Aktenzeichen: 3 Ws 508/99 OLG Hamm
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Aussetzung der Reststrafe, Bewährung, Beschwerde der Staatsanwaltschaft, Aufhebung, unzureichende Begründung des Bewährungsbeschlusses, neue Hinweise auf Straftaten, mündliche Anhörung unterblieben, Durchentscheidung
Normen: StPO 454 Abs. 1
Beschluss: Strafsache gegen G.I.,
wegen Diebstahls u.a.,
(hier: Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn gegen die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung)
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 14.07.1999 gegen den Beschluß der 20. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 07.07.1999 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.08.1999 durch den Richter am Oberlandesgericht , die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung des Verurteilten beschlossen:
Der Beschluss der 20. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 07.07.1999 wird aufgehoben.
Die bedingte Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Paderborn vom 10.09.1996 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Paderborn vom 20.01.1997 wird abgelehnt.
Gründe: I. Durch Urteil des Landgerichts Paderborn vom 20.01.1997 wurde gegen den Verurteilten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und wegen Diebstahls in 16 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Beschluß des Amtsgerichts Gütersloh vom 11.03.1998 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld hat mit Beschluss vom 07.07.1999 die Aussetzung des Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 10.09.1996 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Paderborn vom 20.01.1997 nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe angeordnet. Gegen diesen der Staatsanwaltschaft am 12.07.1999 zugestellten Beschluss hat diese mit Schreiben vom 14.07.1999, das an diesem Tag auf dem Telefaxweg beim Landgericht Bielefeld eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 28.07.1999 begründet. Dazu trägt die Staatsanwaltschaft vor, daß die angefochtene Entscheidung in Unkenntnis der Tatsache ergangen sei, daß der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen hat.
Im 6. 1999 soll er dem Strafgefangenen B. Betäubungsmittel, nämlich Haschisch, verkauft haben. Dieser gab im Rahmen des Disziplinarverfahrens an, dass der Verurteilte Ikels häufiger Betäubungsmittel verkaufe. Auf die Strafanzeige der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede II hin leitete die Staatsanwaltschaft Bielefeld das Verfahren 36 Js 1717/99 ein.
Am 14.07.1999 fand eine körperliche Durchsuchung des Verurteilten lkels statt. Dabei stellten die Vollzugsbeamten Betäubungsmittel sicher. Auf die weitere Strafanzeige der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede II hin hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld das Verfahren 36 Js 1762/99 eingeleitet
II. Die gemäss § 454 Abs. 3 StPO, § 57 StGB statthafte und fristgemäss (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde hat Erfolg. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe dann zur Bewährung aus, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei dieser Prognoseentscheidung sind u.a. die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
Unter Zugrundelegen dieser von Gesetzes wegen zu berücksichtigenden Kriterien kann eine positive Prognose nicht gestellt werden. Die Erwartung, der Verurteilte werde ausserhalb des Vollzuges keine Straftaten mehr begehen, ist von der Strafvollstreckungskammer nicht begründet worden. Schon aus diesem Grund ist das Rechtsmittelgericht nicht in der Lage zu überprüfen, ob die bedingte Entlassung des Verurteilten zu Recht erfolgt ist. Mangels ausreichender Gründe bleibt auch offen, ob die Strafvollstreckungskammer berücksichtigt hat, dass der Verurteilte bereits erheblich strafrechtlich vorbelastet ist und er eine ihm zuvor eingeräumte Bewährungschance nicht zu nutzen verstanden hat. Ferner scheint der Verurteilte sein Suchtproblem noch nicht bewältigt zu haben. Dies zeigt sich auch an den nunmehr während des Strafvollzuges begangenen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz, die zur Einleitung der beiden Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft Bielefeld geführt haben. Auch wenn diese Verfahren noch nicht abgeschlossen sind, kann insbesondere aufgrund der sichergestellten Betäubungsmittel kein Zweifel daran bestehen, dass sich der Verurteilt während der Verbüßung der Freiheitsstrafe nicht straffrei geführt hat.
Bei dieser Sachlage kann dem Verurteilten eine günstige Prognose nicht gestellt werden.
III. Der Senat hat keine Veranlassung, abweichend von § 309 StPO die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen, weil eine mündliche Anhörung des Verurteilten unterblieben ist.
Grundsätzlich ist der Verurteilte vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes gemäss § 454 Abs. 1 Satz 1 StPO mündlich anzuhören. Von einer mündlichen Anhörung kann jedoch in den Fällen des § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO abgesehen werden. Die Strafvollstreckungskammer hat daher aus Ihrer Sicht rechtsfehlerfrei gemäß § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 StPO von der mündlichen Anhörung abgesehen. Diese Regelung greift allerdings nicht ein, wenn von der Aussetzung des Strafrestes abgesehen werden soll. Gleichwohl wäre nach Auffassung des Senats hier im Falle der Ablehnung der Strafaussetzung eine mündliche Anhörung nicht erforderlich gewesen. Der gesetzliche Ausnahmekatalog des § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO ist nicht als abschliessende Regelung anzusehen; ihm ist vielmehr der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß die mündliche Verhandlung auch dann nicht vorgeschrieben ist, wenn davon eine mögliche Beeinflussung der Entscheidung nicht zu erwarten ist und die mündliche Verhandlung zu einer reinen Formalie herabsinken würde (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO § 454 Rdnr. 24, BGHR StPO § 454 Anhörung 1, OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997 Seite 28). Dazu gehört auch der Fall, dass der Verurteilte während der Inhaftierung, insbesondere kurz vor Ablauf der 2/3-Frist, neue Straftaten begeht und dadurch eine günstige Prognose ausgeschlossen ist. Dies folgt auch aus dem in den §§ 454 a und 453 Abs. 1 StPO vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken, wonach eine mündliche Anhörung im Falle des Widerrufs der Aussetzung der Vollstreckung bzw. des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung im Falle neuer Straftaten nicht zwingend vorgeschrieben ist. Nach § 454 a StPO kann die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe bis zur Entlassung des Verurteilten wieder aufgehoben werden, wenn die Aussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht mehr verantwortet werden kann. Zum Verfahren wird auf § 454 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 StPO Bezug genommen, aber gerade nicht auf Satz 3 dieser Vorschrift. Nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO soll das Gericht dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben, wenn es über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) zu entscheiden hat. Die Regelung erfasst somit nicht den Fall des § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB, wonach ein Widerruf bei erneuter Straffälligkeit erfolgt.
Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 05.05.1995 (abgedruckt in BGHR StPO § 454 Anhörung 1). Anders als in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt war in dem der Entscheidung des BGH zugrundeliegenden Fall das Vollzugsverhalten des Verurteilten sowie seine soziale Wiedereingliederung in beruflicher Hinsicht von wesentlicher Bedeutung.
Zur Entscheidung in der Sache bedurfte es auch keiner mündlichen Anhörung des Verurteilten durch den Senat.
Die Vorschrift des § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO gilt zwingend nur für das in erster Instanz zur Entscheidung berufene Gericht, mangels einer entsprechenden Verweisung nicht aber für das
Beschwerdeverfahren. Dies auch dann nicht, wenn das Beschwerdegericht entgegen der Auffassung des Vorderrichters die Aussetzung eines Strafrestes ablehnt (vgl. OLG Hamm NJW 1975 Seite 1131). Im Einzelfall kann zwar zur Vorbereitung einer solchen Entscheidung eine mündliche Anhörung durch das Beschwerdegericht zweckmäßig und geboten sein. Dies ist jedoch hier aus den oben aufgeführten Gründen ebenfalls nicht der Fall.
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