Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 12.05.2024 - 2 Qs 14/24
Eigener Leitsatz:
Auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als bloße Einzeltätigkeit nach der Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG nicht in Betracht. Für den Pflichtverteidiger fallen alle Gebühren, und zwar ggf. auch die Nr. 4142 VV RVG, an.
2 Qs 14/24
Landgericht Bad Kreuznach
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges
hier: Beschwerde des Pflichtverteidigers pp. gegen die Zurückweisung seiner Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück
hat die 2. (große) Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach durch den Richter am Landgericht, die Richterin und die Richterin am Landgericht am 21.05.2024 beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes Pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024 werden dieser sowie der Festsetzungs-beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15.11.2023 aufgehoben und die dem Pflichtverteidiger Pp. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 918,68 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde des Rechtsanwaltes Pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024 als unbegründet verworfen.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
3. Die weitere Beschwerde gegen den hiesigen Beschluss wird zugelassen.
Gründe:
I.
Rechtsanwalt pp. wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024, durch welchen seine Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15.11.2023 zurückgewiesen wurde.
In dem Strafverfahren gegen u.a. den damaligen Beschuldigten pp. erließ das Amtsgericht Bad Kreuznach am 16.12.2022 einen Haftbefehl (Az: 41 Gs 1928/22) gegen pp. wegen des dringenden Tatverdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges (Blatt 374 bis 376 der Akte). Am 21.12.2022 wurde Pp. auf Grundlage dieses Haftbefehls vorläufig festgenommen und noch am selben Tag dem Ermittlungs- und Haftrichter beim Amtsgericht Bad Kreuznach vorgeführt. Rechtsanwalt pp1., den Pp. bei seiner vorläufigen Festnahme gegenüber der Kriminalpolizei Koblenz als Verteidiger benannt hatte, von welchem er gerne vertreten werden möchte, wurde von der Kriminalpolizei Koblenz über die Verhaftung informiert. Rechtsanwalt Pp1. sagte daraufhin telefonisch zu, die Verteidigung zu übernehmen, konnte aber an dem Vorführtermin am 21.12.2022 aufgrund von Terminkollisionen nicht teilnehmen. Aus diesem Grund ordnete das Amtsgericht Bad Kreuznach in dem Vorführtermin am 21.12.2022 dem Pp. - mit dessen Einverständnis - Rechtsanwalt Pp. „für den heutigen Termin“ als Pflichtverteidiger bei (Blatt 415 der Akte). Im Rahmen des Vorführtermins erhielt das Amtsgericht Bad Kreuznach den Haftbefehl vom 16.12.2022 aufrecht und setzte diesen in Vollzug.
Mit Beschluss vom 29.12.2022 (Blatt 444 bis 445 der Akte) bestellte das Amtsgericht Bad Kreuz-nach auf entsprechenden Antrag des Rechtsanwaltes Pp1. vom 22.12.2022 (Blatt 439 der Akte) Rechtsanwalt Pp1. zum Pflichtverteidiger des damaligen Beschuldigten Pp.. Im weiteren Verlauf des Ermittlungs- und Strafverfahrens, in welchem der damalige Beschuldigte nach zwischenzeitlicher Außer-Vollzug-Setzung des Haftbefehls vom 22.02.2023 (Blatt 511 der Akte) und Anklageerhebung vom 03.05.2023 (Blatt 723 bis 743 der Akte) vom Amtsgericht Simmern/Hunsrück mit Urteil vom 20.07.2023 (Blatt 930 bis 938 der Akte) rechtskräftig wegen gemeinschaftlichen Bandenbetruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt wurde, nahm Rechtsanwalt Pp. keine weiteren Verfahrenshandlungen mehr für Pp. vor.
Mit Schriftsatz vom 24.02.2023 (Blatt 1127 bis 1128 der Akte) beantragte Rechtsanwalt Pp. seine Pflichtverteidigergebühren wie folgt festzusetzen:
Grundgebühr, Nr. 4101 VV RVG 216,00 EUR
Verfahrensgebühr, Nr. 4105 VV RVG 177,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 4103 VV RVG 183,00 EUR
1,0 Verfahrensgebühr, Nr. 4142 VV RVG (aus 1.790,- EUR) 166,00 EUR
Auslagen, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 30,00 EUR
Gebühren und Auslagen netto 792,00 EUR
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG 150,48 EUR
Gebühren und Auslagen brutto 942,48 EUR
Zur Begründung seines Antrages führte er aus, dass er schon vor dem Vorführtermin zu dem damaligen Beschuldigten Kontakt gehabt habe, als dieser vorgeführt im Flur gewartet habe. Es sei sodann eine komplette Erstinformation und Erstberatung auch hinsichtlich der drohenden Einziehung erfolgt, bevor der Vorführtermin überhaupt begonnen habe. Seine Tätigkeit sei daher nicht nur eine Einzeltätigkeit, sondern eine vollwertige Verteidigertätigkeit gewesen.
Das Amtsgericht Simmern/Hunsrück hat mit Beschluss vom 15.11.2023 (Blatt 1142 bis 1143 der Akte) die dem Pflichtverteidiger Pp. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 285,60 Euro festgesetzt. Es hat dem Pflichtverteidiger Pp., da die Beiordnung zum Pflichtverteidiger ausdrücklich lediglich „für die Haftbefehlseröffnung“ erfolgt sei, nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach der Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG nebst Auslagenpauschale nach der Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer nach der Nr. 7008 VV RVG zuerkannt.
Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15.11.2023 hat Rechtsanwalt Pp. mit Schriftsatz vom 22.12.2023 (Blatt 1154 bis 1155 der Akte) „Beschwerde“ eingelegt. Zur Begründung seiner „Beschwerde“ führte er aus, dass der Beiordnungsbeschluss nicht ausdrücklich nur „für die Haftbefehlseröffnung“, sondern „für den heutigen Termin“ erfolgt sei. Er sei also nicht inhaltlich, sondern lediglich zeitlich beschränkt gewesen. Dem Protokoll sei zu entnehmen, dass in diesem Termin nicht nur ein Haftbefehl eröffnet worden sei, sondern auch zur Frage der Untersuchungshaft verhandelt worden sei. Es habe ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen. Der damalige Beschuldigte habe zu diesem Zeitpunkt keinen anderen Verteidiger gehabt. Daraus folge zwingend, dass er selbst (Verteidiger Pp.), wenn auch für einen begrenzten Zeitraum, umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut gewesen sei. Aus dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 6 RVG folge weiter, dass die Bestellung auch die Tätigkeit im Vorfeld des Termins umfasst habe, wo er den damaligen Beschuldigten auf dem Gerichtsflur eingehend beraten und das Verteidigungsverhalten im Termin abgestimmt habe.
Die Rechtspflegerin am Amtsgericht Simmern/Hunsrück hat nach vorhergehender Stellungnahme der Bezirksrevisorin am Landgericht Bad Kreuznach vom 06.02.2024 (Blatt 1160 bis 1161 der Akte) der „Erinnerung“ des Rechtsanwaltes Pp. vom 22.12.2023 gegen den Festsetzungs-beschluss vom 15.11.2023 mit Beschluss vom 21.02.2024 (Blatt 1165 bis 1166 der Akte) nicht abgeholfen.
Der zuständige Richter am Amtsgericht Simmern/Hunsrück hat schließlich mit Beschluss vom 29.02.2024 (Blatt 1172 bis 1175 der Akte) die Erinnerung des Pflichtverteidigers Pp. gegen den Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15.11.2023 zurückgewiesen. Er hat die „Beschwerde“ des Rechtsanwaltes Pp. gegen den Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15.11.2023 als Erinnerung ausgelegt und diese Erinnerung als unbegründet erachtet. Insofern hat er vollinhaltlich Bezug auf die in seinem Beschluss wörtlich übernommenen „zutreffenden“ Ausführungen der Bezirksrevisorin am Landgericht Bad Kreuznach genommen. Diese hatte in ihrer Stellungnahme vom 06.02.2024 ausgeführt, dass sich nach § 48 Abs. 1 RVG der Vergütungsanspruch nach dem Beschluss richte, durch den der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden sei. Die Regelung des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG, die im Grundsatz die vergütungsrechtliche Rückwirkung der Beiordnung eines Rechtsanwaltes im Strafverfahren fingiere, greife jedoch dann nicht, wenn in dem gerichtlichen Beiordnungsbeschluss ausdrücklich eine abweichende Bestimmung der zeitlichen Geltung der Beiordnung getroffen worden sei. Der Beiordnungsbeschluss sei praktisch die Anspruchsgrundlage des gegen die Staatskasse gerichteten Vergütungsanspruchs und für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG bindend. Rechtsanwalt Pp. sei vorliegend auf seinen Antrag hin mit Einverständnis des damaligen Beschuldigten lediglich „für den heutigen Termin“ als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dieser Beschluss habe sowohl eine zeitliche (“für den Termin“) als auch eine inhaltliche (“die Haftfrage“) Beschränkung der Bestellung enthalten. Der damalige Beschuldigte habe bei seiner Festnahme am 21.12.2022 gegenüber der Polizei erklärt, er wolle von Rechtsanwalt Pp1. vertreten werden. Rechtsanwalt Pp1. sei sodann am Morgen des 21.12.2022 von der Polizei über die Verhaftung und den Vorführtermin informiert worden, habe diesen aber aufgrund von Terminkollisionen nicht wahrnehmen können, wobei er die Übernahme der Verteidigung zugesichert habe. Der damalige Beschuldigte habe demnach schon einen zur Übernahme der Vertretung bereiten Verteidiger gewählt gehabt. Es habe daher keine Notwendigkeit einer unbeschränkten Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. bestanden. In diesem Sinne sei auch die Zustimmung des damaligen Beschuldigten zur Bestellung von Rechtsanwalt Pp. „für den heutigen Termin“ zu verstehen. Eine unbeschränkte Bestellung von Rechtsanwalt Pp. hätte dem erklärten Wunsch des damaligen Beschuldigten widersprochen und könne folglich vom Gericht - auch im Hinblick auf die daraus resultierende erhebliche Kostenfolge im Falle einer Verurteilung - nicht gewollt gewesen sein.
Am 04.03.2024 sendete das Amtsgericht Simmern/Hunsrück eine Ausfertigung des Beschlusses vom 29.02.2024 formlos an Rechtsanwalt Pp. ab.
Mit Schriftsatz vom 12.03.2024 (Blatt 1179 der Akte), der am selben Tag beim Amtsgericht Simmern/Hunsrück eingegangen ist, hat Rechtsanwalt Pp. Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024 eingelegt. Zur Begründung seiner Beschwerde führt er aus, dass die Beiordnung „für den heutigen Termin“ auch die Tätigkeiten vor dem Anruf der Sache, also die Besprechung und Beratung mit dem vorgeführten Beschuldigten auf dem Flur, umfasst habe. Damit seien die Voraussetzungen für die geltend gemachten Gebühren gegeben. Die Tätigkeit am Terminstag sei eine Vollverteidigung und nicht nur eine Einzeltätigkeit gewesen. Dem Beiordnungsbeschluss könne nichts Gegenteiliges entnommen werden, zumal die darin ausgesprochene Beschränkung nach der seit dem 13.12.2019 geltenden Rechtslage gesetzeswidrig und damit unverbindlich gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Vorführtermins habe der damalige Beschuldigte noch keinen Verteidiger im Sinne des § 141 Abs. 1 und 2 StPO gehabt, da Rechtsanwalt Pp1. nur eine spätere Übernahme der Verteidigung zugesichert habe. Die Beiordnung habe, was sich aus einem Umkehrschluss aus § 143 Abs. 2 Satz 4 StPO ergebe, nach der erfolgten Invollzugsetzung des Haftbefehls im Vorführtermin fortgedauert. Einen die Beiordnung konkludent aufhebenden Beschluss könne man allenfalls in der erst später erfolgten Beiordnung des Rechtsanwaltes Pp1. sehen.
Der am Landgericht Bad Kreuznach zuständige Einzelrichter hat nach Stellungnahme der Bezirksrevisorin am Landgericht Bad Kreuznach vom 19.04.2024 (Blatt 1184 bis 1185 der Akte) und des Rechtsanwaltes Pp. vom 24.04.2024 (Blatt 1188 der Akte) das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 29.04.2024 (Blatt 1190 bis 1191 der Akte) gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache der Kammer übertragen.
II.
Die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG statthafte Beschwerde des Rechtsanwalts Pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024 ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die Beschwerde ist auch überwiegend begründet.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 21.12.2022 wurde Rechtsanwalt Pp. dem damaligen Beschuldigten Pp. aus Anlass eines Vorführtermins im Sinne des § 115 StPO „für den heutigen Termin“ als Pflichtverteidiger beigeordnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte der damalige Beschuldigte noch keinen Pflichtverteidiger. Vielmehr wurde ihm Rechtsanwalt Pp1., der im Zusammenhang mit der vorläufigen Festnahme des damaligen Beschuldigten gegenüber der Polizei telefonisch zusagte, die Verteidigung zu übernehmen, jedoch an dem Vorführtermin am 21.11.2022 aufgrund von Terminkollisionen nicht teilnehmen konnte, erst mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 29.11.2022 als Pflichtverteidiger des damaligen Beschuldigten bestellt.
Die auf den Vorführtermin am 21.12.2022 beschränkte Beiordnung des Rechtsanwalts Pp. war - nach der seit dem 13.12.2019 geltenden Rechtslage - rechtswidrig, weil §§ 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 143 StPO eine Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren vorsehen, die mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens oder durch Aufhebung mit gesondertem Beschluss endet. Dabei sieht § 143 Abs. 2 Satz 4 StPO ausdrücklich für die Fälle des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor, dass eine Aufhebung erfolgen soll, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird - was hier nicht der Fall war. Auch war Rechtsanwalt Pp. nicht lediglich Terminsvertreter des verhinderten Rechtsanwalts Pp1. , was eine zeitlich befristete Bestellung gerechtfertigt hätte. Denn Rechtsanwalt Pp1. war in der Sache noch nicht tätig und vom Gericht zum Zeitpunkt des Vorführtermins am 21.12.2022 noch nicht beigeordnet worden, sodass der damalige Beschuldigte bei dem Vorführtermin am 21.12.2022 noch keinen (Pflicht-)Verteidiger hatte.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass der in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung rechtswidrige Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 21.12.2022, weil er nicht mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 StPO angefochten worden ist, mit seinem rechtswidrigen Inhalt Bestand hatte, ändert dies nichts daran, dass Rechtsanwalt Pp. die Gebühren eines Pflichtverteidigers vollumfänglich geltend machen kann. Denn auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als bloße Einzeltätigkeit nach der Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG nicht in Betracht (vgl. LG Magdeburg, Beschluss vom 16. Juli 2021 – 21 Qs 53/21 –, juris, Rn. 45; a.A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.01.2023 - 4 Ws 13/23, juris, Rn 13 f.). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie vorliegend - dem Beschuldigten zum Zeitpunkt des Vorführtermins noch kein anderer Pflichtverteidiger bestellt worden ist und daher der - nach den obigen Darlegungen wenn auch rechtswidrig - lediglich für den Vorführtermin bestellte Pflichtverteidiger nicht lediglich als Terminsvertreter eines verhinderten anderen Pflichtverteidigers agiert, sondern ihm vielmehr in diesem Verfahrensabschnitt die eigenverantwortliche, umfassende Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten obliegt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.02.2023 - 2 Ws 13/23 -, juris, Rn. 9 ff. selbst für den Fall der Bestellung eines „weiteren“ Pflichtverteidigers „für den Termin zur Haftbefehlseröffnung“ bei Verhinderung eines zu diesem Zeitpunkt bereits bestellten anderen Pflichtverteidigers).
Rechtsanwalt Pp. stehen mithin im Hinblick auf seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger des damaligen Beschuldigten Pp. die in seinem Antrag vom 24.02.2023 geltend gemachte Grundgebühr mit Haftzuschlag (Vorbemerkung 4, Ziffer 4 VV RVG) nach der Nr. 4101 VV RVG in Höhe von 216,00 Euro, Verfahrensgebühr mit Haftzuschlag (Vorbemerkung 4 Ziffer 4 VV RVG) nach der Nr. 4105 VV RVG in Höhe von 177,00 Euro sowie Terminsgebühr mit Haftzuschlag (Vor-bemerkung 4 Ziffer 4 VV RVG) nach der Nr. 4103 VV RVG in Höhe von 183,00 Euro zu.
Darüber hinaus kann er auch eine 1,0 Verfahrensgebühr nach der Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 166,00 Euro beanspruchen. Nach dem Inhalt des gegen den damaligen Beschuldigten Pp. erlassenen Haftbefehls des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 16.12.2022 soll der damalige Beschuldigte zusammen mit seiner Frau pp. durch die gegenständliche Betrugstat insgesamt 1.790,00 Euro (600 Euro + 400 Euro + 790 Euro) vereinnahmt haben. Hin-sichtlich jenes Gesamtbetrages kam bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB als Tatertrag in Betracht. Rechtsanwalt Pp. hat den damaligen Beschuldigten nach den Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 24.02.2023 bereits vor dem Vorführtermin unter anderem auch hinsichtlich der drohenden Einziehung beraten. Durch jene beratende Tätigkeit im Ermittlungsverfahren hinsichtlich der in Betracht kommenden Einziehung ist die 1,0 Verfahrensgebühr nach der Nr. 4142 VV RVG bereits angefallen (vgl. Knaudt, in: BeckOK zum RVG, Stand: 01.03.2024, RVG VV 4142, Rn. 9 f.). Die Bemessung der Gebührenhöhe richtet sich nach § 13 Abs. 1 RVG. Der Gegenstandswert hinsichtlich der Einziehung beläuft sich auf 1.790,00 Euro, womit nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 RVG eine Gebühr in Höhe von 166,00 Euro (49,00 Euro + 39,00 Euro + 39,00 Euro + 39,00 Euro) entstanden ist.
Schließlich steht Rechtsanwalt Pp. auch das in seinem Antrag geltend gemachte Abwesenheitsgeld bei einer Geschäftsreise von nicht mehr als vier Stunden nach der Nr. 7005 Ziffer 1.) VV RVG in Höhe von 30,00 Euro zu.
Hingegen kann Rechtsanwalt Pp. die ebenfalls geltend gemachte Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach der Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro vorliegend nicht beanspruchen. Voraussetzung für die Festsetzung der Pauschale ist, dass überhaupt entsprechende Entgelte angefallen sind, was bei einer mündlichen Beratung bzw. Besprechung nicht der Fall ist. Dies ist vom Rechtsanwalt im Rahmen der Vergütungsfestsetzung - zum Beispiel durch Vorlage eines entsprechenden Schreibens - nachzuweisen. Soweit die Entgelte lediglich im Rahmen der Geltendmachung der Vergütung entstehen, können sie nicht abgerechnet werden (vgl. LG Frankenthal, Beschluss vom 27. April 2023 – 1 Qs 76/23 –, juris, Rn. 14; K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, in: BeckOK zum RVG, Stand: 01.03.2024, RVG VV 7002, Rn. 2 f.). Da sich weder aus dem Vorbringen von Rechtsanwalt Pp. im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens noch aus der Akte im Übrigen ergibt, dass Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen tatsächlich angefallen sind, war die Pauschale nach der Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro nicht festzusetzen.
Es ergeben sich somit insgesamt erstattungsfähige Gebühren und Auslagen in Höhe von 772,00 Euro netto (216,00 Euro + 177,00 Euro + 183,00 Euro + 166,00 Euro + 30,00 Euro). Hinzuzurechnen ist schließlich noch die Umsatzsteuer nach der Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 19 % aus diesem Betrag (= 146,68 Euro), womit sich ein erstattungsfähiger Gesamtbetrag in Höhe von 918,68 Euro ergibt.
Dieser Betrag war auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes Pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024 unter Aufhebung des vorgenannten Beschlusses sowie des Festsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15.11.2023 als aus der Staatskasse an den Pflichtverteidiger Pp. zu zahlende Gebühren und Auslagen festzusetzen. Im Übrigen war die Beschwerde des Rechtsanwaltes Pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 29.02.2024 als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
III.
Die Kammer hat die weitere Beschwerde gegen den hiesigen Beschluss gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage, ob ein Pflichtverteidiger, dessen Beiordnung sich lediglich auf einen Vorführtermin nach § 115 StPO beschränkt, im Falle dessen, dass dem Beschuldigtem zu diesem Zeitpunkt noch kein (anderer) Pflichtverteidiger bestellt worden war, lediglich eine Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach der Nummer 4301 Ziffer 4 VV RVG zusteht (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.01.2023 - 4 Ws 13/23, juris, Rn 13 f.) oder die Gebühren für einen „Vollverteidiger“ im Sinne des Teils 4, Abschnitt 1 VV RVG beanspruchen kann (so u.a. LG Magdeburg, Beschluss vom 16.07.2021 - 21 Qs 53/21 -, juris, Rn. 43 ff.), zugelassen.
Einsender: RA T. Scheffler, Windesheim
Anmerkung:
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