Aktenzeichen: 2 Ws 339/99 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Haftbeschwerde, neugefaßter Haftbefehl
durch Senat, Wiederinvollzugsetzung, Invollzugsetzung
Normen: StPO 116 Abs. 4
Beschluss:
Strafsache gegen A.: I.A.,
wegen versuchten Mordes u.a., (hier:
Haftbeschwerde).
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen vom 22.10.1999 gegen den Beschluss der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Hagen vom 20.10.1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben und der
Haftbefehl dahingehend neu gefasst, dass der Angeschuldigte dringend
verdächtig ist, am 01.07.1999 in Hagen als Heranwachsender
gemeinschaftlich durch zwei selbständige Handlungen
1.
tateinheitlich
a) versucht zu haben, einen anderen Menschen
heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln zu töten,
b)
versucht zu haben, ein Gebäude, das zur Wohnung von Menschen dient, in
Brand zu setzen,
c) rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt zu
haben,
d) entgegen § 37 Abs. 1 Nr. 7 des WaffG einen dort bezeichneten
Gegenstand hergestellt und die tatsächliche Gewalt über ihn
ausgeübt zu haben,
2. ebenfalls tateinheitlich
a) versucht zu
haben, ein Gebäude in Brand zu setzen,
b) rechtswidrig eine fremde
Sache beschädigt zu haben,
c) entgegen § 37 Abs. 1 Nr. 7 des
WaffG einen dort bezeichneten Gegenstand hergestellt und die tatsächliche
Gewalt über ihn ausgeübt zu haben.
Die im angefochtenen Beschluss
angeordnete Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls wird aufgehoben und
entfällt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit
entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse trägt der
Angeschuldigte.
Gründe: Der Angeschuldigte befand sich aufgrund des
Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 02.07.1999 (66 Gs 876/99) von diesem Tag
an in Untersuchungshaft. Mit diesem Haftbefehl, auf den im übrigen wegen
der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde dem Angeschuldigten zur Last
gelegt, am 01.07.1999
1. tateinheitlich eine versuchte schwere
Brandstiftung und eine Sachbeschädigung begangen sowie entgegen § 37
Abs. 1 Nr. 7 WaffG einen dort bezeichneten Gegenstand hergestellt und die
tatsächliche Gewalt über ihn ausgeübt zu haben und
2.
ebenfalls tateinheitlich eine weitere versuchte Brandstiftung, eine weitere
Sachbeschädigung sowie einen weiteren zuvor genannten Verstoß gegen
das Waffengesetz begangen zu haben.
Der Angeschuldigte soll,
gemeinschaftlich handelnd, durch zwei selbständige Handlungen versucht
haben, mittels zuvor hergestellter sogenannter Molotow-Cocktails die
Gebäude E. Straße 169 und P. Straße 22 in Hagen in Brand zu
setzen, wobei das erstgenannte Gebäude auch zur Wohnung von Menschen
diente und sich in dem Haus zur Tatzeit etwa 30 Menschen schlafend befanden.
Die rechtliche Einordnung der unter 1 genannten Tat auch als versuchten
Mord hat das Amtsgericht verneint.
Mit der unter dem 03.09.1999 erhobenen
Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten diese Taten zur Last,
wobei sie den Brandanschlag auf das Haus E. Straße 169 auch als
tateinheitlich begangenen versuchten Mord gemäß §§ 211, 23
StGB wertet.
Die zuständige Jugendkammer des Landgerichts hat am
20.10.1999 eine mündliche Haftprüfung durchgeführt und aufgrund
des Ergebnisses dieser Haftprüfung, in der sich der Angeschuldigte
erstmals durch seinen jetzigen Verteidiger jedenfalls zum Teil geständig
zur Sache eingelassen hat, den Haftbefehl dahin abgeändert, dass der
Angeschuldigte lediglich hinsichtlich des Anschlags auf das Haus E.
Straße 169 einer tateinheitlich begangenen Beihilfe zur versuchten
schweren Brandstiftung und eines Verstoßes gegen § 37 Abs. 1 Nr. 7
des Waffengesetzes (lediglich in Form der Ausübung der tatsächlichen
Gewalt über einen dort bezeichneten Gegenstand) dringend verdächtig
ist.
Diesen - geänderten - Haftbefehl hat die Jugendkammer bei Annahme
des Haftgrundes der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegen
Hinterlegung einer Sicherheitsleistung von 5.000,- DM außer Vollzug
gesetzt.
Nachdem der Angeschuldigte noch am 20.10.1999 die Kaution
eingezahlt hat, wurde er an diesem Tag aus der Haft entlassen.
Gegen diesen
Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen, die den
Erlass eines Haftbefehls im Umfang des Anklagevorwurfs sowie den Wegfall der
Haftverschonung erstrebt.
Die Jugendkammer hat durch Beschluss vom
04.11.1999 der Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Anklageschrift sowie auf den angefochtenen Beschluss und den
Nichtabhilfebeschluss, die dem Angeschuldigten bekannt sind, Bezug genommen.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Beschwerde, der die
Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, u.a. wie folgt begründet:
"Zu Unrecht geht das Gericht davon aus, daß der Angeschuldigte A
lediglich der Beihilfe zu einer vorsätzlich begangenen versuchten schweren
Brandstiftung gem. § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit einem
Vergehen gem. § 37 Abs. 1 Nr. 7 des Waffengesetzes dringend
verdächtig sei.
Der Angeschuldigte ist vielmehr auch unter
Berücksichtigung seiner im Haftprüfungstermin vom 20.10.1999
abgegebenen schriftlichen Einlassung der ihm in der Anklageschrift zur Last
gelegten Taten entsprechend der dort vorgenommenen rechtlichen Würdigung
dringend verdächtig.
Soweit der Angeschuldigte sich dahin eingelassen
hat, er sei an der Herstellung der Brandsätze nicht beteiligt gewesen,
vielmehr habe er bei seinem Wiedereintreffen in seiner Wohnung gegen 22.00 Uhr
ihm nur flüchtig bekannte Personen vorgefunden, die etwas gebastelt
hätten, muß diese Einlassung als Schutzbehauptung gewertet werden.
Die Angaben des Angeschuldigten sind unglaubhaft und nicht nachvollziehbar.
Er läßt offen, auf welche Weise und aus welchen Gründen die ihm
angeblich nur oberflächlich bekannten Personen in seine Wohnung gelangt
sind, um dort Molotow-Cocktails herzustellen. Nicht nachvollziehbar nach der
Einlassung des Angeschuldigten ist, daß sich die von ihm benannten
Täter in die Wohnung des ihnen nur flüchtig bekannten und in den
Tatplan angeblich nicht eingeweihten Angeschuldigten begeben haben, um dort
bereits durch die Herstellung der Molotow-Cocktails eine Straftat zu begehen
und weitere gravierende Straftaten vorzubereiten. Legt man diese Einlassung des
Angeschuldigten zugrunde, hätten die dem Angeschuldigten angeblich nicht
näher bekannten Täter im günstigsten Fall damit rechnen
müssen, von diesem aus der Wohnung gewiesen zu werden und darüber
hinaus mit der Aufdeckung ihrer bereits begangenen und noch geplanten
Straftaten rechnen müssen. Eine plausible Erklärung, aus welchen
Gründen sich die Täter ausgerechnet seine Wohnung zur Herstellung der
Brandsätze ausgesucht haben, enthält die schriftliche Einlassung des
Angeschuldigten A nicht.
Ebenso unverständlich ist, daß der
Angeschuldigte die ihm angeblich nur flüchtig bekannten Personen in seiner
Wohnung zurückgelassen und sich angeblich zum Kiosk des Onkels begeben
hat, ohne sich um das Geschehen in seiner Wohnung weiter zu kümmern.
Daß weitere, ihm bekannte Personen sich in der Wohnung aufhielten, ist
der Einlassung des Angeschuldigten nicht zu entnehmen.
Vielmehr spricht
nach dem Ergebnis der Ermittlungen alles dafür, daß der
Angeschuldigte A an der Herstellung der Brandsätze, die später an den
Tatorten P.str. 22 und E. Str. 169 eingesetzt worden sind, selbst beteiligt
war. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Angeschuldigte
offenkundig ein fanatischer Anhänger des kurze Zeit vor Ausführung
der Taten zum Tode verurteilten PKK-Führers Ö. ist. So wurde bei der
Durchsuchung der von den Angeschuldigten I und A bewohnten Wohnung neben
Propagandamaterial der PKK und Bildern Ö. auch ein Fotoalbum aufgefunden,
in dem sich eine Vielzahl von Fotos des Angeschuldigten I.A. befinden, die ihn
bei der Teilnahme an zugunsten der PKK durchgeführten Demonstrationen
zeigen. Auf einem dieser Bilder posiert der Angeschuldigte mit einer Pistole in
der Hand vor PKK-Fahnen. Der Angeschuldigte I. A. ist im übrigen bereits
wegen eines am 11.06.1997 begangenen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz -
Verkleben von Plakaten der ERNK - durch Urteil des Amtsgerichts Hagen vom
31.03.1998 mit einer richterlichen Weisung belegt worden. Darüber hinaus
wurden die zur Durchführung der Brandanschläge verwandten
Molotow-Cocktails unstreitig in der Wohnung des Angeschuldigten gefertigt. Die
nicht benötigten Materialien, aus denen die Brandsätze gefertigt
wurden, wurden in der Wohnung zurückgelassen. Unter Berücksichtigung
dieser Tatsachen sowie der Feststellung, daß die Einlassung des
Angeschuldigten A. aus den vorgenannten Gründen als unglaubhaft und nicht
nachvollziehbar gesehen werden muß, stehen dringende Gründe für
die Annahme, daß der Angeschuldigte an der Herstellung der
Brandsätze selbst beteiligt war und im übrigen - unstreitig - seine
Wohnung zur Herstellung der Brandsätze zur Verfügung gestellt hat.
Für eine Beteiligung an der Herstellung der Molotow-Cocktails spricht im
übrigen auch sein weiteres - von ihm selbst eingeräumte - Verhalten.
Der Angeschuldigte ist geständig, in Kenntnis des beabsichtigten
Brandanschlages die von ihm benannten Personen zum Tatort gefahren zu haben.
Nicht glaubhaft sind jedoch seine Angaben, er sei erst vor dem Hause von den
Tätern angesprochen worden. Selbst nach der Einlassung des Angeschuldigten
ist davon auszugehen, daß die Molotow-Cocktails in der Nacht zum
01.07.1999 hergestellt worden sind, um diese anschließend für einen
Brandanschlag auf ein bereits ausgewähltes Objekt anzusetzen. Dies ergibt
sich bereits aus seinen Angaben, wonach zielgerichtet der Tatort E.
Straße 169 angefahren worden ist. Nach Einlassung des Angeschuldigten
hätten die zielgerichtet vorgehenden Täter einen der wichtigsten
Umstände zur Durchführung ihres Planes außer Acht gelassen. Zur
Verwirklichung des Tatplanes und der anschließenden Flucht war es
unbedingt notwendig, ein Fahrzeug und einen Fahrer zur Verfügung zu haben.
Da - so die Einlassung des Angeschuldigten - dieser weder in den Tatplan
eingeweiht war noch zu erkennen gegeben hat, daß er das Vorgehen billigt,
wäre nach der Einlassung des Angeschuldigten völlig offen, auf welche
Weise die Täter zum Tatort hätten gelangen können.
Unterstellt man jedoch, daß der Angeschuldigte in den Tatplan
eingeweiht war und an der Herstellung der Brandsätze beteiligt war,
fügt sich das von ihm selbst eingestandene Verhalten schlüssig in den
in der Anklageschrift dargestellten Tathergang ein.
Der Angeschuldigte ist
daher als Mittäter und nicht als Gehilfe anzusehen. Im übrigen
enthält der Beschluß des Landgerichts Hagen vom 20.10.1999 keine
Begründung dafür, weshalb der Angeschuldigte, obwohl er einen
wesentlichen Tatbeitrag leistete (er stellte sein Fahrzeug und sich selbst als
Fahrer zur Tatausführung zur Verfügung, wartete mit laufendem Motor
während der Ausführung der Tat und ermöglichte den Tätern
die Flucht) keine Tatherrschaft hatte und weshalb er angesichts der Tatsache,
daß er nach dem Ergebnis der Ermittlungen selbst als fanatischer
PKK-Anhänger anzusehen ist, die Tat nicht als eigene gewollt hat.
...
Entgegen den Ausführungen in dem Beschluß vom 20.10.1999 ist der
Angeschuldigte nicht nur dringend verdächtig, sich einer gemeinschaftlich
versuchten schweren Brandstiftung in Tateinheit mit einem Vergehen
gemäß § 37 WaffG schuldig gemacht zu haben, sondern
darüber hinaus auch des versuchten Mordes.
Bei dem im Eigentum des
türkischen Zeugen R.Ö. und seines Bruders stehenden Hauses E. Str.
169 handelt es sich um ein um die Jahrhundertwende massiv aus Stein errichtetes
drei-stöckiges Reihenwohn- und Geschäftshaus. Im Erdgeschoß
dieses Gebäudes befinden sich Geschäftslokale, in denen der Zeuge
Ö. ein Einzelhandelsgeschäft sowie ein Reisebüro betreibt.
Über den Geschäftsräumen befinden sich mehrere Mietwohnungen, in
denen sich in der Nacht vom 30.06. zum 01.07.1999 22 Personen aufhielten. Die
Brandsätze wurden in die im Erdgeschoß gelegenen
Geschäftsräume geschleudert. Nur durch glückliche Umstände
- der Anschlag wurde von einem Nachbarn zufällig bemerkt und der Feuerwehr
bzw. der Polizei unmittelbar mitgeteilt - konnte Personenschaden vermieden
werden. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 42.500,00 DM. Falls
sich der Brand unbemerkt von den in den darüberliegenden Wohnungen
schlafenden Mietern hätte entwickeln und ausbreiten können,
hätte er solche Ausmaße annehmen können, daß eine Flucht
vor dem Feuer nicht mehr möglich gewesen wäre.
Der Angeschuldigte
hat diese Folgen zumindest billigend in Kauf genommen.
Bedingt
vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt
des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht als ganz fernliegend
erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich über des erstrebten
Zieles wegen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet.
Nach
ständiger Rechtsprechung des BGH liegt es bei äußerst
gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter mit der
Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs rechnet. Bei
Brandanschlägen auf ein von Menschen bewohntes Gebäude unter Einsatz
von Brandflaschen ist eine Lebensgefahr der Bewohner, mithin ein bedingter
Tötungsvorsatz der an dem Brandanschlag beteiligten Personen kaum je von
vornherein auszuschließen (vgl. insoweit Urteil des BGH vom 07.06.1994
StV 12/94 S. 654). In vorliegendem Fall sollten die im Erdgeschoß
gelegenen Geschäftsräume in Brand gesetzt werden mit der
möglichen Folge, daß durch den sich ausbreitenden Brand im
Erdgeschoß den Mietern eine Flucht aus dem brennenden Haus unmöglich
werden konnte. Dem Angeschuldigten, der nach eigenem Eingeständnis seine
Mittäter mit seinem PKW in unmittelbare Nähe des Tatortes gefahren
und dort mit laufendem Motor gewartet hat, waren die näheren Umstände
der Tat bekannt. Er hat sich zumindest um des erstrebten Zieles willen mit der
Tatbestandsverwirklichung abgefunden. Anhaltspunkte dafür, daß der
Angeschuldigte die Lebensgefährlichkeit des Vorgehens nicht erkannt haben
könnte, sind nicht ersichtlich. Weder liegen Anhaltspunkte für eine
Spontantat vor (vielmehr ist von einem geplanten, zielgerichteten Vorgehen
auszugehen), noch sind irgendwelche psychischen Beeinträchtigungen
erkennbar, die eine realistische Einschätzung der Gefahrensituation
hätten beeinträchtigen können."
Dieser Einschätzung
tritt der Senat bei, zumal sich insbesondere auch aus dem Zusammenwirken
sämtlicher Beweisanzeichen der dringende Tatverdacht ergibt.
Nicht
jede Einlassung eines Beschuldigten, zumal wenn sie - wie vorliegend -
ersichtlich an den ohnehin objektiv nachweisbaren Tatsachen orientiert ist, im
übrigen aber eher fernliegend und lebensfremd erscheint, ist geeignet,
einen ansonsten bestehenden dringenden Tatverdacht zu verneinen. Es ist auch
für die Beurteilung der Frage des dringenden Tatverdachts bezüglich
des Vorliegens eines bestimmten Sachverhalts nicht eine absolute, von niemandem
anzweifelbare Gewissheit erforderlich. Es reicht aus, wenn eine große
Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte eine bestimmte
Straftat begangen hat. Auch insoweit genügt vielmehr ein sich aus der
Gesamtheit der Beweismittel ergebendes und nach der Lebenserfahrung
ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht
aufkommen lässt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu
bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die
Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit
gründen (vgl. BGHR, StPO § 261, Beweiswürdigung 5;
KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 261 Rdnr. 3 f, jeweils für den auf
die vorliegend zu entscheidende Frage übertragbaren Fall der
Überzeugungsbildung des Richters bei der endgültigen Entscheidung
über den Schuldspruch nach Durchführung der Hauptverhandlung).
Dieser eher theoretischen Natur sind die Gesichtspunkte, die die
Jugendkammer ihrer Nichtabhilfeentscheidung vom 04.11.1999 zugrunde gelegt hat.
Gerade auch die von der Jugendkammer selbst zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 21.09.1993 (BGHR, StGB § 212 Abs. 1, Vorsatz,
bedingter 36) belegt bei der vorliegenden Beweislage aufgrund des bisherigen
Ermittlungsergebnisses den dringenden Tatverdacht bezüglich eines mit
bedingtem Vorsatz begangenen versuchten Mordes.
Auch wenn nach dem bisher
bekannt gewordenen Ermittlungsergebnis, das insoweit jedoch noch eingehender
Aufklärung in der Hauptverhandlung zu diesem Punkt bedarf, ausgeschlossen
werden kann, dass es dem Angeschuldigten und seinen Mittätern zeitlich
nicht möglich war, auch den Tatort P. Straße 22 nach Verübung
des Brandanschlages auf das Haus E. Straße 169 zu erreichen, ist der
Angeschuldigte dringend verdächtig, sich auch an dieser Tat als
Mittäter beteiligt zu haben. Da davon auszugehen ist, dass die
Brandsätze an beiden Tatorten aus identischen Materialien gefertigt worden
sind, sprechen auch aus den o.g. Gesichtspunkten dringende Gründe für
die Annahme, dass der Angeschuldigte auch an der Herstellung des
Molotow-Cocktails, der für den Brandanschlag auf das Haus P. Straße
22 verwandt wurde, beteiligt war. Aus den genannten Umständen lassen sich
vielmehr insoweit Hinweise darauf entnehmen, dass nach der Herstellung der
Brandsätze in Absprache der Beteiligten möglichst zeitgleich mehrere
Anschläge an verschiedenen Orten verübt werden sollten. Gerade dieser
Umstand aber ist ein Hinweis darauf, dass der Angeschuldigte maßgeblich
an der Planung in seiner Wohnung und der Durchführung der Anschläge
beteiligt war.
Es besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Zudem
ist nach den Umständen des Falles nicht auszuschließen, dass sich
der Angeschuldigte dem weiteren Verfahren durch Flucht entzieht, würde er
weiterhin in Freiheit verbleiben. Haben bereits das Amtsgericht und die
Jugendkammer mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, den
Haftgrund der Fluchtgefahr bejaht, so gilt dies umso mehr, als durch den
vorliegenden Beschluss dem Angeschuldigten ein noch schwererer Schuldvorwurf
gemacht wird, so dass es unter diesen geänderten Gesichtspunkten auch
nicht bei der vom Landgericht noch für ausreichend erachteten milderen
Maßnahme der Haftverschonung bei Zahlung der eher geringen
Sicherheitsleistung von nur 5.000,- DM verbleiben kann. Auch andere
Maßnahmen i.S.d. § 116 Abs. 4 StPO erscheinen nicht geeignet, vom
Vollzug der Untersuchungshaft abzusehen. Dies gilt auch unter
Berücksichtigung des Umstands, dass sich der Angeschuldigte am Tag nach
den Taten mit seinem früheren Verteidiger bei der Polizei gemeldet hat.
Bei dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob daneben der noch vom
Amtsgericht ebenfalls angenommene Haftgrund der Verdunkelungsgefahr besteht
oder nicht auszuschließen ist, dass der Angeschuldigte künftig
Verdunkelungshandlungen vornehmen wird.
Nach alledem war der angefochtene
Beschluss wie geschehen abzuändern.
Der Senat als Beschwerdegericht
war auch zur Änderung des Umfangs der dem Angeschuldigten zur Last
gelegten Taten und zu deren rechtlicher Würdigung berechtigt, da in jeder
Lage des Verfahrens die Tatvorwürfe und die Haftgründe zu
überprüfen, ggf. zu ergänzen und auszuwechseln sind (vgl.
Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 114 Rdnr. 47; KK-Boujong,
a.a.O., § 117 Rdnr. 11).
Da sich das Verfahren nicht mehr im
Ermittlungsstadium befindet, zudem zuvor ein den Anforderungen des § 114
StPO entsprechender Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen bestanden hat und ein
schwerwiegender Verfahrensmangel nicht vorliegt, unterscheidet sich der
vorliegende Fall schon von den Grundlagen her von demjenigen Sachverhalt, der
dem Senatsbeschluss vom 25.10.1999 in 2 Ws 314/99 zugrunde gelegen hat und in
welchem der Senat dargelegt hat, dass der Erlass eines
ordnungsgemäßen Haftbefehls im Ermittlungsverfahren, in dem sich der
Beschuldigte nicht in Haft befindet, dem zuständigen Amtsgericht
vorbehalten bleiben muss.
Im Hinblick auf §§ 33 Abs. 4, 308 Abs.
1 StPO hat der Senat von einer Anhörung des Angeschuldigten vor Erlass der
vorliegenden Entscheidung abgesehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus
entsprechender Anwendung der §§ 465, 473 StPO.
zur Startseite "Rechtsprechung"
zum SuchformularDie Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".