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RVG Entscheidungen

Gebühren-/Kostenfragen - Kostenentscheidung

Bußgeldverfahren, Einstellung, Verjährung, Auslagenerstattung

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 - 60 OWi 48/23

Eigener Leitsatz:

Zur Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse, wenn das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt wird.


Amtsgericht Büdingen

Beschluss

In der Bußgeldsache
gegen pp.
Verteidiger

wegen Ordnungswidrigkeit

hier: Kostenbescheid

hat das Amtsgericht Büdingen durch Richter am Amtsgericht pp. am 30.05.2023 beschlos-sen:

Der selbstständige Kostenbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 06.04.2023 (Ak-tenzeichen 308.211977.8) wird aufgehoben.
Nach Rücknahme des Bußgeldbescheides vom 10.11.2022 und nach Einstellung des Ver-fahrens hat die Staatskasse die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Ausla-gen zu tragen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen hat die Staats-kasse ebenfalls zu tragen.

Gründe:

Mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel (im Folgenden: Verwaltungsbehör-de) vom 10.11.2022 wurde gegen die Betroffene ein Bußgeld wegen vorgeworfener Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung am 11.05.2022 erlassen. Es wurde versucht, diesen der Betroffenen zuzustellen, wobei die Zustellungsurkunde allerdings nicht zur Verwaltungs-behörde zurück gelangte. Gleichzeitig wurde eine Abschrift des Bußgeldbescheides formlos an den Verteidiger übermittelt, der jedoch keine Vollmacht vorgelegt hatte. Dieser legte Ein-spruch ein.

Im Laufe des Verfahrens beantragte der Verteidiger gerichtliche Entscheidung bezüglich verschiedener, ihm seitens der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellter, Be-weismittel. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 12.04.2023 wurde dem Antrag teilweise stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war dem Gericht nicht bekannt, dass das Re-gierungspräsidium Kassel bereits mit Entscheidung vom 16.02.2023 das Verfahren gegen die Betroffene gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO eingestellt und den Bußgeldbescheid vom 10.11.2022 zurückgenommen hatte.

Der Verteidiger hat der Verwaltungsbehörde mit Schriftsatz vom 23.02.2023 eine Kosten-rechnung übermittelt.

Mit selbständigen Kostenbescheid vom 07.03.2023 hat die Verwaltungsbehörde entschie-den, dass „nach Rücknahme des Bußgeldbescheides vom 10.11.2022 und nach Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Betroffenen die ihm entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt" werden.

Die Begründung dieses Bescheides hat folgenden Wortlaut:

„Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S.2, 467 Abs. 3 S. 1 StPO kann davon abge-sehen werden, die notwendigen Kosten dem Betroffenen aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es wird nicht darauf abgestellt wer dieses Verfahrenshindernis zu verantworten hat. Das Verfahren ist eingestellt worden, weil nach Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten ist und gleichzeitig der Bußgeldbescheid zurückgenommen wurde. Nach Aktenlage besteht, wenn man die Ver-jährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Betroffene die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen hat. Die Geschwindigkeitsmessung erfolg-te ordnungsgemäß, das Gerät war geeicht, die mit der Messung beauftragten Personen waren entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen waren voll-ständig. Das Fahrerfoto entspricht dem Lichtbild des Betroffenen bei der Personalausweis-behörde.

Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuer-legen /vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22)."

Hierauf hat der Verteidiger sich für die Auslagenerstattung bedankt und den Bescheid vom 07.03.2023 „insoweit angenommen". Weiterhin hat er endgültige Festsetzung und Ausglei-chung der Kosten gemäß seinem Antrag vom 23.02.2023 beantragt.

Mit erneuten selbständigen Kostenbescheid vom 06.04.2023 hat die Verwaltungsbehörde den Antrag, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, zurückgewiesen und den selbstständigen Kostenbescheid vom 07.03.2023 für nichtig erklärt. Dieser Bescheid enthält folgende Begründung:

„Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S.2, 467 Abs. 3 S. 1 StPO kann davon abge-sehen werden, die notwendigen Kosten des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es wird nicht darauf abgestellt wer dieses Verfahrenshindernis zu verantworten hat. Das Verfahren wurde im vorliegenden Fall wegen Verjährung eingestellt und der Bußgeldbescheid gleichzeitig zu-rückgenommen. Nach Aktenlage besteht, wenn man die Verjährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass der Betroffene die vorgeworfene Ordnungs-widrigkeit begangen hat. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte ordnungsgemäß, das Gerät war geeicht, die mit der Messung beauftragten Personen waren entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen waren vollständig. Das Fahrerfoto entspricht dem bei der Personalausweisbehörde hinterlegten Lichtbild des Betroffenen.

Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuer-legen /vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22)."

Hiergegen hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.04.2023 Rechtsmittel eingelegt und die antragsgemäße Festsetzung der Auslagen beantragt. Die Betroffene sei weder als Fahrerin überführt, noch sei die Richtigkeit der Messung bewiesen, da die Behörde vorsätzlich Be-weismittel zum wesentlichen Teil gelöscht habe. Zudem habe das Amtsgericht Büdingen attestiert, dass der Zugang zu wesentlichen Beweismittel rechtswidrig verweigert worden sei. Daher habe die Behörde auch rechtswidrig verhindert, dass vorhandene Messfehler zum Nachteil der Betroffenen nachgewiesenen und vorgetragen werden konnten die Behör-de sei deshalb zur Auslagenerstattung verpflichtet.

Mit Verfügung vom 26.4.2023 hat die Verwaltungsbehörde eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen. Diese enthält folgende Begründung:

„In analoger Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze ist mein Be-scheid vom 07.03.2023 als nichtig anzusehen. Nichtigkeit eines Bescheides liegt bei beson-ders schwerwiegenden und offenkundigen Fehlern vor. Mein o.g. Bescheid enthält keine inhaltlich konsistente Kostenentscheidung, hier in der Form einer Auslagenentscheidung. Zwar erlegt der Tenor des Bescheids der Staatskasse die Auslagen auf, die Gründe tragen jedoch diese Entscheidung nicht, da sie in sich widersprüchlich sind. So wird an einer Stelle zur Auferlegung an die Staatskasse verwiesen, an anderer Stelle wiederum an die Betroffe-ne. Der Verweis auf § 467 Abs. 3 S.1 StPO schon nicht zum Sachverhalt des vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahrens. Die damit vorliegenden Fehler sind schwerwiegend und of-fensichtlich und ohne weiteres erkennbar.

Es entspricht zudem der ständigen Veraltungspraxis, in vergleichbaren Verfahrenskonstella-tionen von der Auferlegung der Kosten/Auslagen zum Nachteilt der Staatskasse abzusehen, wenn leidglich die Zustellurkunde zum Bußgeldbescheid nicht in Rücklauf kommt und damit ein Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO vorliegt."

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Zunächst bedarf es keiner ausdrücklichen Entscheidung, ob die Rechtsauffassung des Re-gierungspräsidiums zutreffend ist, wonach der Kostenbescheid vom 07.03.2023 nichtig ist. Dagegen würde jedenfalls sprechen, dass der Tenor der Entscheidung eindeutig formuliert ist, auch wenn die Gründe hierzu und auch in sich zum Teil widersprüchlich sind. Darüber hinaus korrespondiert der Tenor im selbständigen Kostenbescheid mit der grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers, wonach regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbeschei-des und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Be-troffenen zu tragen hat (vgl. § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO und § 467 Abs. 2 bis 5 StPO). Deshalb dürfte auch eine Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ausschei-den.

Ebenfalls offenbleiben kann, ob die Verwaltungsbehörde, unabhängig davon, zur Abände-rung dieser, die Betroffene begünstigten, Entscheidung (analog §§ 48, 49 VwVfG) befugt war.

Denn auch wenn man von der Befugnis der Behörde, erneut über die Frage der Auslagen-erstattung zu entscheiden, ausgeht, erweist sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als begründet. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen sind zu erstatten.

Zutreffend ist die Verwaltungsbehörde davon ausgegangen, dass sie, nachdem sie das Ver-fahren eingestellt hat, über die Auslagen der Betroffenen zu entscheiden hat. Denn eine Auslagenentscheidung der Verwaltungsbehörde ist nach § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO erforderlich, wenn das Verfahren nach Rücknahme eines Bußgeldbescheids einge-stellt wird. § 467a Abs. 1 StPO regelt sinngemäß, dass die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind, wobei § 467 Abs. 2 bis 5 StPO ebenfalls sinngemäß gilt (Grommes, in: BeckOK OWiG, Graf, 38. Edition, Stand: 01.04.2023 Rn. 8 ff.).

Daraus ergibt sich die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers, dass regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat. Die im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommende Ausnahme hiervon regelt § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO, wonach von der Auslagenerstattung abgesehen werden kann, wenn es nur deshalb nicht zu einer Verurtei-lung kommt, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

Diese Ausnahmevoraussetzung liegt im Ergebnis nicht vor, so dass die entstandenen not-wendigen Auslagen der Betroffenen zu erstatten sind.

Zum Zeitpunkt der Rücknahme des Bußgeldbescheides lag zwar Verfolgungsverjährung vor (§ 31 OWiG). Gemäß § 26 Abs. 3 S. 1 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate. Zunächst wurde die Verfolgungsverjährung durch die am 17.08.2022 seitens der Verwaltungsbehörde verfügte Anhörung der Betroffenen unterbrochen. Zwar wurde vor Ab-lauf der Dreimonatsfrist am 10.11.2022 der Bußgeldbescheid erlassen. Allerdings gelangte die Zustellungsurkunde nicht in Rücklauf, so dass die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG nicht unterbrochen wurde.

Allerdings fehlt es an der weiteren Voraussetzung, dass es nur wegen des Verfahrenshin-dernisses nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Hierbei ist nämlich stets dem Ausnah-mecharakter der Bestimmung Rechnung zu tragen. Bei Hinwegdenken des Verfahrenshin-dernisses muss deshalb mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein. Ist diese zweifelhaft, sind auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten bzw. Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 467 Rn. 10 f. m.w.N.).

Von einer sicheren Verurteilung kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, da eine Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin durch den Tatrichter nicht stattgefunden hat. Zwar legt ein Abgleich der Messbilder mit den in der Akte befindlichen Lichtbildern der Be-troffenen nahe, dass diese das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat. Die Fahrereigenschaft wurde allerdings nicht eingeräumt und es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausge-schlossen werden, dass nicht ein ähnlich aussehender Familienangehöriger das Fahrzeug gesteuert hat. Jedenfalls wäre das Gericht im Rahmen einer Hauptverhandlung gehalten gewesen, einem solchen - möglichen - Einwand nachzugehen.

Darüber hinaus kann auch nicht mit hinreichender Sicherheit von dem vorgeworfenen Höchstgeschwindigkeitsverstoß ausgegangen werden. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 12.04.2023 wurde die Verwaltungsbehörde dazu verpflichtet, dem Verteidiger verschiedene Beweismittel zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus wurde in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weitere Fragen des Verteidigers im Rah-men einer Hauptverhandlung durch Zeugenvernehmung geklärt werden können. Auch wenn bislang nach Aktenlage von einer ordnungsgemäßen Messung auszugehen ist, ist es, wie sich gelegentlich zeigt, gerade nicht auszuschließen, dass sich dies u.a. durch Vernehmung des Messbeamten in der Hauptverhandlung ausnahmsweise anders darstellt.

Im Übrigen wäre es inkonsequent, wenn nun von einer zu erwartenden sicheren Verurtei-lung ausgegangen würde, wenngleich mit Beschluss vom 12.04.2023 dem Antrag des Ver-teidigers auf Überlassung von Beweismitteln teilweise stattgegeben und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass weitere, vom Verteidiger aufgeworfene Fragen, in der Hauptverhandlung zu klären seien. Zu diesem Beschluss mit dieser Begrün-dung wäre es allerdings nicht gekommen, wenn die Verwaltungsbehörde dem Gericht mit-geteilt hätte, dass der Bußgeldbescheid aufgehoben und das Verfahren eingestellt worden ist. Deshalb wird dringend angeraten, dem Gericht zukünftig zeitnah eine erfolgte Verfah-renseinstellung mitzuteilen, wenn dort (lediglich) ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung in derselben Sache anhängig ist.

Auf die Frage, ob die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, kommt es mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.

Gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 ist die Entscheidung nicht anfechtbar.


Einsender: RA A. Gratz, Bous

Anmerkung:


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