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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 1536/98 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung, Schuldform unklar, Vollrausch

Normen: StGB 323 a, StPO 318 Satz 1

Beschluss: Strafsache gegen R. W.,
wegen Vollrausches.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 24.08.1998 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.01.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht Paderborn hat den Angeklagten am 30. 4 1998 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Zum Schuldspruch hat das Amtsgericht im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
"Am Samstag, den 29.11.1997 begaben sich die Angeklagten zur Wohnung des Zeugen M. in die Grevestraße 3. Sie schellten dort an und drangen in die Wohnung ein, nachdem ihnen die Tür geöffnet worden war. Dort begannen sie eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Zeugen M.. Dieser lief daraufhin auf die Straße, die Angeklagten setzten hinterher. Der Zeuge M. floh nunmehr von der Grevestraße in die Klöcknerstraße. Währenddessen wurde er von allen drei Angeklagten verfolgt. In der Klöcknerstraße schlugen und traten alle drei Angeklagten auf den Zeugen ein. Dies unterließen sie auch nicht, nachdem der Zeuge bereits zu Boden gefallen war. Auch auf den am Boden liegenden Zeugen traten sie unvermindert ein. Er versuchte zwar, sich zu erheben und zu fliehen, dies gelang ihm jedoch nicht. Vielmehr zogen nunmehr die Angeklagten den Zeugen hoch und warfen ihn auf die Motorhaube des PKW VW-Golf, amtliches Kennzeichen PB-PB 95, der hierdurch beschädigt wurde.
Alle drei Angeklagten haben in gleicher Weise auf den Geschädigten eingetreten und eingeschlagen. Sie ließen erst von ihm ab, nachdem der unbeteiligte Zeuge S. eingegriffen hatte und den Angeklagten zugerufen hatte, daß sie dies unterlassen sollten.
Der Zeuge M. wurde nicht nur unerheblich verletzt. Er erlitt eine Vielzahl von Prellungen und blutete aus dem Mund.
Die Angeklagten waren erheblich alkoholisiert. Die um 22.25 Uhr bei dem Angeklagten Wa. entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 2,1 , die um
22.20 Uhr bei dem Angeklagten W. entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 2,50 und die um 22.05 Uhr bei dem Angeklagten P. entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 2,48 .
Es ist nicht auszuschließen, daß der Angeklagte Wa. zur Tatzeit einen Blutalkoholgehalt von 2,1 , der Angeklagte W. zur Tatzeit einen Blutalkoholgehalt von 2,97 und der Angeklagte P. zur Tatzeit einen Blutalkoholgehalt von 2,90 aufwiesen.
Der Grund der Auseinandersetzung konnte nicht hinreichend geklärt werden. Während der Zeuge M. bekundete, er habe bis zum Tattag die Angeklagten nicht gekannt, sie hätten ihm später mitgeteilt, es handele sich um eine Personenverwechslung, gab der Angeklagte Wa. an, einige Wochen zuvor vorsätzlich von dem Zeugen M. verletzt worden zu sein. Es habe sich letztlich um eine Racheaktion gehandelt. Da insoweit Unklarheiten verblieben, geht das Gericht zugunsten der Angeklagten davon aus, daß tatsächlich eine derartige Verletzung des Angeklagten Wa. durch den Zeugen M. bewirkt worden ist.
Nach Beginn der polizeilichen Ermittlungen suchten alle drei Angeklagten mehrfach den Zeugen auf und teilten ihm mit, daß er als Zeuge bekunden solle, nicht geschlagen worden zu sein. Vielmehr habe es sich nur um eine geringfügige Rangelei gehandelt. Er sei dadurch verletzt worden, daß er bei Regen ausgerutscht sei. Wenn er nicht entsprechend dieser Vorgabe aussage, werde ihm die Wohnung angezündet und er werde totgeschlagen. Desweiteren versprachen die Angeklagten dem Zeugen, von jedem von ihnen 100,- DM zu erhalten, wenn das Verfahren zu ihren Gunsten ausginge."
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und in der Berufungshauptverhandlung gemeinsam mit seiner Verteidigerin erklärt, er beschränke die Berufung auf das Strafmaß. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat dem zugestimmt. Die Strafkammer hat die Beschränkung des Rechtsmittels für zulässig erachtet und die Berufung des Angeklagten verworfen. In den Urteilsgründen hat die Kammer auf die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zum Schuldspruch Bezug genommen.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er ohne nähere Ausführungen die Sach- und Verfahrensrüge erhebt.
II. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch war unter den Umständen des vorliegenden Falles unwirksam, so daß die Kammer, die eigene Feststellungen zum Schuldspruch nicht getroffen hat, nicht über alle von der Berufung erfaßten Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils entschieden hat. Diese Frage war auf die Sachrüge des Angeklagten hin durch das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. z.B. Kleinknecht/Meyer-Goßner, Komm. zur StPO, 43. Aufl., Rdnr. 3 und 4 zu § 352 m.w.N.). Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch, die hier gemäß § 303 StPO mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft erfolgte, ist zwar grundsätzlich gemäß § 318 S. 1 StPO möglich, setzt jedoch voraus, daß das angefochtene Urteil aufgrund der dort getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch die Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung ermöglicht (BGHSt 33, 59; 29, 359, 364; 24, 185, 188; 19, 46, 48). Unwirksam ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch u.a. dann, wenn die Feststellungen zur Tat, und zwar auch zur inneren Tatseite, so unvollständig sind, daß sie keine hinreichende Grundlage für die Überprüfung der Rechtsfolgenseite bilden (BGHSt 33, 59; OLG Hamm, VRS 74, 444). Dies ist hier der Fall. Die Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Vollrausches gemäß § 323 a StGB setzt zunächst Feststellungen voraus, aus denen sich ergibt, daß er sich vorsätzlich in einen Rausch versetzt hat. In den erstinstanzlichen Urteilsgründen ist jedoch nicht festgestellt, in welcher Weise und über welchen Zeitraum der Angeklagte Alkohol konsumiert hat. Feststellungen fehlen ferner zu der Frage, ob der Angeklagte vorhersehen konnte, daß er in einen alkoholbedingten Rausch geraten würde und dieses gewollt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen hat. In den Urteilsgründen wird neben dem Ergebnis der Blutprobenanalyse lediglich der nicht auszuschließende obere Wert der möglichen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit festgestellt, was jedoch keinen Aufschluß über den Trinkverlauf und damit darüber gibt, ob der Angeklagte sich vorsätzlich oder fahrlässig in einen Rausch versetzt hat.
Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Vollrausches gemäß § 323 a StGB hat ferner zur Voraussetzung, daß er in dem Rausch eine rechtswidrige Tat begangen hat und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dieses nicht auszuschließen ist. Eine alkoholbedingte Schuldunfähigkeit ist in der Regel - aber nicht zwingend - bei einer Blutalkoholkonzentration von 3 und darüber anzunehmen, kann jedoch auch schon bei Blutalkoholkonzentrationen, die unter 3 liegen, gegeben sein, was allerdings der besonderen Begründung und Darlegung in den Urteilsgründen bedarf (vgl. z.B. Tröndle, StGB, 48. Aufl. 1998, § 20, Rdnr. 9 b m.w.N.). Die in den amtsgerichtlichen Urteilsfeststellungen allein mitgeteilten Blutalkoholwerte aus der Analyse der Probe (2,5 ) und - nach Hochrechnung - eines nicht ausgeschlossenen oberen Blutalkoholspiegels von 2,97 zum Tatzeitpunkt reichen demnach nicht aus, um zu beurteilen, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war oder ob dieses zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Im übrigen ist der obere Blutalkoholkonzentrationswert aus der Begründung des amtsgerichtlichen Urteils heraus nicht nachvollziehbar, da dort zwar die Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Entnahme der Blutprobe angegeben ist, nicht jedoch der Zeitpunkt der Tat, so daß eine Überprüfung der Rückrechnung nicht möglich ist.
Die auf der zu Unrecht als wirksam behandelten Berufungsbeschränkung beruhende Unvollständigkeit des angefochtenen Urteils führt zu dessen Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn (§ 354 Ab s. 2 StPO). Diese wird auch über die Kosten der Revision zu befinden haben, da deren Erfolg i.S.d. § 473 StPO noch nicht feststeht.


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