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Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dresden, Beschl. v. 25.01.2008, 3 Qs 188/07
Fundstellen:
Leitsatz: Eine Entscheidung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG kommt auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens in Betracht.
3 Qs 188/07 Landgericht Dresden Beschluss der 3. Großen Strafkammer vom 25.01.2008 in der Strafsache gegen pp. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a. hier: Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen Erstreckungserklärung gem. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG 1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dresden gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pirna vom 01.10.2007 (1 Ls 425 Js 58480/05), mit dem die nachträgliche Erstreckung der Wirkungen der Beiordnung der Pflichtverteidigerin auf hinzuverbundene Verfahren gem. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG erklärt wurde, wird als unbegründet verworfen. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslägen des Beschwerdegegners fallen der Staatskasse zur Last. Gründe: Dem ehemaligen Angeklagten wurden in mehreren Verfahren Straftaten- vorgeworfen. Im führenden Verfahren 1 Ls 425 Js 58480/OS (Anklage vom 03.02.2006) war Gegenstand gewerbsmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. In diesem erfolgte mit der Angeklagezustellung vom 13.02.2006 auch die Beiordnung von Rechtsanwältin XX. (B1. 50 d.A.). Mit Verfügung vom 01.08.2006 hat die Staatsanwaltschaft Dresden diese Anklage zurückgenommen und mit Datum vom 23.08.2006 neu erhoben. Mit Beschluss vom 09.10.2006 (B1. 95 d.A.) hat das Amtsgericht Pirna das Hauptverfahren eröffnet und gleichzeitig das Verfahren 425 Js 36183/06 (Anklage vom 24.08.2006) hinzuverbunden sowie beide Anklagen zur Hauptverhandlung zugelassen. Im Hauptverhandlungstermin am 16.11.2006 hat das Amtsgericht Pirna Rechtsanwältin XX. gemäß § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Die Verhandlung wurde schließlich ausgesetzt zur Einholung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens. Im neuen Hauptverhandlungstermin am 25.04.2007 wurde ausweislich des Protokolls festgestellt, dass die weiteren Anklagen vom 14.11.2006 und 19.11.2006 (wohl gemeint 425 Js 12679/06 und vom 19.12.2006 - 150 Js 4676/06) mit Eröffnungsbeschluss vom 01.02.2007 zum führenden Verfahren hinzuverbunden worden seien. Eine Beiordnung von Rechtsanwältin XX. als Pflichtverteidigerin erfolgte in diesen verfahren weder zuvor noch in der neuen Hauptverhandlung; auch eine Erstreckung gem. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG wurde nicht ausgesprochen.
Dem nach Abschluss des Verfahrens durch Urteil des Amtsgerichts Pirna vom 25.04.2007, rechtskräftig seit 03.05.2007, durch die Verteidigerin gestellten Kostenfestsetzungsantrag, mit dem sie die Pflichtverteidigergebühren für die Tätigkeit in allen vier (verbundenen) Verfahren geltend gemacht hatte, wurde im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.07.2007 nur insoweit stattgegeben, dass auf Intervention des Bezirksrevisors eine Vergütung als Pflichtverteidigerin lediglich für die Verfahren 425 Js 58480/05 und 425 Js 36183/06 festgesetzt wurde, da in den Verfahren 425 Js 12679/06 und 150 Js 4676/06 weder eine gesonderte Beiordnung noch eine Erstreckung der Wirkungen der Beiordnung ersichtlich sei.
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss erhob die Verteidigerin Erinnerung mit der Begründung, in den oben genannten Verfahren hätten die Voraussetzungen einer Beiordnung gemäß § 140 StPO ebenfalls vorgelegen. Hilfsweise beantragte sie eine Entscheidung des Amtsgerichts Pirna, mit der gem. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG die Erstreckung auch auf die mit Beschluss vom 01.02.2007 hinzuverbundenen Verfahren erklärt werde.
Mit Beschluss vom 01.10.2007 hat das Amtsgericht Pirna diesem Antrag mit folgendem Wortlaut schließlich stattgegeben: "Gem. § 48 Abs. 5 RVG wird angeordnet, dass sich die Wirkung der Beiordnung von Frau Rechtsanwältin im Verfahren 1 Ls 425 Js 58480/05 (B.v. 13.02.06) auch auf alle nachfolgend hinzuverbundenen Verfahren erstreckt, die am 25.04.2007 abgeschlossen wurden."
Die Staatsanwaltschaft Dresden legte hiergegen Beschwerde ein mit der wesentlichen Begründung, dass eine nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erfolgende Pflichtverteidigerbestellung unzulässig und der entsprechende Beschluss daher aufzuheben sei. Die Verteidigerin hat beantragt, den Beschluss nicht aufzuheben.
II. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Für Entscheidungen i.S.d. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG sieht das Gesetz keinen besonderen Rechtsbehelf vor. Für die Anfechtung eines entsprechenden Beschlusses gelten daher die allgemeinen Regeln (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2007, 3 Ws 94/07).
Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss entspricht nämlich der Sach- und Rechtslage. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt demgegenüber keine andere Beurteilung.
1. Rechtsanwältin XX. ist dem Verurteilten im Verfahren 425 Js 58480/05 als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden. Nach Hinzuverbindung des Verfahrens 425 Js 36183/06 erfolgte die erneute, nunmehr erweiterte, Pflichtverteidigerbestellung. Hinsichtlich dieser beider Verfahren stellt sich die Problematik der Erstreckung gem. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG somit nicht. Tatsächlich existierte zum Zeitpunkt der Beiordnung der Pflichtverteidigerin aufgrund der Verbindung nur ein einziges verfahren. Für alle in diesem aus mehreren Ursprungsverfahren gebildeten Verfahren entfalteten Tätigkeiten ist die Verteidigerin daher nach § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG zu vergüten. Insoweit ist für eine Ermessensentscheidung nach Satz 3 kein Raum (OLG Hamm, Beschluss vom 06.06.2005, 2 (s) Sbd VIII-110/05).
Werden Verfahren verbunden und dann ein Pflichtverteidiger bestellt, wird hierdurch deutlich gemacht, dass eine Verteidigung insgesamt als notwendig erachtet wird. Werden später, also nach einer Bestellung eines Pflichtverteidigers, Verfahren hinzuverbunden, soll dem Gericht durch § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG die Möglichkeit einer Prüfung gegeben werden, ob es die vor der Verbindung entfalteten Tätigkeiten des Anwalts ebenfalls als notwendig ansieht (LG Dortmund, Beschluss vom 21.03.2006, 14 Qs 12/06).
Eine Erstreckungserklärung erfolgte hier jedoch weder anlässlich der Pflichtverteidigerbestellung noch nach der Hinzuverbindung der weiteren beiden Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Insoweit scheidet eine kostenrechtsrelevante Rückwirkung der Beiordnung auf die nachträglich hinzuverbundenen Verfahren zunächst aus. Denn es fehlt an der nach dem Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich erforderlichen Entscheidung des erkennenden Gerichts, die Rückwirkung der Beiordnung auch auf die verbundenen Verfahren anzuordnen (§ 48 Abs. 5 Satz 3 RVG). Nur in diesem Fall aber käme eine Erstattung der vor der Verbindung entstandenen Gebühren aus der Staatskasse in Betracht. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass die Rückwirkung der Beiordnung sich nicht automatisch auf verbundene Verfahren erstrecken, sondern dem Gericht nur die Möglichkeit zur Erstreckung eingeräumt werden soll (OLG Celle, Beschluss vom 02.01.2007, 1 Ws 575/06; BT-Drs. 15/1971 S. 201).
2. Eine Entscheidung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG kommt jedoch auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens in Betracht.
Die Wirkungen einer nachträglichen Entscheidung gem. § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG mit der Folge, dass § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG zur Anwendung kommt, entsprechen faktisch zwar denen einer nachträglichen Bestellung zum Pflichtverteidiger nach § 140 StPO. Eine nachträgliche,. rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren zum Pflichtverteidiger ist jedoch schlechthin unzulässig, unwirksam und mithin ausgeschlossen und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger, den der Angeklagte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hat, seine Bestellung vor Abschluss des Verfahrens, gleich in welchem Verfahrensstadium, beantragt hatte (siehe Beschluss der Kammer vom 19.02.2007, 3 Qs 11/07 m.w.N. ) .
Anders als die Pflichtverteidigerbestellung ist die Erstrekkungsentscheidung gem. § 48 Abs. 5 S. 3 RVG jedoch rein kostenrechtlicher Natur, während die Entscheidung nach § 140 StPO die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden bzw. laufenden Verfahren gewährleisten soll (OLG Düsseldorf, a.a.O.; LG Freiburg, Beschluss vom 13.03.2006, 2 Qs 3/06).
Dies entspricht auch der Ansiedlung der Möglichkeit zur Erstreckung im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und nicht in der StPO. Insoweit vermag die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft auch nicht zu greifen, da sich diese gegen "die Beiordnung als Pflichtverteidigerin nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens ..." wendet. Das Amtsgericht hat einen solchen Beschluss jedoch gar nicht gefasst, sondern nur die (vergütungsrechtlichen) Wirkungen der Beiordnung auf hinzuverbundene Verfahren erstreckt.
3. Auch materiellrechtlich begegnet der angefochtene Beschluss keinen Bedenken. Eine Anordnung gem. § 48 Abs. 5 S. 3 RVG kommt nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. a.a.0) insbesondere dann in Betracht, wenn in den hinzuverbundenen Verfahren eine Bestellung ohne die Verbindung unmittelbar bevorgestanden hätte (LG Berlin, Beschluss vom 28.09.2005, 505 Qs 167/05). Dies ist vorliegend bei den hinzuverbundenen Verfahren, welchen jeweils Anklagen zum Schöffengericht zugrundelagen, jedoch unzweifelhaft der Fall. Nach § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG wirkt das öffentlich-rechtliche Schuldverhältnis zwischen dem bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt und dem anordnenden Gericht erster Instanz ungeachtet des Zeitpunkts der Begründung, bis zum Beginn des Verfahrens zurück. Das bedeutet, dass alle Tätigkeiten des Anwalts erfasst werden, soweit diese gegenständlich unter die Beiordnung bzw. Bestellung fallen. Die Rückwirkung erstreckt sich bei einer Bestellung oder Beiordnung in Strafsachen somit auch auf das vorausgegangene Ermittlungsverfahren. Hat der Rechtsanwalt bei Beschlussfassung des Gerichts Gebührentatbestände erfüllt, entsteht der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Der Verteidiger hat also Anspruch auf Zahlung der Vergütung aus der Staatskasse, unabhängig davon, ob er bis zur Anklageerhebung als Wahlverteidiger tätig wird und in welchem Verfahrensabschnitt der ersten Instanz das Gericht ihn als Pflichtverteidiger bestellt hat. Dadurch wird verhindert, dass dem zunächst als Wahlverteidiger tätigen Rechtsanwalt nur wegen des späteren Zeitpunkts seiner Beiordnung bzw. Bestellung nicht seine gesamte Tätigkeit aus der Staatskasse vergütet wird (OLG Koblenz, Beschluss vom 14.06.2007, 2 Ws 300/07).
Dieser Maxime auch bei anderen Verfahrenskonstellationen Rechnung zu tragen, lag der Intention des Gesetzgebers, durch § 48 RVG die Vorschrift des § 97 BRAGO neuzufassen und die Erstreckungsmöglichkeit zu schaffen offenbar zugrunde. III.
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