Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung


Aktenzeichen: 5 Ws 48/99 OLG Hamm

Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Hinweisschreiben nicht erhalten, Vertrauensschutz, Widerruf der Strafaussetzung, Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit

Beschluss: Strafsache gegen A.S.,
wegen schwerer räuberischer Erpressung,
(hier: Widerruf der Aussetzung des Strafrestes).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 09.12.1998 gegen den Beschluß der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 24.09.1998 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25.02.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Freiheitsstrafe aus dem Urteil der IV. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 14.05.1987 - 14 (IV) KLs 47 Js 1039/86 (K 5/87 allg.) - wird, soweit sie noch nicht verbüßt ist, erlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse, die auch die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Gründe: I. Der Verurteilte ist durch Urteil der IV. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 14.05.1997 wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Mit Beschluß vom 26.07.1990, der seit dem 05.09.1990 rechtskräftig ist, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund den nicht verbüßten Rest der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, die Entlassung des Verurteilten am 30.10.1990 angeordnet und die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt. Mit Rücksicht auf die am 30.10.1990 erfolgte Entlassung des Verurteilten dauerte die Bewährung entsprechend § 454 a Abs. 1 StPO (zunächst) bis zum 29.10.1994. Mit Beschluß vom 24. 4 1992 verlängerte die Strafvollstreckungskammer die Bewährungszeit um ein Jahr, d.h. bis zum 29.10.1995, weil der Verurteilte zwischenzeitlich erneut straffällig geworden und deswegen zu einer Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war.
Nachdem der Verurteilte durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 6. 4 1995 - 76 Ls 50 Js 986/94 (24/95) - wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und Hehlerei (Tatzeit: 12. 1994) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war, teilte ihm die Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 06.06.1995, das ihm am 10.06.1995 zugestellt wurde, mit, daß im Hinblick auf diese Verurteilung ein Straferlaß noch nicht in Betracht komme und er - je nach Ausgang des Verfahrens - mit der Verlängerung der Bewährungszeit oder dem Widerruf der Bewährung zu rechnen habe. Dieses Verfahren ist allerdings später im Hinblick auf das weitere Verfahren 27 Js 411/95 StA Essen, in welchem dem Verurteilten versuchter schwerer Raub und versuchte gefährliche Körperverletzung, begangen im 6. 1995, zur Last gelegt wurde, gemäß § 154 StPO eingestellt worden. In dem letztgenannten Verfahren hat sich der Verurteilte von seiner Festnahme am 14.06.1995 bis zum 30.01.1997 in Untersuchungshaft befunden. Eine Abschrift der Anklageschrift dieses Verfahrens ist am 18.07.1995 zum Bewährungsheft gelangt.
Diese Mitteilung möglicher neuer während der Bewährungszeit begangener Straftaten hat die Strafvollstreckungskammer zum Anlaß genommen, an den Verurteilten die Schreiben vom 20.07.1995 und 05.07.1996 zu richten, in denen er darauf hingewiesen wurde, daß wegen des Verfahrens 27 Js 411/95 StA Essen ein Erlaß der Strafe noch nicht in Betracht komme, sondern er - je nach Ausgang des Verfahrens - mit der Verlängerung der Bewährungszeit oder dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung rechnen müsse. Diese Schreiben der Strafvollstreckungskammer haben den Verurteilten jedoch nicht erreicht, weil sie, obwohl aus der bei dem Bewährungsheft befindlichen Anklageschrift des Verfahrens 27 Js 411/95 StA Essen und auch aus Berichten der Bewährungshelferin ersichtlich war, daß sich der Verurteilte seit dem 14.06.1995 in Untersuchungshaft in der JVA Essen befand, an seine früheren Wohnungsanschriften Bstr. 64 in Dortmund bzw. Sstr. 28 (bei B.) in Dortmund gerichtet waren.
In dem Verfahren 27 Js 411/95 StA Essen ist der Verurteilte schließlich am 09.10.1997 durch das Landgericht Essen - 55 (16/96) - wegen Versuchs der Beteiligung in Form des Sich-Bereit-Erklärens zur Begehung eines Verbrechens des schweren räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilt worden. Dieses Urteil ist seit dem 27.05.1998 rechtskräftig.
Mit dem ihm am 14.08.1998 zugestellten Schreiben vom 23.07.1998 hat die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten dazu angehört, daß wegen der in dem Verfahren 27 Js 411/95 StA Essen abgeurteilten Straftaten Anlaß zum Widerruf der Bewährung bestehe. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 24.09.1998 hat sie sodann die Reststrafenaussetzung widerrufen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II. Das gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg.
Zwar ist der Verurteilte innerhalb der laufenden Bewährungszeit straffällig geworden, doch konnte die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben, weil ihr der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegensieht. Zulässig ist der Widerruf - wenn auch nicht zeitlich unbegrenzt - grundsätzlich auch nach Ablauf der Bewährungszeit (vgl. Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 56 f Rdnr. 2 a m.w.N.). Während umstritten ist, welcher Zeitablauf zwischen Bewährungsende und Widerruf noch hinnehmbar ist, besteht Einigkeit darüber und entspricht es der ständigen Rechtsprechung aller Strafsenate des Oberlandesgerichts Hamm (vgl. z.B. zuletzt Beschluß vom 08.10.1998 - 4 Ws 568/98 -), daß im Einzelfall maßgeblich ist, ob der Verurteilte noch mit einer gerichtlichen Reaktion auf ein bestimmtes Bewährungsversagen rechnen mußte oder angesichts des Verfahrens und des Zeitablaufs darauf vertrauen durfte, daß dieses nicht mehr zum Anlaß eines Aussetzungswiderrufs genommen werde. Letzteres ist hier ausnahmsweise der Fall.
Zwar hat die Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten mit Schreiben vom 06.06.1995, das ihn erreicht hat, darauf hingewiesen, daß wegen der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten durch das Amtsgericht Dortmund vom 6. 4 1995 die Möglichkeit eines Bewährungswiderrufs bestehe. Nicht die Verurteilung in diesem - im übrigen später gemäß § 154 StPO eingestellten - Verfahren hat die Strafvollstreckungskammer aber zum Anlaß für den Widerruf der Reststrafenaussetzung genommen, sondern die Verurteilung des Verurteilten in dem Verfahren 27 Js 411/95 StA Essen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten durch das Landgericht Essen am 09.10.1997. Ein Hinweis, daß wegen der in diesem Verfahren abgeurteilten Straftaten der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht komme, ist dem Verurteilten allerdings erstmals mit dem ihm am 14.08.1998 zugestellten Schreiben der Strafvollstreckungskammer vom 23.07.1998 erteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt, nämlich mehr als 2 3/4 Jahre, nach Ablauf der Bewährungszeit, mußte der Verurteilte nicht mehr mit einer derartigen Sanktion durch die Strafvollstreckungskammer rechnen, zumal er sich in der vorangegangenen Zeit nicht etwa der Möglichkeit einer Benachrichtigung durch die Strafvollstreckungskammer zielgerichtet entzogen, sondern sich - was der Strafvollstreckungskammer zur Kenntnis gebracht worden war - in dem fraglichen Zeitraum in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Essen befunden hatte.
Aus dem Umstand allein, daß er nach Festnahme am 14.06.1995 in dem Verfahren 27 Js 411/95 StA Essen sich bis zum 30.01.1997 in Untersuchungshaft befunden hat, folgt nicht zwingend, daß dem Verurteilten bewußt gewesen ist oder jedenfalls sein mußte, daß wegen der diesem Verfahren zugrundeliegenden Straftat der Bewährungswiderruf drohte. Selbst wenn der Verurteilte in diesem Verfahren letztlich für schuldig befunden worden ist, ist nicht ohne weiteres auszuschließen, daß er aus seiner damaligen Sicht auf eine - auch nach dem Verlauf des Verfahrens jedenfalls nicht von vornherein sicher auszuschließende Freisprechung vertraut hat.
Eine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauenssschutzes ist dem Verurteilten auch nicht etwa deswegen verwehrt, weil er zu der langen Dauer des Verfahrens (Anklage vom 28.06.1995 - Urteilsrechtskraft am 27.05.1998) durch die Einlegung von Rechtsmitteln beigetragen hat. Denn abgesehen davon, daß er damit von ihm durch das Gesetz eingeräumten Rechten Gebrauch gemacht hat, ohne daß erkennbar ist, daß dies lediglich zur bloßen Verzögerung des Verfahrens 27 Js 411/95 StA Essen auch im Hinblick auf das vorliegende Widerrufsverfahren geschah, waren die Rechtsmittel auch - jedenfalls teilweise bzw. vorläufig - erfolgreich. Die Berufung des Verurteilten gegen das Urteil des erweiterten Schöffengerichts Essen vom 20.12.1995 führte zunächst zu einer Reduzierung der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe von 3 Jahren auf 2 Jahre 6 Monate durch Urteil des Landgerichts Essen vom 14.06.1996. Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht Hamm auf die Revision des Verurteilten mit Beschluß vom 05.11.1996 (3 Ss 1180/96) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen, woraufhin der Verurteilte dann am 09.10.1997 (erneut) zu 2 Jahren 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Seine hiergegen gerichtete Revision ist am 26.05.1998 verworfen worden. Die beträchtliche Dauer des Verfahrens bis zu seinem rechtskräftigen Abschluß fällt bei dieser Sachlage nicht in den Verantwortungsbereich des Verurteilten.
Zudem besteht im vorliegenden Fall die weitere Besonderheit, daß das Widerrufsverfahren auch in seinem letzten Stadium nicht sachgerecht d.h. mit der wegen des bisherigen Verlaufs des Verfahrens gebotenen besonderen Beschleunigung betrieben worden ist. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer nach Bekanntwerden der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Essen vom 09.10.1997 dem Verurteilten zeitnah zur Frage des Bewährungswiderrufs rechtliches Gehör gewährt. Nachdem die Strafvollstreckungskammer mit der angefochtenen Entscheidung am 24.09.1998 die Reststrafenaussetzung widerrufen hatte, hat sie den Verurteilten bzw. seinen Verteidiger hiervon allerdings, ohne daß ein sachlicher Grund für eine derartige Vorgehensweise nach dem Inhalt der Akten erkennbar ist, erst im 12. 1998 unterrichtet. Für den bereits im 8. 1998 angehörten Verurteilten war deswegen auch mit Rücksicht darauf, daß sein Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.08.1998 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, der Vertrauensgrundsatz verbiete einen Widerruf so lange nach Ablauf der Bewährungszeit, bis zum Erhalt des angefochtenen Beschlusses nicht sicher abzuschätzen, ob das Widerrufsverfahren von der Strafvollstreckungskammer überhaupt noch betrieben wurde.
Mit Rücksicht auf die aufgezeigten Besonderheiten des vorliegenden Widerrufsverfahrens insgesamt durfte der Verurteilte ausnahmsweise darauf vertrauen, daß die Reststrafenaussetzung so lange nach Ablauf der Bewährungszeit nicht widerrufen werden würde. Der angefochtene Beschluß war somit aufzuheben.
Da darüber hinaus keine Gründe ersichtlich sind, die noch zu einem Widerruf führen könnten, hat der Senat auch den Erlaß der Restfreiheitsstrafe aussprechen können. Dies ist die allein noch mögliche Entscheidung, zu der der Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO berufen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 StPO.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".