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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 BL 160/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: BL6

Stichworte: dringender Tatverdacht, Indizienkette, zahlreiche Zeugen, Schuldfähigkeit, weitere Ermittlungen in Hinblick auf Schuldfähigkeit, DNA-Gutachten, Spurengutachten, keine Anklage, umfangreiche Ermittlungen

Normen: StPO 120, StPO 121

Beschluss: Ermittlungsverfahren gegen R.H.,
wegen Mordes,
hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht.

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.10.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Angeklagten beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: Der Beschuldigte ist in der vorliegenden Sache am 23.03.1999 polizeilich festgenommen und aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom 24.03.1999 - 21 Gs 355/99 - an diesem Tage zur Untersuchungshaft gebracht worden, die seitdem ununterbrochen vollzogen wird. Die Untersuchungshaft dauert damit in diesem Verfahren seit nunmehr über sechs Monaten an.
Mit dem Haftbefehl wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, am 03.09.1997 in Paderborn in der Zeit zwischen 7.00 und 8.10 Uhr die am 03.11.1967 geborene K.J.aus Habgier getötet zu haben. Er soll das Opfer zunächst mit mindestens sechs Messerstichen getötet haben, um ihm einen Geldbetrag von mehreren 1.000,00 DM wegzunehmen, und anschließend die Leiche mit medizinischem Alkohol übergossen und in Brand gesetzt haben. Als Haftgrund hat das Amtsgericht den besonderen Haftgrund der Schwere der Tat (§ 112 Abs. 3 StPO) bejaht.
Anklage ist bisher noch nicht erhoben.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend war die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft des Beschuldigten über sechs Monate hinaus anzuordnen. Er ist des ihm zur Last gelegten Tatgeschehens nach dem Ergebnis der bisherigen kriminalpolizeilichen Ermittlungen dringend verdächtig.
Der dringende Tatverdacht drängt sich bei einer Gesamtschau der gewonnenen polizeilichen Ermittlungsergebnisse auf. Der Beschuldigte kannte das Opfer und arbeitete in unmittelbarer räumlicher Nähe zu ihm. Er wußte, daß es am Tattage vertretungsweise eine größere Geldmenge von mehreren 1.000,00 DM in seiner Arbeitsstelle für die Bank vorbereitete. Daß ein völlig Außenstehender auf das Werksgelände der B.-Werke gelangte und zudem diese Informationen hatte, stellt nach Ansicht des Senats eine nur theoretische Möglichkeit dar, zumal sich am Tatort keine Hinweise dafür ergeben haben, daß es vor der Tat zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Täter und Opfer gekommen ist. Dieser Umstand spricht dafür, daß das Opfer den Täter kannte.
Ein Indiz für die Täterschaft konkret des Beschuldigten ergibt sich zunächst aus dem Vermerk des Zeugen KK B. anläßlich der Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten am 17.03.1999. Nachdem der Beschuldigte beim Eintreffen der Polizei zunächst ersichtlich die Fassung verloren habe, habe er geradezu gelöst und erleichtert gewirkt, nachdem ihm der konkrete Grund der Durchsuchung, nämlich der Verdacht des Diebstahls zum Nachteil der Firma B., eröffnet worden sei. Er habe den Diebstahl nahezu sofort bereitwillig eingeräumt und die nachfolgende Durchsuchung fast wohlwollend unterstützt. Dieses Verhalten spricht in hohem Maße dafür, daß der Beschuldigte zunächst damit gerechnet hatte, das Erscheinen der Polizei habe mit einer erheblich schwereren Straftat zu tun. Daß es sich nach der Vorstellung des Beschuldigten dabei um die Tötung der K.J. handelte, liegt sehr nahe.
Gegen den Beschuldigten spricht weiter, daß er die Tat nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen begangen haben kann. Er hat für die Tatzeit kein Alibi, hat jedoch bei zusammenfassender Würdigung versucht, sich ein vermeintliches Alibi aufzubauen. Er hat nach den Angaben seiner Ehefrau und letztlich seiner eigenen Einlassung am Tattag seine Wohnung in Verl zwischen 6.00 Uhr und 6.45 Uhr verlassen und ist erst um 9.59 Uhr in der Tagungsstätte in Gelsenkirchen relativ abgehetzt eingetroffen. Dieser Zeitablauf läßt die Begehung der Tat durch den Beschuldigten ohne weiteres zu. Seine wechselnden Einlassungen zum Ablauf des Tattages lassen indes gewichtige Rückschlüsse auf seine Täterschaft zu. Seine ursprüngliche Einlassung, die er nach seiner Festnahme abgegeben hatte und die dahin ging, er habe die häusliche Wohnung kurz nach 8.00 Uhr verlassen, womit er bei Richtigkeit dieser Angaben als Täter ausschiede, hat er schließlich aufgegeben, nachdem ihm die entgegenstehende Aussage seiner Ehefrau vorgehalten worden war. Dieser Vorhalt hatte ihn, so der Eindrucksvermerk der Zeugen KHK A. und KOK R. sichtlich erschüttert. Die Angaben seiner Ehefrau versuchte er zunächst als offenbaren Irrtum seiner Ehefrau abzutun. Schließlich hat er sich dahin eingelassen, er habe um 6.45 Uhr das Haus verlassen und sei direkt nach Gelsenkirchen gefahren. Er habe seine Ehefrau allerdings insoweit angelogen, als er ihr gesagt habe, er müsse erst noch in Paderborn am Bahnhof einen Kollegen abholen und mitnehmen, um sich dadurch den Freiraum für einen Stadtbummel zu verschaffen. Diese Einlassung kann bei vernünftiger Würdigung nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Es gibt nach der Aktenlage nicht den geringsten Hinweis dafür, daß der Beschuldigte gegenüber seiner Ehefrau für den von ihm behaupteten Stadtbummel eine derartige Lügengeschichte hätte aufbauen müssen, zumal die Eheleute, so die Angaben seiner Ehefrau, seit Jahren aneinander vorbei leben. Anhaltspunkte dafür, daß die Einlassung des Beschuldigten zu diesem Punkt richtig sein könnte, haben sich trotz entsprechender umfangreicher Ermittlungen der Kriminalpolizei nicht ergeben. Es kann nach bisherigem Erkenntnisstand ausgeschlossen werden, daß der Beschuldigte in Gelsenkirchen mit einer Verwarnung wegen einer Ordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit dem behaupteten Stadtbummel belegt worden ist, von welcher er seiner Ehefrau erzählt haben soll. Ebenso gibt es keinen Hinweis dafür, daß er mit dem Lösen einer "Tageskarte" für das Parken seines Wagens Schwierigkeiten gehabt haben könnte, was er aber behauptet hat und womit er unter anderem sein spätes Eintreffen in der Tagungsstätte um 9.59 Uhr zu erklären versucht hat.
Weiter ist durch das Gutachten des Bundeskriminalamtes vom 03.08.1999 nachgewiesen, daß bei der Tat als Brandbeschleuniger bestimmte Desinfektionsmittel eingesetzt worden sind, wie sie sich im Sanitätsbereich der B.-Werke und damit im Arbeitsbereich des Beschuldigten befunden haben. Auch das deutet auf den Beschuldigten hin.
Weiter spricht gegen den Beschuldigten, daß er ausweislich einer bei ihm aufgefundenen Rechnung vom 07.06.1995 in Verbindung mit der Aussage des Zeugen V. Eigentümer eines Elektroschock-Gerätes der Marke Body-Guard II war. Ein entsprechendes Gerät, das geeignet ist, einen Menschen auch durch Kleidung hindurch blitzartig kampfunfähig und orientierungslos zu machen, ist am Tatort aufgefunden worden. Nach den bisherigen Erkenntnissen kann es dort nur vom Täter, möglicherweise nach einem Einsatz bei der Tat, zurückgelassen worden sein. Die Einlassung des Beschuldigten, er habe zeitlich weit vor der Tat versucht, das in seinem Besitz gewesene Gerät nach einem Defekt zu reparieren, und es schließlich entsorgt, ist bei einer Gesamtbetrachtung ebenfalls als Schutzbehauptung zu werten. Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang u.a. dem Umstand zu, daß er nach der Tat von sich aus und ohne äußeren Anlaß die Zeugen Fuest und Schrittwieser darauf angesprochen hat, auch er habe ein Elektroschock-Gerät, das er aber "Gott sei Dank" noch habe. Ein solches Gerät soll er dem Zeugen Schrittwieser sogar gezeigt haben, wobei es sich jedoch um ein weiteres, ähnliches Gerät handelte, das der Beschuldigte außerdem besaß. Dieses Verhalten deutet darauf hin, daß er praktisch vorbeugend mögliche Hinweise auf seine Täterschaft ausräumen wollte.
Der Umstand, daß der Beschuldigte nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis am 29.09.1997 einen Barbetrag in Höhe von 1.316,50 DM auf seinem Girokonto eingezahlt und nur eine Minute später am Geldautomaten 1.000,00 DM abgehoben hat, weist darauf hin, daß das eingezahlte Geld gewechselt werden sollte, etwa Münzgeld - das er erbeutet haben soll - in Scheine. Anhaltspunkte dafür, daß dieses Geld aus einer anderen Quelle als der Tat stammen könnte, haben sich nicht ergeben.
Weitere wichtige Indizien für seine Täterschaft ergeben sich daraus, daß der Beschuldigte offenbar seit Jahren in erheblichem Umfang Vermögensdelikte begeht, um sich zu bereichern. Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die bei dem Beschuldigten sichergestellte abgesägte Langwaffe, deren Eigentümer der Zeuge L. ist, zumal es unmittelbar nach dem Diebstahl der Waffe am 20.10.1994 zu einem Brand am Tatort gekommen ist. Hier zeigen sich bemerkenswerte Parallelen zu dem vorliegenden Verfahren.
Durch diese Beweismittel, die auch noch durch weitere Ermittlungsergebnisse erhärtet werden, wird der Beschuldigte im Sinne der Vorwürfe, die Gegenstand des amtsgerichtlichen Haftbefehls sind, schwer belastet. Auch nach Eingang des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. vom 24.09.1999 sind zumindest derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB ersichtlich.
Bei dem Beschuldigten besteht auch weiterhin der Haftgrund der Schwere der Tat (§ 112 Abs. 3 StPO). Es ist nach den Umständen des Falles zumindest nicht auszuschließen, daß er sich dem Verfahren durch Flucht entzieht oder auf Zeugen, insbesondere auf seine Ehefrau, im Sinne von Verdunkelungsmaßnahmen einwirken wird, würde er freigelassen. Er hat wegen der ihm zur Last gelegten Tat mit einer hohen, wenn nicht lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen, was für ihn einen beträchtlichen Flucht- und Verdunkelungsanreiz begründet. Dem stehen keine tragfähigen sozialen Bindungen gegenüber. Der Beschuldigte hat seine Arbeitsstelle verloren, die durch die Beziehung zu seiner Ehefrau begründete Bindung erscheint deutlich eingeschränkt. Die Eheleute leben seit Jahren aneinander vorbei. Das gemeinsam bewohnte Einfamilienhaus steht im Alleineigentum der Ehefrau.
Auf diesem Hintergrund sind weniger einschneidende Maßnahmen als die Anordnung und auch der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 StPO) nicht ausreichend, um den Haftzweck zu erfüllen.
Die weitere Vollstreckung der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Bestrafung.
Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gleichfalls gegeben. Das Ermittlungsverfahren ist bisher im wesentlichen noch mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden. Der Umfang und die Schwierigkeit der Ermittlungen haben deren Abschluß jedoch noch nicht zugelassen. Nach der Verhaftung des Beschuldigten waren umfangreiche weitere Ermittlungen erforderlich, die sich zum Teil erst aus seinen Einlassungen ergaben. So sind insbesondere bis Ende 4 1999 zahlreiche Zeugen vernommen und Werksangehörige befragt worden. Soweit sich die Ermittlungen dabei auf weitere Vermögensdelikte bezogen, waren sie deshalb erforderlich, weil diese - auch nach Ansicht des Senats - Schlußfolgerungen auf das dem Beschuldigten hier zur Last gelegten Tatgeschehen zulassen und für die Bewertung seiner Schuldfähigkeit Bedeutung haben können. Weiter sind drei rechtsmedizinische Gutachten (Blutnachweis- und DNA-Gutachten) eingeholt worden, wobei insbesondere die Begutachtung der am 14. 4 1999 sichergestellten Bekleidung des Beschuldigten aufgrund des Umfanges des Untersuchungsmaterials zeitaufwendig war. Weitere Gutachten sind vom LKA (Spurengutachten zum Nachweis des Transportes von Geldsäcken im Pkw des Beschuldigten) und vom BKA (vergleichendes Gutachten hinsichtlich des bei der Tat verwendeten Brandbeschleunigers mit Desinfektionsmitteln aus dem Arbeitsbereich des Beschuldigten) eingeholt worden. Letztes ist am 21. 4 1999 in Auftrag gegeben und unter dem 03.08.1999 erstattet worden, wobei zu berücksichtigen ist, daß die erforderlichen Untersuchungen besonders schwierig und aufwendig waren. Schließlich ist am 06.07.1999 die Einholung eines psychiatrischen Gutachten zur Schuldfähigkeit veranlaßt worden. Nachdem das Gutachten vom 24.09.1999 nunmehr vorliegt, soll die Anklage unverzüglich erstellt werden.
Wenn unter diesen Umständen das Verfahren noch nicht abgeschlossen werden konnte, so beruht das auf wichtigen Gründen i.S.v. § 121 Abs. 1 StPO, die ein Urteil noch nicht zugelassen haben, es andererseits aber rechtfertigen, die auch vom Amtsgericht für erforderlich erachtete Untersuchungshaft des Beschuldigten über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten.
Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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