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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 339/99 OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbeschwerde, neugefaßter Haftbefehl durch Senat, Wiederinvollzugsetzung, Invollzugsetzung

Normen: StPO 116 Abs. 4

Beschluss: Strafsache gegen A.: I.A.,
wegen versuchten Mordes u.a., (hier: Haftbeschwerde).

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen vom 22.10.1999 gegen den Beschluss der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Hagen vom 20.10.1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben und der Haftbefehl dahingehend neu gefasst, dass der Angeschuldigte dringend verdächtig ist, am 01.07.1999 in Hagen als Heranwachsender
gemeinschaftlich durch zwei selbständige Handlungen
1. tateinheitlich
a) versucht zu haben, einen anderen Menschen heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln zu töten,
b) versucht zu haben, ein Gebäude, das zur Wohnung von Menschen dient, in Brand zu setzen,
c) rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt zu haben,
d) entgegen § 37 Abs. 1 Nr. 7 des WaffG einen dort bezeichneten Gegenstand hergestellt und die tatsächliche Gewalt über ihn ausgeübt zu haben,
2. ebenfalls tateinheitlich
a) versucht zu haben, ein Gebäude in Brand zu setzen,
b) rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt zu haben,
c) entgegen § 37 Abs. 1 Nr. 7 des WaffG einen dort bezeichneten Gegenstand hergestellt und die tatsächliche Gewalt über ihn ausgeübt zu haben.
Die im angefochtenen Beschluss angeordnete Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls wird aufgehoben und entfällt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse trägt der Angeschuldigte.

Gründe: Der Angeschuldigte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 02.07.1999 (66 Gs 876/99) von diesem Tag an in Untersuchungshaft. Mit diesem Haftbefehl, auf den im übrigen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde dem Angeschuldigten zur Last gelegt, am 01.07.1999
1. tateinheitlich eine versuchte schwere Brandstiftung und eine Sachbeschädigung begangen sowie entgegen § 37 Abs. 1 Nr. 7 WaffG einen dort bezeichneten Gegenstand hergestellt und die tatsächliche Gewalt über ihn ausgeübt zu haben und
2. ebenfalls tateinheitlich eine weitere versuchte Brandstiftung, eine weitere Sachbeschädigung sowie einen weiteren zuvor genannten Verstoß gegen das Waffengesetz begangen zu haben.
Der Angeschuldigte soll, gemeinschaftlich handelnd, durch zwei selbständige Handlungen versucht haben, mittels zuvor hergestellter sogenannter Molotow-Cocktails die Gebäude E. Straße 169 und P. Straße 22 in Hagen in Brand zu setzen, wobei das erstgenannte Gebäude auch zur Wohnung von Menschen diente und sich in dem Haus zur Tatzeit etwa 30 Menschen schlafend befanden.
Die rechtliche Einordnung der unter 1 genannten Tat auch als versuchten Mord hat das Amtsgericht verneint.
Mit der unter dem 03.09.1999 erhobenen Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten diese Taten zur Last, wobei sie den Brandanschlag auf das Haus E. Straße 169 auch als tateinheitlich begangenen versuchten Mord gemäß §§ 211, 23 StGB wertet.
Die zuständige Jugendkammer des Landgerichts hat am 20.10.1999 eine mündliche Haftprüfung durchgeführt und aufgrund des Ergebnisses dieser Haftprüfung, in der sich der Angeschuldigte erstmals durch seinen jetzigen Verteidiger jedenfalls zum Teil geständig zur Sache eingelassen hat, den Haftbefehl dahin abgeändert, dass der Angeschuldigte lediglich hinsichtlich des Anschlags auf das Haus E. Straße 169 einer tateinheitlich begangenen Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung und eines Verstoßes gegen § 37 Abs. 1 Nr. 7 des Waffengesetzes (lediglich in Form der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über einen dort bezeichneten Gegenstand) dringend verdächtig ist.
Diesen - geänderten - Haftbefehl hat die Jugendkammer bei Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung von 5.000,- DM außer Vollzug gesetzt.
Nachdem der Angeschuldigte noch am 20.10.1999 die Kaution eingezahlt hat, wurde er an diesem Tag aus der Haft entlassen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen, die den Erlass eines Haftbefehls im Umfang des Anklagevorwurfs sowie den Wegfall der Haftverschonung erstrebt.
Die Jugendkammer hat durch Beschluss vom 04.11.1999 der Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift sowie auf den angefochtenen Beschluss und den Nichtabhilfebeschluss, die dem Angeschuldigten bekannt sind, Bezug genommen.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Beschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, u.a. wie folgt begründet:
"Zu Unrecht geht das Gericht davon aus, daß der Angeschuldigte A lediglich der Beihilfe zu einer vorsätzlich begangenen versuchten schweren Brandstiftung gem. § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit einem Vergehen gem. § 37 Abs. 1 Nr. 7 des Waffengesetzes dringend verdächtig sei.
Der Angeschuldigte ist vielmehr auch unter Berücksichtigung seiner im Haftprüfungstermin vom 20.10.1999 abgegebenen schriftlichen Einlassung der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten entsprechend der dort vorgenommenen rechtlichen Würdigung dringend verdächtig.
Soweit der Angeschuldigte sich dahin eingelassen hat, er sei an der Herstellung der Brandsätze nicht beteiligt gewesen, vielmehr habe er bei seinem Wiedereintreffen in seiner Wohnung gegen 22.00 Uhr ihm nur flüchtig bekannte Personen vorgefunden, die etwas gebastelt hätten, muß diese Einlassung als Schutzbehauptung gewertet werden.
Die Angaben des Angeschuldigten sind unglaubhaft und nicht nachvollziehbar. Er läßt offen, auf welche Weise und aus welchen Gründen die ihm angeblich nur oberflächlich bekannten Personen in seine Wohnung gelangt sind, um dort Molotow-Cocktails herzustellen. Nicht nachvollziehbar nach der Einlassung des Angeschuldigten ist, daß sich die von ihm benannten Täter in die Wohnung des ihnen nur flüchtig bekannten und in den Tatplan angeblich nicht eingeweihten Angeschuldigten begeben haben, um dort bereits durch die Herstellung der Molotow-Cocktails eine Straftat zu begehen und weitere gravierende Straftaten vorzubereiten. Legt man diese Einlassung des Angeschuldigten zugrunde, hätten die dem Angeschuldigten angeblich nicht näher bekannten Täter im günstigsten Fall damit rechnen müssen, von diesem aus der Wohnung gewiesen zu werden und darüber hinaus mit der Aufdeckung ihrer bereits begangenen und noch geplanten Straftaten rechnen müssen. Eine plausible Erklärung, aus welchen Gründen sich die Täter ausgerechnet seine Wohnung zur Herstellung der Brandsätze ausgesucht haben, enthält die schriftliche Einlassung des Angeschuldigten A nicht.
Ebenso unverständlich ist, daß der Angeschuldigte die ihm angeblich nur flüchtig bekannten Personen in seiner Wohnung zurückgelassen und sich angeblich zum Kiosk des Onkels begeben hat, ohne sich um das Geschehen in seiner Wohnung weiter zu kümmern. Daß weitere, ihm bekannte Personen sich in der Wohnung aufhielten, ist der Einlassung des Angeschuldigten nicht zu entnehmen.
Vielmehr spricht nach dem Ergebnis der Ermittlungen alles dafür, daß der Angeschuldigte A an der Herstellung der Brandsätze, die später an den Tatorten P.str. 22 und E. Str. 169 eingesetzt worden sind, selbst beteiligt war. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Angeschuldigte offenkundig ein fanatischer Anhänger des kurze Zeit vor Ausführung der Taten zum Tode verurteilten PKK-Führers Ö. ist. So wurde bei der Durchsuchung der von den Angeschuldigten I und A bewohnten Wohnung neben Propagandamaterial der PKK und Bildern Ö. auch ein Fotoalbum aufgefunden, in dem sich eine Vielzahl von Fotos des Angeschuldigten I.A. befinden, die ihn bei der Teilnahme an zugunsten der PKK durchgeführten Demonstrationen zeigen. Auf einem dieser Bilder posiert der Angeschuldigte mit einer Pistole in der Hand vor PKK-Fahnen. Der Angeschuldigte I. A. ist im übrigen bereits wegen eines am 11.06.1997 begangenen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz - Verkleben von Plakaten der ERNK - durch Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 31.03.1998 mit einer richterlichen Weisung belegt worden. Darüber hinaus wurden die zur Durchführung der Brandanschläge verwandten Molotow-Cocktails unstreitig in der Wohnung des Angeschuldigten gefertigt. Die nicht benötigten Materialien, aus denen die Brandsätze gefertigt wurden, wurden in der Wohnung zurückgelassen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen sowie der Feststellung, daß die Einlassung des Angeschuldigten A. aus den vorgenannten Gründen als unglaubhaft und nicht nachvollziehbar gesehen werden muß, stehen dringende Gründe für die Annahme, daß der Angeschuldigte an der Herstellung der Brandsätze selbst beteiligt war und im übrigen - unstreitig - seine Wohnung zur Herstellung der Brandsätze zur Verfügung gestellt hat. Für eine Beteiligung an der Herstellung der Molotow-Cocktails spricht im übrigen auch sein weiteres - von ihm selbst eingeräumte - Verhalten. Der Angeschuldigte ist geständig, in Kenntnis des beabsichtigten Brandanschlages die von ihm benannten Personen zum Tatort gefahren zu haben. Nicht glaubhaft sind jedoch seine Angaben, er sei erst vor dem Hause von den Tätern angesprochen worden. Selbst nach der Einlassung des Angeschuldigten ist davon auszugehen, daß die Molotow-Cocktails in der Nacht zum 01.07.1999 hergestellt worden sind, um diese anschließend für einen Brandanschlag auf ein bereits ausgewähltes Objekt anzusetzen. Dies ergibt sich bereits aus seinen Angaben, wonach zielgerichtet der Tatort E. Straße 169 angefahren worden ist. Nach Einlassung des Angeschuldigten hätten die zielgerichtet vorgehenden Täter einen der wichtigsten Umstände zur Durchführung ihres Planes außer Acht gelassen. Zur Verwirklichung des Tatplanes und der anschließenden Flucht war es unbedingt notwendig, ein Fahrzeug und einen Fahrer zur Verfügung zu haben. Da - so die Einlassung des Angeschuldigten - dieser weder in den Tatplan eingeweiht war noch zu erkennen gegeben hat, daß er das Vorgehen billigt, wäre nach der Einlassung des Angeschuldigten völlig offen, auf welche Weise die Täter zum Tatort hätten gelangen können.
Unterstellt man jedoch, daß der Angeschuldigte in den Tatplan eingeweiht war und an der Herstellung der Brandsätze beteiligt war, fügt sich das von ihm selbst eingestandene Verhalten schlüssig in den in der Anklageschrift dargestellten Tathergang ein.
Der Angeschuldigte ist daher als Mittäter und nicht als Gehilfe anzusehen. Im übrigen enthält der Beschluß des Landgerichts Hagen vom 20.10.1999 keine Begründung dafür, weshalb der Angeschuldigte, obwohl er einen wesentlichen Tatbeitrag leistete (er stellte sein Fahrzeug und sich selbst als Fahrer zur Tatausführung zur Verfügung, wartete mit laufendem Motor während der Ausführung der Tat und ermöglichte den Tätern die Flucht) keine Tatherrschaft hatte und weshalb er angesichts der Tatsache, daß er nach dem Ergebnis der Ermittlungen selbst als fanatischer PKK-Anhänger anzusehen ist, die Tat nicht als eigene gewollt hat.
...
Entgegen den Ausführungen in dem Beschluß vom 20.10.1999 ist der Angeschuldigte nicht nur dringend verdächtig, sich einer gemeinschaftlich versuchten schweren Brandstiftung in Tateinheit mit einem Vergehen gemäß § 37 WaffG schuldig gemacht zu haben, sondern darüber hinaus auch des versuchten Mordes.
Bei dem im Eigentum des türkischen Zeugen R.Ö. und seines Bruders stehenden Hauses E. Str. 169 handelt es sich um ein um die Jahrhundertwende massiv aus Stein errichtetes drei-stöckiges Reihenwohn- und Geschäftshaus. Im Erdgeschoß dieses Gebäudes befinden sich Geschäftslokale, in denen der Zeuge Ö. ein Einzelhandelsgeschäft sowie ein Reisebüro betreibt. Über den Geschäftsräumen befinden sich mehrere Mietwohnungen, in denen sich in der Nacht vom 30.06. zum 01.07.1999 22 Personen aufhielten. Die Brandsätze wurden in die im Erdgeschoß gelegenen Geschäftsräume geschleudert. Nur durch glückliche Umstände - der Anschlag wurde von einem Nachbarn zufällig bemerkt und der Feuerwehr bzw. der Polizei unmittelbar mitgeteilt - konnte Personenschaden vermieden werden. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 42.500,00 DM. Falls sich der Brand unbemerkt von den in den darüberliegenden Wohnungen schlafenden Mietern hätte entwickeln und ausbreiten können, hätte er solche Ausmaße annehmen können, daß eine Flucht vor dem Feuer nicht mehr möglich gewesen wäre.
Der Angeschuldigte hat diese Folgen zumindest billigend in Kauf genommen.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht als ganz fernliegend erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich über des erstrebten Zieles wegen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs rechnet. Bei Brandanschlägen auf ein von Menschen bewohntes Gebäude unter Einsatz von Brandflaschen ist eine Lebensgefahr der Bewohner, mithin ein bedingter Tötungsvorsatz der an dem Brandanschlag beteiligten Personen kaum je von vornherein auszuschließen (vgl. insoweit Urteil des BGH vom 07.06.1994 StV 12/94 S. 654). In vorliegendem Fall sollten die im Erdgeschoß gelegenen Geschäftsräume in Brand gesetzt werden mit der möglichen Folge, daß durch den sich ausbreitenden Brand im Erdgeschoß den Mietern eine Flucht aus dem brennenden Haus unmöglich werden konnte. Dem Angeschuldigten, der nach eigenem Eingeständnis seine Mittäter mit seinem PKW in unmittelbare Nähe des Tatortes gefahren und dort mit laufendem Motor gewartet hat, waren die näheren Umstände der Tat bekannt. Er hat sich zumindest um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abgefunden. Anhaltspunkte dafür, daß der Angeschuldigte die Lebensgefährlichkeit des Vorgehens nicht erkannt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Weder liegen Anhaltspunkte für eine Spontantat vor (vielmehr ist von einem geplanten, zielgerichteten Vorgehen auszugehen), noch sind irgendwelche psychischen Beeinträchtigungen erkennbar, die eine realistische Einschätzung der Gefahrensituation hätten beeinträchtigen können."
Dieser Einschätzung tritt der Senat bei, zumal sich insbesondere auch aus dem Zusammenwirken sämtlicher Beweisanzeichen der dringende Tatverdacht ergibt.
Nicht jede Einlassung eines Beschuldigten, zumal wenn sie - wie vorliegend - ersichtlich an den ohnehin objektiv nachweisbaren Tatsachen orientiert ist, im übrigen aber eher fernliegend und lebensfremd erscheint, ist geeignet, einen ansonsten bestehenden dringenden Tatverdacht zu verneinen. Es ist auch für die Beurteilung der Frage des dringenden Tatverdachts bezüglich des Vorliegens eines bestimmten Sachverhalts nicht eine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit erforderlich. Es reicht aus, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte eine bestimmte Straftat begangen hat. Auch insoweit genügt vielmehr ein sich aus der Gesamtheit der Beweismittel ergebendes und nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. BGHR, StPO § 261, Beweiswürdigung 5; KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 261 Rdnr. 3 f, jeweils für den auf die vorliegend zu entscheidende Frage übertragbaren Fall der Überzeugungsbildung des Richters bei der endgültigen Entscheidung über den Schuldspruch nach Durchführung der Hauptverhandlung).
Dieser eher theoretischen Natur sind die Gesichtspunkte, die die Jugendkammer ihrer Nichtabhilfeentscheidung vom 04.11.1999 zugrunde gelegt hat. Gerade auch die von der Jugendkammer selbst zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.09.1993 (BGHR, StGB § 212 Abs. 1, Vorsatz, bedingter 36) belegt bei der vorliegenden Beweislage aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses den dringenden Tatverdacht bezüglich eines mit bedingtem Vorsatz begangenen versuchten Mordes.
Auch wenn nach dem bisher bekannt gewordenen Ermittlungsergebnis, das insoweit jedoch noch eingehender Aufklärung in der Hauptverhandlung zu diesem Punkt bedarf, ausgeschlossen werden kann, dass es dem Angeschuldigten und seinen Mittätern zeitlich nicht möglich war, auch den Tatort P. Straße 22 nach Verübung des Brandanschlages auf das Haus E. Straße 169 zu erreichen, ist der Angeschuldigte dringend verdächtig, sich auch an dieser Tat als Mittäter beteiligt zu haben. Da davon auszugehen ist, dass die Brandsätze an beiden Tatorten aus identischen Materialien gefertigt worden sind, sprechen auch aus den o.g. Gesichtspunkten dringende Gründe für die Annahme, dass der Angeschuldigte auch an der Herstellung des Molotow-Cocktails, der für den Brandanschlag auf das Haus P. Straße 22 verwandt wurde, beteiligt war. Aus den genannten Umständen lassen sich vielmehr insoweit Hinweise darauf entnehmen, dass nach der Herstellung der Brandsätze in Absprache der Beteiligten möglichst zeitgleich mehrere Anschläge an verschiedenen Orten verübt werden sollten. Gerade dieser Umstand aber ist ein Hinweis darauf, dass der Angeschuldigte maßgeblich an der Planung in seiner Wohnung und der Durchführung der Anschläge beteiligt war.
Es besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Zudem ist nach den Umständen des Falles nicht auszuschließen, dass sich der Angeschuldigte dem weiteren Verfahren durch Flucht entzieht, würde er weiterhin in Freiheit verbleiben. Haben bereits das Amtsgericht und die Jugendkammer mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, den Haftgrund der Fluchtgefahr bejaht, so gilt dies umso mehr, als durch den vorliegenden Beschluss dem Angeschuldigten ein noch schwererer Schuldvorwurf gemacht wird, so dass es unter diesen geänderten Gesichtspunkten auch nicht bei der vom Landgericht noch für ausreichend erachteten milderen Maßnahme der Haftverschonung bei Zahlung der eher geringen Sicherheitsleistung von nur 5.000,- DM verbleiben kann. Auch andere Maßnahmen i.S.d. § 116 Abs. 4 StPO erscheinen nicht geeignet, vom Vollzug der Untersuchungshaft abzusehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich der Angeschuldigte am Tag nach den Taten mit seinem früheren Verteidiger bei der Polizei gemeldet hat.
Bei dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob daneben der noch vom Amtsgericht ebenfalls angenommene Haftgrund der Verdunkelungsgefahr besteht oder nicht auszuschließen ist, dass der Angeschuldigte künftig Verdunkelungshandlungen vornehmen wird.
Nach alledem war der angefochtene Beschluss wie geschehen abzuändern.
Der Senat als Beschwerdegericht war auch zur Änderung des Umfangs der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Taten und zu deren rechtlicher Würdigung berechtigt, da in jeder Lage des Verfahrens die Tatvorwürfe und die Haftgründe zu überprüfen, ggf. zu ergänzen und auszuwechseln sind (vgl. Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 114 Rdnr. 47; KK-Boujong, a.a.O., § 117 Rdnr. 11).
Da sich das Verfahren nicht mehr im Ermittlungsstadium befindet, zudem zuvor ein den Anforderungen des § 114 StPO entsprechender Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen bestanden hat und ein schwerwiegender Verfahrensmangel nicht vorliegt, unterscheidet sich der vorliegende Fall schon von den Grundlagen her von demjenigen Sachverhalt, der dem Senatsbeschluss vom 25.10.1999 in 2 Ws 314/99 zugrunde gelegen hat und in welchem der Senat dargelegt hat, dass der Erlass eines ordnungsgemäßen Haftbefehls im Ermittlungsverfahren, in dem sich der Beschuldigte nicht in Haft befindet, dem zuständigen Amtsgericht vorbehalten bleiben muss.
Im Hinblick auf §§ 33 Abs. 4, 308 Abs. 1 StPO hat der Senat von einer Anhörung des Angeschuldigten vor Erlass der vorliegenden Entscheidung abgesehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung der §§ 465, 473 StPO.


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