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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 338/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Urteil, Aufhebung, Verbrechen, Strafrichter, BtM, Straferwartung, Schöffengericht, Verweisung

Normen: StPO 6; StPO 338 Nr. 4; GVG 25; StPO 336 Satz 2; StPO 210 Abs. 2

Beschluss: Strafsache gegen P.U.,
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Münster gegen das Urteil des Amtsgerichts Borken vom 25.01.1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 27.10.1999, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht und
Richter am Landgericht als beisitzende Richter,
für Recht erkannt:

Das Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Amtsgericht Borken - Schöffengericht - zurückverwiesen.

Gründe: I) Das Amtsgericht Borken - Strafrichter - hat, nachdem Anklage zum Schöffengericht erhoben worden ist und der erkennende Richter, der zugleich Vorsitzender des Schöffengerichts und Strafrichter ist, das Verfahren vor dem Strafrichter eröffnet hat, den Angeklagten durch Urteil vom 25.01.1999 wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln (Marihuana) in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem minder schweren Fall zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25,- DM verurteilt. Es hat ihm nachgelassen die Geldstrafe in monatlichen Raten zu 50,- DM zu zahlen.
Das Amtsgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe infolge einer im Jahre1982 erfolgten Amputation seines Unterschenkels unter erheblichen Phantom- und Stumpfschmerzen zu leiden, die mit herkömmlichen Arzneimitteln nicht dauerhaft zu beseitigen gewesen seien. Aufgrund von Presseveröffentlichungen habe er zur Schmerzbekämpfung Marihuana ausprobiert und festgestellt, dass dieses bei ihm krampflösend wirke und ein nächtliches Durchschlafen ermögliche. Er habe sich daher entschlossen, Marihuana im Garten des von ihm bewohnten Hauses selbst heranzuziehen. Dort seien am 30.09.1998 fünf 80 cm hohe Pflanzen sichergestellt worden. Die Untersuchung der daraus gewonnenen Cannabisblüten mit einem Gesamtnettogewicht von 205,90 Gramm habe ergeben, dass diese 11,7% Tetrahydrocannabinol, mithin 24,09 Gramm Tetrahydrocannabinol enthielten. Unter Hinweis auf die ausschließlich zur eigenen Schmerzlinderung beabsichtigte Verwendung des Betäubungsmittels durch den Angeklagten hat das Amtsgericht die im Falle der Verwirklichung des § 29 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG unter Anwendung von § 47 Abs. 2 StGB mögliche Mindeststrafe von 90 Tagessätzen Geldstrafe als tat- und schuldangemessen angesehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft, deren Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen beantragt hatte, mit der fristgerecht eingelegten, form- und fristgerecht begründeten Sprungrevision. Sie rügt, das Amtsgericht - Strafrichter - habe seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen und damit gegen Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verstoßen, da es auch einen Verbrechenstatbestand abgeurteilt habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel beigetreten und beantragt wie erkannt zu entscheiden.
Die Verteidigung hält die Revision für unbegründet. Sie ist der Ansicht, ein Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit liege nicht vor. Bei der Neuregelung des § 25 GVG im Zuge des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993 sei dem beabsichtigten Entlastungszweck der Gesetzesänderung nur infolge eines Redaktionsversehens nicht durch eine Erweiterung der bisher auf Vergehen begrenzten strafrichterlichen Zuständigkeit Rechnung getragen worden. Überdies greife die Revision deshalb nicht durch, da die Staatsanwaltschaft nach der Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Strafrichter nicht von ihrer Beschwerdebefugnis nach § 210 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht habe.
II) Die Revision hat jedenfalls vorläufigen Erfolg.
A. Sie ist zulässig. Dabei bedarf es keiner Erörterung der Frage, ob die Ausführungen zur Revisionsbegründung im bezug auf den geltend gemachten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 4 StPO den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen, weil die sachliche Zuständigkeit als Verfahrensvoraussetzung nach § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl.: BGHSt 44, 34, 36, und NJW 1999, 2604 m.w.N.; Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO, 15. Auflage, 12. Lieferung 1999, §§ 333 - 358 StPO, § 338 StPO Rdnr. 66).
B. Die Revision ist auch begründet.
1) Zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führende Mängel ergeben sich allerdings nicht schon aus dem Inhalt von Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss. Soweit mit der ohne sachliche Veränderung zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage dem Angeklagten tateinheitlich mit dem Vergehen gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG ein Verbrechen nach § 29 a Abs. 1 Nr. 1, Abs 2 BtMG statt § 29 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG zur Last gelegt wird, und sich diese Bezeichnung so auch in der Liste der angewendeten Vorschriften im Urteil wiederfindet, handelt es sich nach Lage der Sache um ein offenbares Fassungsversehen, dem rechtliche Bedeutung nicht zukommt.
Gleiches gilt für die bei Niederlegung des Eröffnungsbeschlusses von 16.12.1998 und dessen maschinenschriftlicher Übertragung aufgetretenen Unstimmigkeiten bei der Bezeichnung des diesen Beschluss fassenden Gerichts. Aus dem Beschlussinhalt sowie dem handschriftlich verwandten Aktenzeichen "6 Ls 37/98" (Bl 28 d.A.) ergibt sich, dass dieser als Beschluss im Sinne des § 209 Abs. 1 StPO durch den Amtsrichter in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Schöffengerichts erlassen wurde.
2 ) Das Urteil ist aber aufzuheben, weil der Strafrichter seine sachliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (§ 338 Nr. 4 StPO in Verbindung mit § 25 GVG).
a) Die Tat ist, soweit § 29 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG Anwendung gefunden hat, als Verbrechen zu qualifizieren. Die Deliktsnatur ändert sich gemäß § 12 Abs. 3 StGB auch nicht dadurch, dass hier ein minder schwerer Fall des unerlaubten Besitzes einer nicht geringen Menge des Betäubungsmittels angeklagt war. Daher war ungeachtet der Frage, welche Straferwartung bestand, das Schöffengericht für die Entscheidung zuständig (§ 24 GVG), da die Zuständigkeit des Strafrichters für die Aburteilung eines Verbrechens nicht in Betracht kommt. Er entscheidet ausschließlich bei Vergehen und zwar dann, wenn sie im Wege der Privatklage verfolgt werden oder eine höhere Strafe als 2 Jahre Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist (§ 25 GVG). Eine ausdehnende Auslegung dieser Zuständigkeitsregelung auch auf Verbrechen ohne eine höhere Straferwartung ist schon angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich (vgl. KK-Kissel, StPO, 4. Auflage 1999, § 25 GVG Rdnr 5; Pfeiffer, StPO, 2. Auflage 1999, § 25 GVG Rdnr. 1, im Ergebnis ebenso OLG Hamm - 1. Strafsenat - Urteil vom 03.05.1995 in -1 Ss 1406/94). Überdies besteht - entgegen der Ansicht der Verteidigung - auch kein Anlass für die Annahme eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers anlässlich der Neuregelung des § 25 GVG im Zuge des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993. Denn diese Änderung diente - neben der Erhöhung der Strafgewalt des Strafrichters auf zwei Jahre - auch dazu, verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die frühere Zuständigkeitsregelung des § 25 Nr. 3 GVG a.F. (Strafsache minderer Bedeutung) durch Schaffung eindeutiger Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Strafrichter und Schöffengericht Rechnung zu tragen (vgl. BT-Drucks. 12/1217, S. 46; Michel, MDR 1995, 1198, 1199, a.A: Bandemer JA 1994, 489, 491). Der vom Gesetzgeber beabsichtigten klaren Zuständigkeitsabgrenzung trägt gerade auch die Beschränkung des Strafrichters auf die Aburteilung von Vergehen Rechnung.
b) Der Verstoss gegen die sachliche Zuständigkeit führt auch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Dem steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft von ihrer Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, gegen die fehlerhafte Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Strafrichter mit der gemäss § 210 Abs. 2 StPO statthaften sofortigen Beschwerde vorzugehen. Auch aus § 336 Satz 2 StPO folgt nicht, dass hier eine nicht gegebene sachliche Zuständigkeit revisonsgerichtlich nicht überprüfbar wäre. Solches käme möglicherweise in Betracht, wenn einzig die fehlerhafte Beurteilung der Zuständigkeit im Eröffnungsbeschluss Gegenstand der Prüfung wäre (vgl. KK-Tolksdorf, a.a.O., § 209 StPO Rdnr. 17 und KK-Kuckein, a.a.O., § 336 StPO Rdnr. 12, Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage 1999, § 336 StPO Rdnr. 6). Das ist jedoch nicht der Fall. Denn die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich nur in besonderen Fällen für das gesamte weitere Verfahren aIlein nach dem Eröffnungszeitpunkt und ist dann nach Maßgabe des § 336 Satz 2 StPO jeglicher revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen. Dies ist so ausdrücklich im Bereich des Jugendstrafrechts in § 47 a JGG oder in § 6 a StPO für die Zuständigkeitsregelung der besonderen Strafkammern von Gesetzes wegen angeordnet. Es gilt ferner, wenn sich die sachliche Zuständigkeit allein nach der Einschätzung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens richtet, wie es bei den normativ geprägten Zuständigkeitsregelungen der Fall ist, die wie § 25 Nr. 2 GVG auf die Straferwartung oder wie § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG auf die besondere Bedeutung des Falles abstellen (vgl. dazu insb. BayObLG, NStZ 1985, 470).
Der vorliegende Zuständigkeitsmangel, die strafrichterliche Unzuständigkeit für die Aburteilung von Verbrechen (§ 25 GVG) unterscheidet sich von den vorgenannten Fällen jedoch grundlegend, weil sich aus der Norm nichts für eine Beschränkung der Zuständigkeitsbeurteilung auf den Eröffnungszeitpunkt ableiten lässt. Daher greift hier der Grundsatz des § 6 StPO. Danach ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, seine Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens und folglich auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens zu (über)prüfen.
Wenn sich hierbei ergibt, dass ein Gericht höherer Ordnung - wie hier das Schöffengericht (zu dieser Bewertung vgl. z.B. BGHSt 19, 177) - zuständig ist, so ist der Strafrichter verpflichtet, entweder vor Beginn der Hauptverhandlung die Akten dem höheren Gericht nach § 225 a StPO vorzulegen oder nach Beginn der Hauptverhandlung die Sache gemäß _§ 270 StPO an das Schöffengericht zu verweisen (vgl. z.B.: Pfeiffer, a.a.O., § 25 GVG Rdnr. 1).
Ein Verstoss gegen den in § 6 StPO niedergelegten Grundsatz führt nur dann nicht zur Urteilsaufhebung, wenn ein Gericht höherer Ordnung seine Zuständigkeit angenommen hat. Dann findet § 269 StPO Anwendung, wonach es nach erfolgter Eröffnung sich nicht unter Hinweis auf die sachliche Zuständigen eines Gerichtes niederer Ordnung für unzuständig erklären darf.
Für die Beurteilung ist es auch unerheblich, dass die fehlende sachliche Kompetenz des Gerichts zur Aburteilung in Fällen wie dem vorliegenden schon bei der Verfahrenseröffnung feststeht und sich nicht - wie etwa im Falle der Überschreitung der Strafgewalt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG) oder bei Fällen der ausschließlichen Zuständigkeit des Schwurgerichts außerhalb des Anwendungsbereiches des § 6 a StPO (§ 74 Abs. 2 GVG) - erst im Laufe der Verhandlung ergibt. In all diesen FälIen führt die Aburteilung eines nicht in die Strafkompetenz des jeweiligen Gerichts fallenden Tatbestandes in gleicher Weise zur Aufhebung des Urteils (vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Oldenburg NStZ-RR 1996, 240).
Eine Durchbrechung des Grundsatzes des § 6 StPO kann auch nicht mit dem Normzweck der Präklusionsvorschrift des § 336 Satz 2 StPO begründet werden. Zwar durchbrechen §§ 336 Satz 2 i.V.m.. § 210 Abs. 2 StPO in ihrem Anwendungsbereich ebenfalls den Grundsatz, dass Verstöße gegen § 6 StPO zur Aufhebung des Urteils führen (§ 338 Nr. 4 StPO). Erfasst werden davon jedoch gerade die Fälle nicht, in denen der Tatrichter verpflichtet ist, die Fehlerhaftigkeit vorausgegangener Entscheidungen im (weiteren) Hauptverfahren zu korrigieren und dies nicht getan hat. Bei diesem Unterlassen handelt es sich nämlich um einen weiteren Rechtsfehler in bezug auf die sachliche Zuständigkeit, der uneingeschränkt revisibel ist Hanack in Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 336 StPO Rdnr. 15 ; KK-Tolksdorf, a.a.O., § 209 StPO Rdnr. 17; Rieß, GA 1976, 1, 19 ff., 21). Auch aus dem Normzweck des § 336 Satz 2 StPO folgt nichts anderes. Sinn dieser Vorschrift ist es zwar, in Fällen, in denen eine frühzeitige Überprüfung der Zuständigkeitsfrage möglich ist (hier: § 210 Abs. 2 StPO), durch die Beschwerdeentscheidung oder aber durch Ablauf der Einlegungsfrist alsbald in der Sache Klarheit zu schaffen und damit eine Auswirkung auf das Urteil auszuschließen (vgl. KK-Kuckein, a.a.O., § 336 StPO Rdnr. 12). Dies gilt jedoch nur so weit, wie dem Klarstellungs- und Beschleunigungszweck der - hierzu allein berufene - Gesetzgeber durch spezielle Regelungen Rechnung getragen hat, wie dies durch §§ 336, 210 Abs. 2 StPO für den Eröffnungsbeschluß als solchen oder etwa im Sonderfall des § 47 a JGG geschehen ist. Wegen der mit der Beschränkung gerichtlicher Überprüfbarkeit einhergehenden Einschränkung von Rechtsmitteln der Verfahrensbeteiligten ist eine weitergehende Einschränkung der Anfechtungsbefugnis durch ausdehnende Interpretation des Wortlautes von § 336 i.V.m. § 210 StPO auf Fälle wie den vorliegenden daher abzulehnen. Auch für die Rechtsmittelbefugnisse der Staatsanwaltschaft bei einer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gilt nichts anderes.
3) Der hier zu Tage getretene Fehler - Fortführung des Verfahrens vor dem Strafrichter und Verurteilung des Angeklagten durch ihn trotz fehlender sachlicher Zuständigkeit für die Aburteilung eines Verbrechens - zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und gemäß § 355 StPO zur Zurückverweisung der Sache an das Schöffengericht bei dem Amtsgericht Borken. Dieses hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden, da der Erfolg des Rechtsmittels nicht abschließend feststeht.


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