Aktenzeichen: 3 Ws 10/99 OLG Hamm
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde, Kostenbeschwerde
Stichworte: Mandant in Haft, Angeklagter in Haft, Gebühren, Nebenklage, Rechtsanwaltsgebühren, erhöhte Gebühren. Inhaftierter Angeklagter
Normen: BRAGO 97 Abs. 1 Satz 3; BRAGO 83 Abs. 1 Nr. 2; BRAGO 84, BRAGO 102
Beschluss: Strafsache gegen R.C.,
wegen Menschenhandels u.a.,
(hier: Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Essen gegen die Festsetzung der Gebühren der Nebenklägervertreterin).
Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht. Essen vom 08.12.1998 gegen den Beschluß des Landgerichts Essen vom 18.11.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.02.1999 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht
nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluß des Landgerichts Essen vom 18.11.1998 abgeändert.
Die der Nebenklägervertreterin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf 1.341,31 DM festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe: I. Rechtsanwältin M. ist mit Beschluß vom 29.06.1998 in dem vorliegenden Strafverfahren den beiden Nebenklägerinnen C. und V. als Nebenklägervertreterin beigeordnet worden. Mit Schreiben vom 12.08.1998 hat sie nach Abschluß des Verfahren folgende Kosten angemeldet:
"Vorverfahrensgebühr, §§ 102; 97 Abs. 1
S. 3; 84 Abs. 1; 83 Abs. 1 Nr. 2; 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO 390,00 DM
Gebühr für das Hauptverfahren, §§ 102;
97 Abs. 1 S. 3; 83 Abs. 1 Nr. 2; 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO 780,00 DM
Fahrtkosten, § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO 10,40 DM
Abwesenheitsgeld, § 28 Abs. 3 S. 1 BRAGO 60,00 DM
Kopierkosten, § 27 BRAGO 119,90 DM
Auslagenpauschale, § 26 S. 2 BRAGO 30,00 DM
Umsatzsteuer (16 % von 1.390,30 DM), § 25 Abs. 2 BRAGO 222,44 DM
Der Urkundsbeamte des Landgerichts Essen hat mit Beschluss vom 19.10.1998 folgende Kosten festgesetzt:
Vorverfahrensgebühr, §§ 102; 97 Abs. 1
S. 1; 84 Abs. 1; 83 Abs. 1 Nr. 2; 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO 312,00 DM
Gebühr für das Hauptverfahren, §§ 102;
97 Abs. 1 S. 1; 83 Abs. 1 Nr. 2; 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO 624,00 DM
Fahrtkosten, § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO 10,40 DM
Abwesenheitsgeld, § 28 Abs. 3 S. 1 BRAGO 60,00 DM
Kopierkosten, § 27 BRAGO 119,90 DM
Auslagenpauschale, § 26 S. 2 BRAGO 30,00 DM
Umsatzsteuer (16 % von 1.156,30 DM), § 25 Abs. 2 BRAGO 185,01 DM
Die Kürzung der Vorverfahrensgebühr und der Gebühr für das Hauptverfahren hat der Urkundsbeamte damit begründet, daß die Erhöhung der gesetzlichen Gebühren gemäß § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO nur in Betracht komme, wenn der Mandant des Rechtsanwalts sich nicht auf freiem Fuß befinde. Da hier lediglich der Angeklagte inhaftiert gewesen sei, scheide daher eine Erhöhung der Gebühren der beigeordneten Nebenklägervertreterin aus.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß hat die Nebenklägervertreterin mit Schreiben vom 22.10.1998 Erinnerung gemäß § 98 Abs. 2 BRAGO eingelegt. Der Kammervorsitzende hat daraufhin mit Beschluß vom 18.11.1998 den Kostenfestsetzungsbeschluß dahin abgeändert, daß die der Nebenklägervertreterin aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen antragsgemäß auf DM 1.612,74 festgesetzt werden.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des Vertreters der Landeskasse vom 08.12.1998, mit der dieser die Wiederherstellung des ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschlusses begehrt.
II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 102, 98 Abs. 3 BRAGO zulässig. Sie ist auch begründet. Die der Nebenklägervertreterin aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen waren entsprechend der Berechnung in dem Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Essen vom 19.10.1998 auf DM 1.341,31 festzusetzen. Die von der Nebenklägervertreterin begehrte Erhöhung der Gebühren nach §§ 83 Abs. 1 Nr. 2; 84 BRAGO um 25 % gemäß § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO kann von ihr nicht beansprucht werden. Die der Rechtsanwältin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren sind vielmehr gemäß § 97 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 102 BRAGO auf das Vierfache der in § 83 Abs. 1 Nr. 2 und § 84 Abs. 1 Halbsatz 1 BRAGO bestimmten Mindestbeträge festzusetzen. Eine Erhöhung auf das Fünffache der Mindestgebühr nach § 97 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 102 BRAGO wegen der Inhaftierung des Angeklagten kann die Vertreterin der Nebenklägerinnen dagegen nicht beanspruchen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Hamburg und Köln (vgl. JurBüro 1998, 585 und 586). Der anderslautenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (JurBüro 1998, 137) vermag er sich demgegenüber nicht anzuschließen.
Die mit Wirkung vom 01.07.1994 in § 97 BRAGO eingefügte Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO soll dem Pflichtverteidiger den Mehraufwand vergüten, der mit der Vertretung eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Mandanten verbunden ist. Nach der Begründung der entsprechenden Gesetzesvorlage treffen die Gründe für die Vergütungsverbesserungen bei der Verteidigung von nicht auf freiem Fuß befindlichen Mandanten nach § 83 Abs. 3 des damaligen Gesetzesentwurfes auch für den Pflichtverteidiger zu, für den sich entsprechende Tätigkeiten pauschal durch eine Erhöhung der Vergütung auf das Fünffache der Mindestgebühr der einschlägigen Vorschriften für Wahlverteidiger auswirken sollen (BT-Drucks. 12/6962, S. 107). In der somit auch für die Gebührenerhöhung gemäß § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO maßgeblichen Begründung für die Neufassung des § 83 Abs. 3 BRAGO heißt es:
"Im neu angefügten Absatz 3 soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß nach der gebührenrechtlichen Bewertung nach § 12 nicht selten die typischerweise zeitaufwendigere Verteidigung von nicht in Freiheit befindlichen Mandanten nicht angemessen berücksichtigt werden kann, weil andere Kriterien des § 12 in einem Maße vorliegen, das für sich allein die Höchstgebühr des geltenden Rahmens rechtfertigen würde. Um mehr Flexibilität zu gewinnen, soll der Rahmen bei der Verteidigung von nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten um bis zu 25 v.H. überschritten werden können. In diesem erweiterten Rahmen kann die Bandbreite denkbarer Anforderungen an den Rechtsanwalt, soweit sie durch die Haft oder Unterbringung des Mandanten bedingt sind, besser berücksichtigt werden. Bei der Verteidigung eines Untersuchungshäftlings tritt zu den allgemeinen Kommunikationserschwernissen noch hinzu, daß spezifische Verrichtungen wie etwa Haftprüfungsanträge oder Haftbeschwerden sowie eine verstärkte psychologische Betreuung besonderen, durch die Pauschgebühr abzugeltenden Aufwand verursachen. In diesem Zusammenhang ist auch die Dauer der Untersuchungshaft ein zu berücksichtigender Faktor, was nicht ausschließt, daß bei einer frühzeitigen Beendigung der Untersuchungshaft dahingehende Bemühungen des Rechtsanwalts besonders gewichtet werden können. (...)." (BTDrucks. 12/6962, 105).
Die in dem angefochtenen Beschluß von dem Kammervorsitzenden für die Gewährung der Erhöhungsgebühr nach § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO auch zugunsten der Nebenklägervertreterin angeführte Eilbedürftigkeit des Verfahrens aufgrund der Haftsituation findet in den Gesetzesmaterialien als Grund für die Gewährung der Erhöhung nach § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO keine Stütze. Den Gesetzesmaterialien läßt sich vielmehr eindeutig entnehmen, daß nicht etwa die besondere Eilbedürftigkeit von Haftsachen, sondern allein die spezifischen Erschwernisse für die Verteidigung aufgrund der Inhaftierung des Beschuldigten zu der Neuregelung des § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO geführt haben. In den Gesetzesmaterialien wird dementsprechend auf den typischerweise erhöhten Zeitaufwand bei der Verteidigung des sich nicht in Freiheit befindlichen Mandanten aufgrund erhöhter Kommunikationserschwernisse sowie dem Erfordernis verstärkter psychologischer (Besuche in der Haftanstalt) sowie rechtlicher (Haftprüfungsanträge oder Haftbeschwerden) Betreuung abgestellt (so auch OLG Hamburg, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.).
Einen vergleichbar erhöhten Arbeitsaufwand muß der Nebenklägervertreter allenfalls nur dann leisten, wenn sich der Nebenkläger selbst in Haft befindet. Befindet er sich dagegen - wie hier die Nebenklägerinnen - in Freiheit, so ist weder eine im Vergleich zu anderen Strafsachen erhöhte rechtliche oder psychologische Betreuung des Nebenklägers noch ein erhöhter Zeitaufwand für die Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich (vgl. OLG Hamburg, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.). Für ihn stellt sich weder das Erfordernis, den Beschuldigten in der Haft aufzusuchen und psychologisch zu betreuen, noch hat er für ihn Haftbeschwerden zu stellen oder Haftprüfung zu beantragen oder ihn sonst in Fragen der Haftbedingungen zu unterstützen. Im Rahmen von Haftbeschwerden des Beschuldigten oder Haftprüfungen ist der Nebenklägervertreter zur Mitwirkung nicht verpflichtet. Soweit er dennoch eigene Stellungnahmen abgibt, rechtfertigt diese Tätigkeit bereits aufgrund der eingeschränkten - nicht zwingenden - Beteiligung des Nebenklägervertreters nicht die Anwendung der Gebührenerhöhung (OLG Hamburg, a.a.O; OLG Köln, a.a.O.). Die typischerweise denkbaren haftbedingten Mehrbelastungen, die der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO im Blick hatte, treffen den Nebenklägervertreter dagegen ebensowenig wie den Verteidiger eines nicht inhaftierten Mitangeklagten; das auch bei letzterem eine Erhöhung der Gebühren nach § 97 Abs. 1 S. 3 BRAGO (oder nach § 83 Abs. 3 BRAGO) gerechtfertigt wäre, ist - soweit ersichtlich dagegen noch nirgendwo vertreten worden (OLG Köln, a.a.O.).
Die vom OLG Düsseldorf vertretene Gegenmeinung (JurBüro 1998, 137), auf die sich die Nebenklägervertreterin und der Vorsitzende der Strafkammer stützen, überzeugt dagegen nicht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf will den seiner Ansicht nach in Haftsachen typischerweise erhöhten Aufwand auch für den Nebenklägervertreter vorrangig damit begründen, daß bei den kurzfristig anzuberaumenden Hauptverhandlungsterminen in Haftsachen auf die Terminlage des Nebenklägervertreters keine Rücksicht genommen werde, so daß dieser anderweitige Termine absagen müsse und dadurch ggf. auch Einnahmeverluste habe. Zudem würden die Sitzungen in Haftsachen häufig länger dauern als in anderen Strafsachen. Diese Argumentation verkennt aber, daß die Gesetzesmaterialien gerade auf die typische Mehrbelastung durch die Verteidigung eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten, nicht aber auf im Einzelfall bei Haftsachen auftretende und dann sämtliche Verfahrensbeteiligte in gleicher Weise betreffende Erschwernisse abstellen. Hinzu kommt, daß ein tatsächlich vermehrter Arbeitsaufwand für den Nebenklägervertreter unter Verlust anderweitiger Einnahmemöglichkeiten je nach Lage des Einzelfalles durch die Gewährung einer Pauschvergütung gemäß § 99 i.V.m. § 102 BRAGO abgegolten werden kann (so auch OLG Köln, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 98 Abs. 4 BRAGO.
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