Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss OWi 782/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: OWi

Stichworte: Verzicht auf Begründung, eindeutige Erklärung, Beschlußverfahren, Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung, ergänzender Beschluß, Geschwindigkeitsüberschreitung, A 1, Aufhebung, PPS, Police-Pilot-System, Länge der Meßstrecke, Absehen vom Fahrverbot, gerade Verkehrsführung, verengte Fahrstreifen, Augenblicksversagen

Normen: OWiG 72 Abs. 6, StvG 25 a

Beschluss: Bußgeldsache gegen C.H.,
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Münster gegen den Beschluß des Amtsgerichts Münster vom 21. 4/10.5.1999 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 26.10.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Betroffenen bzw. deren Verteidiger gemäß § 79 Abs. 5, 6 OWiG beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht Münster hat gegen die Betroffene am 21. 4 1999 im Beschlußverfahren gemäß § 72 OWiG wegen "fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 48 km/h" ein Bußgeld in Höhe von 200,00 DM verhängt. Ein Fahrverbot hat das Amtsgericht gegen die Betroffene nicht verhängt. Von einer näheren Begründung des Beschlusses hat das Amtsgericht - gestützt auf § 72 Abs. 6 OWiG - zunächst abgesehen. Nachdem die Staatsanwaltschaft nach Zustellung dieses Beschlusses Rechtsbeschwerde eingelegt hat, hat das Amtsgericht am 10.05.1999 unter Hinweis auf § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG den Beschluß mit einer näheren Begründung versehen. Nach den Feststellungen dieses Beschlusses befuhr die verkehrsrechtlich nicht vorbelastete Betroffene am 29.10.1998 gegen 10.04 Uhr mit einem Pkw die Bundesautobahn A 1 in Fahrtrichtung Bremen. In Höhe von Kilometer 272 überschritt sie die dort - offenbar durch Zeichen 274 - auf 100 km/h beschränkte zulässige Höchstgeschwindigkeit fahrlässig um 48 km/h. In dem diesem Verfahren zugrundeliegenden Bußgeldbescheid der Stadt Münster vom 13.01.1999 war neben einer Geldbuße von 200,00 DM ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet worden.
Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde wendet sich die örtliche Staatsanwaltschaft gegen die Nichtverhängung eines Fahrverbotes. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten.
II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet worden. Ihre Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist jedoch unwirksam, weil der allein maßgebliche Beschluß vom 21. 4 1999 keine hinreichenden Feststellungen zur Tat enthält, um die Rechtsfolgenentscheidung zu prüfen. Der ergänzte Beschluß in der Fassung vom 10.05.1999 kann nicht herangezogen werden, weil ein Fall des § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG nicht vorgelegen hat. Voraussetzung dafür, von der vollständigen Begründung des Beschlusses zunächst absehen zu können und die vollständigen Gründe erst nach Einlegung der Rechtsbeschwerde zu den Akten zu bringen, ist nämlich, daß "die am Verfahren Beteiligten hierauf verzichten". Ein solcher Fall hat jedoch nicht vorgelegen, weil die Betroffene durch ihre Verteidiger ein entsprechendes Einverständnis gerade nicht erklärt hat. Mit Schriftsatz ihrer Verteidiger vom 30.03.1999 hat die Betroffene lediglich mitgeteilt, mit einer gerichtlichen Entscheidung ohne Hauptverhandlung einverstanden zu sein. Eine Erklärung zu einem Verzicht auf eine Begründung, die zudem ausdrücklich und vorbehaltlos erklärt werden muß (vgl. Rehmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Auflage (Stand: 4 1998), § 72 Rdnr. 28 a), ist dem Schriftsatz nicht zu entnehmen. Nachdem der (abgekürzte) Beschluß vom 21. 4 1999 an die Verteidiger der Betroffenen und die Staatsanwaltschaft zugestellt worden war, hatte er Außenwirkung erlangt und konnte durch das Amtsgericht nicht mehr ergänzt werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 267 Rdnr. 39).
Die Rechtsbeschwerde hat damit schon deshalb Erfolg, weil der angefochtene Beschluß keine ausreichenden Feststellungen zur Tat, keine Beweiswürdigung und keine hinreichende Begründung für die Rechtsfolgenentscheidung enthält.
Eine verfahrensabschließende Entscheidung gemäß § 79 Abs. 6 OWiG war dem Senat mangels ausreichender Feststellungen im angefochtenen Beschluß nicht möglich. Der angefochtene Beschluß war daher insgesamt mit seinen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht Münster zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird auch eine Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu treffen haben, weil der Erfolg des Rechtsmittels im Sinne des § 473 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG noch nicht feststeht.
III. Für das weitere Verfahren weist der Senat aufgrund der Ausführungen des Amtsgerichts in der Beschlußfassung vom 10.05.1999 vorsorglich auf folgendes hin:
Soweit das Amtsgericht eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h festgestellt, enthält die insoweit angeführte Beweiswürdigung einen Begründungsmangel. Das Amtsgericht hat nämlich keine Feststellungen zur Länge der Meßstrecke getroffen. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung mittels Videoüberwachung (offenbar mittels Police-Pilot-System) vorgenommen worden ist, kann durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht nachgeprüft werden, ob der von der ermittelten Geschwindigkeit von 156 km/h in Abzug gebrachte Toleranzwert von 8 km/h mögliche Meßungenauigkeiten hinreichend berücksichtigt. Das könnte bei einer sehr kurzen Meßstrecke unzureichend sein.
Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes trotz Vorliegens eines Regelfalles für einen groben Verkehrsverstoß i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 5.3.4. der Tabelle 1 a des Anhangs zu Nr. 5 der Anlage abgesehen hat, begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Amtsgericht hat die Entscheidung, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, wie folgt begründet:
"Eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 48 km/h an der Meßörtlichkeit Bundesautobahn 1 Fahrtrichtung Bremen in Höhe Kilometer 272 stellt keinen groben Verkehrsverstoß im Sinne des § 25 StVG dar. Die Bundesautobahn ist am betreffenden Teilstück dreispurig ausgebaut und schnurgerade. Für den Autofahrer sind keinerlei Gefahren erkennbar, die ein Herabsetzen der Geschwindigkeit nahelegen.
Unter diesen Umständen kann die rein fahrlässige Nichtbeachtung der dort angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung nicht als grober Verstoß im Sinne des § 25 StVG angesehen werden."
In der späteren ergänzten Beschlußfassung heißt es:
"Desweiteren sieht der Bußgeldkatalog bei einer derartigen Geschwindigkeitsübertretung die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes vor. Die Verhängung eines solchen Fahrverbotes nach § 25 StVG kam im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichts stellt eine Geschwindigkeitsübertretung auf diesem Teilstück der Bundesautobahn 1 keinen typischen Regelfall im Sinne des Bußgeldkataloges dar. Die Autobahn ist 3spurig und schnurgerade. Die Fahrstreifen sind lediglich unwesentlich verengt (zwischen 25 und 50 cm). Für den Autofahrer ergibt sich keine erkennbare Gefahrenlage. Unter diesen Umständen stellt das lediglich fahrlässige Übersehen der angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung keinen groben Verstoß im Sinne des § 25 StVG dar. Von einem beharrlichen Verstoß kann ebenfalls nicht ausgegangen werden, da die Betroffene bisher straßenverkehrsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist."
Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Soweit nach der Bußgeldkatalogverordnung in den Fällen von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG die Verhängung eines Fahrverbotes "in der Regel" in Betracht kommt, ist diese durch den Verordnungsgeber getroffene Regelung ebenso wie die durch die Rechtsprechung herausgearbeitete Handhabung grundgesetzkonform (vgl. BVerfG, DAR 1996, 196, 197 f.). Insoweit gilt, daß in diesen Fällen ein grober bzw. beharrlicher Pflichtverstoß indiziert ist, dessen Ahndung, abgesehen von besonderen Ausnahmefällen, der Verhängung eines Fahrverbotes als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedarf (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 25 StVG Rdnr. 15 b m.w.N.).
Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn unter Berücksichtigung der konkreten und im einzelnen darzulegenden Umstände des Einzelfalles ausnahmsweise das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung verneint wird (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 25 StVG Rdnr. 14 m.w.N.) oder wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände gegeben sind, die das Tatgeschehen aus dem Rahmen der typischen Begehungsweise einer solchen Ordnungswidrigkeit im Sinne einer Ausnahme herausheben (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 25 StVG Rdnr. 15 b m.w.N.; BGH, NZV 117, 119; BayObLG, DAR 1994, 501).
Die vom Amtsgericht insoweit angeführte Begründung genügt diesen Anforderungen indes nicht.
Der von der Rechtsprechung herausgearbeitete Ausnahmefall, wonach bei einem nur auf leichter Fahrlässigkeit beruhenden, wenn auch objektiv schwerwiegenden Verstoß gegen Verkehrsvorschriften (sog. Augenblicksversagen durch leicht fahrlässiges Übersehen einer verkehrsbeschränkenden Beschilderung) ein grober Pflichtverstoß nicht angenommen werden kann (vgl. dazu BGH, NJW 1997, 3252, 3253), liegt nicht vor. Das Amtsgericht hat in Parallelsachen dazu festgestellt, daß das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beschränkende Verkehrszeichen (274) in dem hier in Rede stehenden Bereich mehrmals aufgestellt ist. Wenn die Betroffene alle aufgestellten geschwindigkeitsbeschränkenden Verkehrszeichen nicht wahrgenommen haben sollte - was allerdings angesichts der mehrmaligen Wiederholung nicht gerade naheliegt - hätte sie die gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise außer Acht gelassen (vgl. BGH NJW 1997, 3252, 3254) und damit auch subjektiv grob pflichtwidrig gehandelt.
Die Erwägungen zu den örtlichen Gegebenheiten und zur Gefährlichkeit des hier betroffenen Streckenabschnitts der Bundesautobahn A 1 sind ebenfalls nicht geeignet, die Entscheidung über das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes zu tragen. Die Feststellungen dazu sind nicht nur in erheblichem Umfang unvollständig, sie stehen der getroffenen Entscheidung - zumindest bislang - sogar eher entgegen.
Die Verengung der Fahrstreifen um jeweils 25 cm bis 50 cm kann grundsätzlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit führen. Der Raum, der zur Verfügung steht, um mögliche seitliche Abweichbewegungen wieder auszugleichen, wird dadurch nämlich insbesondere gegenüber und zwischen Lastkraftwagen und Gespannen ganz erheblich verringert. Dazu kommt, daß die tatsächlich verbliebene Fahrbahnbreite nicht einmal mitgeteilt worden ist, keine Feststellungen zur Breite des Standstreifens getroffen worden sind und auch sonst Feststellungen dazu fehlen, ob möglicherweise aufgrund anderer Umstände eine erhöhte Gefahrenlage in diesem Streckenabschnitt besteht. Aus Rechtsgründen ist ebensowenig zureichend der vom Amtsgericht angeführte Umstand, daß sich in diesem Streckenabschnitt für den Autofahrer keine erkennbare Gefahrenlage ergebe. Gerade dieser Umstand der verringerten Erkennbarkeit einer objektiv vorhandenen Gefährlichkeit der Strecke kann ein Grund für die Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung sein. Er ist deswegen - solange eine erhöhte Gefährlichkeit des Autobahnabschnitts nicht auszuschließen ist - nicht geeignet, das Verschulden in Bezug auf eine Zuwiderhandlung gegen die bestehende Verkehrsregelung in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Insoweit hat das Amtsgericht die erforderlichen konkreten Feststellungen - z.B. zur Unfallhäufigkeit - unterlassen. Dem Senat ist im übrigen aufgrund anderer diesen Streckenabschnitt betreffender Verfahren und damit aus dienstlicher Erfahrung bekannt, daß sich gerade dieser Streckenabschnitt trotz der angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung zumindest nicht durch eine unterdurchschnittliche Unfallhäufigkeit auszeichnet.
Schließlich sind die Erwägungen des Amtsgerichts zur Gefährlichkeit des Streckenabschnitts und der Fahrweise der Betroffenen auch deshalb unvollständig und damit rechtsfehlerhaft, weil nicht bedacht worden ist, daß sich gerade aus der großen Geschwindigkeitsdifferenz des Fahrzeugs des Betroffenen zu verkehrsgerecht fahrenden Fahrzeugführern von 45 km/h bei Pkw und sogar von 65 km/h bei Lkw und Gespannen eine erhöhte objektive Gefährlichkeit ergeben kann. Aufgrund der vorangegangenen mehrmaligen Wiederholung der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beschränkenden Beschilderung werden andere Kraftfahrzeugführer mit Fahrzeugen, die die zulässige Höchstgeschwindigkeit so erheblich überschreiten, nicht ohne weiteres rechnen. Das begründet die Gefahr von Fehleinschätzungen und Fehlreaktionen der vorschriftsmäßig fahrenden Fahrzeugführer, z.B. bei etwaigen Überholvorgängen ihrerseits. Der mit der Geschwindigkeitsbeschränkung verbundene Zweck, durch eine Homogenisierung des Verkehrsflusses eine höhere Verkehrssicherheit zu erzielen, wird durch eine so beträchtliche Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit empfindlich gestört.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".