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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 BL 14/94 OLG Hamm

Senat: 1

Gegenstand: BL6

Stichworte: Einzelheiten in Hauptverhandlung zu klären, Glücksspiel, Muster, Steuerhinterziehung, Straferwartung, Tatverdacht, Fluchtgefahr

Beschluss: Strafsache (Ermittlungsverfahren) gegen den Kaufmann H. wegen Steuerhinterziehung und unerlaubten Glücksspiels,(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung gem. §§ 121, 122 StPO hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.02.1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seiner Verteidiger beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: Der Beschuldigte ist in der vorliegenden Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 05.02.1993 (64 Gs 453/93) am 22.07.1993 auf dem Flughafen Düsseldorf bei der Einreise aus den USA (Miami) festgenommen und anschließend zur Untersuchungshaft gebracht worden, die seitdem ununterbrochen vollzogen wird. Die Untersuchungshaft dauert damit seit nunmehr über sechs Monaten an.

Dem zwischenzeitlichen Ermittlungsstand entsprechend ist der Haftbefehl vom 05.02.1993 durch den erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 05.01.1994 (64 Gs 17/94) ersetzt worden. Dieser neue, auf die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Verdunkelungsgefahr gestützte Haftbefehl ist dem Beschuldigten am 10.01.1994 verkündet worden. Damit wird ihm als Haftgrundlage nunmehr zur Last gelegt, sich in der Zeit zwischen dem 01.01.1991 und 31.08.1992 - zum Teil gemeinschaftlich mit den anderweitig Verfolgten L. und V. K. handelnd - der Steuerhinterziehung in sechs Fällen sowie der unerlaubten Veranstaltung von Glücksspiel in drei Fällen schuldig gemacht zu haben. Wegen der Einzelheiten der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tathandlungen beim Betrieb des "City-Casino" in Bochum, des Spielcasinos "Depot" in Recklinghausen und der "Casino Royal GmbH" in Gelsenkirchen wird auf die Darstellung in dem Haftbefehl vom 05.01.1994 Bezug genommen. Den von dem Beschuldigten aufgrund der Tatvorwürfe zu verantwortenden steuerlichen Gesamtschaden hat das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Bochum auf etwa 3,9 Mio. DM ermittelt.
Anklage ist bisher noch nicht erhoben.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend war die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Beschuldigten auch über sechs Monate hinaus anzuordnen.
Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tathandlungen nach den Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen dringend verdächtig. Dieser dringende Tatverdacht gründet sich insbesondere auf die Aussagen der Mitbeschuldigten oder anderweitig Verfolgten bzw. Zeugen H., N., V. usw. sowie auf die steuerrechtlichen Ermittlungen und Berechnungen des Finanzamts. Hierdurch wird der Beschuldigte i.S. der Vorwürfe, die dem Haftbefehl zugrundeliegen, schwer belastet. Soweit insofern in den Schriftsätzen der Verteidigung vom 19., 20., 26. und 27. 1. sowie vom 07.02.1994 und den hierzu eingereichten Anlagen abweichende oder einschränkende Ausführungen enthalten sind, geben diese zu einer anderen Beurteilung keinen genügenden Anhalt.
Was die zeitliche Eingrenzung einzelner Tathandlungen und die Höhe der dem Betroffenen anzulastenden Schäden anbelangt, ist im gegenwärtigen Verfahrensabschnitt eine abschließende Entscheidung weder möglich noch erforderlich. Insoweit müssen und können die näheren Feststellungen der voraussichtlichen demnächstigen Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Als Grundlage der Haftanordnung und des Vollzugs der Untersuchungshaft genügt gegenwärtig in tatsächlicher Hinsicht der dringende Verdacht gegen den Beschuldigten, die im Haftbefehl umschriebenen Taten (mit-)begangen und dadurch Steuern in Millionenhöhe hinterzogen zu haben. Dieser Verdachtsgrad kann auch nach der Beurteilung durch den Senat nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden. Nach den Ergebnissen der Ermittlungen sind von dem hiervon betroffenen Täterkreis in den jeweils betriebenen Spielcasinos - darunter von dem Beschuldigten H.K die in dem Haftbefehl genannten Spielstätten - in Abweichung von den Ausstattungsmerkmalen, Bedingungen und Regeln der Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die der Einstufung der Spiele als Geschicklichkeitsspiel zugrundelagen, gegen Geldeinsätze Spiele veranstaltet bzw. durchgeführt worden, die als Glücksspiele zu beurteilen sind. Die Abweichung von der behördlich gestatteten Spielform geschah von den Betreibern in der Erkenntnis, daß man - wie es der anderweitig Verfolgte H. bei seiner Vernehmung vom 18.09.1992 formuliert hat - in den Casinos nicht nach der Unbedenklichkeitsbescheinigung spielen kann, um wirtschaftlichen Nutzen zu haben. Zweck der Abweichung war nach den Ermittlungsergebnissen die Erzielung möglichst hoher Erträge der Casinos, wobei die tatsächlich erzielten Einnahmen den Steuerbehörden bewußt verheimlicht wurden. Steuerlich erklärt wurden jeweils nur verhältnismäßig geringe, fast willkürlich festgesetzte Teilbeträge, wie sich insbesondere aus den Angaben der anderweitig Verfolgten H., V. und K. entnehmen läßt. Ob für die Ermittlung der den Casinobetreibern zurechenbaren Steuerschäden letztlich von einem Bruttoumsatz in Höhe des Sechsfachen der Summe der jeweiligen Betriebskosten auszugehen ist (so der Berechnungsfaktor der Steuerbehörde), oder ob insoweit möglicherweise aufgrund der Umsatzcharakteristik derartiger Betriebe allgemein oder aufgrund derjenigen der hier in Rede stehenden drei Spielstätten von geringeren Summen auszugehen ist, bedarf keiner näheren Stellungnahme des Senats, da diese Erwägungen für die Haftfrage gegenwärtig ohne ausschlaggebende Bedeutung sind. Diese Frage der verschuldeten Tatfolgen wird zu gegebener Zeit aufgrund der Ergebnisse der voraussichtlich durchzuführenden Hauptverhandlung vom Tatgericht zu entscheiden sein. Der Berechnungsansatz des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Bochum ist jedenfalls nicht willkürlich, sondern beruht auf Erkenntnissen aus dem dienstlichen Erfahrungsbereich der Finanzbehörden und enthält bereits einen "Sicherheitsabschlag" zugunsten des Beschuldigten.
Soweit die Verteidigung die Auffassung vertritt, Umsätze aus illegalem Glücksspiel unterlägen aufgrund des Rechts der Europäischen Union (aufgrund Art. 13 und 33 der 6. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 17.06.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuer, hilfsweise aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage der Besteuerung von illegalen Einkünften aufgrund Art. 2 Nr. 1 der genannten Richtlinie) nicht der Umsatzbesteuerung, und soweit die Verteidigung in diesem Zusammenhang die Vorlegung der entsprechenden Rechtsfrage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung beantragt, kann der Senat dem nicht folgen. Die diesbezüglichen Ausführungen der Verteidigung liegen neben der Sache und geben für die Frage der Umsatzbesteuerung der drei Betriebe des Beschuldigten nichts her. Art. 13 und 33 Abs. 1 der 6. EG-Umsatzsteuerrichtlinie besagen keineswegs, daß Glücksspiel einer Umsatzbesteuerung nicht unterworfen werden dürfe, sondern lediglich, daß ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union entsprechende Umsätze unter Umständen von der Umsatzsteuer ausnehmen und ggf. Abgaben u.a. auf Spiele und Wetten beibehalten oder einführen kann, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben. Die durch illegales Glücksspiel erzielten Geldumsätze können steuerlich auch nicht etwa einem sonstigen Deliktsgegenstand - wie z.B. Rauschgift - gleich erachtet werden, die außerhalb des Marktes im illegalen Handel verbleiben. Das betreffende Geld, das bei derartigen Spielen umgesetzt wird, bleibt im Markt und ist von legal umgesetztem oder erwirtschafteten Geld nicht zu unterscheiden. Die in den Spielstätten des Beschuldigten erzielten Umsätze resultierten aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt hat. Damit unterlagen sie gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer. Eine Steuerbefreiung nach § 4 UStG lag nicht vor. Insbesondere handelte es sich dabei nicht um Umsätze einer zugelassenen öffentlichen Spielbank, denn die Betriebe wurden dadurch, daß dort anstelle von erlaubten Automaten-, Unterhaltungs- oder Geschicklichkeitsspielen unerlaubtes Glücksspiel betrieben worden ist, umsatzsteuerrechtlich nicht einer konzessionierten Spielbank gleichgestellt. Die Erwägung, daß etwa das bloße Nichteinhalten der im Rahmen der Unbedenklichkeitsbescheinigung genehmigten Spielbedingungen zur Steuerfreiheit der dabei getätigten Umsätze geführt haben könnte, ist abwegig.
Bei dem Beschuldigten besteht auch weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Er hat wegen der ihm zur Last gelegten Taten mit einer hohen, auch zu verbüßenden Freiheitsstrafe zu rechnen. Das begründet für ihn einen beträchtlichen Fluchtanreiz. Hinzu kommt, daß er sich im Falle einer künftigen legalen Erwerbstätigkeit im Inland hohen Steuernachforderungen ausgesetzt sehen muß. Das begründet die konkrete Gefahr, daß er sich im Falle seiner Freilassung alsbald durch Flucht oder Untertauchen dem weiteren Verfahren entziehen wird, zumal er sich nach Bekanntwerden der auch gegen ihn gerichteten Ermittlungen bereits über einen längeren Zeitraum dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden entzogen hat. Soweit die Verteidigung geltend macht, der Beschuldigte habe sich nicht dem Verfahren entzogen, sondern lediglich sich an seinem in Italien gelegenen Wohnsitz aufgehalten, ist das unzutreffend, wie sich schon daraus ergibt, daß die Festnahme des Beschuldigten bei seiner Einreise aus den USA erfolgt ist. Hinreichend tragfähige Bindungen an das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat der Beschuldigte nicht, wohl aber Vermögenswerte im Ausland und auch sonstige Auslandskontakte, die einer Flucht förderlich sein können. Auf diesem Hintergrund sind weniger einschneidende Maßnahmen als die Anordnung und auch der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 StPO) nicht ausreichend, um sich der Person des Beschuldigten für das weitere Ermittlungs- und voraussichtliche Strafverfahren in dem notwendigen Maße zu versichern. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von ihm für den Fall einer Haftverschonung angebotenen Sicherheitsleistung. Nach der Art dieser Sicherheiten, die nicht einmal sein eigenes verfügbares Vermögen betreffen, würde von ihrem etwaigen Verfall kein wirksamer Druck auf den Beschuldigten ausgehen, sich dem weiteren Verfahren zu stehen.
Darüber hinaus liegt auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) vor. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Antrag zur Frage der Haftfortdauer zu Recht ausgeführt hat, ist der Beschuldigte nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Rahmen eines auf Vertuschung und Repression angelegten Systems tätig geworden, das auf gesetzwidrige Verheimlichung der wahren Inhaber-, Betreiber-, Umsatz- und Gewinnverhältnisse bei den einzelnen Spielcasinos ausgerichtet war und sich z.B. auf den Einsatz von Strohleuten, das weitgehende Unterlassen einer Buchführung, Bestechung und systematische Schließung von Spieleasinos im Fall drohender polizeilicher Maßnahmen bei alsbaldiger Eröffnung anderer Spielstätten stützte. Auf diesem Hintergrund steht auch für den Beschuldigten dringend und mit großer Wahrscheinlichkeit zu besorgen, daß er im Falle seiner Freilassung durch unlautere Mittel wie etwa durch die gesetzwidrige Einflußnahme auf Mitbeschuldigte bzw. anderweitig Beschuldigte und Zeugen die weitere und wahrheitsgemäße Sachaufklärung erschweren würde. Dem steht nicht etwa entgegen, daß die kriminalpolizeilichen und steuerrechtlichen Ermittlungen inzwischen abgeschlossen sind. Es bedarf keiner näheren Darlegung dessen, daß durch die genannten unlauteren Mittel die in Betracht kommenden Beweispersonen auch noch für die etwaige künftige Hauptverhandlung unter Druck gesetzt und zu einem für den Beschuldigten günstigen, aber wahrheitswidrigen Aussageverhalten gebracht werden können. Auch der Verdunkelungsgefahr kann gegenwärtig nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft wirksam begegnet werden.
Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind entgegen der Auffassung der Verteidigung gleichfalls gegeben. Das Verfahren ist bisher im wesentlichen zügig betrieben worden. Insbesondere seit der Verhaftung des Beschuldigten ist keine vermeidbare Verzögerung eingetreten. Der Umfang und die Schwierigkeit der Ermittlungen haben deren früheren Abschluß nicht zugelassen. Die Ermittlung des dem Beschuldigten zuzurechnenden Steuerschadens war wegen der planmäßigen Verstöße gegen die Buchführungspflichten besonders schwierig und zeitintensiv. Wenn unter diesen Umständen bisher die Anklage noch nicht erhoben werden konnte, so beruht das auf wichtigen Gründen i.S.v. § 121 Abs. 1 StPO, die ein Urteil noch nicht zugelassen haben, es andererseits aber rechtfertigen, die Untersuchungshaft des Beschuldigten auch über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten.
Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und zu der im Verurteilungsfall für den Beschuldigten zu erwartenden Bestrafung.
Soweit die Verteidigung geltend macht, die Umstände der Abschiebung des Beschuldigten aus den USA seien im Hinblick auf das Vorgehen der dortigen Behörden rechtswidrig gewesen, ergibt sich daraus ein rechtliches Hindernis für die Anordnung oder den Vollzug der Untersuchungshaft nicht. Insbesondere steht dieser Maßnahme nicht etwa der Spezialitätsgrundsatz entgegen, weil der Beschuldigte ersichtlich nicht im Rahmen eines - sei es auch vereinfachten - Auslieferungsverfahrens, sondern entweder im Wege der Ausweisung und Abschiebung oder durch freiwillige Ausreise aus dem Hoheitsbereich der amerikanischen Behörden gelangt ist.
Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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