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RVG Entscheidungen

Gebühren-/Kostenfragen - Auslagen

Auslagenerstattung, auswärtiger Rechtsanwalt, Reisekosten, Übernachtung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Oldenburg, Beschl. v. 13.07.2022 - 5 Qs 217/22

Eigener Leitsatz: Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers kommt gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist nur unter besonderen Voraussetzungen, die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall. Die Erstattungsfähigkeit ist zu bejahen, wenn bei einer schwierigen oder abgelegenen Rechtsmaterie ein Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen, die kein Rechtsanwalt vor Ort hat, erforderlich erscheint.


Landgericht Oldenburg

Beschluss

5 Qs 217/22

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen Ordnungswidrigkeit

hat das Landgericht - 5. Große Strafkammer - Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, Richter am Landgericht und Richterin am 13.07.2022 beschlossen:

1. Auf die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde des vormals Betroffenen vom 07.06.2022 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Vechta vom 23.05.2022 (Az. 5 Qs 600 Js 51671/21 (217/22)) dahingehend abgeändert, dass die von der Landeskasse zu erstattenden Auslagen auf insgesamt 1.404,91 Euro festgesetzt werden.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Vechta hat das Verfahren gegen den jetzigen Beschwerdeführer im Hauptverhandlungstermin vom 22.02.2022 nach § 47 OWiG eingestellt und die Erstattung notwendiger Auslagen angeordnet. Durch Beschluss des Amtsgerichts Vechta vom 23.05.2022, der dem Verteidiger am 25.05.2022 zugegangen ist, wurden die von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1064,44 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich das — als Beschwerde eingelegte — Rechtsmittel vom 07.06.2022.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Hinsichtlich der Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG), der Verfahrensgebühr (Nr. 5105 VV RVG), der Verfahrensgebühr (Nr. 5111 VV RVG), der Terminsgebühr (Nr. 5112 VV RVG), der Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) sowie der Auslagen Aktenversendung wird auf den Beschluss vom 23.05.2022 sowie die Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 10.03.2022 hingewiesen, die insoweit der ständigen Rechtsprechung der Kammer entsprechen.

Hinsichtlich der Reisekosten, Tages- und Abwesenheitsgelder, Übernachtungskosten sowie der Festsetzung der Mehrwertsteuer wird Folgendes ausgeführt:

1. Die Erstattung von Reisekosten und Abwesenheitsgelder eines nicht am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Verteidigers kommt gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann in Betracht, wenn seine Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist nur unter besonderen Voraussetzungen (vgl. insoweit Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 464a Rn. 12 m.w.N.), die dem Ausnahmecharakter des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO Rechnung tragen, der Fall.

Die Erstattungsfähigkeit ist zu bejahen, wenn bei einer schwierigen oder abgelegenen Rechtsmaterie ein Rechtsanwalt mit besonderen Fachkenntnissen, die kein Rechtsanwalt vor Ort hat, erforderlich erscheint (OLG Düsseldorf 6.10.1970 — 2 Ws 443/70, NJW 1971, 1146; 6.4.1981 — 1 Ws 210-211/81, NStZ 1981, 451; OLG Bamberg 20.3.1986 — Ws 147/86, JurBüro 1987, 558). Auch wenn der Angeklagte selber weit vom Gerichtsort entfernt wohnt und er ansonsten zur Rücksprache mit seinem Verteidiger große Strecken fahren müsste, oder wenn der Angeklagte bei Beauftragung des Anwalts davon ausgehen konnte, dass das Verfahren am Kanzleiort des Rechtsanwalts geführt wird, sind die Auslagen wohl als notwendige anzusehen (LG Flensburg 30.5.1984 — 1 Qs 126/84, JurBüro 1984, 1537; OLG Celle 22.1.1985 — 1 Ws 25/85, StV 1986, 208). Einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Betroffenen/Angeklagten kommt nur bei einem schweren Schuldvorwurf regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu (OLG Celle 28.10.1991 — 3 Ws 226/91, StV 1993, 135; OLG Köln 16.11.1991 — 2 Ws 452/91, NJW 1992, 586; OLG Naumburg 17.10.2008 — 1 Ws 307/08, StraFo 2009, 128). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

Nach Würdigung aller Gesamtumstände kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Hinzuziehung des Verteidigers für den vormals Betroffenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war:

Der Betroffene war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids in 04860 Torgau und ist aktuell nunmehr in 04157 Leipzig wohnhaft. Der von ihm beauftragte Rechtsanwalt hat seinen Kanzleisitz in Torgau, was sich zunächst an seinem Wohnsitz und nunmehr in örtlicher Nähe zu seinem jetzigen Wohnsitz befindet. Überdies wurde dem Betroffenen im vorliegenden Fall mit Bußgeldbescheid vom 16.12.2020 wegen eines Verstoßes gegen § 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 24 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 32 S. 1 IfSG sowie den §§ 28, 29, 30 Abs. 1 2 IfSG eine Geldbuße von 25.000,00 EUR — mithin eine sehr empfindsame finanzielle Belastung — auferlegt. Schließlich besteht ausweislich des Vortrags des Rechtsanwalts seit vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem ehemals Betroffenen. Eine Beauftragung eines Rechtsanwalts mit Kanzleisitz am Ort des Prozessgerichts erscheint unter Berücksichtigung dieser Umstände unzumutbar. Die seitens des Rechtsanwalts beantragten Reisekosten sind daher erstattungsfähig.

Zu den Reisekosten gehören als sonstige Auslagen (RVG VV Nr. 7006) auch angemessene Übernachtungskosten. Die Ersatzfähigkeit von Übernachtungskosten orientiert sich dem Grunde nach allein an der Frage der Zumutbarkeit eines Reisebeginns zur Nachtzeit (§ 758 a IV ZPO). Ein Reiseantritt (ab Wohnung des Rechtsanwalts) vor 6 Uhr morgens ist in der Regel nicht zumutbar (OLG Nürnberg, Beschl. v. 13. 12. 2012 — 12 W 2180/12). Die Verhandlung begann am 22.02.2022 um 9:30 Uhr. Bei einer Fahrtzeit aus Torgau zum Amtsgericht Vechta von über vier Stunden wäre ein Reiseantritt vor sechs Uhr morgens — mithin zur Nachtzeit —erforderlich und somit unzumutbar gewesen, weshalb das Gericht die Übernachtungskosten als notwendig und mithin als erstattungsfähig ansieht. Zu berücksichtigen ist, dass in den Übernachtungskosten, die seitens des Rechtsanwalts geltend gemacht wurde, auch die Kosten eines Frühstücks in Höhe von 12,50 EUR enthalten waren. Diese anteiligen Kosten sind abzuziehen, weil der Anwalt auch ohne Durchführung der Geschäftsreise — dann zu Hause —ein Frühstück eingenommen hätte und insoweit also eigene Kosten erspart worden sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 5. 2012 - 1-10 W 5/12, NJW-Spezial 2012, 732). Verpflegungskosten anlässlich einer Geschäftsreise sind durch die Tages- und Abwesenheitsgelder, die der Anwalt beantragen kann, abgegolten. Daher können diese Kosten nicht als reisebedingt der Staatskasse in Rechnung gestellt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. 5. 2012 -1-10 W 5/12, NJW-Spezial 2012, 732). Die Kosten des Frühstücks sind mithin von den geltend gemachten Übernachtungskosten in Höhe von 91,50 EUR abzuziehen.

2. Hinsichtlich des Tage- und Abwesenheitsgeldes wurde im Schriftsatz vom 28.02.2022 seitens des Rechtsanwalts kein Antrag gestellt. Auch fehlt es in der Beschwerdebegründung an einem Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz von Tage- und Abwesenheitsgeldern. Der Rechtsanwalt wies in seiner Beschwerdebegründung erstmals daraufhin, dass auch Tage- und Abwesenheitsgelder zu erstatten seien, bezifferte das zu ersetzenden Tage- und Abwesenheitsgelder jedoch nicht konkret und machte hierzu auch keine substantiierten Ausführungen. Tage- und Abwesenheitsgelder können mithin nicht ersetzt werden.

3. Gesonderte Reisekosten des vormals Betroffenen wurden im Rahmen der Kostenauflistung im Schriftsatz vom 28.02.2022 nicht und auch ansonsten nicht substantiiert geltend gemacht, sind mithin auch nicht erstattungsfähig.

4. Nach alldem war auch die nach Nr. 7008 VV RVG anzusetzende Umsatzsteuer wie vom Betroffenen im Rahmen der Kostenauflistung beantragt mit 19 % festzusetzen. Zwar beträgt nach Art. 3 Nr. 3 Abs. 1 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz (Zweites Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29. Juni 2020) vom 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 Prozent der Bemessungsgrundlage. Entscheidend für die Anwendung dieses verringerten Steuersatzes ist jedoch der Zeitpunkt der Erledigung des anwaltlichen Auftrags. Der Auftrag des Verteidigers endete hier mit der Erreichung des Rechtsschutzziels durch die Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG und damit nach dem Zeitraum, in dem der reduzierte Umsatzsteuersatz galt.

5. Insgesamt stellt sich die zutreffend festgesetzte Gebühr wie folgt dar:

Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG) 100,00 EUR
Verfahrensgebühr (Nr. 5105 VV RVG) 170,00 EUR
Verfahrensgebühr (Nr. 5111 VV RVG) 200,00 EUR
Terminsgebühr (Nr. 5112 VV RVG) 320,00 EUR
Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG 255,60 EUR
Auslagen Aktenversendung 36,00 EUR
Übernachtungskosten 79,00 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR
Zwischenergebnis 1180,60 EUR
MWSt 19 % 224,31 EUR
Summe 1.404,91 EUR

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Der Beschwerdeführer begehrte ursprünglich 1.426,20 Euro, mit dem hiesigen Rechtsmittel letztlich 361,76 Euro. Die hiesige Entscheidung weicht lediglich um 21,29 € von dem ursprünglichen Antrag des Beschwerdeführers ab. Der Beschwerdeführer verliert mithin nur in dieser Höhe. Da es sich hierbei um ca. 5 % handelt, tritt der Teilverlust hinter dem Umfang des Erfolgs deutlich zurück.


Einsender: K. P. Wöhlermann, Torgau

Anmerkung:


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