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RVG Entscheidungen

Vorbem. 4 Abs. 1 VV, Vorbem. 4 Abs. 2 VV, Nr. 4100 VV, Nr. 4102 VV, Nr. 4142 VV

Vorführung, Pflichtverteidiger, Gebührenanspruch, Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Einziehungsgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 04.07.2024 - 2 Ws 412/24

Eigener Leitsatz:

Durch die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Verteidiger für die Wahrnehmung eines Termins wird ein eigenständiges, vollumfängliches öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Daraus folgt, dass der Rechtsanwalt alle Gebühren eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG geltend machen kann.


2 Ws 412/24

Oberlandesgericht Koblenz

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

Rechtsanwalt
wegen Betruges u.a.

hier: weitere Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Bad Kreuznach vom 21. Mai 2024

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Ober-landesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht am 4. Juli 2024 beschlossen:
Die weitere Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 21. Mai 2024 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Bad Kreuznach erließ unter anderem gegen den mittler
weile rechtskräftig Verurteilten pp. am 16. Dezember 2022 wegen des dringenden Tatverdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs einen Haftbefehl (Az. 41 Gs 1928/22, Bl. 374 ff. d.A.). Auf Grund dieses Haftbefehls wurde der damals Beschuldigte am 21. Dezember 2022 vorläufig festgenommen und der Haftrichterin des Amtsgerichts Bad Kreuznach vorgeführt (Bl. 413 ff. d.A.). Anlässlich der anstehenden Vorführung wurde auf Bitten des damaligen Beschuldigten Rechtsanwalt R 1 seitens der Kriminalpolizei kontaktiert. Dieser erklärte sich grundsätzlich bereit, die Verteidigung zu übernehmen. Den Vorführungstermin konnte er allerdings auf Grund von Terminkollisionen nicht wahrnehmen (Bl. 431 d.A.). Das Amtsgericht - Ermittlungsrichterin - Bad Kreuznach bestellte daraufhin für den damals Beschuldigten mit dessen Einverständnis Rechtsanwalt R 2 „für den heutigen Termin“ als Pflichtverteidiger (Bl. 415 d.A.). Im Vorführungstermin wurde der Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt (Bl. 417 d.A.). In der Folge trat Rechtsanwalt R 2 nicht mehr für den damals Beschuldigten in Erscheinung. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2022 wurde Rechtsanwalt Bertram als Pflichtverteidiger bestellt (Bl. 444 f. d.A.). Unter dem 24. Februar 2023 beantragte Rechtsanwalt R 2 eine Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung auf Basis einer Vollverteidigung und machte die Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühren Nr. 4105 und 4142 VV RVG, die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG sowie Auslagen und Abwesenheitsgeld in Höhe von insgesamt 942,48 Euro brutto geltend (Bl. 1127 f. d.A.). Die Kostenbeamtin des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück erkannte demgegenüber am 15. November 2023 nur eine Einzeltätigkeit an und setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG auf 285,60 Euro fest (Bl. 1142 f. d.A.). Gegen diese Kostenfestsetzung legte Rechtsanwalt R 2 am 22. Dezember 2023 „Beschwerde“ ein und begründete diese damit, dass der damalige Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt noch ohne Verteidiger gewesen sei, sodass seinerseits eine vollständige Erstberatung zu leisten gewesen sei. Es habe sich daher mitnichten um einen Einzelauftrag gehandelt, sondern vielmehr um eine Vollverteidigung. Er habe vor dem Termin auf dem Gerichtsflur den Beschuldigten eingehend beraten und das Verteidigungsverhalten im Termin abgestimmt. Die Kostenbeamtin half der als Erinnerung ausgelegten Beschwerde nicht ab (Bl. 1165 d.A), der zuständige Richter des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück wies die Erinnerung unter dem 29. Februar 2024 zurück (Bl. 1172 d.A.). Hiergegen legte Rechtsanwalt R 2 am 12. März 2024 Beschwerde ein (Bl. 1179 f. d.A.). Die 2. große Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach hat am 21. Mai 2024 - nach Übertragung auf die Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache - auf die Beschwerde hin den Beschluss des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück vom 15. November 2023 aufgehoben, die Kosten unter Kürzung um die Auslagenpauschale auf 918,68 Euro festgesetzt und die weitere Beschwerde zugelassen (Bl. 1196 d.A.).

Gegen den ihr am 27. Mai 2024 zugestellten Beschluss (Bl. 1208 d.A.) wendet sich die Bezirksrevisorin mit ihrer weiteren Beschwerde vom 7. Juni 2024 (Bl. 1210 d.A.).

Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses sowie das Beschwerdevorbringen der Bezirksrevisorin wird Bezug genommen. Der Beschwerdegegner hat hierzu Stellung genommen und vorsorglich die Unzulässigkeit der weiteren Beschwerde gerügt, falls diese nicht elektronische eingelegt worden sein sollte.

II.

1. Die fristgerecht eingelegte weitere Beschwerde (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 RVG) ist zulässig, da das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden hat und die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 RVG). Sie ist auch formgerecht eingereicht worden. Die Bezirksrevisorin ist zwar gemäß § 1 Nr. 8b) der rheinland-pfälzischen Vertretungsordnung Justiz als Vertreterin des Landes und damit als Vertreterin einer juristischen Person des öffentlichen Rechts tätig, allerdings sind Behörden im Rahmen der hier gemäß § 12b RVG anwendbaren Strafprozessordnung gemäß § 32d StPO - anders als in anderen Verfahrensordnungen (vgl. nur § 130d ZPO, 14b FamFG) - noch nicht zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs im Beschwerdeverfahren verpflichtet.

2. In der Sache ist die weitere Beschwerde jedoch unbegründet, da die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Bad Kreuznach der Sach- und Rechtslage entspricht und auch aufgrund des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden ist.

a) Im Ansatz zutreffend geht die Bezirksrevisorin davon aus, dass maßgebend für das Kosten-festsetzungsverfahren der insofern bindende Beiordnungsbeschluss ist (BGH, Beschluss vom 11. April 2018 - Az. XII ZB 487/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Mai 2018 - Az. III - 1 Ws 274/17; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. Januar 2015 - Az. 13 WF 67/15 - alle zitiert nach juris). Für die Abgrenzung zwischen einem „Vollverteidiger“ und einem mit einer Einzeltätigkeit beauftragten Rechtsanwalt ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG der Wortlaut der Verfügung des Vorsitzenden oder des Gerichtsbeschlusses maßgebend, durch den die Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgt ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. Januar 2023, Az. 4 Ws 13/23 - zitiert nach juris). Dem Wortlaut des hier vorliegenden Beiordnungsbeschlusses vom 21. Dezember 2022 ist eine Bei-ordnung „für den heutigen Termin“, mithin die Vorführung vor den Haftrichter gemäß § 115 StPO, zu entnehmen. Damit enthält der Beschluss eine zeitliche Beschränkung auf den Termin der Vorführung. Ob eine solche Beschränkung im Hinblick auf § 143 StPO zulässig ist, kann auf Grund der Bindungswirkung des Beiordnungsbeschlusses für das Kostenfestsetzungsverfahren dahinstehen. Eine inhaltliche Beschränkung auf die Haftfrage ist dem Beschluss dagegen nicht zu entnehmen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023 - Az. 2 Ws 13/23 - zitiert nach juris; aA für den - hier nicht vorliegenden - Fall eines schon beauftragten Wahlverteidigers: OLG Stuttgart, aaO).

Demzufolge ist bei der Festsetzung der Gebühren von der für den Termin der Vorführung erforderlichen, tatsächlich angefallenen anwaltlichen Tätigkeit auszugehen, soweit sie sich im Rahmen dieses Beiordnungsbeschlusses hält. Dies ist jedenfalls dann, wenn wie vorliegend noch kein anderer Verteidiger bestellt ist, sondern ein solcher bloß die Bereitschaft zur Übernahme der Verteidigung erklärt hat, beim Vorführungstermin jedoch verhindert ist, nicht allein die Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 VV RVG. Nach Absatz 1 der Vorbemerkung 4.3 VV RVG entstehen die Gebühren für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist. Der Verteidiger war hier jedoch nicht nur „für den Termin“ mit einer einzelnen Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 der Vorbemerkung zu 4.3 beauftragt, sondern ihm wurde vielmehr eine Vollverteidigung übertragen. Die Tätigkeit im Rahmen des Vorführtermins erschöpft sich nämlich nicht alleine in der insofern in Betracht zu ziehenden Betätigung nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG (Beistandsleistung für den Beschuldigten im Rahmen einer richterlichen Vernehmung). Die richterliche Vernehmung ist zwar gemäß § 115 Abs. 2 StPO Teil einer Eröffnung eines Haftbefehls, diese geht jedoch darüber hinaus. Vorliegend war eine Erstberatung noch nicht erfolgt. Daher war - unabhängig von der später erfolgten Beiordnung eines anderen Verteidigers – eine umfassende Beratung zur Verteidigungsstrategie im Termin zur Vorführung nach § 115 StPO zwingend geboten. So war beispielsweise bereits zu diesem Zeitpunkt zu entscheiden, ob sich durch eine Einlassung ein dringender Tatverdacht ausräumen lässt oder sich eine (geständige) Einlassung auf die Frage einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls auswirken kann. Die gewählte Vorgehensweise kann sich gegebenenfalls bestimmend für das Verteidigungsverhalten im weiteren Verfahrensverlauf auswirken. Dies gilt ebenso für die Frage der Beratung zu einer drohenden Einziehung.

Diesen Gegebenheiten wird bei bislang noch nicht erfolgter Erstberatung trotz zeitlicher Beschränkung der Aufgabenwahrnehmung nur durch eine volle Pflichtverteidigung Rechnung getragen (vgl. auch K. Sommerfeldt/T. Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 64. Ed. § 48 Rdn. 121). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins wird daher ein eigenständiges, vollumfängliches öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat.

b) Daraus folgt, wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat: die Grundgebühr nebst Haftzuschlag (Vorbemerkung 4 Ziffer 4 VV RVG) gemäß Nummer 4101 VV RVG deckt die erforderliche Einarbeitung in den Fall ab, daneben fällt die Verfahrensgebühr gemäß Nummer 4105 VV RVG an. Der Vorführungstermin zur Verkündung des Haftbefehls gemäß § 115 StPO erfüllt ohne weiteres die Voraussetzungen von Nummern 4102 Ziffer 3, 4103 VV RVG, wonach die Terminsgebühr mit Zuschlag für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung anfällt, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird. Gleiches gilt - im Hinblick auf die drohende Einziehung - gemäß Nummer 4142 VV RVG.
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Gebührentatbestand der Nummer 4301 Ziff. 4 VV RVG herleiten. Dieser regelt die Vergütung für die Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung im Rahmen einer Einzeltätigkeit. Die Einzeltätigkeit setzt voraus, dass dem Rechtsanwalt nicht die Verteidigung übertragen worden ist. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall (vgl. oben 2. a)).

Hiergegen kann auch nicht angeführt werden, dass der Gebührentatbestand Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG ins Leere laufe, da als Anwendungsfall zumindest die Tätigkeit im Rahmen des § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO verbleibt.

III.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§§ 56 Abs. 2 S. 2, 33 Abs. 9 RVG).


Einsender: RA T. Scheffler, Windesheim

Anmerkung: Bestätigung von LG Kreuznach, Beschl. v. 21.05.2024 - 2 Qs 14/24


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