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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 598/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, Attest, genügende Entschuldigung, Aufklärungspflicht, Nichterscheinen im Berufungstermin

Normen: StPO 329

Beschluss: Strafsache gegen H.W.,
wegen Betruges.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) vom 27. 4 1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22.06.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht - Schöffengericht - Warendorf verurteilte den Angeklagten am 14.12.1998 wegen Betruges in zwei Fällen (Tatzeiten: 14.09.1997 und 06.10.1997) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Auf die rechtzeitigen Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft beraumte die Vorsitzende der VI. Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) Termin zur Hauptverhandlung über die Rechtsmittel auf den 27. 4 1999 an. Mit Beschluß vom 01.03.1999 trennte sie das Verfahren wegen der Tat vom 14.09.1997 ab und stellte dieses im Hinblick auf den weiteren Tatvorwurf gemäß § 154 Abs.2 StPO vorläufig ein.
Im Hauptverhandlungstermin vom 27. 4 1999 ist der Angeklagte nicht erschienen. Die VI. kleine Strafkammer hat daraufhin das die Berufung der Staatsanwaltschaft betreffende Verfahren abgetrennt und das Rechtsmittel des Angeklagten durch Urteil gemäß § 329 StPO verworfen, wobei die Kammervorsitzende mit Beschluß vom selben Tage den Tenor der Entscheidung dahin klargestellt hat, "daß der Angeklagte nach Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs.2 StPO nur wegen eines Betruges (Tat vom 06.10.1997) verurteilt ist". In den Urteilsgründen heißt es u.a.: der Angeklagte habe zwar rechtzeitig Berufung eingelegt, sei aber dann in dem anberaumten Verhandlungstermin ungeachtet der durch die Urkunde vom 24.02.1999 nachgewiesenen Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Die von ihm vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. W. vom 26. 4 1999 sei insbesondere unter Berücksichtigung der darin aufgeführten Art der Erkrankung - "vegetative Dystonie" - nicht geeignet, sein Fernbleiben im Termin zu entschuldigen, da sich daraus nicht seine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit ergebe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er geltend macht, die Verwerfung seines Rechtsmittels sei ungerechtfertigt, weil er nach seinem eigenen Empfinden "unter Berücksichtigung" des eingereichten ärztlichen Attestes nicht in der Lage gewesen sei, an der Verhandlung teilzunehmen. Die bescheinigte Erkrankung, eine vegetative Dystonie, sei durchweg geeignet, eine Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit "darzustellen". Gleichwohl habe das Gericht die bestehende Möglichkeit nicht genutzt, mit dem behandelnden Arzt in Verbindung zu treten, um entsprechende Feststellungen zu treffen (Bl. 232/233 d.A.).
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II. Die Revision hat schon deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht den Angeklagten rechtsfehlerhaft als nicht ausreichend entschuldigt angesehen hat.
1. Eine Entscheidung gemäß § 329 Abs.1 StPO ist nur zulässig, wenn das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ist. Es kommt dazu nicht darauf an, daß dieser sich hinreichend entschuldigt hat. Es genügen vielmehr Anhaltspunkte, die bei einer von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung ergeben, daß das Fernbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist. Dabei ist - wegen des Ausnahmecharakters der gesetzlichen Regelung - grundsätzlich eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten (vgl. BGHSt 17, 391, 396/397).
2. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung sind bereits bei Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Anhaltspunkte dafür gegeben, daß das Ausbleiben des Angeklagten möglicherweise wegen Krankheit genügend entschuldigt ist (vgl. KG JR 1978, 36; OLG Düsseldorf VRS 87, 439; OLG Köln NJW 1982, 2617).Das beigebrachte Attest des Dr. W. vom 26. 4 1999, dem Tag vor dem Termin, hätte mithin die Strafkammer von Amts wegen zu Nachforschungen und zu einer Auseinandersetzung mit den im Freibeweis gewonnenen Ermittlungsergebnissen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. (1999), § 329 StPO Rdnr.19 m.w.N.) in den Urteilsgründen veranlassen müssen.
Der ihm obliegenden Sachaufklärung ist das Berufungsgericht nicht deshalb enthoben gewesen, weil es die vom Arzt diagnostizierte Erkrankung (vegetative Dystonie) als Entschuldigung "nicht geeignet" angesehen hat. Diese Wertung widerspricht zum einen medizinischen Erkenntnissen, wonach die Disfunktion des vegetativen Nervensystems u.a. zu Störungen der Herz- und Darmfunktionen führen kann, sowie zum anderen dem Inhalt des Attestes des Dr. Winter, der dem Angeklagten bescheinigt hat, daß er infolge Erkrankung vorerst für eine (Arbeits-)Woche nicht tätig werden könne. Sollten im übrigen die Urteilsgründe dahin zu verstehen sein, daß das Landgericht eine ärztliche Einschätzung der Reise- und Verhandlungsfähigkeit im Attest vermißt hat, ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei der Frage der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 329 StPO um die eine Bewertung unter Auslegung von Rechtsbegriffen handelt, die allein dem Gericht obliegt. Seine Sache ist es, aufgrund der festgestellten Art und Auswirkungen der Krankheit zu beurteilen, ob dem Angeklagten eine Beteiligung an der Hauptverhandlung zuzumuten gewesen ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 StPO Rdnr. 26 m.w.N.).
3. Im Hinblick auf die aufgezeigten Mängel war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Münster (Westf.) als Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der neue Tatrichter wird auch über die Kosten der Revision zu befinden haben, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.


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