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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 94/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Beweisantrag, Sachkunde eines Schöffen, eigene Sachkunde, Erschöpfung des Beweisvorbringens

Normen: StPO 244 Abs. 4

Beschluss: Strafsache gegen J.L.,
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 19.10.1998 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.03.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe: Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 49 StVO i.V.m. § 24 StVG zu einer Geldbuße von 75,- DM und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 75,- DM verurteilt. Es hat dem Angeklagten außerdem für die Dauer von zwei Monaten untersagt, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, daß die Tagessatzhöhe auf 65,- DM herabgesetzt und das Fahrverbot auf einen Monat gekürzt wurde.
Zum Schuldspruch hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:
"Am 21.04.1998 fuhr der Angeklagte gegen 13.15 Uhr mit dem Liefer-LKW VW LT 75 seines Arbeitgebers mit dem amtlichen Kennzeichen NOM-HG 87 auf das Gelände der Aral-Tankstelle in Erwitte, Hellweg 66. Er stellte den LKW dort ab, ohne ihn durch das Einlegen eines Ganges oder das Anziehen der Handbremse hinreichend zu sichern, weil er im Kassenraum schnell Zigaretten und andere Artikel kaufen wollte. Als er vom Kassenraum aus zu seinem LKW zurückblickte, sah er, daß dieser vorwärtsrollte und lief hinaus. Noch bevor er die Fahrertür erreichte und in den LKW springen konnte, um die Handbremse anzuziehen, prallte dieser mit einem lauten Knall gegen eine etwa 1,10 m hohe Kalksandsteinmauer und brachte sie auf einer Breite von etwa 1,80 m zum Einsturz. Der Angeklagte hörte den Knall. Er ging auch davon aus, daß der LKW gegen die Mauer geprallt war und einen Schaden verursacht hatte, kümmerte sich um den Schaden aber nicht, sondern stieg in seinen LKW, setzte diesen zurück und fuhr davon. An dem LKW wurde das rechte Blinkerglas beschädigt. Außerdem wurde die Kunststoffstoßstange vorn rechts zerkratzt."
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, es sei ihm gelungen, noch rechtzeitig in den rollenden LKW zu springen und diesen durch das Anziehen der Handbremse vor der Mauer ruckartig zum Stehen zu bringen. Dabei sei ein lautes Knallgeräusch entstanden, weil die im Laderaum stehenden Paletten umgefallen seien.
Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten durch die Bekundungen der Zeuginnen S. und W. als widerlegt erachtet. Auf die insoweit in dem angefochtenen Urteil niedergelegte Beweiswürdigung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Das Verhalten des Angeklagten hat die Strafkammer als Ordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 49 StVO i.V.m. § 24 StVG sowie als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewertet.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie erhebt die allgemeine Sachrüge sowie mit näheren Ausführungen die Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht.
Das Rechtsmittel hat bereits mit der ordnungsgemäß erhobenen Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg.
Hiermit beanstandet der Angeklagte unter hinreichender Darstellung der entsprechenden Verfahrenstatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) die fehlerhafte Ablehnung seines in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages. Dieser lautete:
"Es wird beantragt, Beweis zu erheben zu der Frage, ob es möglich ist, daß der von dem Angeklagten gefahrene LieferLkw der Marke VW-LT mit dem amtl. Kennzeichen NOM-HG 87, eine gemauerte Kalksandsteinmauer auf einer Breite von 1,80 m und einer Höhe von 1,10 m zum Einsturz bringen kann, obwohl der Transporter bei dem Zusammenstoß nur minimal, d. h. durch leichte Abriebe an dem Kunststoff der Stoßstange beschädigt worden ist,
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Das eingeholte Sachverständigengutachten wird ergeben, daß aufgrund der vorliegenden konkreten Beschädigungen mit dem Liefer-Fahrzeug des Angeklagten es nicht möglich ist, daß der Einsturz der Mauer durch den Anstoß mit dem Lieferfahrzeug des Angeklagten erfolgt ist."
Dieser Beweisantrag wurde von der Strafkammer mit der Begründung abgelehnt, sie verfüge über die erforderliche eigene Sachkunde zur Beantwortung der Beweisfrage (§ 244 Abs. 4 StPO). Der Fahrzeugtyp sei nach seiner Bauart und Form durchaus in der Lage, eine Kalksandsteinmauer in der genannten Breite zum Einsturz zu bringen, ohne daß nennenswerte Schäden an dem Fahrzeug entständen. Dabei sei insbesondere darauf hinzuweisen, daß der Fahrzeugtyp LT 75 eine vorstehende Stoßstange habe, die nochmals speziell stabil an den Längsträgern befestigt sei. Die Kammer beziehe ihre eigene Sachkunde aus den Erläuterungen eines der Schöffen, der von Beruf Kfz.-Mechaniker-Meister sei.
Diese Begründung vermag die Ablehnung des Beweisantrages nicht zu tragen. Zwar kann das Gericht einen auf Vernehmung eines Sachverständigen gerichteten Beweisantrag wegen eigener Sachkunde auch dann ablehnen, wenn nur einer der mitwirkenden Richter sachkundig ist und seine Sachkunde den anderen Richtern vermittelt. Bei seiner Entscheidung muß das Gericht jedoch den Beweisantrag unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt würdigen. Dabei muß die Beschlußbegründung den Antrag nach seinem wirklichen Inhalt und Sinn und ohne Umdeutung oder Verkürzung in seiner vollen Tragweite erledigen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl. 1997, § 244 Randnummern 42 und 73 m.w.N.). Indem die Kammer den Beweisantrag lediglich mit der Begründung abgelehnt hat, der LKW sei aufgrund seiner Bauweise und insbesondere im Hinblick auf die Stabilität der Stoßstange und ihrer Befestigung in der Lage, eine Kalksandsteinmauer in der genannten Breite zum Einsturz zu bringen, ohne daß nennenswerte Schäden an dem Fahrzeug entstehen, hat sie den Beweisantrag jedoch nicht in seiner vollen Tragweite erledigt. Der Inhalt des Beweisantrages erschöpft sich nämlich nicht in der Beweisbehauptung, der LKW in seiner konkreten Bauweise sei außerstande, "eine Kalksandsteinmauer" zum Einsturz zu bringen, ohne daß dabei nennenswerte Schäden an dem Fahrzeug entstehen. Vielmehr zielte der Beweisantrag erkennbar darauf ab, die Unvereinbarkeit der beiden festgestellten Schadensbilder an der hier in Rede stehenden Mauer und an dem Lieferwagen des Angeklagten unter Beweis zu stellen. Er erstreckte sich auf die Behauptung, daß, um diese Mauer (nach ihrer Bauart, Stärke und Festigkeit) durch einen Anstoß mit dem Wagen des Angeklagten auf eine Breite von 1,80 m und eine Höhe von 1,10 m zum Einsturz zu bringen, eine Stoßenergie erforderlich war, die zu größeren als den festgestellten Schäden an dem Fahrzeug hätten führen müssen. Dieser, auch auf die Mauer bezogene Aspekt der Beweisbehauptung ist durch die den Beschluß der Strafkammer tragende Erwägung nicht ausgeschöpft worden. Im übrigen kann dieser Teil der Beweisbehauptung nicht allein aufgrund der Sachkunde eines Kfz.-Meisters beantwortet werden. Vielmehr ist hier möglicherweise (nähere Feststellungen zur Beschaffenheit und Statik der Mauer fehlen) die Sachkunde eines Sachverständigen aus dem Bereich des Bauwesens gefragt. Auch ist die Sachkunde z.B. eines Verkehrssachverständigen angesprochen, der nicht nur die konstruktive Beschaffenheit des Lieferwagens, sondern die Bewegungsenergie des Fahrzeugs, die Art der Energieumsetzung bei einem Anstoß gegen die Mauer sowie die Schadensfolgen eines solchen Anstoßes zu beurteilen imstande ist.
Auf dem aufgezeigten Verfahrensverstoß beruht das Urteil, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Sachverständige, wäre er von der Strafkammer gehört worden, zu dem von der Verteidigung behaupteten Beweisergebnis gekommen wäre.
Da bereits die erörterte Verfahrensrüge durchgreift und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, brauchte der Senat auf die Sachrüge nicht näher einzugehen.
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich für den Fall eines erneuten Schuldspruchs darauf hin, daß auch zu prüfen sein wird, ob die Verhängung eines Fahrverbotes für den Angeklagten als Berufskraftfahrer eine besondere Härte darstellt.
Das angefochtene Urteil war mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache, auch hinsichtlich der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückzuverweisen.


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