auch der (erweiterte Wertersatz-) Verfall zählte. Wie der angefochtene Beschluss zutreffend konstatiert, hat der Gebührentatbestand, von dem die amtliche Anmerkung 2 nur eine Ausnahme vorsieht (nämlich diejenige, dass der Gegenstandswert geringer ist als 30,00 Euro), den Sinn und Zweck, den Verteidigeraufwand in Verfahren, in denen Abschöpfungsmaßnahmen in Betracht kommen, angemessen zu honorieren, umso mehr als letztere für den Betroffenen in der Regel eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben. Daher steht die Gebühr dem Verteidiger nach der amtlichen Anmerkung 3 zu Nr. 4142 VV RVG für das Verfahren des ersten Rechtszuges einschließlich des vorbereitenden Verfahrens und für jeden weiteren Rechtszug zu, und zwar selbst dann, wenn das Rechtsmittel auf die Anordnung der Einziehung oder des (erweiterten Wertersatz-) Verfalls beschränkt war (vgl. zum Ganzen nur OLG Hamm, Beschluss vom 13. Dezember 2011 3 Ws 338/11 Rdn. 3 m.w.N. [juris]; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG 23. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 13 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann Rechtsanwalt F. für das Verfahren vor der 25. großen Strafkammer neben der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG, die sich bei einem Gegenstandswert über 30.000,00 Euro auf den unbeanstandet festgesetzten Betrag beläuft (vgl. insoweit die Gebührentabelle zu § 49 RVG), eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4113 VV RVG und drei Terminsgebühren gemäß Nr. 4115 VV RVG verlangen, welche sich unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer auf 1.328,04 Euro summieren. Denn das Verfahren nach Aufhebung und Zurückverweisung gilt gemäß § 21 Abs. 1 RVG gebührenrechtlich als neue Angelegenheit mit der Folge, dass die im Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG geregelten Gebühren noch einmal entstehen (können). Dies gilt nicht nur für die im Unterabschnitt 5 geregelte Wertgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG (vgl. N. Schneider in AnwK-RVG 8. Aufl., VV 4142 Rdn. 32), sondern erst recht für die im Unterabschnitt 3 normierten Pauschgebühren, also vor allem auch für diejenige gemäß Nr. 4113 VV RVG (vgl. dazu Burhoff in Die Rechtsprechung zur Abrechnung im Straf- und Bußgeldverfahren, insbesondere nach den Teilen 4 und 5 VV RVG, in den Jahren 2014 - 2016, StraFo 2016, 353) und im Falle einer erneuten Hauptverhandlung für diejenige gemäß Nr. 4115 VV RVG, welche ohnehin für jeden Sitzungstag gesondert anfällt (s.o.).
Etwas Abweichendes folgt entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin nicht etwa daraus, dass sich das Verfahren vor der 25. großen Strafkammer im Hinblick auf den Verurteilten Ö. auf die erweiterte Wertersatzverfallsanordnung in Höhe von 239.700,00 Euro beschränkt hätte. Denn abgesehen davon, dass dies nicht zutrifft, weil unter anderem noch über die Kosten seiner Revision zu entscheiden war, differenziert das Gesetz nur danach, ob dem Rechtsanwalt wie hier die Vollverteidigung übertragen war dann richten sich seine Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG mit der Folge des Nebeneinanders der in Rede stehenden Gebührentatbestände (s.o.) oder ob er bloß mit Einzeltätigkeiten beauftragt wurde, so dass sich seine Gebühren ausschließlich nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG richten (vgl. dazu nur Hartmann, Kostengesetze 47. Aufl., Nr. 4142 VV RVG Rdn. 7). Zudem würde die Beschränkung auf die Wertgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG, die für das Einziehungs- und (erweiterte Wertersatz-) Verfallsverfahren keine gesonderte Terminsgebühr vorsieht, nicht nur dem Sinn und Zweck dieser Regelung zuwiderlaufen, den möglicherweise erhöhten Verteidigungsaufwand angemessen zu honorieren (s.o.), sondern namentlich in Fällen wie hier, in denen die (erneute) Hauptverhandlung mehrere Sitzungstage umfasst, zu unbilligen Ergebnissen führen. Hinzu kommt, dass sich das Verfahren vor der 25. großen Strafkammer noch gegen zwei weitere damalige Angeklagte richtete und es insoweit sogar um die Schuld- und Straffrage ging, wobei die diesbezüglichen Feststellungen durchaus auch für den Verurteilten Ö. hätten relevant werden können, weil zwischen dem verfahrensgegenständlichen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und den 239.700,00 Euro, deren Abschöpfung im Raum stand, ein Zusammenhang bestanden haben soll.
Auch die von der Bezirksrevisorin für ihre Auffassung reklamierte Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis, wobei es im Hinblick auf den Beschluss des Kammergerichts vom 22. Mai 2006 4 Ws 7/06 bei der zutreffenden Begründung der angefochtenen Entscheidung verbleibt, wonach dieser Beschluss, der nicht die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG, sondern diejenige gemäß Nr. 4143 VV RVG betraf, keine Aussage zum Verhältnis der Gebührentatbestände aus Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 VV RVG und Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 VV RVG trifft. Im Übrigen hält der Senat dafür, dass es sich auch bei der Gebühr für die Verteidigertätigkeit im Adhäsionsverfahren um eine im vorstehenden Sinne zusätzliche Gebühr handelt, wenn dem Rechtsanwalt wie hier die Vollverteidigung übertragen war (vgl. dazu nur Hartmann, a.a.O., Nr. 4143 VV RVG Rdn. 1 und 8). Soweit die Bezirksrevisorin auf den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 10. April 2012 1 AR 70/11 verweist, wird lediglich angemerkt, dass die dort vertretene Ansicht zum Verhältnis der entsprechenden Regelungen im Bußgeldverfahren nach Teil 5 Abschnitt 1 VV RVG, welche soweit ersichtlich vereinzelt geblieben ist, aus den vorstehenden Gründen keine Zustimmung verdient.
2. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die dargestellten Grundsätze auch bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen eines Verteidigers gemäß § 464b StPO zu beachten sind, die Rechtsanwalt F. gleichfalls beantragt hat, aber bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens zurückgestellt worden ist.
3. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und die Nichterstattung etwaiger insoweit entstandener Kosten ergeben sich aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
Einsender: RiKG K.P. Hanschke, Berlin
Anmerkung:
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