Aktenzeichen: 1 Ws 183/99 OLG Hamm
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Beiordnung, Pflichtverteidiger, Vollstreckungsverfahren, Strafrest von mehr als einem Jahr
Normen: StPO 140 Abs. 2
Beschluss: Strafsache gegen R.L.,
wegen sexueller Nötigung u.a.,
(hier: Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers).
Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 15.06.1999 gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 09.06.1999 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.07.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Verurteilten zur Last.
Gründe: Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 25.11.1996 unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Herford vom 30.10.1995 wegen sexueller Nötigung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden, die der Verurteilte zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Werl verbüßt. Nachdem der Verurteilte über seinen Verteidiger zunächst am 28.09.1998 seine vorzeitige Entlassung gemäß § 57 Abs. 2 StGB beantragt hatte, verzichtete er gegenüber der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg am 05.11.1998 auf eine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe.
Mit Schreiben vom 15.02.1999 wandte sich sein Verteidiger erneut an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg, kündigte ein Reststrafengesuch des Verurteilten zum 2/3-Termin an und regte an, den Verurteilten durch einen Psychiater und Psychologen gemäß § 454 Abs. 2 StPO begutachten zu lassen. Desweiteren beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.
Die Strafvollstreckungskammer hat letzteren Antrag mit Beschluß vom 09.06.1999 zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Mit Schreiben vom 15.06.1999 hat der Verteidiger des Verurteilten um nochmalige Prüfung des Antrages auf Beiordnung gebeten und der Strafvollstreckungskammer auf Nachfrage sodann mit Schreiben vom 18.06.1999 mitgeteilt, sein Schreiben vom 15.06.1999 sei als Beschwerde gegen den Beschluß vom 09.06.1999 aufzufassen.
Die in dem Schreiben des Verteidigers vom 15.06.1999 zu sehende Beschwerde des Verurteilten, eine im eigenen Namen des Verteidigers erhobene Beschwerde wäre mangels Beschwer unzulässig, ist gemäß §§ 140, 304 StPO zulässig, kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg hat zum jetzigen Zeitpunkt zu Recht den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Verteidigers im Strafvollstreckungsverfahren als unbegründet abgelehnt.
Zwar ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO, der die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Erkenntnisverfahren regelt, auch im Strafvollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung findet (OLG Hamm, NStZ 1983, 189; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 140 Rdnr. 33, 33 a m.w.N.). Eine solche wertorientierte Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO ist verfassungsrechtlich geboten. Danach muß im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt werden, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebietet.
Diese Voraussetzungen sind jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben. Die Entscheidung der Frage, ob die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, daß die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Grundlage für die Prognoseentscheidung der Strafvollstreckungskammer sind zum einen die dem Verurteilten bekannten Urteilsfeststellungen, zum anderen die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt, die dem Beschwerdeführer ebenfalls zur Kenntnis gegeben worden ist. Darüber hinaus ist der Verurteilte durch die Strafvollstreckungskammer mündlich anzuhören. Diese mündliche Anhörung dient dazu, sich einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen. Das Gericht soll sich ein Bild von diesem machen. Dies ist aber nur durch ein persönliches Gespräch zwischen dem Verurteilten und dem Gericht möglich. Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, welche Gesichtspunkte für eine positive Prognose vorgetragen werden. Sieht sich das Gericht in der Lage, allein aufgrund der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt und der Anhörung des Verurteilten eine Prognoseentscheidung zu treffen, so ist die Entscheidung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, daß der Beschwerdeführer seine Rechte nicht selber wahrnehmen kann.
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erscheint hier schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung des Verurteilten nicht erforderlich. Zwar handelt es sich bei dem Beschwerdeführer nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt um eine einfach strukturierte Persönlichkeit, der nur schwer in der Lage zu sein scheint, sein Leben eigenständig zu führen. Allerdings hat die Justizvollzugsanstalt auch ausgeführt, daß bei längeren Gesprächen als Hilfestellung der Verurteilte sehr wohl Wünsche und Vorstellungen äußern kann. Wird bei der Anhörung auf diesen Umstand Bedacht genommen, so scheint der Beschwerdeführer sehr wohl in der Lage, seine Interessen wahrzunehmen. Im übrigen richtet sich die Verteidigungsfähigkeit des Verurteilten nicht nur nach seinen geistigen Fähigkeiten, sondern auch nach den sonstigen Umständen des Falles. Da, wie bereits ausgeführt, der Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht derzeit keine Schwierigkeiten von Gewicht aufweist, hat der Senat keine Bedenken bezüglich der Verteidigungsfähigkeit des Beschwerdeführers.
Letztendlich führt auch der Umstand, daß der Verurteilte im Falle der Ablehnung seiner bedingten Entlassung noch mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe zu verbüßen haben wird, zu keiner anderen Beurteilung. Im Gegensatz zu einer Beiordnung des Pflichtverteidigers im Hauptverfahren, die regelmäßig bei einer Straferwartung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe zu erfolgen hat, ist die Länge des ggf. zu verbüßenden Strafrestes im Strafvollstreckungsverfahren kein geeignetes Abgrenzungskriterium, da dann eine Beiordnung vom jeweiligen Vollstreckungsstand abhinge (vgl. Beschluß des Senats vom 27. 4 1999 - 1 Ws 111/99 -).
Nach alledem kommt zum jetzigen Zeitpunkt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht in Betracht. Der Senat weist allerdings darauf hin, daß eine erneute Entscheidung über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu erwägen ist, wenn die Strafvollstreckungskammer ein Sachverständigengutachten gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 StPO einholt und dieses Gutachten zu einem für den Beschwerdeführer negativen Ergebnis führt. Je nach Inhalt des Gutachtens könnten Zweifel bestehen, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur bei den sich dann möglicherweise ergebenden rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten noch zur Wahrnehmung seiner Rechte fähig ist. Es wird zu prüfen sein, ob er aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten in der Lage ist, das Gutachten des Sachverständigen nachzuvollziehen, es eingehend zu diskutieren und das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen. Dies erscheint dem Senat zweifelhaft.
Angesichts der Tatsache, daß zum jetzigen Zeitpunkt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht geboten ist, war die Beschwerde mit der sich aus § 473 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.
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