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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 1141/2000 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Zur Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens.
„Leinenschuh als gefährliches Werkzeug im Sinn von § 224 StGB

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Beweisantrag, Ablehnung, ungeeignetes Beweismittel, eigene Sachkunde, Sachverständigenbeweis, Auslegung des Beweisantrags

Normen: StPO 244, StGB 224

Beschluss: Strafsache gegen S.R.,
wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der
1. kleinen auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 15. Juni 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.05.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Gegen die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen vom 23. März 2000 wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Nötigung eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr verhängt worden. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen fristgerecht eingelegte Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Bochum - 1. kleine auswärtige Strafkammer Recklinghausen - durch Urteil vom 15. Juni 2000 verworfen.

Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt, mit der sie die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils erstrebt. Sie rügt unter näherer Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.
Das Rechtsmittel der Angeklagten ist zulässig und hat - zu-
mindest vorläufigen - Erfolg.

Sie macht mit ihrer in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrüge zu Recht einen Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO geltend. Dieser Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen trat die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 13. März 1999 im Clubheim des Motorradclubs Waltrop die Zeugin S. u.a. mindestens 10 Mal auf den Kopf und gegen den gesamten Oberkörper. Die Angeklagte trug an jenem Morgen Leinenschuhe. Bei einem dieser Fußtritte gegen das Kinn der Zeugin brach an deren rechten Unterkiefergelenk das sogenannte Kieferköpfchen. Des weiteren erlitt die Zeugin durch die Fußtritte eine schwere Gehirnerschütterung sowie zahlreiche Prellungen im Kopf- und Brustbereich.

Nachdem sich die Angeklagte von der Zeugin zurückgezogen hatte, lag diese zusammengekrümmt auf dem Fußboden. Da sie nicht aus eigener Kraft aufstehen konnte, war die Angeklagte ihr dabei behilflich. Die Zeugin legte sich in einem Nebenraum auf eine Couch. In der Zwischenzeit bestellte die Angeklagte ein Taxi. Nachdem dieses eingetroffen war, ging die Angeklagte nochmals zu der Zeugin S. und sagte ihr: „Sagst Du einen Ton, dann komme ich zurück und schlage dich tot.“ Die Angeklagte wollte verhindern, dass die Geschädigte Dritten von dem Vorfall berichtete. Tatsächlich wartete diese nach der Abfahrt der Angeklagten etwa eine Stunde, bevor sie eine befreundete Krankenschwester telefonisch um Hilfe bat. Die Zeugin wurde noch an diesem Morgen in ein Krankenhaus eingeliefert, wo sie eine Woche stationär behandelt wurde. Außerdem war sie anschließend noch für weitere fünf Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Die Verletzungen sind zwischenzeitlich folgenlos verheilt.

Die Angeklagte hat sich u.a. dahingehend eingelassen, dass die Zeugin S. sie (die Angeklagte) nach einem Wortwechsel an den Haaren ergriffen und gezogen habe. Als sie (die Angeklagte) versucht habe, sich zu befreien, sei es zu einer Rangelei gekommen. Dabei seien beide auf den feuchten Fliesen hinter der Theke ausgerutscht und zwischen den dort stehenden Bier- und Colakästen zu Boden gefallen. Dabei müsse sich die Zeugin die zuvor geschilderten Verletzungen zugezogen haben. Sie (die Angeklagte) habe die Zeugin weder mit Fäusten geschlagen noch mit Füßen getreten.

Die Verteidigerin der Angeklagten hat in der Berufungshauptverhandlung u.a. folgenden Beweisantrag gestellt:

„Zum Beweis der Tatsache, dass die Verletzungen der Zeugin Edeltraud S. gemäß dem ärztlichen Attest vom 21.05.1999, insbesondere die Fraktur des Processus coronoides rechter Unterkiefer, nicht durch Tritte mit einem beschuhten Fuß (Leinenschuh) verursacht sein können, sondern aus medizinischer Sicht auf einen Fall auf Cola-, Bier- und Sprudelkästen zurückgehen, wird beantragt

  1. Einholung eines medizinischen Sachverständigen-

Diesen Antrag hat das Landgericht wie folgt beschieden:

„Der Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens dahin, dass die Verletzungen der Zeugin Edeltraud S. gemäß dem ärztlichen Attest vom 21.05.1999, insbesondere die Fraktur des Processus coronoides rechter Unterkiefer, nicht durch Dritte mit einem beschuhten Fuß (Leinenschuh) verursacht sein können, sondern aus medizinischer Sicht auf einen Fall auf Cola-, Bier- und Sprudelkästen zurückgehen, wird zurückgewiesen, weil das Beweismittel ungeeignet ist. Es ist gerichtsbekannt, dass Brüche des Unterkiefers auch durch Schlägereien, insbesondere Fußtritte verursacht werden können.“

Mit dieser Begründung durfte das Landgericht den Beweisantrag aber nicht ablehnen.

Bedenken bestehen schon insoweit, als die Strafkammer das Beweismittel als „ungeeignet“ bezeichnet hat. „Ungeeignet“ i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO ist ein Beweismittel nur dann, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erzielen lässt (vgl. dazu BGH NStE Nr. 124 zu § 244 StPO).

Dass ein medizinisches Sachverständigengutachten aber ein geeignetes Beweismittel ist, wenn es darum geht, die Ursachen von Verletzungen festzustellen, bedarf keiner näheren Ausführungen. Der Senat versteht den beanstandeten Beschluss daher auch nicht in dem Sinne, dass die Strafkammer dem beantragten medizinischen Sachverständigengutachten jegliche Geeignetheit als Beweismittel absprechen wollte, sondern legt den Beschluss so aus, dass die Strafkammer sich selbst für genügend sachkundig hielt, um über die Beweisbehauptung zu entscheiden. Folglich ist vorliegend „ungeeignet“ i.S.v. „nicht erforderlich“ im Hinblick auf die von der erkennenden Kammer angenommene eigene Sachkunde zu verstehen.

Mit dieser Begründung dürfte aber die Kammer den Beweisantrag nicht ablehnen. Denn es fehlt hier für die unter Beweis gestellte Tatsache an der eigenen Sachkunde.

Sie hat nämlich ihrer Entscheidung eine Beweistatsache zugrunde gelegt, die die Angeklagte nicht unter Beweis gestellt hat. Beweisbehauptungen müssen in ihrer vollen Tragweite erfasst werden. Es kommt also nicht auf den Wortlaut, sondern auf den mit dem Antrag nach der Verfahrenslage verfolgten Zweck an. Bei mehreren Interpretationsmöglichkeiten ist es ein Gebot der fairen Verfahrensgestaltung, diejenige zu wählen, bei der der Antrag Erfolg hat (vgl. BGH NStZ 1984, 564). Deshalb ist bei der Auslegung des Beweisantrages die Einlassung der Angeklagten zugrunde zu legen, wonach sie die Zeugin S. weder mit Fäusten geschlagen noch mit Füßen getreten haben will. Träfe diese Einlassung zu, müssten die der Zeugin S. unter dem 21. Mai 1999 ärztlich attestierten Verletzungen notwendigerweise eine andere Ursache haben als die von ihr (der Zeugin) behauptete. Nach den Angaben der Angeklagten soll die Zeugin sich insbesondere den Bruch des Unterkiefers bei einem Sturz auf die hinter der Theke befindlichen Getränkekästen zugezogen haben. Diesen Umstand will die Angeklagte letztlich unter Beweis stellen, wenn sie behauptet, dass die von der Zeugin S. erlittenen Verletzungen ausschließlich „auf einen Fall auf Cola-, Bier- und Sprudelkästen zurückgehen können“.

Sollte ein medizinisches Sachverständigengutachten diese Behauptung der Angeklagten bestätigen, so hätte die Angeklagte der Geschädigten S. die Verletzungen nicht - wie ihr (der Angeklagten) vorgeworfen wird - durch Faustschläge oder Fußtritte beigebracht. Das Beweisthema lautete daher nicht - wie von der Strafkammer fälschlicherweise angenommen -, ob Brüche des Unterkiefers auch durch Schlägereien, insbesondere durch Fußtritte verursacht werden können.

Um die von der Angeklagten behauptete Tatsache - Sturz auf Getränkekästen als alleinige Ursache des Unterkieferbruchs - beantworten zu können, fehlt es dem Gericht aber in der Regel an der nötigen Sachkunde. Die Beurteilung der von der Antragstellerin behaupteten Tatsache erfordert medizinisches Fachwissen, was nicht Allgemeingut eines Richters ist. Sieht das Gericht ungeachtet dessen in einem solchen Fall aufgrund angenommener eigener Sachkunde von der Vernehmung eines Sachverständigen ab, so müssen die Urteilsgründe diejenigen Ausführungen enthalten, aus denen das Revisionsgericht entnehmen kann, dass sich der Tatrichter zu Recht die erforderliche Sachkunde angeeignet hat. Notwendigkeit und Umfang solcher Darlegungen richten sich nach der Schwierigkeit der Beweislage und nach Art und Ausmaß der auf dem fremden Wissensgebiet beanspruchten Sachkunde (vgl. dazu Gollwitzer in L-R, StPO, 25. Aufl., § 244 Rdnr. 303). Derartige Ausführungen enthält das Berufungsurteil nicht.

Das angefochtene Urteil beruht auch i.S.d. § 337 Abs. 1 StPO auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages.

Mit der weiteren Verfahrensrüge - Wahrunterstellung gemäß § 244 Abs. 3 S. 2 StPO - brauchte der Senat sich nicht mehr zu be-
fassen, da die Angeklagte bereits mit der zuvor erörterten Rüge des Verstoßes gegen § 244 Abs. 4 StPO Erfolg hatte.
Ebenso verhält es sich mit der näher ausgeführten Sachrüge.

Soweit die Angeklagte über die gefährliche Körperverletzung hinaus auch wegen Nötigung nach § 240 StGB verurteilt worden ist, kann das Urteil keinen Bestand haben. Zwar handelt es sich um zwei selbständige Taten, diese sind aber im Sinne eines einheitlichen Geschehens untrennbar miteinander verbunden. Die
Nötigung ist indiziert durch eine mögliche vorangegangene Körperverletzung.

Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Annahme
einer gefährlichen Körperverletzung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB - begangen mittels eines gefährlichen Werkzeugs - sind nach Auffassung des Senats nicht ausreichend. Es fehlen jegliche Feststellungen zur Beschaffenheit der von der Angeklagten getragenen Leinenschuhe, namentlich enthält das Urteil keine Angaben dazu, von welcher Beschaffenheit die Schuhsohle war. Diese Frage kann aber, da ein leichter Schuh in der Regel den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 StGB nicht erfüllt, nicht offen bleiben, auch wenn ein normaler Straßenschuh als gefährliches Werkzeug immer dann angesehen werden kann, wenn damit einem Menschen in das Gesicht oder an eine andere Stelle des Kopfes getreten wird (vgl. dazu BGH NStZ 1999, 616, 617).

Der Senat weist ferner darauf hin, dass die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils zudem widersprüchlich sind:
Während es auf Seite 7 der UA heißt, dass die Angeklagte „mindestens zehnmal mit den Füßen auf den Kopf und den gesamten Oberkörper“ der Zeugin S. getreten hat, ist auf Seite 16 der UA ausgeführt, dass die Angeklagte mindestens zehnmal gegen den Kopf der Zeugin getreten hat.


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