Aktenzeichen: 3 Ss OWi 503/93
Leitsatz: 1. Die Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes setzt voraus, daß der Betr. die Lichtzeichenanlage bei Rotlicht passiert hat und in die Kreuzung eingefahren ist.
2. Zu den Anforderungen an die Feststellungen bei einem Rotlichtverstoß.
3. Bei einer Rotlichtzeit von 1,88 Sekunden ist es ausgeschlossen, daß ein Sicherheitsabschlag in einer solchen Höhe vorgenommen werden muß, daß der Wert von schon länger als 1 Sekunde Rotlichtzeit unterschritten würde.
Senat: 3
Gegenstand: OWi
Stichworte: Rotlichtverstoß, Einfahren in die Kreuzung, Feststellungen, Länge der Gelblichtphase, Phasenplan, nicht geeichte Rotlichtüberwachungsanlage, Sicherheitsabschlag, keine Hinweispflicht auf mögliche Erhöhung der Geldbuße
Normen: StVO 37 Abs. 2, StPO 265 Abs. 2
Fundstelle: VRS 85, 464
Beschluss: OLG Hamm, Beschluß vom 27.05.1993
Das AG hat den Betr. im angefochtenen Urteil wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 24 StVG, 37, 49 StVO zu einer Geldbuße von 400,- DM verurteilt.
Es hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
"Am 13.06.1992 befuhr der Betr. in B die B-Straße. An der Kreuzung H-Straße beachtete er nicht das Rotlicht der Lichtzeichenanlage. Er überquerte mit seinem Personenwagen die Haltlinie, nachdem die Ampel bereits seit 1,88 Sekunden auf Rotlicht geschaltet hatte. Die Feststellungen beruhen auf den Fotos der automatischen Rotlichtkamera sowie den Angaben des Betr.
Die Zeituhr in der Fotoanlage ist nun einmal (noch) nicht geeicht. Die Rechtsprechung hält in solchen Fällen zum Teil eine Toleranz von 0,2 Sekunden zugute. Vorliegend wäre dann immer noch eine Rotlichtzeit von 1,68 Sekunden gegeben."
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betr., mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die vom Betr. erhobenen formellen Rügen greifen nicht durch.
Soweit der Betr. rügt, das AG habe zu Unrecht einen von ihm gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt bzw. insoweit im Hinblick auf den gestellten Beweisantrag seine Aufklärungspflicht verletzt, erscheint diese Rüge schon nicht ordnungsgemäß begründet. Zu einer ordnungsgemäßen Begründung wäre es erforderlich gewesen, daß der Betr. den Inhalt seines Beweisantrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses zutreffend mitgeteilt hätte (Kleinknecht/Meyer, StPO, 40. Aufl, § 44StPO Rdn85 m.w.Nachw.). Das ist jedoch nicht geschehen. Der Betr. teilt im Rahmen der Begründung seiner formellen Rüge nicht den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses mit, sondern die vom AG im angefochtenen Urteil zur Frage eines vorzunehmenden Toleranzabzugs gemachten Ausführungen.
Selbst wenn aber diese Rüge - auch soweit es sich um die darüber hinaus vorgebrachte Verletzung der Aufklärungspflicht handelt - noch als ord-
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nungsgemäß erhoben angesehen werden könnten, würde das Urteil auf einer etwaigen fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags bzw. der Verletzung der Aufklärungspflicht nicht beruhen, weil etwaige, sich infolge der Nichteichung der Rotlichtüberwachungskamera ergebende Ungenauigkeiten - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur Sachrüge ergibt - den Betr. nicht beschweren.
Schließlich führt auch nicht die gerügte Verletzung von §§ 265 Abs. 2 StPO, 71 OWiG, die darin liegen soll, daß das AG den Betr. nicht auf die Möglichkeit der Erhöhung der Geldbuße hingewiesen habe, zum Erfolg. Das AG hat zwar eine höhere Geldbuße als der Bußgeldbescheid festgesetzt. Die Gründe, die es veranlaßt haben, über die im Buße des Bußgeldbescheides hinauszugehen, stellen jedoch keine Umstände dar, welche die Hinweispflicht nach §§ 265 Abs. 2 StPO, 46 Abs. 1 OWiG auslösen (vgl. OLG Hamm NJW 1980, 1587 m.w.Nachw.).
2. Die materielle Rüge führt ebenfalls - entgegen der Auffassung der GeneralStA - nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die vom AG getroffenen Feststellungen sind zwar knapp, sie tragen aber dennoch den Schuldspruch wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 24 StVG, 37, 49 StVO.
Durchgreifende Bedenken ergeben sich nicht daraus, daß das AG darauf abstellt, der Betr. habe die Haltelinie überquert, nachdem die Lichtzeichenanlage bereits auf Rotlicht geschaltet hatte. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe läßt sich nämlich noch ausreichend entnehmen, daß der Betr. nicht nur die Haltelinie der Lichtzeichenanlage bei Rotlicht überfahren hat, sondern auch in den Kreuzungsbereich eingefahren ist. Danach liegt nicht lediglich ein Verstoß gegen §§ 41 Abs. 3 Nr. 2 (Zeichen 294), 49 Abs. 3 Nr4 StVO vor (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 32. Aufl, § 37 StVO Rdn 61 m.w.Nachw.), vielmehr kann den Gründen die Zuwiderhandlung des Betr. gegen §§ 37, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, die darin liegt, daß er die Ampel bei Rotlicht passiert hat und in die Kreuzung eingefahren ist (vgl. Jagusch/Hentschel aaO), entnommen werden (vgl. auch Beschl. des 4. Senats für Bußgeldsachen vom 04.09.1992 - 4 Ss 756/92).
Das AG hat auch ohne Rechtsfehler einen Rotlichtverstoß des Betr. gemäß den §§ 37, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG bejaht. Insoweit begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, daß das angefochtene Urteil nicht die für eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes grundsätzlich notwendigen Feststellungen (vgl. OLG Köln VM 1984, 83 m.w.Nachw.) zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und der vom Betr. eingehaltenen Geschwindigkeit sowie dazu, wie weit der Betr. mit seinem Fahrzeug noch von der Ampel entfernt war, als diese von Gelb auf Rot schaltete (vgl. dazu auch OLG Bremen VRS 79, 38), trifft.
Diese Feststellungen waren nämlich nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung (vgl. OLG Celle DAR 1977, 220; OLG Hamm VRS 57, 453; OLG Köln und OLG Bremen aaO) zu Rotlichtverstößen im innerörtlichen Bereich aufgestellt hat, hier deshalb entbehrlich, weil das AG zumindest festgestellt hat, daß der Betr. den Rotlichtverstoß innerorts, nämlich in B, begangen hat. Für diesen Bereich kann nach der angeführten Rechtsprechung aber grundsätzlich von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelblichtphase von in der Regel 3 Sekunden (vgl. VwV zu § 37 StVO zu Abs. 2 zu Nr. 1 und 2 Abschnitt IX) ausgegangen werden. Damit läßt sich aus den Urteilsgründen die für einen Rotlichtverstoß weiterhin notwendige Feststellung ableiten, daß der Betr. noch vor der Haltelinie dem sich aus dem Gelblicht der Lichtzeichenanlage ergebenden Haltegebot des § 37 Abs. 2 StVO gefahrlos hätte Folge leisten
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können (vgl. dazu OLG Bremen und OLG Köln aaO). Dem angefochtenen Urteil läßt sich zwar insoweit auch nicht entnehmen, wie weit genau der Betr. von der Haltelinie entfernt war, als die Gelbphase endete und die Lichtzeichenanlage von Gelb auf Rot wechselte. Aus der vom AG getroffenen Feststellung, daß der Betr. die Haltelinie überquerte, "nachdem die Ampel bereits 1,88 Sekunden auf Rotlicht geschaltet hatte", läßt sich jedoch zweifelsfrei schließen, daß er sich beim Umschalten von Gelb auf Rot noch vor der Haltelinie befunden haben muß. Damit stand ihm die Gelbphase von 3 Sekunden zum Anhalten voll zur Verfügung. Unter Zugrundelegung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h hat er während dieser Gelbphase eine Strecke von 41,64 m durchfahren. Auf dieser Strecke hätte er unter Berücksichtigung einer in der Regel anzunehmenden Reaktions- und Bremsansprechzeit von 0,8 Sekunden mittels einer "normalen" Bremsung mit einem Bremsverzögerungswert von 3,5 m/s¢ gefahrlos seinen Pkw vor der Haltelinie anhalten können. Sein Anhalteweg betrug - ausgehend von den vorstehend mitgeteilten Werten - nämlich nur 38,70 m (vgl. zu den Werten auch OLG Bremen aaO), so daß er noch rund 3 m vor der Haltelinie hätte anhalten können, wenn er, wie es von ihm zu verlangen ist, auf das Umschalten von Grün auf Gelb sogleich reagiert hätte.
Die amtsgerichtlichen Feststellungen tragen schließlich - entgegen der Ansicht der GeneralStA - auch den vom Tatrichter nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe offenbar angenommenen qualifizierten Rotlichtverstoß gemäß Nr 34.2 der BußgeldkatalogVO in der Fassung der zwölften Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15.10.1991 (BGBl I 1991, 1992) - "bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase". Welche tatsächlichen Feststellungen in der Regel für einen Rotlichtverstoß nach Nr 34.2 der BußgeldkatalogVO erforderlich sind, hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Beschlüsse des Senats vom 18.02.1993 - 3 Ss OWi 94/93, vom 01.04.1993 - 3 Ss OWi 1105/92, vom 11.05.1993 - 3 Ss OWi 490/93; sowie Beschlüsse des 4. Senats für Bußgeldsachen vom 04.09.1992 - 4 Ss OWi 756/92, vom 20.10.1992 - 4 Ss 987/92 sowie auch noch KG NZV 1992, 251 f).
Hier hat der Amtsrichter die danach u.a. erforderliche Feststellung, ob das Uhrwerk der Rotlichtkamera nach § 2 Abs. 2 EichG geeicht war, dahin getroffen daß dies (noch) nicht der Fall ist. Damit war, wovon das AG ebenfalls zutreffend ausgegangen ist, das Beweismittel jedoch noch völlig unverwertbar. Es war aber von dem ermittelten Wert ein Sicherheitsabschlag zu machen (vgl. die angeführte Rechtsprechung). Es kann hier dahinstehen, ob dieser Sicherheitsabschlag, den das AG ohne nähere Darlegungen und ohne - in der Regel erforderliche (vgl. dazu die zitierte Rechtsprechung) - sachverständige Beratung offenbar in Anlehnung an die Entscheidung des KG in NZV 1992, 251 f mit 0,2 Sekunden angenommen hat, ausreichend bemessen ist. Denn selbst wenn ein höherer Sicherheitsabschlag zu machen wäre, würde hier die Voraussetzung für einen Verstoß gemäß Nr 34.2 BußgeldkatalogVO - "schon länger als 1 Sekunde" Rotlicht - nicht entfallen. Das AG hat eine Rotlichtzeit von 1,88 Sekunden festgestellt. Es ist nach Überzeugung des Senats ausgeschlossen, daß angesichts der technischen Entwicklung und Genauigkeit von Meßverfahren ein Sicherheitsabschlag in einer solchen Höhe vorgenommen werden muß, daß der Wert von "schon länger als 1 Sekunde" unterschritten würde; das würde nämlich einer Meßungenauigkeit von 0,87 Sekunden bzw. von rund 46 % entsprechen. Im vorliegenden Fall ist somit davon auszugehen, daß die Rotlichtzeit des Betr. auf jeden Fall "schon länger als 1 Sekunde" betragen hat, so daß der Amtsrichter zu Recht die Voraussetzungen gemäß Nr 34.2 BußgeldkatalogVO als gegeben angesehen hat. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang
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nämlich zusätzlich noch, daß die Haltelinie der Lichtzeichenanlage, auf deren Überfahren das AG abstellt, vor der Kreuzung liegt. Damit hatte der Betr. beim Einfahren in den Kreuzungsbereich nach Passieren der Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage, worin der Vorwurf einer Zuwiderhandlung gegen § 37 StVO zu sehen ist, tatsächlich eine noch längere Rotlichtstrecke als die vom AG aufgrund der Messung der automatischen Überwachungskamera angenommenen 1,88 Sekunden. Nach allem tragen somit die tatsächlichen Feststellungen des AG den Schuldspruch wegen eines Rotlichtverstoßes gemäß Nr 34.2 BußgeldkatalogVO, so daß die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG zu verwerfen war.
Der Senat weist auf folgendes hin: Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat weder in Widerspruch zu seinen oben angeführten Beschlüssen noch zu denen des 4. Senats für Bußgeldsachen. Diesen lagen nämlich noch andere tatsächliche Verhältnisse zugrunde, weil in den diesen Beschlüssen zugrundeliegenden Entscheidungen das AG jeweils nur solche Rotlichtzeiten festgestellt hatte, die den Wert "von schon länger als 1 Sekunde" Rotlicht nicht so wesentlich überschritten wie hier. Damit war es in den Fällen nicht ausgeschlossen, daß der infolge der Nichteichung der Rotlichtkamera - ggf. nach sachverständiger Beratung - vorzunehmende Sicherheitsabschlag dazu führen konnte, daß der Wert "von schon länger als 1 Sekunde" Rotlicht unterschritten wurde und damit die Voraussetzung für die Festsetzung der Regelgeldbuße und die Verhängung eines Fahrverbots gemäß Nr 34.2 BußgeldkatalogVO entfiel. Das ist hier hingegen aus den dargelegten Gründen nicht der Fall.
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