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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 BL 56/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: BL6

Stichworte: Betrug, Eintrittskarten, Fußballweltmeisterschaft

Beschluss: Strafsache gegen D.G.,
wegen Betruges,
hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht.

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 4 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Angeklagten beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: Der Angeschuldigte ist in der vorliegenden Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Münster vom 30.09.1998 - 21 Gs 2543/98 - am 01.10.1998 polizeilich festgenommen und zur Untersuchungshaft gebracht worden, die seitdem ununterbrochen vollzogen wird. Die Untersuchungshaft dauert damit seit nunmehr über sechs Monaten an.
Dem zwischenzeitlichen Ermittlungsstand entsprechend ist dieser Haftbefehl durch den erweiterten Haftbefehl des Amtsgerichts Münster vom 23.02.1999 - 23 Gs 588/99 - ersetzt worden. Dieser neue, auf den Haftgrund der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr gestützte Haftbefehl ist dem Angeschuldigten am 26.02.1999 verkündet worden und ist damit die Grundlage des vorliegenden Haftprüfungsverfahrens.
Dem Angeschuldigten wird in dem angepaßten Haftbefehl zur Last gelegt, in der Zeit von Mitte 1997 bis 7. 1998 durch 259 selbständige Handlungen besonders schwere Betrugstaten begangen zu haben, indem er Eintrittskarten für Musical-Galas verkauft habe, ohne die ernsthafte Absicht gehabt zu haben, die Galas überhaupt durchzuführen, und indem er Eintrittskarten für die Fußballweltmeisterschaft in Frankreich verkauft habe, ohne entsprechende Kartenkontingente gehabt oder in Aussicht gehabt zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung im Haftbefehl vom 23.02.1999 Bezug genommen.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend war die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Angeschuldigten über sechs Monate hinaus anzuordnen.
Er ist der ihm zur Last gelegten Taten nach dem Ergebnis der bisherigen kriminalpolizeilichen Ermittlungen dringend verdächtig. Der Angeschuldigte hat die ihm zur Last gelegten Taten u.a. im vorliegenden Haftprüfungsverfahren im Grundsatz eingeräumt. Im übrigen gründet sich der dringende Tatverdacht insbesondere auf die Angaben der Zeugen pp. sowie dem Ergebnis der schriftlichen Zeugenbefragung der Geschädigten. Durch diese Beweismittel, die auch noch durch weitere Ermittlungsergebnisse erhärtet werden, wird der Angeschuldigte i.S. der Vorwürfe, die Gegenstand des amtsgerichtlichen Haftbefehls sind, schwer belastet. Im übrigen ist am 23.03.1999 gegen den Angeschuldigten Anklage erhoben worden. Damit wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, über die im Haftbefehl aufgeführten Taten hinaus gleichartige Straftaten in weiteren 84 Fällen begangen zu haben. Wegen des dringenden Tatverdachts wird deshalb ergänzend auch auf die dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger bekannte Anklageschrift verwiesen, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend zusammenfaßt.
Bei dem Angeschuldigten besteht auch weiterhin zumindest der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), denn es besteht die konkrete Gefahr, daß er sich dem Verfahren durch Flucht entzieht, würde er freigelassen. Er hat wegen der ihm zur Last gelegten Taten mit einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen, was für ihn einen beträchtlichen Fluchtanreiz begründet. Dem stehen bei objektiver Beurteilung und entgegen der Ansicht des Angeschuldigten keine ausreichend tragfähigen sozialen Bindungen gegenüber. Der Angeschuldigte, der bisher noch keinen eigenen Hausstand begründet hat, hat keinen Beruf erlernt. Demgemäß verfügt er auch nicht über eine klare berufliche Perspektive. Die von ihm im vorliegenden Haftprüfungsverfahren geltend gemachte Aussicht, bei Bekannten Arbeit - offenbar handelt es sich dabei um Aushilfstätigkeiten - finden zu können, stellt angesichts seines bisher durchaus als luxuriös zu bezeichnenden Lebensstils keine Chance dar, von der anzunehmen wäre, daß der Angeschuldigte ihr ohne weiteres folgt. Dies würde nämlich bedeuten, daß der Angeschuldigte in Zukunft mit bescheidenen Einkünften, wahrscheinlich im Umfang der Pfändungsfreigrenzen, leben müßte. Er hat nicht nur aufgrund des vorliegenden Verfahrens mit erheblichen Schadensersatzforderungen zu rechnen, sondern hat offenbar auch noch erhebliche Altschulden und drängende Gläubiger, denn die ihm hier zur Last gelegten Taten will er u.a. auch deshalb begangen haben, um derartige Gläubiger zu befriedigen. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß auf den Angeschuldigten noch erhebliche Steuerforderungen zukommen dürften und das vorliegende Verfahren letztlich nur einen Ausschnitt aus einem Gesamtkomplex mit zahlreichen weiteren Straftaten darstellt, die ihm zur Last gelegt werden. Schließlich läßt die Vielzahl der vom Angeschuldigten angeführten und von ihm als eng bezeichneten Freunde und Verwandte die Annahme zu, daß die Bindung zumindest zu den meisten von ihnen eher oberflächlicher Natur ist. Auch die Schilderung dieser Beziehungen durch den Angeschuldigten zeigt im Grunde nichts anderes auf.
Auf diesem Hintergrund sind weniger einschneidende Maßnahmen als die Anordnung und auch der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 StPO) nicht ausreichend, um die Fluchtgefahr wirksam einzudämmen.
Die bisherige und die absehbare weitere Vollstreckung der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Verurteilungsfalle zu erwartenden Bestrafung.
Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gleichfalls gegeben. Das Ermittlungsverfahren ist bisher mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden. Der Umfang und die Schwierigkeit der Ermittlungen haben deren Abschluß jedoch noch nicht zugelassen. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß die Ermittlungen in diesem umfangreichen Ermittlungsverfahren erheblich dadurch erschwert worden sind, daß zunächst eine Auswertung der ungeordneten Geschäftsunterlagen des Angeschuldigten erforderlich war. Anschließend erst konnten 729 möglicherweise Geschädigte nach Anlegen einer entsprechenden Datenbank im Rahmen einer schriftlichen Zeugenvernehmung angeschrieben werden. Der Eingang der Antwortschreiben war angemessene Zeit abzuwarten. Ein Teil der Antwortschreiben steht heute noch aus. Gleichartige Ermittlungen waren hinsichtlich möglicher Veranstaltungshotels für die Musical-Galas zu führen. Außerdem war die Vernehmung der Zeugen pp. erforderlich. Schließlich ist versucht worden zu ermitteln, zu welchen Geldbewegungen es im Rahmen der geschäftlichen Aktivitäten des Angeschuldigten gekommen ist, insbesondere ob der Angeschuldigte Geld beiseite geschafft hat. Daß derartige Ermittlungen insgesamt zeitaufwendig sind, liegt auf der Hand. Die damit verbundene Verzögerung hinsichtlich des Abschlusses der Ermittlungen ist verfahrensbedingt.
Die Staatsanwaltschaft hat diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, daß sie nach Erstellung des polizeilichen Zwischenberichts vom 17.03.1999 das Ermittlungsverfahren gegen die weiteren Beschuldigten K., G. und F. und den Verfahrensteil bezüglich der bislang noch nicht hinreichend abgeklärten Tatvorwürfe gegen den Angeschuldigten abgetrennt hat. So konnte sie am 23.03.1999 u.a. auch wegen der im Haftbefehl aufgeführten Taten Anklage vor dem Landgericht in Münster erheben.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Mitteilung der Anklageschrift unverzüglich nach Eingang der Akte verfügt. Nachdem der Angeschuldigte seinen bisherigen Verteidigern das Mandat entzogen hatte, war ihm ein Pflichtverteidiger beizuordnen, was ohne vermeidbare Verzögerung am 14. 4 1999 erfolgt ist. Nach Ablauf der Stellungnahmefrist zur Anklage soll alsbald über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden werden. Vorsorglich hat der Vorsitzende der Strafkammer mit dem neuen Verteidiger des Angeschuldigten bereits 10 Verhandlungstermine zwischen dem 26. 5. und dem 14.07.1999 abgesprochen. Die Terminslage der Kammer hätte frühere Termine zugelassen, die aber der Verteidiger nicht wahrnehmen konnte.
Wenn unter diesen Umständen das Verfahren noch nicht abgeschlossen werden konnte, so beruht das auf wichtigen Gründen i.S.v. § 121 Abs. 1 StPO, die ein Urteil noch nicht zugelassen haben, es andererseits aber rechtfertigen, die auch vom Landgericht für erforderlich erachtete Untersuchungshaft des Angeschuldigten über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten.
Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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