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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ws 270/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde, Haftbeschwerde

Stichworte: weitere Haftbeschwerde, Aufhebung, Beschwerde und Haftprüfungsantrag, Einlegung von Rechtsmitteln durch Minderjährige, Übergang der Entscheidungszuständigkeit, Kostenentscheidung

Normen: StPO 117 Abs. 2 Satz 1, StPO 126 Abs. 2 Satz 1, JGG 72

Beschluss: Strafsache gegen P.V.
wegen Diebstahls u. a.
(hier: weitere Haftbeschwerde des Angeklagten).

Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten vom 22.07.1999 gegen den Beschluß der Strafkammer 1 a - Jugendkammer - des Landgerichts Münster vom 20.07.1999 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27.07.1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.08.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über den Haftprüfungsantrag an das Amtsgericht Ibbenbüren - Jugendschöffengericht - zurückgegeben.

Gründe: I. Das Jugendschöffengericht Ibbenbüren erkannte gegen den Angeklagten am 12.07.1999 im Nachverfahren auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung aussetzte. Mit Haftbefehl vom gleichen Tage hat es die Untersuchungshaft gestützt auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 1 Ziffer 2 StPO) angeordnet, die seitdem ununterbrochen vollzogen wird.
Der Verteidiger des Angeklagten hat am 12.07.1999 sowohl Berufung gegen das Urteil eingelegt als auch Haftbeschwerde erhoben. Der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts hat die Akten dem Landgericht Münster mit Übersendungsverfügung vom 15.07.1999 vorgelegt, hinsichtlich deren Einzelheiten auf deren Inhalt (Bl. 107 Bewährungsheft) Bezug genommen wird. Dieses hat mit Beschluß vom 20./27.7.1999 die Haftbeschwerde als unbegründet verworfen.
Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit der am 26.07.1999 bei dem Landgericht eingegangenen weiteren Beschwerde. Der Angeklagte selbst hat unter Datum vom "22.7.1999" in einem an den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts gerichteten Schreiben einen Antrag auf Haftprüfung gestellt. Einen Eingangsstempel oder sonstigen Eingangsvermerk trägt weder die Eingabe selbst noch der dazugehörende Briefumschlag.
Dem Oberlandesgericht ist die Sache zur Entscheidung über die weitere Haftbeschwerde vorgelegt worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die weitere Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II. 1. Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Da der Angeklagte wirksam einen Antrag auf Haftprüfung gestellt hat, ist die daneben betriebene Haftbeschwerde wegen des gesetzlich in § 117 Abs. 2 Satz 1 StPO niedergelegten Vorrangs der Haftprüfung unzulässig.
Der heute sechzehnjährige Angeklagte ist in der Lage die Bedeutung des von ihm gestellten Antrages einzuschätzen. Er ist daher zu dessen selbständigen Einlegung berechtigt, obschon er noch nicht volljährig ist und ihm ein Verteidiger beigeordnet worden ist (vgl. Brunner, Jugendgerichtsgesetz, 9. Auflage 1991, § 55 JGG Rdnr. 2). Das Recht, Haftprüfung verlangen zu können, ist vorliegend auch nicht durch § 118 Abs. 4 StPO ausgeschlossen. Diese Regelung versagt nur den Anspruch auf "mündliche" Haftprüfung nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils, nimmt aber nicht das Recht auf eine Haftprüfungsentscheidung selbst.
Auch in solchen Fällen greift der gesetzliche Vorrang des § 117 Abs. 2 Satz 1 StPO. Der gesetzlichen Regelung selbst läßt sich nichts für eine Beschränkung des Vorrangs etwa auf Fälle entnehmen, in denen mündliche Haftprüfung verlangt werden kann. Auch drohen bei einer solchen Differenzierung divergierende Haftentscheidungen, sodass auch deshalb eine einheitliche Behandlung geboten ist. Dieser allgemein anerkannte Grund für den Vorrang des Haftprüfungsantrags gegenüber selbst einem Haftbeschwerdeverfahren, das bereits beim Oberlandesgericht anhängig sind, gilt auch hier (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1969, 779, 780; HansOLG MDR 1984, 72; Karlsruher Kommentar-Boujong, StPO, 4. Auflage 1999; § 117 StPO Rdnr. 8 m.w.N.). Auch der Umstand, dass die Haftentscheidung erst kurz zuvor ergangen ist und im Haftbeschwerdeverfahren eine Abhilfebefugnis nach § 306 Abs.2 StPO besteht, entbinden das zuständige Gericht nicht von der Pflicht zur Bescheidung des neuen Haftprüfungsantrages. Denn Haftbeschwerde und Haftprüfung sind unterschiedliche Rechtsinstitute. Die Haftbeschwerde bezieht sich im Kern auf die Überprüfung einer früheren Entscheidung durch das übergeordnete Gericht. Der Antrag auf Haftprüfung zielt auf eine erneute Entscheidung des Haftrichters und zwingt den Entscheidenden sich umfassender mit möglichen neuen Erkentnissen und/oder Argumenten des Beschuldigten oder Angeklagten auseinanderzusetzen.
Über den Haftprüfungsantrag ist bisher auch nicht entschieden worden.
Das Amtsgericht hat ausweislich des Inhalts seiner Übersendungsverfügung vom 15.07.1999 zwar Kenntnis von der unter dem 22.07.1999 datierenden Eingabe gehabt. Aus ihr ergibt sich jedoch, dass es bewusst lediglich eine Nichtabhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren getroffen hat. Folgerichtig hat es seine "Entscheidung" dem Angeklagten daher nicht bekannt gemacht, wie dies bei einer Haftprüfungsentscheidung zwingend gewesen wäre.
Auch der landgerichtliche Beschluss vom 20./27.7.1999 läßt sich nicht in eine Haftprüfungsentscheidung umdeuten. Solches wäre allenfalls in Erwägung zu ziehen, wenn wegen zwischenzeitlichen Zuständigkeitsübergangs nach § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO das Landgericht bereits Haftprüfungsgericht gewesen wäre (vgl. OLG Frankfurt NJW 1973, 477 (478); Kleinknecht/ Meyer-Goßner, 44. Auflage 1999, § 117 StPO Rdnr. 12). Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn die Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Untersuchungshaft geht auf das Landgericht als Berufungsgericht nur über, wenn bei diesem die Akten auf Vorlage der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Berufung eingehen (§§ 126 Abs. 2 Satz 1, 321 Satz 2 StPO). Dem Landgericht ist die Sache jedoch nicht durch die Staatsanwaltschaft sondern durch das Amtsgericht mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die zu treffende Beschwerdeentscheidung übersandt worden (vgl. Bl. 107 Bewährungsheft, Bl. 165 Hauptakte).
Da neben dem nicht beschiedenen Antrag auf Haftprüfung eine Haftbeschwerde unzulässig war, wäre seitens des Landgerichts die Beschwerde bereits aus diesem Grunde zu verwerfen gewesen. Das Landgericht hat jedoch sachlich über die unzulässige Haftbeschwerde entschieden, sodass diese Beschwerdeentscheidung auf die weitere Beschwerde hin aufzuheben ist (vgl. OLG Schleswig, SchlHA 1988, 109 m.w.N.)
2. Die Sache ist zur Entscheidung über den Antrag auf Haftprüfung an das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Ibbenbüren zurückzugeben, da dieses - wie aufgezeigt - bis zum heutigen Tage für die Haftprüfung zuständig ist.
Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist bezüglich des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht veranlaßt, da der Senat keine Sachentscheidung, sondern lediglich eine Prozeßentscheidung getroffen hat.


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