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RVG Entscheidungen

§ 58

Anrechnung, Vorschuss, Höchstgebühr des Rechtsanwalts Gebührenbemessung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Aachen, Beschl. v. 03.01.2020 - 67 KLs 18/17

Leitsatz: Der Begriff der Höchstgebühr des Wahlanwalts i.S.d. § 58 Abs. 3 S. 4 RVG meint nicht den im VV RVG ausgewiesenen gesetzlichen Höchstbetrag des jeweiligen Betragsrahmens, sondern vielmehr diejenige Vergütung, die der Pflichtverteidiger gemäß § 14 Abs. 1 RVG unter Berücksichtigung der dort benannten Umstände im konkreten Einzelfall nach billigem Ermessen (höchstens) verlangen könnte, wenn er das betreffende Mandat (weiterhin) als Wahlverteidiger wahrgenommen hätte (Anschluss an Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. April 2017 - 1 Ws 354/16)


In pp.

Auf die Erinnerung des Verurteilten R. G. wird der Kostenansatz vom 24.06.2019 teilweise abgeändert:
Die an den Pflichtverteidiger M. K. zu zahlende Vergütung wird auf 2.497,04 EUR festgesetzt.

Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 19.01.2018 (Bl. 1813 f. HA) machte der Verteidiger des Verurteilten eine Pflichtverteidigervergütung in Höhe von insgesamt 3.401,46 EUR geltend. Dabei rechnete er ausweislich seines Antrags vom 21.04.2017 (Bl. 1815 HA) für das Ermittlungsverfahren folgende Gebühren und Auslagen ab:

Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG 192,00 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG 161,00 EUR
Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG 166,00 EUR
Reisekosten Nr. 7003, 7004, 7005 VV RVG 99,40 EUR
Entgeltpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
196 Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG 46,90 EUR
Zwischensumme: 685,30 EUR
zzgl. Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 130,21 EUR
Summe 815,51 EUR

In dem Antrag gab der Verteidiger an, Vorschüsse und sonstige Zahlungen nicht erhalten zu haben.

Mit Antrag vom 19.01.2018 (Bl. 1816 sowie 1818 HA) rechnete er für das gerichtliche Verfahren folgende Gebühren ab:

Verfahrensgebühr Nr. 4113, 4112 VV RVG 180,00 EUR
4 Terminsgebühren Nr. 4115, 4114 VV RVG à 312,00 EUR, insg. 1.248,00 EUR
Terminsgebühr/Zusatzgebühr Nr. 4116 VV RVG 128,00 EUR
Entgeltpauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
118 Kopien/Fax Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG 35,20 EUR
Fahrtkosten wg. Besprechungsterminen 198 km x 3 Termine 178,20 EUR
3 x Abwesenheitsgeld wg. Besprechungsterminen 120,00 EUR
Fahrtkosten wg. HV-Terminen 70 km x 4 84,00 EUR
4 x Abwesenheitsgeld wg. Gerichtsterminen 160,00 EUR
Zwischensumme: 2.153,40 EUR
zzgl. Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 409,15 EUR
Parkgebühren 23,40 EUR
Summe 2.585,95 EUR

In dem Antrag gab der Verteidiger an, Vorschüsse und sonstige Zahlungen nicht erhalten zu haben.

Mit Festsetzung vom 19.03.2018 (Bl. 1853 HA) setzte die Rechtspflegerin bei dem Landgericht die zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie beantragt auf 3.401,46 EUR fest.

Mit Schriftsatz vom 18.04.2018 (Bl. 1911 ff. HA) trug der Verteidiger vor, in seinen obigen Anträgen versehentlich nur insgesamt 316 anstatt eigentlich angefertigter 6.753 Fotokopien geltend gemacht zu haben. Er beantragte, einen weiteren Betrag in Höhe 1.149,00 EUR zu erstatten.

Mit Festsetzung vom 24.04.2018 (Bl. 1920 HA) wurden wie beantragt weitere Auslagen in Höhe von 1.149,00 EUR festgesetzt.

Mithin beläuft sich die Festsetzung auf insgesamt 4.550,46 EUR.

Mit Kostenrechnung vom 09.11.2018 (Bl. I VH1) wurden dem Verurteilten Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 4.550,46 EUR in Rechnung gestellt.

Mit Schriftsatz vom 24.11.2018 (Bl. 69 f. VH1), bei der Staatsanwaltschaft eingegangen am 27.11.2018, wendete sich der Verurteilte gegen die Kostenrechnung und trug vor, bereits 4.065,00 EUR an seinen Verteidiger gezahlt zu haben. Als Anlage reichte er vier Zahlungsbelege, namentlich eine Quittung vom 09.03.2017 in Höhe von 750,00 EUR (Bl. 72 VH1), einen Kontoauszug mit Überweisung vom 25.10.2017 in Höhe von 750,00 EUR (Bl. 73 VH1), eine Quittung vom 06.11.2017 in Höhe von 1.000,00 EUR (Bl. 72 VH1) sowie einen Kontoauszug mit Überweisung vom 18.12.2017 in Höhe von 1.000,00 EUR (Bl. 74 VH1) ein. Später legte er mit Schreiben vom 08.06.2019 zudem einen Kontoauszug mit Überweisung vom 27.04.2017 in Höhe von 564,66 EUR (Bl. 138 VH1) vor.

Mit Schriftsatz vom 21.02.2019 (Bl. 2023 f. HA) - sowie teilweise korrigierend vom 30.09.2019 (Bl. 158 ff. VH1) - teilte der Verteidiger mit, dass versehentlich Vorschüsse und Zahlungen nicht angegeben worden seien. Auf hiesige Sache seien durch die Frau M. K. folgende Zahlungen geleistet worden:

09.03.2017 750,00 EUR
25.10.2017 750,00 EUR
06.11.2017 1.000,00 EUR
18.12.2017 1.000,00 EUR

Insgesamt seien 3.500,00 EUR gezahlt worden. Eine weitere Zahlung vom 28.04.2017 in Höhe von 564,66 EUR sei nicht auf hiesige Sache, sondern auf die Beratungssache K. / G. (Aktennummer 433/17; vgl. Gebührenrechnung v. 13.04.2017, Bl. 2027 VH1) geleistet worden.

Mit Schreiben vom 08.03.2019 (Bl. 2031 f. HA) forderte die Rechtspflegerin den Verteidiger zur Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 1.425,00 EUR auf. Mit Schriftsatz vom 11.04.2019 (Bl. 2035 f. HA) trug der Verteidiger vor, zur Rückzahlung in Höhe von 866,18 EUR bereit zu sein; der von der Rechtspflegerin geltend gemachte Betrag sei zu reduzieren, da die gezahlten Vorschüsse nicht in Höhe des Bruttobetrages, sondern in Höhe des Nettobetrages von 2.941,18 EUR zu berücksichtigen seien. Dem stimmte die Rechtspflegerin mit Schreiben vom 18.04.2019 (Bl. 2039 HA) zu.

Anschließend wurde die Kostenrechnung korrigiert; dem Verurteilten wurden mit Kostenrechnung vom 24.06.2019 (Bl. IV VH1) Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 3.684,28 EUR in Rechnung gestellt.

Mit Schreiben vom 08.06.2019 (Bl. 136 VH1) teilte der Verurteilte mit, dass er angesichts seiner bereits erfolgten Zahlungen in Höhe von 4.064,66 EUR weiterhin um Prüfung des von ihm zu erstattenden Betrages bitte.

Auf Nachfrage der Kammer gab der Verteidiger mit Schriftsatz vom 30.09.2019 (Bl. 158 ff. VH1) fiktive Wahlverteidigergebühren jeweils mit dem Höchstsatz des Gebührenrahmes an. Dem stimmte der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Aachen mit Stellungnahme vom 09.10.2019 (Bl. 163 VH1) zu.

II.

1. Die Erinnerung gegen den Kostenansatz ist gemäß § 66 Abs. 1 GKG zulässig. Insbesondere ist der Verurteilte als Kostenschuldner erinnerungsbefugt. Sein Einwand, die dem Pflichtverteidiger gewährte und in den Kostenansatz eingestellte Rechtsanwaltsvergütung sei zu hoch bemessen, erweist sich als statthaft; insbesondere besteht im Rahmen des Erinnerungsverfahrens keine Bindung an im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG ergangene Entscheidungen (BeckOK KostR/Laube, 26. Ed. 1.6.2019, GKG § 66 Rn. 95).

2. Die Erinnerung hat in der Sache teilweise Erfolg.

Gegen den Verurteilten kann eine Pflichtverteidigerentschädigung lediglich in Höhe von 2.497,04 EUR in Ansatz gebracht werden. Die Rechtspflegerin bei dem Landgericht hat bei der Festsetzung der Pflichtverteidigerentschädigung zum einen nicht zwischen verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten differenziert und zum anderen die Vorschrift des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG unbeachtet gelassen.

Gemäß § 58 Abs. 3 RVG sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der gerichtlichen Bestellung oder Beiordnung für seine Tätigkeit in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit erhalten hat, auf die von der Staatskasse für diese Angelegenheit zu zahlenden Gebühren anzurechnen. Hat der Rechtsanwalt Zahlungen empfangen, nachdem er Gebühren aus der Staatskasse erhalten hat, ist er zur Rückzahlung an die Staatskasse verpflichtet. Die Anrechnung oder Rückzahlung erfolgt nur, soweit der Rechtsanwalt durch die Zahlungen insgesamt mehr als den doppelten Betrag der ihm ohne Berücksichtigung des § 51 RVG aus der Staatskasse zustehenden Gebühren erhalten würde. Sind die dem Rechtsanwalt nach Satz 3 verbleibenden Gebühren höher als die Höchstgebühren eines Wahlanwalts, ist auch der die Höchstgebühren übersteigende Betrag anzurechnen oder zurückzuzahlen.

a) Noch zutreffend ist die Rechtspflegerin davon ausgegangen, dass die von dem Verteidiger schließlich mitgeteilten Vorschusszahlungen auf die Pflichtverteidigergebühren anzurechnen waren und dass diese Anrechnung nach Maßgabe von § 58 Abs. 3 S. 3 RVG zu erfolgen hatte.

Dabei wurde jedoch verkannt, dass Zahlungen in derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit geleistet worden sein müssen, um zu einer Anrechnung zu gelangen. Verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten im Sinne des § 58 Abs. 3 RVG sind namentlich das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren (BeckOK RVG/Sommerfeldt, 44. Ed. 1.6.2019, RVG § 58 Rn. 22). Dementgegen hat die Rechtspflegerin die Vorschusszahlungen auf sämtliche für das Ermittlungsverfahren sowie das gerichtliche Verfahren geltend gemachten Gebühren angerechnet.

Nach der gebotenen Differenzierung hat eine Anrechnung gemäß § 58 Abs. 3 S. 3 RVG wie folgt zu erfolgen:

aa) Ermittlungsverfahren

1. Schritt: Ermittlung der Pflichtverteidigergebühren:
Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG 192,00 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG 161,00 EUR
Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG 166,00 EUR
Summe 519,00 EUR

2. Schritt: Ermittlung des Kontrollbetrags
Das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren beträgt: 1.038,00 EUR
3. Schritt: Festlegung des anrechnungsfreien Betrages
Der Unterschied beträgt - 519,00 EUR
verbleiben 519,00 EUR

Zahlungen bis 519,00 EUR werden somit nicht angerechnet. Darüber hinausgehende Zahlungen verpflichten den Verteidiger zur Rückzahlung.

Auf das Ermittlungsverfahren entfällt die von Seiten des Verurteilten am 09.03.2017 geleistete Zahlung in Höhe von 750,00 EUR brutto, nicht dagegen die weiteren Zahlungen. Denn weil ausweislich des Vortrags des Verteidigers eine Verrechnung nach den verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten nicht erfolgt ist, erscheint es sachgerecht, insoweit nach dem Eingang der Zahlungen zu differenzieren. In hiesigem Verfahren befand sich der Verurteilte seit dem 01.03.2017 in Untersuchungshaft, die Anklageschrift vom 03.08.2017 ging bei dem Landgericht am 04.08.2017 ein, der Eröffnungsbeschluss der Kammer datiert auf den 08.11.2017 und die Hauptverhandlung fand zwischen dem 21.12.2017 und dem 12.01.2018 statt. Angesichts dessen ist die Zahlung vom 09.03.2017 dem Ermittlungsverfahren zuzuordnen.

Die weitere Zahlung in Höhe von 564,66 EUR vom 28.04.2017 ist nicht als Vorschusszahlung zu berücksichtigen. Hiergegen spricht bereits die seitens des Verteidigers eingereichte Vergütungsberechnung vom 13.04.2017, die diesen Betrag ausdrücklich für die Beratungssache K. / G. ausweist und als Leistungsgegenstand "Diverse Beratungen sowie Erstellung der Generalvollmacht" angibt. Darüber hinaus spricht der ungerade Zahlungsbetrag dagegen, dass die Zahlung als pauschale Vorschussleistung gedacht war.

Aus der berücksichtigungsfähigen Vorschusszahlung in Höhe von 750,00 EUR brutto ergibt sich ein Nettobetrag in Höhe von 630,25 EUR. Daraus errechnet sich folgender Anrechnungsbetrag:

Netto-Zahlung des Verurteilten 630,25 EUR
zzgl. einfache Pflichtverteidigergebühren 519,00 EUR
abzgl. doppelte Pflichtverteidigergebühren 1.038,00 EUR
= Rückzahlungsbetrag 111,25 EUR

Damit sind 111,25 EUR von dem Verteidiger zurückzufordern.

Dem Verteidiger verbleiben somit Gebühren für das Ermittlungsverfahren in Höhe von insgesamt 1.038,00 EUR (Vorschusszahlung in Höhe von 630,25 EUR netto + Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 519,00 EUR netto ohne Auslagen - Rückzahlungsbetrag i.H.v. 111,25 EUR).

bb) Gerichtliches Verfahren

1. Schritt: Ermittlung der Pflichtverteidigergebühren:
Verfahrensgebühr Nr. 4113, 4112 VV RVG 180,00 EUR
4 Terminsgebühren Nr. 4115, 4114 VV RVG à 312,00 EUR, insg. 1.248,00 EUR
Terminsgebühr/Zusatzgebühr Nr. 4116 VV RVG 128,00 EUR
Summe 1.556,00 EUR

2. Schritt: Ermittlung des Kontrollbetrags Das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren beträgt: 3.112,00 EUR
3. Schritt: Festlegung des anrechnungsfreien Betrages
Der Unterschied beträgt - 1.556,00 EUR
verbleiben 1.556,00 EUR

Zahlungen bis 1.556,00 EUR werden somit nicht angerechnet. Darüber hinausgehende Zahlungen verpflichten den Verteidiger zur Rückzahlung.

Auf das gerichtliche Verfahren hat der Verurteilte durch Zahlungen vom 25.10.2017, 06.11.2017 sowie 18.12.2017 insgesamt 2.750,00 EUR brutto geleistet. Hieraus ergibt sich ein Nettobetrag in Höhe von 2.310,92 EUR. Daraus errechnet sich folgender Anrechnungsbetrag:

Netto-Zahlung des Verurteilten 2.310,92 EUR
zzgl. einfache Pflichtverteidigergebühren 1.556,00 EUR
abzgl. doppelte Pflichtverteidigergebühren 3.112,00 EUR
= Rückzahlungsbetrag 754,92 EUR

Damit sind weitere 754,92 EUR von dem Verteidiger zurückzufordern.

Dem Verteidiger verbleiben somit Gebühren für das gerichtliche Verfahren in Höhe von insgesamt 3.112,00 EUR (Vorschusszahlung in Höhe von 2.310,92 EUR netto + Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 1.556,00 EUR netto ohne Auslagen - Rückzahlungsbetrag i.H.v. 754,92 EUR).

b) Ferner ist die Vorschrift des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG zu berücksichtigen. Hiernach ist, wenn die dem Rechtsanwalt nach § 58 Abs. 3 S. 3 RVG verbleibenden Gebühren höher als die Höchstgebühren eines Wahlanwalts sind, auch der die Höchstgebühren übersteigende Betrag anzurechnen oder zurückzuzahlen.

Dabei meint der Begriff der "Höchstgebühr des Wahlanwalts" nicht den im VV RVG ausgewiesenen gesetzlichen Höchstbetrag des jeweiligen Betragsrahmens, sondern vielmehr diejenige Vergütung, die der Pflichtverteidiger gemäß § 14 Abs. 1 RVG unter Berücksichtigung der dort benannten Umstände im konkreten Einzelfall nach billigem Ermessen (höchstens) verlangen könnte, wenn er das betreffende Mandat (weiterhin) als Wahlverteidiger wahrgenommen hätte (überzeugend Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. April 2017 - 1 Ws 354/16 -, Rn. 15 ff., juris; ebenso LG Bad Kreuznach, Beschluss vom 15. Oktober 2018 - 2 KLs 1023 Js 6546/17 -, juris).

Vorliegend hat der Verteidiger jeweils die Höchstsätze des Gebührenrahmens als fiktive Wahlverteidigergebühren für angemessen erachtet. Dem ist auch der Bezirksrevisor nicht entgegengetreten.

Indes erweist sich der Ansatz der Höchstsätze als unbillig und mit den Grundsätzen des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG nicht vereinbar.

Nach dieser Vorschrift bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen.

Bei der Bestimmung, wann eine Rahmengebühr unbillig ist, ist zunächst von der sogenannten Mittelgebühr auszugehen. Die Mittelgebühr soll gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in den "Normalfällen" werden, in denen sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also eine übliche Bedeutung der Angelegenheit, ein durchschnittlicher Umfang und eine durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen. Jedoch kann jedes dieser Bemessungskriterien Anlass geben, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen. Dabei kann das geringere Gewicht eines Merkmals das überragende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren. Die Höchstgebühr kann danach nur in Betracht kommen, wenn zumindest einzelne Kriterien den Durchschnitt aller gewöhnlich vorkommenden Fälle beträchtlich überschreiten bzw. die Rechtssache insgesamt zu den bedeutendsten der in den jeweiligen Rahmen angesprochenen Verfahren gehört (LG Bad Kreuznach, Beschluss vom 15. Oktober 2018 - 2 KLs 1023 Js 6546/17 -, Rn. 17, juris, m.w.N.).

Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Vielmehr sind folgende Umstände bei der Bestimmung der Gebührenhöhe zu berücksichtigen:

(1) Umfang
Im Hinblick auf den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit weisen die bis zur Anklageerhebung 1338-blattstarken Akten nebst 75 Fallakten zwar einen beträchtlichen, jedoch für Verfahren vor der großen Strafkammer nicht völlig ungewöhnlichen Umfang auf. Die 73-Seiten lange Anklageschrift, wovon 28 Seiten auf den Anklagesatz entfallen, sowie die darin angeklagten 38 Fälle belegen, dass die angeklagten Taten von beträchtlichem Ausmaß waren, wobei allerdings zu beachten ist, dass die Tatbegehungsweisen im Wesentlichen dem gleichen modus operandi folgten und damit weitgehend als fortlaufendes und gleichgelagertes Geschehen erfasst werden konnten, wobei andererseits nicht verkannt wird, dass darüber hinaus weitere Delikte Gegenstand der Anklage waren. Nicht unberücksichtigt zu lassen ist schließlich, dass das Verfahren - beruhend auf einer Verständigung - in vier Hauptverhandlungstagen verhandelt werden konnte.

(2) Schwierigkeit
Die Schwierigkeit ist aufgrund der Komplexität des Tatgeschehens, der Vielzahl von Beweismitteln, der nach den Ermittlungen verbliebenen Beweisunsicherheiten, der Mehrzahl von Beteiligten, der Ausländereigenschaft des Verurteilten und damit einhergehender Verständigungserschwernisse sowie der rechtlichen Würdigung der Taten als weit überdurchschnittlich einzustufen, wobei jedoch der höchste Schwierigkeitsgrad von Verfahren, die vor großen Strafkammern verhandelt werden, gewiss nicht erreicht wird.

(3) Bedeutung der Sache
Die Bedeutung der Angelegenheit war für den Verurteilten aufgrund der drohenden Freiheitsstrafe dramatisch, was das vorliegende Verfahren jedoch aufgrund der Rechtsfolgenkompetenz der großen Strafkammer nicht wesentlich von anderen Verfahren unterscheidet.

(4) Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers
Die Vermögensverhältnisse des Verurteilten sind als bescheiden einzuschätzen. Dies ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sowie aus dem Schreiben des Verurteilten vom 24.11.2018 (Bl. 69 VH1), in welchem dieser seine Vermögensverhältnisse im offenen Vollzug dargestellt hat.

(5) Zusammenfassende Würdigung
Insgesamt stellt sich die Sache damit zwar als überdurchschnittlich dar. Sie weicht jedoch nicht so stark vom Normalfall ab, dass die Festsetzung der höchstmöglichen Gebühren billig und angemessen erschiene. Als angemessen und billig stellen sich aus den dargelegten Gründen vielmehr fiktive Wahlverteidigergebühren in Höhe von ¾ der jeweiligen Höchstgebühren dar.

aa) Ermittlungsverfahren
Hiervon ausgehend sind für das Ermittlungsverfahren folgende fiktiven Wahlverteidigergebühren angemessen:
Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG 337,50 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG 271,87 EUR
Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG 281,25 EUR
Summe 890,62 EUR

Damit übersteigen die dem Verteidiger nach § 58 Abs. 3 S. 3 RVG verbleibenden Gebühren in Höhe von 1.038,00 EUR (netto, ohne Auslagen) die Höchstgebühren eines Wahlanwalts in Höhe von 890,62 EUR (netto, ohne Auslagen) um 147,38 EUR, so dass auch dieser Differenzbetrag gemäß § 58 Abs. 3 S. 4 RVG zurückzuzahlen ist.

Insgesamt ergibt sich die Höhe der Pflichtverteidigergebühren für das Ermittlungsverfahren wie folgt:

Pflichtverteidigergebühren:
519,00 EUR
abzgl. Rückzahlung gem. § 58 Abs. 3 S. 3 RVG 111,25 EUR
abzgl. Rückzahlung gem. § 58 Abs. 3 S. 4 RVG 147,38 EUR
Zwischensumme 260,37 EUR
zzgl. Auslagen 166,30 EUR
insg. 426,67 EUR zzgl. MwSt. 81,06 EUR
Summe 507,73 EUR

bb) Gerichtliches Verfahren
Für das gerichtliche Verfahren erweisen sich folgende Wahlverteidigergebühren als angemessen:
Verfahrensgebühr Nr. 4113, 4112 VV RVG 300,00 EUR
4 Terminsgebühren Nr. 4115, 4114 VV RVG à 525,00 EUR, insg. 2.100,00 EUR
Terminsgebühr/Zusatzgebühr Nr. 4116 VV R VG
nicht vorgesehen beim Wahlanwalt
Summe 2.400,00 EUR

Damit übersteigen die dem Verteidiger nach § 58 Abs. 3 S. 3 RVG verbleibenden Gebühren in Höhe von 3.112,00 EUR (netto, ohne Auslagen) die Höchstgebühren eines Wahlanwalts in Höhe von 2.400,00 EUR (netto, ohne Auslagen) um 712,00 EUR, so dass auch dieser Differenzbetrag gemäß § 58 Abs. 3 S. 4 RVG zurückzuzahlen ist.

Insgesamt ergibt sich die Höhe der Pflichtverteidigergebühren für das gerichtliche Verfahren wie folgt:

Pflichtverteidigergebühren: 1.556,00 EUR
abzgl. Rückzahlung gem. § 58 Abs. 3 S. 3 RVG 754,92 EUR
abzgl. Rückzahlung gem. § 58 Abs. 3 S. 4 RVG 712,00 EUR
Zwischensumme 89,08 EUR zzgl. Auslagen 597,40 EUR
insg. 686,48 EUR zzgl. MwSt. 130,43 EUR
Parkgebühren 23,40 EUR
Summe 840,31 EUR

c) Hinzuzurechnen sind die weiteren von dem Verteidiger geltend gemachten und als Kopierkosten festgesetzten Auslagen in Höhe von 1.149,00 EUR inkl. Mehrwertsteuer.
d) Somit errechnet sich insgesamt eine Pflichtverteidigerentschädigung in Höhe von 2.497,04 EUR (507,73 EUR + 840,31 EUR + 1.149,00 EUR), die gegen den Verurteilten in Ansatz gebracht werden kann.

III.

Das Verfahren über die Erinnerung ist gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 RVG gebührenfrei; Kosten werden gemäß § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.


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