Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

RVG Entscheidungen

Vorbem. 4 Abs. 1 VV

Zeugenbeistand; Abrechnung, Tätigkeiten; Einzeltätigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 03.05.2006 - 1 Ws 36/06

Fundstellen:

Leitsatz: Der gemäß § 68 b StPO beigeordnete Rechtsbeistand rechnet seine Tätigkeiten nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ab. Er kann neben der Grund- und der Terminsgebühr eine Verfahrensgebühr regelmäßig dann beanspruchen, wenn er konkret vorträgt, durch welche von ihm erbrachte Tätigkeit diese entstanden ist.


OLG ROSTOCK
Beschl. v. 03.05.06 - 1 Ws 36/06
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen P. H. aus H.,
geboren am * in W.
Verteidiger:
Rechtsanwalt S. L. aus G.
wegen Vergewaltigung u. a.

hier: Vergütung des beigeordneten Zeugenbeistandes

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock

durch die Richter am Oberlandesgericht und und den Richter am Landgericht auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Schwerin gegen den Beschluss der Großen Strafkammer 2 des Landgerichts Schwerin vom 5. Januar 2006 am 03. 05. 2006 beschlossen:

1. Die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Schwerin gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 5. Januar 2006 wird als unbegründet verworfen.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I.
Rechtsanwältin B. aus W. wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Wismar vom 11. Oktober 2004 der Hauptbelastungszeugin A. H. für die Dauer ihrer Vernehmung im Strafverfahren gegen den damaligen Angeklagten gemäß § 68 b Satz 2 Nr. 1 StPO beigeordnet. Die Hauptverhandlung fand am 23. November 2004 vor dem Amtsgericht Wismar statt.

Rechtsanwältin B. beantragte mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2004, ihre Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wie folgt festzusetzen:

Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG: 132,00 Euro
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4106 VV RVG: 112,00 Euro
Terminsgebühr gemäß Nr. 4108, 4106 VV RVG: 184,00 Euro
Auslagen für Ablichtungen gemäß Nr. 7000 VV RVG: 28,60 Euro
Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG: 20,00 Euro
16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG: 76,26 Euro

Gesamtsumme: 552,86 Euro

Am 20. Dezember 2004 setzte die Kostenbeamtin des Amtsgerichts Wismar insgesamt lediglich 181,66 Euro als aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung fest. Zur Begründung führte sie aus, dass - neben den nicht zu beanstandenden Auslagen und der Telekommunikationspauschale - lediglich eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4302 Ziff. 3 VV RVG in Höhe von 108,00 Euro zzgl. 16% Umsatzsteuer - bezogen auf den verringerten Nettogesamtbetrag - zuerkannt werden könne.
Die dagegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Wismar vom 27. April 2005 zurück gewiesen. Ihre dagegen gerichtete Beschwerde führte im Ergebnis zur Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zur antragsgemäßen Gebührenfestsetzung durch das Landgericht Schwerin.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage hat die Strafkammer die weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht zugelassen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 RVG). Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Schwerin hat von dieser Möglichkeit, weitere Beschwerde einlegen zu können, Gebrauch gemacht.

II.

1. Die wegen der Bindungswirkung der vom Landgericht Schwerin getroffenen Zulassungsentscheidung (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 4, 1. Halbsatz, Abs. 6 Satz 4 RVG) statthafte weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 4 RVG); ihr ist auch die erforderliche Rüge der Verletzung des (sachlichen) Rechts (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 546 ZPO) zu entnehmen.

2. Die weitere Beschwerde ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht Schwerin die aus der Staatskasse zu vergütenden Gebühren auf 552,86 Euro festgesetzt.

a) Wie die Gebühren des beigeordneten Zeugenbeistandes zu bemessen sind, ist umstritten; das Oberlandesgericht Rostock hat hierzu bislang keine Entscheidung getroffen. Zu den hier streitgegenständlichen Fragen werden folgende Auffassungen vertreten:

aa) Die Beiordnung des Zeugenbeistandes werde - entweder ausdrücklich oder der Natur der Sache nach - ausschließlich für den Zeitpunkt der Vernehmung dieses Zeugen ausgesprochen. Es handele sich deshalb um eine Einzeltätigkeit, die nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG (vgl. OLG Oldenburg, StraFO 2006, 130 f. -; AG Lingen, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - 10 AR 266/05 -, veröffentlicht in www.burhoff.de) bzw. - nach Ansicht des Beschwerdeführers - nach Nr. 4302 Ziff. 3 VV RVG zu vergüten sei.

bb) Der Zeugenbeistand sei zwar entsprechend einem Verteidiger zu vergüten, so dass ihm jedenfalls die Grund- und Terminsgebühr zustünden; die Verfahrensgebühr sei aber nicht verdient (vgl. KG [5. Strafsenat], Beschluss vom 15. März 2006 - 5 Ws 506/05 -, veröffentlicht in www.burhoff.de), es sei denn, der Verteidiger könne konkret belegen, durch welche Tätigkeit die Verfahrensgebühr entstanden sei (KG [4. Strafsenat], Beschluss vom 4. November 2005 - 4 Ws 61/05 -).

cc) Der Zeugenbeistand sei uneingeschränkt wie ein Verteidiger zu bezahlen. Ihm stünde - außer im Wiederaufnahmeverfahren (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 6. Januar 2006 - 2 Ws 9/06 -, zit. nach juris) - neben der Grundgebühr und der Terminsgebühr auch grundsätzlich die Verfahrensgebühr zu (vgl. OLG Koblenz, StraFO 2005, 526; KG [3. Strafsenat], NStZ-RR 2005, 358 m. Nachweisen aus der Kommentarliteratur).

b) Nach Auffassung des Senates kann der gemäß § 68 b StPO beigeordnete Rechtsbeistand neben der Grund- und der Terminsgebühr eine Verfahrensgebühr regelmäßig dann beanspruchen, wenn er konkret vorträgt, durch welche von ihm erbrachte Tätigkeit diese entstanden ist.

aa) Die unter lit. a) sublit. aa) wiedergegebene Auffassung hat für sich, dass sie den gegenüber den Rechtsvertretern anderer Verfahrensbeteiligter - wie des Angeklagten oder des Nebenklägers - jedenfalls in der Regel zeitlich und inhaltlich geringeren Arbeitsaufwand am sinnfälligsten und auch am gerechtesten widerspiegelt. Sie entspricht aber nicht dem Gesetz. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich angeordnet - und in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1971 S. 220; vgl. auch S. 145) zudem darauf hingewiesen -, dass auf die in Abs. 1 der amtlichen Vorbemerkung zum Teil 4 (Strafsachen) genannten Personen - u. a. der Beistand - die Vorschriften des für den Verteidiger geltenden Abschnitts entsprechend anzuwenden seien. Das schließt den Rückgriff auf Gebührenpositionen aus, zu deren Voraussetzungen es nach Abs. 1 der amtlichen Vorbemerkung zum Abschnitt 4.3 gerade gehört, dass der tätig Gewordene nicht Verteidiger war (vgl. auch OLG Köln aaO; KG [5. Strafsenat], Beschluss vom 15. März 2006 - 5 Ws 506/05 -).

Dies gilt auch dann, wenn der Beiordnungsbeschluss - wie hier - nur mit dem Gesetzestext formuliert, der Rechtsanwalt also nur "für die Dauer der Vernehmung" des Zeugen beigeordnet wird (vgl. OLG Köln aaO; KG [5. Strafsenat], NStZ-RR 2005, 327, 328; Burhoff, StV 2006, 207, 209). Dieser Formulierung lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass es sich nur um eine Einzeltätigkeit handelt. Abgesehen davon, dass selbst diese Formulierung immer auch ein Vorgespräch mit dem Mandanten umfassen würde (vgl. OLG Köln aaO; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 68 b Rdn. 5 m. w. N.), darf gerade beim beigeordneten Vernehmungsbeistand nicht übersehen werden, dass dessen Tätigkeit schon sui generis nur einen begrenzten Rahmen umfasst, was aber nicht bedeutet, dass er damit nur für eine Einzeltätigkeit beigeordnet wäre; in seinem begrenzten Tätigkeitsbereich ist er vielmehr "voller Vertreter" (vgl. auch Burhoff aaO).
Soweit sich der Beschwerdeführer für seine Auffassung auf Madert in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe RVG 16. Aufl. VV 4300 bis 4304 Rdn. 58 (vgl. dem gegenüber aber Madert aaO VV 4100 bis 4105 Rdn. 33) bezieht, ist die dort vertretene Meinung seit dem Inkrafttreten des RVG nicht mehr haltbar (vgl. auch KG [3. Strafsenat], NStZ-RR 2005, 358).

bb) Die unter lit. a) sublit. bb) und sublit. cc) genannten Ansichten unterscheiden sich lediglich in der Frage, ob - und in welcher Höhe - dem beigeordneten Zeugenbeistand auch die Verfahrensgebühr (hier: nach Nr. 4106 VV RVG) zugebilligt werden kann.

(1) In den Gesetzgebungsmaterialien ist die Anordnung, die für den Verteidiger geltenden Vorschriften auf Beistände entsprechend anzuwenden, u. a. damit begründet worden, dass es "sachgerecht" sei, wenn der Rechtsanwalt nicht mehr die halben, sondern die "gleichen" Gebühren erhalte wie ein Verteidiger, "da nicht ersichtlich ist, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts in diesen Fällen grundsätzlich weniger umfangreich ist" (BT-Drucks. 15/1971 S. 220). Im Gesetzeswortlaut ist das Wort "gleich" zwar nicht enthalten. Verlangt wird (lediglich) eine entsprechende Anwendung, so dass der Wortsinn nicht ausdrücklich für die Auslegung streitet, die Gebühren müssten identisch sein (KG [5. Strafsenat], Beschluss vom 15. März 2006 - 5 Ws 506/05 -). Folgerichtig besteht eine "entsprechende Anwendung" nicht in einer unterschiedslosen Übertragung sämtlicher Tatbestandsmerkmale - hier: sämtlicher Gebührenpositionen - auf den vollständigen in Abs. 1 der Vorbemerkung zum Teil 4 genannten Personenkreis unter Ausblendung der tatsächlich von dem jeweiligen Berufsträger individuell erwarteten und geleisteten Tätigkeit, sondern in einer sinngemäßen Übertragung.
(2) Abs. 2 der genannten Vorbemerkung bestimmt, dass die Verfahrensgebühr für das "Betreiben des Geschäfts" einschließlich der Information entsteht. Das "Geschäft", dessen Betreiben die Verfahrensgebühr abdeckt, ist das gerichtliche Strafverfahren. An dessen Ergebnis wirkt der Zeugenbeistand zwar nicht unmittelbar gestaltend mit. Seine Rechtsstellung leitet sich aus der des Zeugen ab (vgl. Meyer-Goßner aaO mit Nachw.). Die Frage der Einführung eigener Beweismittel in die Hauptverhandlung und ähnliches stellt sich für ihn nicht, weil ihm dazu die Berechtigung fehlt. Das unterscheidet ihn von anderen in Abs. 1 der Vorbemerkung genannten Personen, wie z. B. dem Beistand des Nebenklägers (vgl. auch KG [5. Strafsenat], Beschluss vom 15. März 2006 - 5 Ws 506/05 - m. w. N.).
Indes kann es über die allgemeine Einarbeitung in den Fall und die Vorbereitung auf die Hauptverhandlung, die durch die Grundgebühr abgedeckt sind, im Einzelfall nicht sachgerecht sein, dem beigeordneten Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr - gerade auch mit Blick auf die mit § 68 b StPO verfolgte Zielstellung (dazu etwa OLG Köln aaO; Senge in KK 5. Aufl. § 68 b Rdn. 2) - vorzuenthalten. So hat der Zeugenbeistand durchaus aktiv am Verfahren mitzuwirken, wenn insbesondere der Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) seine Bestellung erforderlich gemacht hat (vgl. Senge in KK aaO Rdn. 5 a.E.); auch kann die Wahrung der prozessualen Befugnisse des Zeugen (dazu vgl. Senge in KK aaO) im Einzelfall mit erheblichem Aufwand verbunden sein.

Dem gleichwohl regelmäßig eingeschränkten Aufgabenbereich des beigeordneten Zeugenbeistandes Rechnung tragend, wird der Beistand, der die gerichtliche Verfahrensgebühr geltend macht, regelmäßig konkret vortragen müssen, durch welche von ihm erbrachte Tätigkeit diese entstanden sein soll (vgl. auch KG [4. Strafsenat], Beschluss vom 4. November 2005 - 4 Ws 61/05 -; Burhoff aaO). Das ist hier allerdings durch den Schriftsatz der Antragstellerin vom 23. September 2005 in noch ausreichender Weise geschehen.

3. Da im Ergebnis die angefochtene Entscheidung zutreffend ist, kommt es auf die vom Bezirksrevisor zu Recht angegriffene Begründung des landgerichtlichen Beschlusses, wonach die amtsgerichtliche Zeugenbeistandsbestellung nur "fälschlicherweise" erfolgt sei, da "die Umstände des konkreten Einzelfalles ... darauf hin (deuten), dass eine ... Beiordnung (als Nebenklägervertreterin) vorgenommen wurde", nicht an.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG."


Weitere einschlägige Senatsentscheidungen liegen nicht vor. Ich hoffe, dass diese "pragmatische" Art der Entscheidungsübermittlung dem Zweck genügt. Andernfalls fordern sie bitte - gerne auch per E-Mail - eine anonymisierte Ausfertigung der Entscheidung an.



Einsender:

Anmerkung:


den gebührenrechtlichen Newsletter abonnieren


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".