Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 08.05.2008 - 1 Ws 134/08
Leitsatz des Gerichts: Der Rechtsanwalt, der - bei einer Zurückverweisung der Sache den Angeklagten be-reits im Ausgangsverfahren verteidigt hat, erhält nicht nochmals eine Grundgebühr, da er sich nicht erneut in die Sache einarbeiten muss.
Zur Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse.
KAMMERGERICHT
Beschluss
1 Ws 134/08
(529) 1 Kap Js 116/03 Ks (5/05)
In der Strafsache gegen pp.
wegen Totschlags u.a.,
hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 8. Mai 2008 beschlossen:
1. Die Beschwerde des Rechtsanwaltes K. gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 7. März 2008 wird verworfen.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat mit Beschluss vom 7. August 2006 die dem Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger nach der Verurteilung seines Mandanten wegen Totschlags in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie Unterschla-gung zustehenden Gebühren auf insgesamt 3.166,80 EUR festgesetzt. Von diesem Beschluss und der Auszahlung der Gebühren hat die Bezirksrevisorin beim Landge-richt Berlin im Rahmen einer Aktenvorlage am 11. Juni 2007 Kenntnis erlangt und mit Schreiben vom selben Tag wegen der Festsetzung von Gebühren nach Nr. 4100 und 4122 VV RVG Erinnerung eingelegt. Dieser hat die Urkundsbeamtin der Geschäfts-stelle des Landgerichts Berlin mit Beschluss vom 22. August 2007 abgeholfen und die Pflichtverteidigergebühren auf nunmehr insgesamt 2.807,20 EUR festgesetzt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Erinnerung des Rechtsanwaltes hat das Land-gericht Berlin mit Beschluss vom 7. März 2008 zurückgewiesen. Die dagegen gerich-tete zulässige Beschwerde des Verteidigers ist unbegründet.
1. Die Erinnerung der Bezirksrevisorin war gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG zulässig. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war zum Zeitpunkt ihrer Einlegung keine Rechtsmittelfrist abgelaufen. Denn die Erinnerung ist an keine Frist gebunden (vgl. Hartmann, Kostengesetze 38. Auflage, § 56 Rdnr. 6; OLG Thüringen Rpfleger 2006, 434). Schon bei der alten Rechtsprechung zu § 128 Abs. 3 BRAGO war allge-mein anerkannt, dass das Rechtsmittel der Erinnerung unbefristet ist (vgl. OLG Celle JurBüro 1983, 1323; OLG Koblenz Rpfleger 1993, 290; OLG Düsseldorf JurBüro 1996, 144). Den Gesetzesmaterialien zu § 56 RVG ist zu entnehmen, dass mit Hilfe des § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG lediglich die Differenzierung der Zuständigkeiten nach § 98 Abs. 2 BRAGO (Entscheidung Vorsitzender) und § 128 Abs. 3 BRAGO (Entschei-dung Gericht) aufgegeben werden und nunmehr grundsätzlich der Einzelrichter ent-scheiden, die Regelung im Übrigen aber den alten Vorschriften entsprechen sollte (BT-Drucksache 15/1971 S. 203). Tatsächlich legt auch § 56 Abs. 1 RVG eine Erin-nerungsfrist nicht fest und die Verweisung in § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG auf § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG bezieht sich ausschließlich auf das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung. Die vereinzelt vertretene Auffassung, dass der Rechtsbehelf fristgebunden binnen einer Notfrist von 2 Wochen bzw. einem Mo-nat nach Bekanntgabe der Entscheidung des Urkundsbeamten anzufechten sei (von Eicken/Müller-Rabe Gerold/Schmidt, RVG 17. Auflage, § 56 Rdnr. 5), überzeugt nicht, weil sie im Gesetzeswortlaut keine Stütze findet. Darüber hilft auch der Hinweis auf die §§ 573 Abs. 1 ZPO, 151 VwGO, 133 FGO und 178 SGG (vgl. von Ei-cken/Müller-Rabe aaO) nicht hinweg. Denn diese Vorschriften betreffen den jeweili-gen Verfahrensordnungen unterliegende Nebenentscheidungen, denen kein allge-meiner Rechtsgedanke zugrunde liegt; zudem fehlt es an einer entsprechenden Re-gelung in der StPO.
2. Der Umstand, dass die Erinnerung der Bezirksrevisorin gegen die Kostenfestset-zung zum Teil auf eine Änderung der Rechtsprechung des Kammergerichts zur Zu-satzgebühr nach Nr. 4122 VV RVG (Senat, Beschluss vom 25. Mai 2007 1 Ws 36/07 - ) gestützt wird, führt ebenso wenig zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels wie der Umstand, dass das Festsetzungsverfahren durch die Auszahlung der Vergütung vor Einlegung der Erinnerung bereits beendet war.
Es gibt keinen Grundsatz des Vertrauens in den Fortbestand einer bestimmten von Gerichten vertretenen Rechtsansicht. Durch eine spätere abändernde Entscheidung eines Obergerichts wird weder in eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechts-position eingegriffen, noch kann darin eine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG gese-hen werden (BVerfG JurBüro 1983, 1325). Soweit früher vereinzelt vertreten wurde, dass zumindest in der Kombination von Änderung der Rechtsprechung und bereits erfolgter Auszahlung der Anwaltsvergütung das Rechtsmittel im Hinblick auf das Ver-trauen des Beschwerdeführers auf den unveränderten Fortbestand der zunächst un-angefochtenen Vergütungsfestsetzung verwirkt sei (OLG Hamburg AnwBl 1982, 255), kann diesem schutzwürdigen Vertrauen des Rechtsanwaltes durch eine analo-ge Anwendung des § 20 GKG ausreichend Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG aaO zu der alten Vorschrift des § 7 GKG). Danach ist die Rückforderung zuviel ge-zahlter Gebühren und Auslagen nur innerhalb des der Festsetzung folgenden Kalen-derjahres zulässig. Dementsprechend ist das Rechtsmittel hier nicht verwirkt, weil der Kostenfestsetzungsbeschluss am 7. August 2006 erlassen wurde und die Be-zirksrevisorin die Erinnerung mit Schreiben vom 11. Juni 2007 erhoben hat.
3. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung der Bezirksrevisorin zu Recht abgeholfen, weil die mit Beschluss vom 7. August 2006 nach Nr. 4100 und 4122 VV RVG festgesetzten Gebühren dem Rechtsanwalt zu Unrecht gewährt wor-den waren.
a) Die Grundgebühr nach Nr. 4100, 4101 VV RVG entsteht nur für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Diese Begrenzung gilt nicht nur innerhalb der jeweili-gen Instanz, sondern innerhalb derselben Strafsache bis zum Ende des Verfahrens (vgl. Hartmann aaO VV 4101 Rdnr. 5). Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt, der wie im vorliegenden Fall - bei einer Zurückverweisung der Sache den Angeklagten bereits im Ausgangsverfahren verteidigt hat, nicht nochmals eine Grundgebühr er-hält. Denn er muss sich nicht erneut in die Sache einarbeiten (vgl. KG, Beschluss vom 1. August 2005 4 Ws 60/05-).
b) Zu Recht erfolgte auch der Abzug der Gebühr nach Nr. 4122 VV RVG für den Verhandlungstag am 8. Mai 2006. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 25. Mai 2007 1 Ws 36/07-) sind Sitzungspausen, die für die Dauer von mindestens einer Stunde angeordnet wurden, bei der Bestimmung der Termins-gebühr nicht einzurechnen. Selbst wenn man entsprechend dem Vortrag des Rechtsanwaltes eine angekündigte Pause nur für die Zeit von 12.40 Uhr bis 14.00 Uhr und nicht bis zum tatsächlichen Sitzungsbeginn um 14.07 Uhr von der Verhand-lungszeit abziehen wollte, wäre der Längenzuschlag nicht fällig, weil die Sitzung auch dann nicht mehr als 5 Stunden, sondern genau 5 Stunden dauerte (3 Stunden 40 Minuten von 9.00 12.40 Uhr + 1 Stunde 20 Minuten von 14.00 15.20 Uhr). Dem Rechtsanwalt stand somit nur eine Gebühr nach Nr. 4120 VV RVG zu.
4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 RVG.
Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin
Anmerkung:
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