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RVG Entscheidungen

Nr. 4102 VV

"Vernehmungsterminsgebühr", einstweilige Unterbringung, Begriff, Anhörungstermin, analoge Anwendung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.01.2025 - 1 Ws 136/24 (S)

Eigener Leitsatz:

Die Teilnahme des Verteidigers an einem Anhörungstermin zur Erörterung der wegen wiederholten Nichterscheinens zur gerichtlich angeordneten Exploration bei dem Sachverständigen erwogenen vorübergehenden Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß 81 StPO unterfällt dem Tatbestand von Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG.


1 Ws 136/24 (S)
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen schweren Raubes u.a.

hier: Kostenbeschwerde des Verteidigers

hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 1 Strafsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht am 6. Januar 2025 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Verteidigers werden die dem Rechtsanwalt pp. aus der Landeskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen unter Aufhebung des Beschlusses der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 12. August 2024, Az.: 25 KLs 5/23, auf 2.712,84 Euro festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

In dem Strafverfahren des Landgerichts Potsdam 25 KLs 5/23 war Rechtsanwalt pp. dem - mittlerweile rechtskräftig durch die dortige 5. große Strafkammer verurteilten - Angeklagten als Pflichtverteidiger bestellt worden.

Unter dem 19. Februar 2024 hat der Verteidiger die Festsetzung seiner Vergütung beantragt, darunter unter anderem für den 29. August 2023 eine Terminsgebühr gemäß Nr. 4102 Nr. 3 W in Höhe von 150,00 Euro zzgl. Mehrwertsteuer für die Teilnahme an einem Anhörungstermin zur Erörterung des Nichterscheinens des Angeklagten zur gerichtsseits beauftragten Exploration bei dem Sachverständigen und der aus diesem Grunde erwogenen vorübergehenden Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß 81 StPO.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2024 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Potsdam die beantragte Festsetzung um die vorbenannte beantragte Terminsgebühr für den 29. August 2023, da der Tatbestand der Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG nicht erfüllt sei. Vielmehr sei die Teilnahme am Anhörungstermin durch die allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG mit abgegolten.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 27. Juni 2024 hat der Verteidiger gegen die Kostenfestsetzung vom 25. Juni 2024 Erinnerung eingelegt.

Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Potsdam hat in seiner Stellungnahme vom 22. Juli 2024 beantragt, die Erinnerung als unbegründet zurückzuweisen.

Unter dem Datum des 22. Juli 2024 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Potsdam der Erinnerung des Verteidigers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. Juni 2024 nicht abgeholfen und die Sache der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam zur Entscheidung vorgelegt. Der zuständige Einzelrichter hat die Sache wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung auf die Strafkammer in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Beschluss vom 12. August 2024 die Kostenerinnerung des Verteidigers gegen die mit Beschluss vom 25. Juni 2024 erfolgte Absetzung der Gebühr für den Anhörungstermin am 29. August 2023 zurückgewiesen. Zwar habe der Verteidiger in dem Anhörungstermin unstreitig zur Frage der Unterbringung nach § 81 StPO verhandelt, indem er Erklärungen und Stellungnahmen abgegeben habe; die Verhandlung zur Frage der Unterbringung nach § 81 StPO unterfalle indes nicht dem Tatbestand der Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG. Dieser sei in Bezug auf Unterbringungen nur bei der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO einschlägig. Eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Gleichzeitig wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage die Beschwerde gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zugelassen.

Gegen diesen Beschluss des Landgerichts wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde vom 16. August 2024. Er vertritt die Auffassung, dass die Verhandlung über die Unterbringung nach § 81 StPO von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG umfasst sei und seine Teilnahme am Anhörungstermin des 29. August 2023 folglich die Gebühr von 150,00 Euro zzgl. Mehrwertsteuer zum Entstehen gebracht habe und festzusetzen sei.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVG zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Vergütung des Verteidigers ist auf 2.712,84 Euro festzusetzen.
Die Teilnahme an einem Anhörungstermin zur Erörterung der ob wiederholten Nichterscheinens zur gerichtlich angeordneten Exploration bei dem Sachverständigen erwogenen vorübergehenden Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß 81 StPO unterfällt dem Tatbestand von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG.
Grundsätzlich werden Termine außerhalb der Hauptverhandlung nicht zusätzlich vergütet, sondern sind vielmehr durch die jeweilige Verfahrensgebühr mit abgegolten, die sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt umfasst (vgl. hierzu und dem Folgenden: OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. August 2011, Az.: 1 Ws 89/11).
Den gebührenrechtlichen Regelungen in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses sind nur zwei Ausnahmetatbestände zu entnehmen; namentlich die hier in Rede stehende Nr. 4102 VV RVG und Nr. 4141 VV RVG. Mit diesen Regelungen sollte im Verhältnis zur früher geltenden BRAGO die anwaltliche Tätigkeit, insbesondere die des Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, grundsätzlich besser honoriert werden, und der Verteidiger zur Mitwirkung durch Teilnahme an derartigen Terminen animiert werden, da sich der Gesetzgeber hiervon eine verfahrensabkürzende Wirkung versprach (vgl hierzu BT-Drucksache 15/1971, S. 222; Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV, Rn. 2).
Aus dieser gesetzgeberischen Intention folgt auch die (weitere) Voraussetzung für die Auslösung des Gebührentatbestandes Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG, namentlich das Verhandeln, was hier unstreitig auch seitens des Landgerichts in seinem angefochtenen Beschluss für das Verhalten des Verteidigers am 29. August 2023 positiv festgestellt wurde. Dabei sieht Nr. 4102 in Satz 1 Nr. 3 VV RVG ihrem Wortlaut nach die zusätzliche Vergütung bei außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Verhandlungen „über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung" vor. Dass hier der Wortlaut der amtlichen Überschrift des § 126a StPO durch den Gesetzgeber gewählt wurde, wurde auch durch das Landgericht als Begründung dafür herangezogen, dass nur die einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG unterfällt, nicht aber die Unterbringung nach § 81 StPO. Indes ist Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG keine Bezugnahme auf die Paragraphen der 112 ff. und 126a StPO zu entnehmen. Und auch wenn in der Literatur dies teils derart in Bezug genommen wird (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV RVG, Rn. 6: „Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft (§§ 115, 118 StPO) oder der einstweiligen Unterbringung (§ 126 i.V.m. §§ 115, 118 StPO)"; textliche Hervorhebung dient der Verdeutlichung), so findet die Unterbringung über die Wiedergabe des Gesetzestextes hinaus in großen Teilen der Kommentarliteratur zu Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG keine Erwähnung (vgl. Bischof/ Jungbauer/ Bräuer/ Hellstab/ Klipstein/ Klüsener/ Kerber, RVG Kommentar, 9. Auflage, Nr. 4100 - 4103 W, Rn. 78; Gerold/Schmidt, RVG Kommentar, 25 Auflage, VV 4102, 4103, Rn. 12), ohne dass dortseits die Anwendung auf eine (einstweilige) Unterbringung in Abrede gestellt werden dürfte. Die Überschriften, denen Ausführungen zu Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG in der Kommentarliteratur nachfolgen, sprechen von „Termine(n) in Untersuchungshaft - und Unterbringungssachen" (Ahlmann/ Kapischke/ Pankatz/ Rech/ Schneider/ Schütz, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 11. Auflage 2024, Rn. 12), von „(Haftprüfungs)Termin(en) außerhalb der Hauptverhandlung" (Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV, Rn. 6) oder „Teilnahme an Haftprüfungsterminen" (Gerold/ Schmidt, RVG Kommentar, 25 Auflage, VV 4102, 4103, Rn. 12) und halten damit den exakten Terminus unter Verwendung der Begrifflichkeiten „Untersuchungshaft" und „einstweilige Unterbringung" nicht ein. Vielmehr erfolgt danach zusammenfassend eine Unterteilung in „Haft" und „Unterbringung". Zudem gilt mit einem Selbstverständnis die Verhandlung zu § 230 StPO außerhalb der Hauptverhandlung als von der Regelung Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG umfasst (LG Berlin, Beschluss vom 08. November 2010, Az. 524 - 58/09; Gerold/ Schmidt, RVG Kommentar, 25. Auflage, VV 4102, 4103, Rn. 13; Burhoff/ Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4102 VV, Rn. 32). Folgt man der landgerichtlichen Annahme, dass der Gesetzeswortlaut eng begrenzt nur die exakt dem Wortlaut entsprechenden freiheitsentziehenden Maßnahmen der StPO inkludiert, wäre die praktizierte (direkte) Anwendung der Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG auf Verhandlungen zu § 230 StPO contra legem, da es sich bei § 230 StPO um keine Untersuchungshaft handelt, sondern vielmehr um eine Haft zur Verfahrenssicherung, die auch nicht den Anforderungen des § 112 StPO unterliegt. Ferner führt die unstreitige Anwendung auf Verhandlungen zu § 230 StPO außerhalb der Hauptverhandlung dazu, dass der - aus Sicht des Senats ob der Definition von „einstweilig" als „vorläufig, vorübergehend" ohnehin kritisch zu bewertenden Annahme -, dass nur die einstweilige - und damit „grundsätzlich bis auf Weiteres angeordnete" Unterbringung nach § 126a StPO von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG umfasst sei, hingegen nicht die - maximal sechswöchige - Unterbringung zur Vorbereitung der Begutachtung nach § 81 StPO, der Boden entzogen wird. Denn die Hauptverhandlung ist im Falle der Vollstreckung des Haftbefehls nach § 230 StPO in angemessener Frist durchzuführen, die sich im zeitlichen Rahmen der Dauer der Unterbringung nach § 81 StPO bewegt, wohingegen die zeitliche Parallele von § 126a StPO zu §§ 112 ff. StPO zu ziehen sein dürfte. Unter besonderem Augenmerk auf die eingangs benannte Intention des Gesetzgebers, den Verteidiger zu einer verfahrensabkürzenden Mitwirkung zu animieren, dürfte diese - wie der vorliegende Fall zudem deutlich macht - auch im Anwendungsbereich des § 81 StPO erfüllen, da der Verteidiger durch seine Verhandlung im Anhörungstermin am 29. August 2023 die Unterbringung nach § 81 StPO ob der erwirkten Mitwirkung des Verurteilten zur Exploration obsolet werden ließ.
Die ebenfalls durch das Landgericht argumentativ herangezogene - nicht unstreitige - Tatsache, dass der zu Begutachtende anders als bei § 126a StPO i.R.v. § 81 StPO nicht anzuhören sei, führt zu keiner anderen gebührenrechtlichen Wertung, da es nicht auf die entfaltete Tätigkeit des Probanden für die Entstehung des Vergütungstatbestandes ankommt, sondern auf die des Verteidigers, der im Übrigen auch bei § 81 StPO zwingend anzuhören ist.
2. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die landgerichtlichen Ausführungen zur fehlenden Analogiefähigkeit von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG uneingeschränkt geteilt werden. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des hiesigen Oberlandesgerichts (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Januar 2023, Az. 2 Ws 156/22),
3. Die Gebühren- und Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.


Einsender: VorsRi A. Gerlach, Potsdam

Anmerkung: Aufhebung von LG Potsdam, Beschl. v. 12.08.2024 – 25 Kls 5/23


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