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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss OWi 195/99 OLG Hamm

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch, Absehen vom Fahrverbot, Eindruck einer außerörtlichen Straße, Örtlichkeit, drohener Existenzverlust

Normen: StVG 25 Abs. 1 Satz 1, BKatV 2 Abs. 4

Beschluss: Bußgeldsache gegen U.S.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 25.11.1998 gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 13.11.1998 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25.05.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr., den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

Gründe: I. Gegen den Betroffenen wurde durch Bußgeldbescheid des Kreises Herford - Straßenverkehrsamt - vom 25.05.1998 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 35 km/h eine Geldbuße in Höhe von 250,- DM sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Herford vom 13.11.1998 wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach §§ 24 StVG, 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 StVO zu einer Geldbuße von 800,- DM verurteilt. Nach den von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 24.03.1998 um 20.24 Uhr mit dem von ihm geführten PKW BMW die Bünder Straße in Herford in Richtung Stadtmitte. Dabei überschritt er in Höhe des Geländes der Firma Sulo die zulässige innerörtliche Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Die mit einem Lasermeßgerät des Typs Riegl gemessene Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen betrug 88 km/h. Unter Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h hat das Amtsgericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 35 km/h festgestellt. Zu der Tatörtlichkeit wird in den Urteilsgründen ausgeführt, es handele sich um eine zweispurige, völlig gradlinige Strecke mit beidseitigen Gehwegen, von denen der für den Betroffenen rechte durch einen Grünstreifen von der Fahrbahn getrennt sei. Auf der für den Betroffenen linken Seite befinde sich der Bahndamm und auf der rechten Seite stehe das durch einen Zaun begrenzte langgestreckte Firmengelände der Firma Sulo. Einmündungen und Grundstücksausfahrten seien auf diesem längeren Straßenstück nicht vorhanden.
Zur Person des Betroffenen hat das Amtsgericht u.a. festgestellt, daß der Betroffene sich im 7. 1998 selbständig gemacht habe und am 19.11.1998 einen Abholmarkt für Küchen- und Badmöbel nebst Zubehör eröffnen wolle. Das Angebot dieses Abholmarktes umfasse auch die Anlieferung der Ware und Beratung von Kunden. Der Betroffene benötige daher sein Kraftfahrzeug nicht nur für Fahrten zu seiner Wohnung und zurück, sondern auch für betriebliche Fahrten. Straßenverkehrsrechtlich ist der Betroffene nach den Urteilsgründen bereits in Erscheinung getreten, und zwar wurde gegen ihn durch einen am 03.02.1998 rechtskräftig gewordenen Bußgeldbescheid wegen einer am 04.10.1997 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft ein Bußgeld in Höhe von 100,- DM verhängt.
Der Amtsrichter hat den Betroffenen im vorliegenden Falle zu einem Bußgeld in Höhe von 800,- DM verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat er abgesehen. Zur Begründung des Rechtsfolgenausspruches hat er ausgeführt:
"Nach dem Bußgeldkatalog käme im Hinblick auf die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Voreintragung ein Fahrverbot von 1 Monat neben einer Geldbuße von 200,-- DM als Regelmaßnahme in Betracht.
Von einem Fahrverbot kann bzw. muß abgesehen werden, wenn eine solche Maßnahme nicht dem Schuld- und Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht bei einer Gesamtwürdigung der Umstände der Tat und der Sanktionsempfindlichkeit des Betroffenen. Allerdings entfalten die Katalogmerkmale, bei denen ein Fahrverbot im Regelfall vorgesehen ist, Indizwirkung dafür, daß es sich um einen groben oder beharrlichen Verstoß im Sinne von § 25 StVG gehandelt hat. Hier war die Grenze für ein Regelfahrverbot - Geschwindigkeitsüberschreitung um mindestens 32 km/h innerorts überschritten, während außerorts eine Überschreitung um mindestens 41 km/h vorgesehen ist. Die vom Betroffenen befahrene Strecke befand sich zwar innerorts, machte aber einen eher außerörtlichen Eindruck. Auch war wegen der fehlenden Bebauung und fehlender Einfahrten und Einmündungen in diesem Bereich die Gefahr durch ein zu schnell fahrendes Fahrzeug geringer als auf einer typischen innerstädtischen Straße mit vorhandener Bebauung. Von daher wiegt die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht so schwer. Außer den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen war zu berücksichtigen, daß er sich gerade erst selbständig gemacht hat und das Geschäft erst in diesen Tagen eröffnet wird. In einer solchen Anlaufphase, in der sich der Betrieb einspielen muß, sind zweifellos zusätzliche Fahrten zu Lieferanten und besonderer Einsatz gegenüber den Kunden erforderlich, um den Ruf des neu gegründeten Unternehmens nicht von vornherein zu schädigen. In dieser Situation ist der Betroffene ganz besonders auf seinen Führerschein angewiesen. Daß er in dieser Anlaufphase, die mit Sicherheit mehr als die durch § 25 Abs. 2 a StVG überbrückbaren 4 Monate dauern wird, keinen Urlaub wird machen können, trifft entsprechend den Angaben des Betroffenen auch nach der Überzeugung des Gerichts zu.
Das Gericht hat daher von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen und stattdessen eine erhöhte Geldbuße festgesetzt, die es mit 800,- DM bemessen hat, damit der Betroffene sich künftig an die Geschwindigkeitsbeschränkungen hält, wovon nach dem Eindruck, den er in der Verhandlung hinterlassen hat, ausgegangen werden kann."
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 25.11.1998, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
II. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld wendet sich mit ihrer Rechtsbeschwerde ersichtlich nur gegen den Rechtsfolgenausspruch und zwar insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes. Bei zutreffender Auslegung ist daher die Rechtsbeschwerde als auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt anzusehen.
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch nebst den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen und zu einer Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Amtsgericht Herford.
Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils konnte keinen Bestand haben. Denn der Amtsrichter hat rechtsfehlerhaft im vorliegenden Falle von der Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 2 Abs. 4 BKatV abgesehen.
Die Verwirklichung eines der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 - 4 BKatV aufgeführten Tatbestände indiziert das Vorliegen eines groben bzw. beharrlichen Pflichtenverstoßes i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, so daß es in diesen Fällen in der Regel der Verhängung eines Fahrverbotes als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedarf (vgl. BGHSt 38, 125; 231). Gemäß § 2 Abs. 4 BKatV kann in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Im Unterschied zu dem Regelfahrverbot in Anwendungsfällen des § 24 a StVG, in denen nur Härten ganz außergewöhnlicher Art oder sonstige, das äußere und innere Tatbild beherrschende außergewöhnliche Umstände ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes rechtfertigen können, reichen in den Fällen des § 2 Abs. 1 BKatV dagegen möglicherweise schon erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände aus, um einen Ausnahmefall zu begründen (BGH NZV 1992, 117, 119; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluß vom 11.08.1998 - 3 Ss OWi 697/98 - m.w.N.). Im vorliegenden Falle erfüllt der von dem Amtsgericht festgestellte Geschwindigkeitsverstoß des Betroffenen nicht nur den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 5.3.3. der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV, sondern zusätzlich auch den Tatbestand des § 2 Abs. 2 BKatV. Denn die hier in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgte am 24.03.1998 und damit nur wenige Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheides, der gegen den Betroffenen in Höhe von 100,- DM wegen einer am 04.10.1997 begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h erlassen worden war. Schon angesichts dieses Verhaltens des Betroffenen, der sich die vorangegangene Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 100,- DM nicht hat zur Warnung dienen lassen, sondern nur kurze Zeit darauf erneut wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung in einem noch erheblicheren Maße in Erscheinung getreten ist, stellen die von dem Amtsgericht als mildernd berücksichtigten Umstände der Beschaffenheit der Örtlichkeit des Verkehrsverstoßes keine ausreichenden Gründe dar, um ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen zu können (vgl. Senatsbeschluß vom 18.06.1996 - 3 Ss OWi 658/96 - m.w.N.). Das Gleiche gilt, soweit der Amtsrichter als besonderen Umstand gewertet hat, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen nur mit einer geringen Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer verbunden gewesen sei, da sie sich auf einer Teilstrecke mit nur geringer Bebauung ereignet habe und Einmündungen und Grundstücksausfahrten in diesem Bereich nicht vorhanden seien.
Soweit der Amtsrichter das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auch darauf gestützt hat, daß der Betroffene sich beruflich selbständig machen wolle und in dieser Situation ganz besonders auf seinen Führerschein angewiesen sei, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß nicht jeder berufliche Nachteil ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes rechtfertigt, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. OLG Hamm VRS 90, 210; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366). Daß die Verhängung eines Fahrverbotes mit derart schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen hier verbunden sein könnte, hat das Amtsgericht aber nicht festgestellt. Soweit es darauf abgestellt hat, daß der Betroffene während der Anlaufphase des von ihm neu gegründeten Unternehmens zusätzliche Fahrten zu Lieferanten und Kunden vornehmen müsse, und in dieser Situation ganz besonders auf seinen Führerschein angewiesen sei, fehlt es an Feststellungen dazu, warum der Betroffene für den Zeitraum von einem Monat diese Fahrten nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchfuhren oder sich möglicherweise von anderen Personen fahren lassen kann.
Die Entscheidung des Amtsgerichtes über das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes hält daher einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Da zwischen der Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht, war daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford zurückzuverweisen.


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