Gericht / Entscheidungsdatum: LG Detmold, Beschl. v. 21.02.2023 – 23 Qs 121/22
Leitsatz des Gerichts:
1. § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG bezweckt bei Verfahrensverbindungen eine Erstreckung der Gebührengewährung für frühere Anwaltstätigkeiten nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG gerade nicht automatisch und ausnahmslos, sondern nur aufgrund einer im Einzelfall orientierten Ermessensentscheidung. Das betrifft etwa frühere anwaltliche Tätigkeiten in Verfahren, in denen bei getrennter Durchführung keine Verteidigerbestellung erfolgt wäre. Denn eine Verbindung/Abtrennung von Verfahren durch die Staatsanwaltschaft hat eine andere Bedeutung und ein anderes Gewicht als eine solche durch das Gericht erfolgte Entscheidung.
2. Es wird darauf hingewiesen, dass die vorliegende Entscheidung die alte Fassung des § 48 RVG betrifft.
In pp.
Die Beschwerde wird verworfen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Gegen den Verurteilten war unter dem Aktenzeichen 22 Js 281/17 ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs u.a. bei der Staatsanwaltschaft E anhängig.
Ferner wurden gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft zahlreiche weitere Ermittlungsverfahren verschiedenster Polizeibehörden geführt, die in der Folgezeit durch die Staatsanwaltschaft E zu dem Verfahren 22 Js 281/17, das führend blieb, hinzuverbunden und als Fallakten geführt wurden. Durch Verfügung vom 08.08.2017 wurden die Verfahren 22 Js 363/17, 22 Js 593/17 und 22 Js 712/17 und mit Verfügung vom 28.09.2017 die Verfahren 22 Js 798/17 und 22 Js 887/17 hinzuverbunden. Gemäß Verfügung vom 21.12.2017 wurden die Verbundakten 22 Js 363/17 und 22 Js 593/17 als Fallakten 1 und 2, die Verbundakte 22 Js 712/17 als Fallakte 3, die Verbundakte 22 Js 798/17 als Fallakte 4 und die Verfahren 22 Js 887/17, 22 Js 967/17, 22 Js 1019/17, 22 Js 1058/17, 22 Js 1296/17 und 22 Js 1304/17 als Fallakten 6 bis 11 angelegt. Mit gleicher Verfügung wurde das Verfahren 22 Js 828/17 als Fallakte 5 hinzuverbunden. Mit Verfügung vom 05.04.2018 wurde das Verfahren 35 Js 572/18 als Fallakte 15 hinzuverbunden und ein Fallaktenband betreffend weiterer von der Polizei bereits angelegter Fallakten 12 bis 14, 24, 26 bis 29, 30 bis 32 (wobei diese Ermittlungsverfahren allerdings nur in geringem Umfang übernommen wurden) angelegt.
Mit Schriftsatz vom 05.09.2017 meldete sich der Beschwerdeführer gegenüber der KPB M mit einem Strafverteidigungshinweis zum (Sammel-)Verfahren 22 Js 281/17. Mit Schriftsatz vom gleichen Datum meldete er sich gegenüber der Staatsanwaltschaft E zu dem Verfahren 22 Js 281/17 und bat um Einsicht in alle Akten sowie um Erfassung seiner Person als Verteidiger für alle Verfahren. Mit weiterem Schriftsatz vom 20.09.2017 zeigte der Beschwerdeführer gegenüber der KPB M erneut die Verteidigung in dem Sammelverfahren 22 Js 281/17 an. Am 06.12.2017 erhielt der Beschwerdeführer die beantragte Akteneinsicht (in 23 Bände Akten).
Unter Verfolgungsbeschränkung, deren Umfang sich aus der Verfügung vom 25.04.2018 (Bl. 282 d.A.) ergibt, erhob die Staatsanwaltschaft am 25.04.2018 Anklage gegen den Verurteilten zum Amtsgericht -Schöffengericht- Lemgo wegen Urkundenfälschung in 19 Fällen, davon in fünf Fällen tateinheitlich mit gewerbsmäßigen Betrugs sowie wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 14 weiteren Fällen. Sie beantragte ferner mit gleicher Verfügung, dem Verurteilten wegen der Straferwartung nach § 140 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger zu bestellen.
Durch Beschluss vom 15.05.2018 wurde der Beschwerdeführer in dem Sammelverfahren gemäß § 140 Abs. 2 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt. In dem Hauptverhandlungstermin vom 13.09.2019 beantragte der Beschwerdeführer festzustellen, dass sich die Pflichtverteidigung auch auf die Ermittlungsverfahren insgesamt erstrecke (Bl. 425 d.A).
Im Weiteren wurde der Verurteilte am 13.09.2019 durch Urteil des Amtsgerichts Lemgo wegen Betrugs in 12 Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich wegen versuchten Betrugs und tateinheitlich mit Urkundenfälschung und in einem Fall tateinheitlich wegen Urkundenfälschung, sowie wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. In Höhe eines Betrags von 5.962,81 Euro wurde die Einziehung des Erlangten angeordnet.
Eine Erstreckungsentscheidung auf den zuvor vom Beschwerdeführer gestellten Antrag erging durch das Amtsgericht Lemgo zunächst nicht.
Mit Schriftsatz vom 28.12.2021, dem Amtsgericht Lemgo am 31.12.2021 zugegangen, beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 8.884,12 €. Zur Begründung führte er aus, dass er den Verurteilten seit September 2017 vollumfänglich in allen Ermittlungsverfahren vertrete. Ihm stehe daher ein gesonderter Vergütungsanspruch für alle nachfolgend genannten Verfahren zu. Im Einzelnen beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung der folgenden Gebühren:
I. Ermittlungsverfahren
a) Anklagepunkt 1, zuvor 601 1362/16, später Fallakte 9 zu 22 Js 281/17
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 31,30 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
b) Anklagepunkt 2+3, zuvor 35 Js 572/18 und 602 Js 4023/17 (Fallakte 15)
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 21,50 €
4.Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
c) Anklagepunkt 4, zuvor 601 Js 367/17 und 22 Js 967/17 (Fallakte 7)
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 28,60 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
d) Anklagepunkt 5+6, zuvor 22 Js 712/17 (Fallakte 3)
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 10,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
e) Anklagepunkt 7, zuvor 601 1362/16 (Fallakte 9)
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 31,30 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
f) Anklagepunkt 8, zuvor 22 Js 1058/17 und 601 Js 1362/16 (Fallakte 9)
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
g) Anklagepunkt 9, 22 Js 181/17, später Fallakte 26
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 1,50 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
h) Anklagepunkt 10, zuvor 22 Js 363/17 (Fallakte 1)
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 25,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
j) Anklagepunkt 12, später Fallakte 13
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 04,50 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
k) Anklagepunkt 13, zuvor 35 Js 572/18, später Fallakte 15
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 22,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
l) Anklagepunkt 14, dann zuvor 22 Js 828/17, dann später Fallakte 5b
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 25,90 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
m) Anklagepunkt 15, zuvor 22 Js 887/17, später Fallakte 6
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 10,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
n) Anklagepunkte 16-26, Fallakte 14
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 12,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
o) Anklagepunkte 17, 22 Js 1296/17, später Fallakte 28
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 3,50 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
p) Anklagepunkte 28, Fallakte 12
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 22,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
q) Anklagepunkte 29, zuvor 22 Js 1304/17, später Fallakte 11
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 13,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
s) Anklagepunkte 31, zuvor 22 Js 1296/17, später Fallakte 10
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 15,50 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
u) Anklagepunkte 33, zuvor 22 Js 1019/17, später Fallakte 8
1. Grundgebühr - Nr. 4100 VV RVG 160,00 €
2. Verfahrensgebühr - Nr. 4104 VV RVG 132,00 €
3. Dok. Pauschale - Nr. 7000 VV RVG 7,00 €
4. Postpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
II. Gerichtliches Verfahren
1. Verfahrensgebühr - Nr. 4106 VV RVG 132,00 €
2. Terminsgebühr - Nr. 4108 VV RVG 02.10. 220,00 €
3. Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 25,00 €
4. Fahrtkosten 02.10. 18,60 €
5. Terminsgebühr HVT 10.09. 220,00 €
6. HVT über 5 Std. Nr. 4110 VV RVG 110,00 €
7. Abwesenheitsgeld 10.09. 40,00 €
8. Fahrtkosten 10.09. 18,60 €
9. Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG 13.09.2018 220,00 €
10. Abwesenheitsgeld 13.09.2018 40,00 €
11. Fahrtkosten 13.09.2018 18,60 €
12. Verfahrensgebühr bei Einziehung Nr. 4142 VV RVG 349,00 €
13. Dok. Pauschale Nr. 7000 VV RVG 32,25 €
14. Auslagenpauschale - Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
19 % Umsatzsteuer 1.418,47 €
Summe 8.884,12 €
Mit Verfügung vom 19.01.2022 wies der Rechtspfleger des Amtsgerichts Lemgo darauf hin, das ohne eine gerichtliche Erstreckungsentscheidung eine Erstattung betreffend die weiteren im Antrag genannten Ermittlungsverfahren nicht in Betracht komme.
Mit Stellungnahme vom 20.04.2022 wies die Bezirksrevisorin darauf hin, dass sie die vom Amtsgericht Lemgo geäußerte Rechtsauffassung betreffend eine Erstreckungsentscheidung teile. Zudem rügte sie, dass die geltend gemachte Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG ihrer Auffassung nach nicht entstanden sei, da eine auf die Einziehung gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht erkennbar sei.
Mit Beschluss vom 28.04.2022 beschloss das Amtsgericht Lemgo, dass sich die Pflichtverteidigerbeiordnung auch auf die Ermittlungsverfahren Fallakte 7 zu 22 Js 281/17, vormals 22 Js 967/17, und Fallakte 1 zu 22 Js 281/17, vormals 22 Js 363/17, erstrecke. Eine Erstreckung im Übrigen lehnte das Amtsgericht Lemgo ab. Zur Begründung führte das Amtsgericht Lemgo im Wesentlichen aus, dass die Fallakten 1 und 7 ursprünglich getrennte Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft E gewesen wären, bezüglich welcher auch ohne vorherige Verbindung eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO erfolgt wäre, da die Taten schwerwiegend gewesen seien und jeweils eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr gedroht habe. Der Verteidiger sei in diesen beiden Verfahren auch tätig geworden. Bezüglich der weiteren Verfahren hätten die Beiordnungsvoraussetzungen nicht vorgelegen, weswegen insoweit eine Erstreckung abzulehnen sei.
Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer keine Beschwerde ein.
Mit Beschluss vom 13.05.2022 setzte das Amtsgericht Lemgo den Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers lediglich auf 2.170,14 € fest, da die Beiordnung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger durch Beschluss vom 28.04.2022 lediglich noch auf die als Fallakten 1 und 7 verbundenen Verfahren erstreckt worden sei. Ferner hat das Amtsgericht Lemgo die angemeldete Verfahrensgebühr für das Einziehungsverfahren gemäß Nr. 4142 VV RVG nicht als erstattungsfähig angesehen, da sich weder aus den Protokollen noch aus der Rückfrage bei der Vorsitzenden ergeben habe, dass während der Hauptverhandlung die einzuziehenden Beträge überhaupt erörtert bzw. vom Verteidiger in Frage gestellt worden seien. Es sei ohne konkrete Erörterung des Wertersatzes eine Verurteilung hinsichtlich der vom Angeklagten eingestanden Taten erfolgt, womit automatisch die Reduzierung des ursprünglich mit Anklage beantragten Wertersatzes einhergegangen sei.
Gegen den vorbenannten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 07.06.2022 Erinnerung eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, dass sich seiner Auffassung nach die Beiordnung auf alle hinzuverbundenen Verfahren erstrecke. Einer Erstreckungsanordnung bedürfe es nicht. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass ihm nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG mit der Beiordnung als Pflichtverteidiger im verbundenen Verfahren auch ein Vergütungsanspruch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung zustehe. Der Vergütungsanspruch erfasse daher auch jedwede seiner Tätigkeiten im Rahmen der einzelnen zur Hauptakte verbundenen Ermittlungsverfahren. Er ist ferner der Auffassung, dass allein mit Anklageerhebung und dessen Einziehungsanordnung auch schon die Gebühr zu Nr. 4142 VV RVG festzusetzen sei. Wegen der weiteren Begründung der Erinnerung wird auf den Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 07.06.2022 (Bl. 552 ff. d.A.) verwiesen. Eine Beschwerde gegen den Beschluss vom 28.04.2022 legte er auch jetzt nicht ein.
Der Erinnerung hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts Lemgo nicht abgeholfen, sondern die Sache mit Beschluss vom 08.07.2022 der zuständigen Richterin vorgelegt. Wegen der Einzelheiten insoweit wird Bezug genommen auf den Beschluss Bl. 556 ff.d.A.
Mit Beschluss vom 13.12.2022 hat das Amtsgericht Lemgo die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen. Hierzu führte das Amtsgericht aus, dass in der Rechtsprechung umstritten sei, ob eine Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG erforderlich sei, wenn zunächst Verfahren verbunden wurden und danach eine Beiordnung als Pflichtverteidiger erfolge. Das Gericht sei allerdings der Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Entscheidung über die Erstreckung erforderlich sei, damit der Verteidiger seine Gebührenansprüche gegen den Staat geltend machen könne. Denn die ratio legis des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG lasse keine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Verbindung zu. Gerade die Verfahrensverbindung bei der Staatsanwaltschaft habe andere Beweggründe als eine Verfahrensverbindung bei Gericht. Aus diesem Umstand einen Gebührenanspruch herleiten zu wollen, sei unangemessen. Eine Vergütung eines Verteidigers aus der Staatskasse für hinzuverbundene Verfahren solle auf solche Fälle beschränkt sein, in denen es aus sachlichem Grund geboten sei. Da eine Erstreckungsentscheidung nur hinsichtlich der Fallakten 1 und 7 erfolgt sei, komme im Übrigen eine Erstattung der angemeldeten Gebühren nicht in Betracht. Auch die Verfahrensgebühr für die Einziehung sei nicht zu erstatten, eine irgendwie geartete Tätigkeit des Verteidigers in Bezug auf die Einziehung ergebe sich nicht.
Mit Schriftsatz vom 15.12.2022, dem Amtsgericht am selben Tag zugegangen, legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den vorbenannten Beschluss ein. Zur Begründung wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine vorherigen Argumente. Seiner Auffassung nach erstrecke sich die Pflichtverteidigerbestellung auf die Gesamtheit der (verbundenen) Ermittlungsverfahren, die Abrechnung müsse über § 48 Abs. 6 RVG richtig festgesetzt werden. § 48 Abs. 5 RVG sei nicht einschlägig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird Bezug genommen auf Bl. 565 ff. d.A.
Am 04.01.2023 hat die Bezirksrevisorin ausgeführt, dass eine weitere Stellungnahme ihrerseits nicht beabsichtigt sei. Sie teile die Auffassung des Amtsgerichts Lemgo im Beschluss vom 13.12.2022.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist als das nach §§ 56 Abs. 2, 33 RVG statthafte Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde auszulegen.
Diese ist auch im Übrigen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Zutreffend hat das Amtsgericht die Erinnerung des Beschwerdeführers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 13.05.2022 zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer steht kein weitergehender Vergütungsanspruch nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG zu.
1. Inwieweit ein Pflichtverteidiger gegen die Staatskasse Gebühren geltend machen kann, die vor seiner Beiordnung entstanden sind, richtet sich gemäß § 60 RVG nach § 48 Abs. 6 RVG idF vom 18.01.2017 bis 31.12.2020, da die Entscheidung über die Beiordnung 2018 gefallen ist, auch wenn das Kostenfestsetzungsverfahren erst Ende 2021 begann.
Die Frage, ob in Altfällen, wie dem vorliegend zur Entscheidung stehenden, eine Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG getroffen werden muss und sich danach die festzusetzenden Rechtsanwaltsgebühren bemessen, ist umstritten.
Aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG folgt, dass im Hinblick auf das Verfahren, für das die Beiordnung erfolgt, der Verteidiger aufgrund der Beiordnung auch Pflichtverteidigergebühren für die in diesem Verfahren vor der Beiordnung entfalteten Tätigkeiten verlangen kann.
a) Nach einer insbesondere in der Literatur und Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung soll aus § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG darüber hinaus auch direkt der Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in den vor der Beiordnung hinzuverbundenen Verfahren folgen. Der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG ist nach dieser Ansicht auf Fälle beschränkt, in denen nach einer Beiordnung noch weitere Verfahren hinzuverbunden werden (so OLG Hamm, Beschlüsse vom 16. Mai 2017, Az. 1 Ws 95/17, Rdn. 33; vom 6. Juni 2005, Az.: 2 (s) Sbd VIII - 110/05, Rn. 7 und 14; OLG Bremen, Beschluss vom 7. August 2012, Az.: Ws 137/11, Rdn. 14 f.; KG, Beschluss vom 17.03.2009, Az.: 1 Ws 369/08, Rdn. 3; OLG Jena, Beschluss vom 12. Juni 2008, Az.: 1 AR (S) 13/08, Rdn. 19 - jeweils zit. nach juris; Gerold/Schmidt/Burhoff, 23. Aufl. 2017, RVG § 48 Rn. 205; Mayer/Kroiß, RVG § 48 Rdn. 127; Riedel/Sußbauer-Ahlmann, RVG, 10. Aufl. 2015, § 48 Rdn. 43; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, RVG § 48 Rdn. 61).
Ein solcher Fall ist vorliegend allerdings nicht gegeben.
b) Nach anderer Auffassung gilt die Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG für alle Fälle der Verfahrensverbindung, ungeachtet der zeitlichen Reihenfolge von Verbindung und Beiordnung (so Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 20. November 2017 - 2 Ws 179/17 -, Rdn. 13; LG Osnabrück, Beschluss vom 13. Mai 2016 - 10 Qs 27/16 -; OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. April 2014, Az.: 1 Ws 48/14, Rdn. 31 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 2012, Az.: 2 Ws 242/12, Rdn. 14 ff.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27. Dezember 2010, Az.: 1 Ws 583/10, Rdn. 7; ähnlich: OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2009, Az.: I Ws 8/09, Rdn. 8; OLG Celle, Beschluss vom 02. Januar 2007 - 1 Ws 575/06 - jeweils zit. nach juris). Hiernach führt die Beiordnungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG gerade nicht dazu, dass sich automatisch eine Rückwirkung auch für getrennte Verfahren vor einer Verbindung und anschließender Beiordnung ergebe.
c) Die Kammer schließt sich vorliegend für den zur Entscheidung stehenden Altfall dieser Auffassung an. Denn weder der Wortlaut noch systematische Erwägungen geben Veranlassung, die Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG nicht auf alle Verfahrensverbindungen anzuwenden, unabhängig davon, wann sie erfolgten. Hierfür spricht insbesondere die ratio legis (vgl. insoweit nur Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 20. November 2017 - 2 Ws 179/17 - juris) sowie die herrschende Rechtsprechung zu der Frage der nachträglicher Pflichtverteidigerbeiordnung nach der alten und der neuen Gesetzeslage. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bezweckt bei Verfahrensverbindungen eine Erstreckung der Gebührengewährung für frühere Anwaltstätigkeiten nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG gerade nicht automatisch und ausnahmslos, sondern nur aufgrund einer am Einzelfall orientierten Ermessensentscheidung herbeizuführen. Bei einem sachlich nicht gerechtfertigten Gebührenanspruch gegen die Staatskasse ist von einer Erstreckung abzusehen. Das betrifft etwa frühere anwaltliche Tätigkeiten in Verfahren, in denen bei getrennter Durchführung keine Verteidigerbestellung erfolgt wäre, und nicht einzusehen ist, warum allein wegen einer - optionalen - Verbindung (insbesondere bei einer solchen durch eine andere Behörde erfolgten) mit einem anderen Verfahren Gebührenansprüche für frühere Anwaltstätigkeiten gegen die Staatskasse entstehen sollten. Denn eine Verbindung/Abtrennung von Verfahren durch die Staatsanwaltschaft hat eine andere Bedeutung und ein anderes Gewicht als eine solche durch das Gericht erfolgte Entscheidung (vgl. insoweit LG Aurich, Beschluss vom 31. März 2021 - 13 Qs 9/21 m.w.N.). Umgekehrt ist eine Erstreckung im obigen Sinne in der Regel dann auszusprechen, wenn auch in dem hinzuverbundenem Verfahren als solchem bereits eine Verteidigerbestellung geboten gewesen wäre. Diese ratio legis einer Einzelfall-Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG lässt nach Ansicht der Kammer, die sich insoweit den überzeugenden Ausführungen insbesondere des OLG Celle (Beschluss vom 04.09.2019 - 2 Ws 253/19) anschließt, keine Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Verbindung zu.
Vorliegend waren neben dem Hauptverfahren allein in den als Fallakten 1 (vormals 22 Js 363/17) und 7 (22 Js 967/17) die Voraussetzungen für eine Beiordnung gegeben. Dies steht für die Kammer fest aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Amtsgerichts Lemgo vom 28.04.2022. Mit diesem Beschluss hat das Amtsgericht Lemgo eine Erstreckungsentscheidung auf den Antrag des Beschwerdeführers allein hinsichtlich der genannten Fallakten 1 und 7 ausgesprochen und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Gegen diese teilweise Ablehnung der beantragten Erstreckung ist der Beschwerdeführer nicht vorgegangen, diese Entscheidung ist somit in Rechtskraft erwachsen (vgl. nur OLG Celle, BeckRS 2022, 6165 Rdn. 16; LG Leipzig, Beschluss vom 19.01.2021 - 13 Qs 8/21).
In Verfahren über eine weitere Beschwerde nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 RVG - wie hier - wird die Richtigkeit der Erstreckungsentscheidung gerade nicht überprüft (vgl. nur OLG Braunschweig, NStZ-RR 2014, 232; Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 48 Rdn. 188, 207¸ OLG Celle, BeckRS 2022, 6165 Rdn. 16).
d) Da eben eine weitergehende positive Erstreckungsentscheidung durch das Amtsgericht Lemgo nicht getroffen wurde, sind die vom Beschwerdeführer unter den Punkten I. a), b), d) bis u) geltend gemachten Gebühren zu Recht nicht festgesetzt worden.
2. Das Amtsgericht hat ferner zu Recht eine Erstattung der geltend gemachten Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG abgelehnt.
Bei der Gebühr nach Nr. 4142 RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Sie entsteht (zusätzlich) für Tätigkeiten des Rechtsanwaltes bei Einziehung oder verwandten Maßnahmen, hier also solchen nach § 73 ff. StGB. Die Gebühr entsteht bereits, wenn sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes auf eine Einziehung "bezieht" (vgl. insoweit OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022 - 1 Ws 38/22). Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr - unabhängig vom Umfang der Tätigkeit - zusteht. Indes ist zwar eine Einziehung von Wertersatz mit der Anklageschrift beantragt worden, eine wie auch immer beratende Tätigkeit des Beschwerdeführers ist nicht erkennbar. Eine solche hat er mit seinem Kostenfestsetzungsantrag nicht anwaltlich versichert. Zudem lässt sich weder aus seinen zahlreichen Schriftsätzen noch aus seinem Kostenfestsetzungsantrag eine Tätigkeit im Sinne "einer Beratung hinsichtlich einer Einziehung" erkennen. Auch aus den drei Hauptverhandlungsprotokollen ergibt sich weder, dass die mit der Anklage beantragte Einziehung von den Verfahrensbeteiligten erörtert wurde noch, dass der Beschwerdeführer insoweit Anträge gestellt oder Stellung dazu im Ganzen bzw. zu Einzelpositionen genommen hätte. Letztlich ergibt sich auch nicht anderes aus dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 07.06.2022 (Bl. 553 d.A.). Allein dass der Beschwerdeführer "bei einer Verständigung im HVT vor dem AG Lemgo auch die Einziehungsposition der Anklageschrift für seinen Mandanten verstärkt mit im rechtlichen Auge hatte" und "über gestaltete Verfahrenseinstellungen des Weges über § 154 StPO natürlich um die Reduzierung des Wertersatzes weiß", reicht nicht für die Annahme einer beratenden Tätigkeit im Sinne der Gebührenentstehung nach Nr. 4142 VV RVG aus (vgl. nur OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 391).
Entsprechend war auch insoweit die vom Beschwerdeführer unter Punkt II. 12) geltend gemachte Gebühr zu Recht nicht festgesetzt worden.
III. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 S. 2 und S. 3 RVG.
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