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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ws 111/99 OLG Hamm

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Ausländer, der deutschen Sprache nicht mächtig, Dolmetscher, bedingte Entlassung, Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren, notwendige Verteidigung, Strafhöhe, Strafvollstreckung, Vollstreckung

Normen: StPO 140 Abs. 2, StGB 57

Beschluss: Strafsache gegen M.S.,
wegen erpresserischen Menschenraubes,
(hier: Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers).

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 04.03.1999 gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer I des Landgerichts Siegen vom 19.02.1999 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 4 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Verurteilten zur Last.

Gründe: Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Siegen vom 12.10.1998 wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Vom 17.07.1997 bis zum 04.09.1998 befand sich der Verurteilte in Untersuchungshaft. Nachdem er am 12.01.1999 seine Ladung zum Strafantritt erhalten hat, hat er unter dem 09.02.1999 beantragt, die Reststrafe aus dem genannten Urteil des Landgerichts Siegen gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen. Gleichzeitig hat der Verurteilte den Antrag gestellt, ihm Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger beizuordnen.
Mit Verfügung vom 19.02.1999 hat der Vorsitzende der Strafkammer I des Landgerichts Siegen angeordnet, daß dem Verurteilten für das Verfahren über seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ein Pflichtverteidiger nicht beizuordnen ist. Zur Begründung ist ausgeführt, im Vollstreckungsverfahren sei in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO nur dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebiete. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Die gesetzliche Regelung der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sei überschaubar. Im Rahmen der Anhörung habe der Verurteilte die Möglichkeit, diejenigen Gesichtspunkte vorzutragen, die aus seiner Sicht zu seinen Gunsten sprächen. Insofern weise der Fall im Vergleich zu Vollstreckungsverfahren mit einer ähnlichen Höhe der möglicherweise zur Bewährung auszusetzenden Reststrafe keine Besonderheiten auf, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebieten könnte. Eine Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, sei ebenfalls nicht zu erkennen. Gegen diese Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers hat der Verurteilte sich mit Schreiben seines Verteidigers vom 04.03.1999 gewandt. In diesem Schreiben wird ausgeführt, daß der Beschwerdeführer sich nicht selbst verteidigen könne, da er die deutsche Sprache nicht oder nur bruchstückhaft beherrsche. Darüber hinaus sei für den Verurteilten die Sach- und Rechtslage schwierig, weil er mit dem hiesigen Rechtssystem - als rechtlicher Laie - nicht vertraut sei. Aus diesem Grunde sei die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten.
Der Vorsitzende der I. großen Strafkammer des Landgerichts Siegen, der in diesem Schreiben eine Beschwerde gesehen hat, hat dieser nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vorgelegt.
Die in dem Schreiben des Verteidigers vom 04.03.1999 zu sehende Beschwerde ist gemäß §§ 140, 304 StPO zulässig, kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Der Vorsitzende der I. großen Strafkammer des Landgerichts Siegen hat zu Recht den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Verteidigers im Strafvollstreckungsverfahren als unbegründet abgelehnt.
Zwar ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO, der die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Erkenntnisverfahren regelt, auch im Strafvollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung findet (OLG Hamm, NStZ 1983, 189; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 140 Rdnr. 33, 33 a m.w.N.). Eine solche wertorientierte Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO ist verfassungsrechtlich geboten. Danach muß im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt werden, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebietet.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Entscheidung der Frage, ob die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, daß die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht die Tatsache, daß der Beschwerdeführer mit dem hiesigen Rechtssystem - als rechtlicher Laie - nicht vertraut ist, da dies für jeden Nicht-Juristen zutrifft. Weitere Gesichtspunkte, die eine Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage begründen könnten, sind auch vom Verteidiger nicht vorgetragen worden.
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erscheint hier schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung des Verurteilten nicht erforderlich. Die Tatsache, daß ein mittelloser Verurteilter der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, reicht bereits für sich allein nicht aus, um die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung zu begründen (OLG Hamm, StV 1995, 64; OLG Hamm, NStZ 1990, 143; OLG Düsseldorf, NJW 1989, 677). Die Frage, ob einem nicht ausreichend sprachkundigen, mittellosen Ausländer ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, ist nämlich nicht generell zu bejahen, sondern aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dementsprechend bedarf der Verurteilte dann nicht eines Verteidigers, wenn seine Behinderung in der Verteidigung allein auf sprachlichen Defiziten beruht und diese durch die Beiordnung eines Dolmetschers völlig ausgeglichen werden können. Diese Voraussetzung ist bei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach gelagerten Fällen erfüllt. Im übrigen ist vorliegend bereits nicht ersichtlich, daß der Verurteilte aufgrund seiner Ausländereigenschaft in seiner Verteidigung behindert ist. Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Siegen hat der Verurteilte seinen Lebensmittelpunkt seit langer Zeit in Deutschland. Er lebt bereits seit 1981 hier. Nachdem er zunächst einen deutschen Sprachkurs absolviert hat, hat er etwa zwei Jahre lang deutsche Schulen besucht und war mehrere Jahre als Arbeiter in deutschen Firmen beschäftigt. Unter diesen Umständen kann eine wirkungsvolle Verteidigung durch die Beiziehung eines Dolmetschers jedenfalls sichergestellt werden.
Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Tatsache, daß der Verurteilte bei einer negativen Entscheidung noch eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu verbüßen hat. Zwar wird von Lüderssen in Löwe-Rosenberg (StPO, 24. Aufl., § 140 Rdnr. 97 - 99) und dem Oberlandesgericht Schleswig (SchlHA 1997, 153) die Auffassung vertreten, daß im Falle des § 57 StGB eine Beiordnung gemäß § 140 StPO regelmäßig in Betracht komme, wenn - ähnlich wie im Strafverfahren hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe - noch die Verbüßung einer Restfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr offenstehe. Dieser Auffassung vermag sich der Senat indes nicht anzuschließen. Die Tatsache, daß im Strafverfahren bei einer Straferwartung von einem Jahr in der Regel die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten ist, beruht auf der Erwägung, daß diese Straferwartung ein Indiz für die Schwere der Tat ist. Die Schwere der Tat ist der maßgebliche Gesichtspunkt für die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers. Die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung ist lediglich ein Entscheidungskriterium für die Beurteilung der Schwere der Tat. Käme es im Vollstreckungsverfahren für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung auf die Höhe der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe an, so wäre diese abhängig vom Zeitpunkt der Entschließung. Im vorliegenden Fall müßte dem Verurteilten bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 2 StGB ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, bei der Prüfung einer Aussetzung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von 2/3 der Strafe allerdings nicht mehr, da zu jenem Zeitpunkt nicht mehr ein Jahr Freiheitsstrafe zu verbüßen wäre. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Pflichtverteidigerbestellung ist die Schwere der Tat; diese kann jedoch nur einheitlich beurteilt werden. Sie kann nicht abhängig sein vom Zeitpunkt der Entscheidung. Für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht spricht auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch in den Fällen des § 57 a StGB, §§ 67 c Abs. 1, 67 d Abs. 2, 67 e StGB zu prüfen ist, ob die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebietet (BVerfG NJW 1986, 767, 771; NJW 1992, 2947, 2954). Dadurch wird deutlich, daß auch für das Bundesverfassungsgericht die Höhe der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe kein Kriterium für die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung ist.
Dem Beschwerdeführer ist auch nicht deshalb ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil nur dieser Akteneinsicht bekommt und sich so mit den Stellungnahmen des Leiters der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen kann (Löwe-Rosenberg-Lüderssen, a.a.O.). Im Vollstreckungsverfahren werden dem Verurteilten diese Stellungnahmen entweder ausgehändigt oder jedenfalls bekanntgegeben, so daß auch der Verurteilte sich dazu äußern kann.
Ebensowenig überzeugt das Argument (Löwe-Rosenberg-Lüderssen, a.a.O.), der Verurteilte benötige ein Verteidiger, da er sich bei der mündlichen Anhörung eher defensiv verhalte und nicht in der Lage sei, offensiv für eine positive Prognose günstige Anhaltspunkte vorzutragen. Die mündliche Anhörung dient in erster Linie dazu, sich einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen. Das Gericht soll sich ein Bild von diesem machen. Dies ist aber nur durch ein persönliches Gespräch zwischen dem Verurteilten und dem Gericht möglich. Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, welche Gesichtspunkte für eine positive Prognose vorgetragen werden. Stellt sich die Beurteilung der Sozialprognose ausnahmsweise schwierig dar, so ist bereits aus dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein Verteidiger zu bestellen, was vorliegend, wie bereits ausgeführt, indes nicht der Fall ist.
Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.


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