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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 BL 152/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: BL6

Stichworte: Auslieferung, Verurteilung in anderem Land, Verhinderung des Wahlverteidigers; Einholung eines Sachverständigengutachtens

Normen: StPO 121, StPO 122

Beschluss: Strafsache gegen F.A,
wegen Mordes,
hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht.

Auf die Vorlage der Akten (Doppelakten I) zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.09.1999 durch die Richterin am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Angeklagten beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: Der Angeklagte ist in der vorliegenden Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Coesfeld vom 24.08.1994 - 3 b Gs 296/94 - nach seiner Auslieferung durch Italien in der Bundesrepublik Deutschland am 23.02.1999 festgenommen und zur Untersuchungshaft gebracht worden, die seitdem ununterbrochen vollzogen wird. Die Untersuchungshaft dauert damit seit nunmehr über sechs Monaten an. Zuvor ist gegen den Angeklagten bereits für die Tat, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, in der Zeit vom 27. 3. bis zum 26.09.1996 in der Republik Serbien Untersuchungshaft vollstreckt worden. Schließlich hat sich der Angeklagte nach seiner Festnahme am 07.05.1998 in Italien bis zu seiner Überstellung in die Bundesrepublik Deutschland in Auslieferungshaft befunden.
Da die Akten dem Senat am 24.08.1999 und damit nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten seit Beginn der Untersuchungshaft vorgelegt worden sind, wird in dem Fall, daß eine weitere Entscheidung über die Haftfortdauer notwendig werden sollte, bei der Berechnung der Vorlagefrist zu berücksichtigen sein, daß ein Ruhen des Fristenlaufs nach § 121 Abs. 3 Satz 1 StPO wegen der verspäteten Vorlage nicht eingetreten ist.
Mit dem genannten Haftbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, am 15.08.1994 seine ehemalige Freundin A.D. heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen mit einer Schußsalve aus einer Maschinenpistole Ceska Skorpion aus nächster Nähe erschossen zu haben. Als Haftgrund hat das Amtsgericht § 112 Abs. 3 StPO und den Haftgrund der Flucht bejaht.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend war die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Angeklagten über sechs Monate hinaus anzuordnen.
Er ist des ihm zur Last gelegten Tatgeschehens nach dem Ergebnis der bisherigen kriminalpolizeilichen Ermittlungen dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht gründet sich insbesondere auf die Angaben der Zeugen K.B., M.B. und H. B.. Die Zeuginnen B. und Bl, die beide den Angeklagten kennen, haben die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat aus nächster Nähe beobachtet und den Angeklagten dabei erkannt. Der Zeuge B. hat dem Angeklagten, der ihm die Tat geschildert haben soll, bei der Flucht geholfen. Durch diese Beweismittel, die auch noch durch weitere Ermittlungsergebnisse erhärtet werden, wird der Angeklagte i.S. der Vorwürfe, die Gegenstand des amtsgerichtlichen Haftbefehls sind, schwer belastet.
Mit diesem Vorwurf identisch ist die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster vom 1. 4 1999, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend zusammenfaßt. Abweichend vom dem Vorwurf des Haftbefehls des Amtsgerichts Coesfeld, der dem Haftprüfungsverfahren zugrundezulegen ist, wird dem Angeklagten in der Anklage darüber hinaus auch noch zur Last gelegt, durch dieselbe Handlung zugleich die tatsächliche Gewalt über eine vollautomatische Selbstladewaffe ausgeübt zu haben. Die Anklage ist durch Beschluß des Schwurgerichts vom 16.06.1999 zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen des dringenden Tatverdachts ergänzend auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte bei Begehung der ihm zur Last gelegten Tat schuldunfähig gewesen sein könnte, ergeben sich nach der Aktenlage nicht.
Der Umstand, daß der Angeklagte für die ihm auch in diesem Verfahren zur Last gelegte Tat bereits am 19.06.1997 - letztlich auf der Grundlage eines entsprechenden Rechtshilfeersuchens der hiesigen Ermittlungsbehörden um Übernahme der Strafverfolgung - durch ein Gericht der Republik Serbien zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden ist, steht der Durchführung des Strafverfahrens vor dem Landgericht Münster nach dem Ergebnis der umfangreichen Prüfung durch den Senat nicht entgegen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Urteil der Republik Serbien zwischenzeitlich rechtskräftig ist oder nicht, was nach der Aktenlage ungeklärt ist. Ebenso stellt es kein Verfahrenshindernis dar, daß anläßlich des an Italien gerichteten Auslieferungsersuchens offenbar versäumt worden ist, auf die Verurteilung des Angeklagten für dieselbe Tat durch ein Gericht der Republik Serbien hinzuweisen.
Bei dem Angeklagten besteht auch der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Angesichts des Umstandes, daß der Angeklagte erst nach Jahren internationaler Fahndung aus Italien an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert werden konnte und sich auch dem Strafverfahren in der Republik Serbien durch Flucht entzogen hat, bestehen keine Bedenken, daß auch die durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten, über den Wortlaut des § 112 Abs. 3 StPO hinausgehenden Voraussetzungen angesichts der ersichtlich gegebenen Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) vorliegen.
Auf diesem Hintergrund sind weniger einschneidende Maßnahmen als die Anordnung und auch der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 StPO) nicht ausreichen, um die Fluchtgefahr wirksam einzudämmen und die Durchführung des Strafverfahrens zu sichern.
Die weitere Vollstreckung der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Bestrafung.
Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gleichfalls gegeben. Das Ermittlungsverfahren ist bisher mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden.
Der am 23.02.1999 an die Bundesrepublik Deutschland ausgelieferte Angeklagte ist am 01.03.1999 in die Justizvollzugsanstalt Münster verschubt worden, wo er am 04.03.1999 eingetroffen ist. Am 10.03.1999 ist er verantwortlich vernommen worden. Weil er sich dahin eingelassen hatte, Angelika Duda nicht getötet zu haben, hat die Kriminalpolizei am 18.03.1999 u.a. eine vergleichende Mikrospurenuntersuchung textiler Fasern u.a. zwischen Folienabzügen, die von den Sitzen des bei der Tat eingesetzten Pkw des Angeklagten stammen, und solchen Folienabzügen veranlaßt, die vom Stoßstangenbereich des Pkw des Opfers abgenommen worden sind und in dessen Bereich sich der Angeklagte bei der Tat aufgehalten haben soll. Zu Recht hat die Staatsanwaltschaft das Ergebnis dieses Untersuchungsauftrages nicht abgewartet, sondern bereits unter dem 1. 4 1999 Anklage erhoben. Nach Eingang der Akten bei dem Landgericht am 16. 4 1999, hat der Vorsitzende des Schwurgerichts unverzüglich die Mitteilung der Anklageschrift an den Angeklagten und seinen Verteidiger mit einer angemessenen Stellungnahmefrist von drei Wochen verfügt. Am 29. 4 1999 hat das Schwurgericht im Zwischenverfahren die Begutachtung des Angeklagten durch einen psychiatrischen Sachverständigen angeordnet. Zugleich hat die Kammer für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens versucht, Hauptverhandlungstermine mit den Verfahrensbeteiligten abzusprechen. Das Schwurgericht wäre in der Lage gewesen, die Sache beginnend am 22.06.1999 mit Fortsetzungen bis zum 15.07.1999 zu verhandeln. Von den angesetzten zehn Verhandlungsterminen war der gewählte Verteidiger jedoch an sechs Terminen ganztägig verhindert. Außerdem hat der Verteidiger mitgeteilt, in der Zeit vom 24. 7. bis zum 15.08.1999 urlaubsabwesend zu sein. Diese Urlaubsverhinderung überschnitt sich mit Urlaubszeiten der beteiligten Sachverständigen und des Nebenklagevertreters. Vor diesem Hintergrund hat der Vorsitzende des Schwurgerichts den Angeklagten angeschrieben und um Stellungnahme gebeten, ob angesichts der langen Verhinderung des Wahlverteidigers durch Beiordnung eines Pflichtverteidigers ein früherer Beginn der Hauptverhandlung ermöglicht werden soll. Einer solchen Verfahrensweise haben der Angeklagte und sein Verteidiger ausdrücklich widersprochen. Das Schwurgericht hat sodann unter dem 16.06.1999 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet. Zugleich hat es die Eltern und Geschwister des Opfers als Nebenkläger zugelassen. Hauptverhandlungstermine sind am selben Tage bestimmt worden ab dem 05.10.1999 mit Fortsetzungen bis zum 23.11.1999. Eine frühere Terminierung war dem Schwurgericht, wie sich aus dem Übersendungsbericht der örtlichen Staatsanwaltschaft ergibt, nicht möglich, weil es in der Zeit vom 9. 8. bis zum 23.09.1999 eine andere Schwurgerichtssache mit insgesamt 21 Verhandlungstagen verhandelt.
Wenn unter diesen Umständen das Verfahren noch nicht abgeschlossen werden konnte, so beruht das auf wichtigen Gründen i.S.v. § 121 Abs. 1 StPO, die ein Urteil noch nicht zugelassen haben, es andererseits aber rechtfertigen, die auch vom Landgericht für erforderlich erachtete Untersuchungshaft des Angeklagten über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten.
Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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