Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 12. 02. 2008 - 4 Ws 541/07 OLG Hamm
Eigener Leitsatz: Durch die (gerichtliche) Verfahrensgebühr werden gerade alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren abgegolten, soweit dafür keine besonderen Gebühren (in diesem Abschnitt) vorgesehen sind. Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Haftbeschwerde sind mangels anderweitiger Einordnung als Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft bzw. Haftprüfung zu sehen, die auch im Katalog der Verfahrensgebühr erfasst sind.
Strafsache gegen F. d. W.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.,
hier: Rechtsmittel des Pflichtverteidigers gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts.
Auf die sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers vom 14. November 2007 gegen den Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Münster vom 30. Oktober 2007 und auf die (unselbständige) Anschlussbeschwerde des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 02. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 des Oberlandesgerichts und des Beschwerdeführers beschlossen:
Unter Verwerfung der Beschwerde des Verteidigers wird der angefochtene Beschluss auf die Anschlussbeschwerde abgeändert:
Die nach dem Urteil der 1. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Münster vom 4. Oktober 2006 aus der Staatskasse an den Pflichtverteidiger zu gewährende Vergütung wird auf 3.132,62 EUR festgesetzt.
Gründe: I. Der Angeklagte ist durch Urteil der 1. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Münster vom 4. Oktober 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren 9 Monaten verurteilt worden. Das Verfahren ist im Übrigen hinsichtlich Ziffer 1 der konkretisierten Anklage wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses auf Kosten der Staatskasse, die insofern auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat, eingestellt worden. Die übrigen Kosten des Verfahrens sind im Umfang der Verurteilung dem Angeklagten auferlegt worden. Durch Beschluss des Landgerichts Münster vom 20. Juni 2007 sind die Pflichtverteidigergebühren auf 3.427,26 EUR festgesetzt und weiter geltend gemachte Gebühren abgesetzt worden. Der sofortigen Beschwerde hat die Kammer - Einzelrichter - nicht abgeholfen. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Verteidigers, zu dem der Leiter des Dezernats 10 des Oberlandesgerichts Stellung genommen und zugleich unselbständige Anschlussbeschwerde erhoben hat, soweit mehr als 3.132,62 EUR festgesetzt worden sind.
II. Das zulässige Rechtsmittel des Pflichtverteidigers hat keinen Erfolg. Auf die unselbständige Anschlussbeschwerde war die Pflichtverteidigervergütung auf 3.132,62 EUR herabzusetzen.
Der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm hat in der Sache wie folgt Stellung genommen:
"Der Beschluss des Landgerichts Münster vom 30.10.2007 (Bd. III Bl. 812R) - abgesandt am 05.11.2007 - wurde dem Erinnerungsführer gegen EB am 12.11.2007 (Bd. III Bl. 816) zugestellt. Die sofortige Beschwerde ist am 16.11.2007 bei Gericht fristgerecht eingelegt worden (Bd. III Bl. 816 f.). Sie ist auch i.Ü. zulässig, m.E. nach den folgenden Ausführungen aber im Ergebnis ohne Erfolg.
I. Gebühren in der Strafvollstreckung:
Die angemeldeten Gebühren Nr. 4205 VV RVG (Bd. III Bl. 756) sind nicht entstanden.
Laut Sitzungsprotokoll vom 04.10.2006 wurde nach Verkündung des Urteils der Haftbefehl mit der Anordnung der Untersuchungshaft verkündet (Bd. III Bl. 516, 555 ff.). Der Verteidiger erhob am gleichen Tage Haftbeschwerde (Bd. III Bl. 584 f.), bevor er am 09.10.2006 Revision einlegte (Bd. III Bl. 586), die am 21.02.2007 durch den BGH als unbegründet verworfen wurde (Bd. III Bl. 746). Das erstinstanzliche Urteil wurde daher erst am 22.02.2007 rechtskräftig (Bd. III Bl. 598).
Teil 4 Abschnitt 2 VV, in dem die angemeldeten Gebühren enthalten sind, gilt für die Tätigkeit des Verteidigers in der Strafvollstreckung. Die Aufgaben in der Strafvollstreckung sind im ersten Abschnitt des 7. Buches der StPO unter dem Sammelbegriff "Strafvollstreckung" zusammengefasst (vgl. §§ 449 bis 463 d StPO). Erfasst wird daher die unter den Abschnitt "Strafvollstreckung" der StPO fallende Tätigkeit des Verteidigers. Strafvollstreckung bedeutet die Herbeiführung und Überwachung der Durchführung des Urteilsinhalts und beginnt daher frühestens ab Rechtskraft des Urteils, vgl. § 449 StPO (Burhoff (Hrsg.)/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Vorbemerkung 4.2 Rn 3, 5, 8, Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. VV 4200 - 4207 Rn 2, 4; Riedel/Sußbauer, RVG-Kommentar, 9. Aufl. VV Teil 4 Abschn. 2 Rn 2, 5).
Die Entscheidung der Anordnung der Untersuchungshaft, die Anlass für die Beschwerde des Rechtsanwalts war, ist daher auch nicht in dem unter Rn 4 der o.a. Fundstelle im Kommentar Burhoff/Volpert und in dem unter Rn 5 der o.a. Fundstelle im Kommentar Gerold/Schmidt enthaltenen Katalog von Maßnahmen und Anordnungen enthalten.
Anderslautende Meinungen aus Literatur und Rechtsprechung sind mir nicht bekannt. Die angemeldeten Gebühren sind somit m.E. für die ausweislich der Akten erfolgten Tätigkeiten nicht entstanden.
I.Ü. ist zu diesem Komplex auch den weiteren Ausführungen des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Münster bzw. den bereits ergangenen Entscheidungen beizupflichten.
Es bleibt m.E. auch kein Raum für die Sichtweise des Beschwerdeführers, die Untersuchungshaft praktisch als Strafhaft zu werten und daraus eine Grundlage für einen anderen Gebührenansatz herzuleiten (vgl. Ausführungen des Rechtsanwalts in seinem Schreiben vom 10.04.2007 (Bd. III Bl. 763)). Insoweit liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor, denn die die Untersuchungshaft während eines laufenden Verfahrens betreffenden Tätigkeiten unterscheiden sich grundsätzlich von denen im Strafvollzug.
Abschließend ist zu erwähnen, dass die tatrichterliche Bestellung eines Verteidigers nur bis zur Urteilsrechtskraft gilt (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 140 Rn 7) und somit für das Strafvollstreckungsverfahren zusätzlich ausgesprochen werden müsste. Für eine Erstattung von Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG aus der Landeskasse fehlt es daher schon an einer Rechtsgrundlage.
II. Einzeltätigkeit:
Auch die angemeldeten Gebühren Nr. 4302 VV RVG (Bd. III Bl. 764) sind nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer hebt hervor, dass im VV RVG eigens Gebühren des gerichtlich bestellten und beigeordneten Rechtsanwalts für Beschwerdetätigkeiten vorgesehen sind, wozu der Gesetzgeber keine Veranlassung gehabt hätte, wenn im Falle der Pflichtverteidigerbestellung dafür keine Gebühren ansatzfähig wären (Bd. IV Bl. 764). Der Verteidiger verkennt aber die gesetzliche Trennung zwischen vollumfänglicher Beauftragung und Beauftragung für eine Einzeltätigkeit.
Nach Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 VV RVG entstehen die Gebühren dieses Abschnitts für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung übertragen ist.
Die Bestimmungen kommen also dann zur Anwendung, wenn dem Rechtsanwalt die Verteidigung nicht umfassend, sondern nur eine Einzelaufgabe aus dem Arbeitsbereich des Verteidigers übertragen worden ist. Sie sind also für den Vollverteidiger unanwendbar (vgl. Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. VV 4300 - 4304 Rn 1; Burhoff, RVG, Abschnitt C., Vorb. 4.3 Rn 1, 6, 7 und Nr. 4301 Rn 1, 2; AnwK-RVG, Gebauer/Schneider, 3. Aufl., VV Vorb. 4.3 Rn 2; Riedel/Sußbauer, RVG-Kommentar, 9. Aufl. VV Teil 4 Abschn. 3 Rn 1).
Grundsätzlich und somit unausgesprochen erfolgt die Bestellung für das gesamte Verfahren, wenn sie nicht ausdrücklich beschränkt wird (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 140 Rn 5 ff.). Die Pflichtverteidigerbestellung vom 26.09.2005 (Bd. I Bl. 260R) beinhaltet keine Einschränkung und ist damit nicht auf eine Einzelaufgabe beschränkt.
Durch die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug Nr. 4112, 4113 VV RVG bei uneingeschränkter Bestellung werden gerade alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren abgegolten, soweit dafür keine besonderen Gebühren (in diesem Abschnitt) vorgesehen sind. Die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beschwerde sind mangels anderweitiger Einordnung als Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft bzw. Haftprüfung zu sehen, die auch im Katalog der der Verfahrensgebühr Nr. 4112, 4113 VV RVG unterliegenden Tätigkeiten enthalten ist (Burhoff (Hrsg), Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4112 Rn 4 mit Hinweis u.a. auf Nr. 4106 Rn 3, 7; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. VV 4106 - 4123 Rn 4; AnwK-RVG, Gebauer/Schneider, 3. Aufl., VV 4112 - 4115 Rn 1 mit Hinweis u.a. auf VV 4106 - 4107 Rn 1, 4). Auch wenn Madert im Abschnitt über die Verfahrensgebühr vor der Strafkammer keinen ausdrücklichen Bezug zu den amtsgerichtlichen Vorschriften herstellt (a.a.O. Rn 15, 16), ist dies jedoch als unausgesprochen entsprechend der Ausführung von u.a. Burhoff (a.a.O. Nr. 4112 Rn 4) anzunehmen, wonach sich die landgerichtliche Verfahrensgebühr von der amtsgerichtlichen Verfahrensgebühr nur durch die Ordnung des Gerichts und die Höhe der Gebühr unterscheidet. Dies belegt auch der gleiche Aufbau bzw. die gleiche Reihenfolge der amts- und landgerichtlichen Vorschriften.
III. Terminsgebühr mit Zuschlag für den letzten Termin:
Die angemeldete Gebühr Nr. 4115 VV RVG (Bd. III Bl. 770) ist dagegen entstanden.
Ausweislich des Protokolls vom 04.10.2006 wurde nach Verkündung des Urteils zunächst der Haftbefehl verkündet, bevor die Rechtsmittelbelehrung bzgl. der Revision und des Haftbefehls erteilt wurde (Bd. III Bl. 516).
Gem. § 260 Abs. 1 StPO schließt die Hauptverhandlung mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. Ohne die Rechtsmittelbegründung ausdrücklich auszuschließen, übernimmt dies auch Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG-Kommentar, 9. Auflage, VV Teil 4 Abschnitt 1 Rn 56.
Nach Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage VV 4112 - 4115 Rn 4 mit Hinweis auf u.a. VV 4108, 4109 Rn 13 und Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. VV 4106 - 4123 Rn 10 gehört zur Hauptverhandlung auch noch die vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung. Dies leitet sich wohl auch aus dem Gedanken ab, dass die Belehrung Nebenbestandteil der Entscheidung ist (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Auflage 2003, § 35 a Rn 5 unter Hinweis auf u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 11.03.1954 - 1 Ws 81/54, veröff. NJW 1954 Heft 21). Bei dem im Protokoll festgehaltenen zeitlichen Ablauf erfolgte die Verkündung des Haftbefehls noch vor der Rechtsmittelbelehrung und war damit noch Bestandteil der Hauptverhandlung. Ich gehe davon aus, dass bei der gegebenen Sachlage die Freiheitsbeschränkung des Angeklagten mit der Verkündung eingetreten ist, so dass ab diesem Zeitpunkt schon im Gerichtsgebäude die Voraussetzungen der Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG erfüllt waren und dem Rechtsanwalt m.E. die Terminsgebühr mit Zuschlag zu gewähren ist.
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Zuschlag nicht nur die Schwierigkeiten bzw. Erschwernisse abgilt, die der Rechtsanwalt hat, um Zugang zu seinem Mandanten zu bekommen, sondern dass sehr wohl auch typischerweise mit einer Haft oder Unterbringung verbundene zusätzliche Arbeiten des Verteidigers, wie z.B. Haftbeschwerden, Beschwerden gegen die Unterbringung oder Einwände gegen die Bedingungen der Untersuchungshaft bzw. die Unterbringung durch die Zuschläge abgegolten werden sollen (vgl. Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Vorbemerkung 4, Rn 81; u.a. Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 07.09.2007 (1 Ws 584/07, veröff. in StRR 2007, 283 (Leitsatz) und jurisweb.de).
IV. Erstinstanzliche Verfahrensgebühr mit Zuschlag:
Die angemeldete Gebühr Nr. 4113 VV RVG (Bd. III Bl. 770) ist ebenfalls entstanden.
Zum Zeitpunkt der Inhaftierung bzw. zum Zeitpunkt der Einlegung der Haftbeschwerde am 04.10.2007 (Bd. 3 Bl. 584) befand sich das Verfahren für den Rechtsanwalt gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 RVG noch in der ersten Instanz, da die Revision erst am 06.10.2007 verfasst und am 09.10.2006 eingelegt wurde (vgl. auch Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4112 Rn.4 mit Hinweis auf Nr. 4106 Rn6).
V. Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren:
Die angemeldete Gebühr Nr. 4104 VV RVG (Bd. III Bl. 755) ist nicht entstanden.
Bevor die Anklage bei Gericht am 05.09.2005 einging (Bd. I Bl. 244), hatte zwar der Sozietätskollege des Beschwerdeführers das Mandat übernommen und Akteneinsicht erhalten (Bd. I Bl. 78, 110), dieser hatte jedoch das Mandat dann am 19.09.2005 niedergelegt (Bd. I Bl. 250), bevor der Beschwerdeführer am gleichen Tag und somit erst nach Anklageeingang erstmals mit der Bitte, ihn zum Pflichtverteidiger zu bestellen, auftrat. Im vorbereitenden Verfahren ist der bestellte Rechtsanwalt ausweislich der Akten somit m.E. nicht tätig geworden.
Im Ergebnis wurden dem Beschwerdeführer somit m.E. 44,08 EUR zu viel festgesetzt, im Einzelnen (beschränkt auf die Berechnung der streitbefangenen Gebühren):
Verfahrensgebühr Nr. 4112, 4113 VV RVG o. Zuschlag 124,00 Eur, mit Zuschlag 151,00 Eur, Betrag + 27,00 Eur
Terminsgebühr Nr. 4114, 4115 VV RVG o. Zuschlag 216,00 Eur, mit Zuschlag 263,00 Eur, Betrag + 47,00 Eur
abzüglich Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG - 112,00 Eur
Summe: - 38,00 Eur
anteilige Umsatzsteuer: - 6,08 Eur
Endbetrag: - 44,08 Eur
Ich rege daher an, die sofortige Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss im Ergebnis zurückzuweisen. Zugleich erhebe ich für die Landeskasse die unselbstständige Anschlussbeschwerde mit dem Antrag, die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf lediglich 3.132,62 EUR (3.176,70 EUR abzgl. 44,08 EUR) festzusetzen."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich an.
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