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Rechtsprechung

Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 629/97 (33/01) OLG Hamm

Leitsatz: Zur Zulässigkeit der Auslieferung bei einer lange zurückliegenden Tat

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungssache

Stichworte: Auslieferung, Zulässigkeit der Auslieferung, lange zurückliegende Tat, Abwesenheitsurteil

Normen: IRG 73

Beschluss: Auslieferungssache
betreffend den griechischen Staatsangehörigen T.K.,
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Griechenland zur Strafvollstreckung, (hier: Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung).

Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 26. April 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17.05.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht beschlossen:

Die Auslieferung des Verfolgten an die griechischen Behörden zum Zwecke der Strafvollstreckung aus dem Urteil des gemischten Geschworenengerichts von Thessaloniki vom 11. März 1992 (Nr. 18-20/1992) ist zulässig.

Gründe:
Die griechischen Behörden begehren die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung aus dem Urteil des gemischten Geschworenengerichts Thessaloniki vom 11. März 1992, durch das der Verfolgte wegen „unzüchtiger Handlungen mit einer unter 16 Jahre alten Person und Förderung der willentlichen Entweichung einer Minderjährigen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden ist.

Durch Beschluss vom 30. Juni 1999, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat der Senat den damaligen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Hamm auf Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls abgelehnt, weil ein Haftgrund nicht vorgelegen hatte.
Ebenso hat der Senat durch Beschluss vom 8. Februar 2001, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, den damaligen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls mangels Vorliegens eines Haftgrundes abgelehnt.

Hingegen war dem nunmehr gestellten Antrag, die Auslieferung für zulässig zu erklären, zu entsprechen.

Die griechischen Behörden haben mit Verbalnote der griechischen Botschaft vom 18. Dezember 2000, die an das Auswärtige Amt gerichtet ist, unter Beifügung der Auslieferungsunterlagen um die Auslieferung des Verfolgten nach Griechenland ersucht.

Nach den Feststellungen des genannten Urteils wird dem zum damaligen Zeitpunkt 25-jährigen Verfolgten zur Last gelegt, die am 1. November 1963 geborene Z.H. dazu bestimmt zu haben, mit ihm in seiner Wohnung in der Straße P.I., Hausnummer 68 in Thessaloniki in der Zeit vom 1. bis zum 26. Oktober 1975 an etwa 20 Tagen mindestens einmal, bisweilen sogar zweimal am Tag den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss auszuführen. Darüber hinaus vermittelte er Z.H., die auf sein Geheiß ihre Eltern verlassen hatte, an die Nachtclubs „Malboro“, „Ten-Ten“, „Rio-Grande“ und „Anoixi“, in denen Z. als „Animierdame“ arbeitete und täglich einen Betrag von ca. 500 bis 600 Drachmen verdiente. Von diesem Verdienst überlies der Verfolgte Z. täglich lediglich 50 Drachmen. Den Rest verwendete er für eigenen Zwecke.

Die Auslieferungsfähigkeit folgt aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk.

Die dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten sind nach griechischem Strafrecht wegen wiederholter Verführung eines Kindes und Beistandes zur freiwilligen Flucht eines Minderjährigen strafbar (Art. 1, 14, 18, 26 Abs. 1 a, 27, 51, 52, 60, 63, 94, 98, 324 b und 339 des griechischen Strafgesetzbuches). Auch nach deutschem Recht sind die Taten zumindest als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in 20 Fällen gemäß § 176 a StGB strafbar und mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.

Der Verfolgte ist griechischer Staatsangehöriger. Der Umstand, dass er inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erstrebt und einen entsprechenden Antrag gestellt hat, vermag derzeit eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.

Obwohl es sich bei dem oben bezeichneten Urteil um ein nach griechischem Recht zulässiges Abwesenheitsurteil handelt, ist die Auslieferung des Verfolgten nicht nach § 73 IRG unzulässig (vgl. insoweit Senatsbeschlüsse in NStZ 1997, 194 und StV 1997, 365). Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Verfolgte bereits einen Monat und zwölf Tage Untersuchungshaft in Griechenland verbüßt hat und deshalb von dem Ermittlungsverfahren Kenntnis hatte und zu den Vorwürfen auch gehört worden sein dürfte. Nachdem der Verfolgte nach Zahlung einer Kaution von der Untersuchungshaft verschont worden war, erschien er zu dem festgesetzten Hauptverhandlungstermin am 20. April 1977 nicht und entzog sich dem Verfahren durch Flucht. Entscheidend ist jedoch, dass nach § 432 der griechischen Strafprozessordnung ein kontradiktorisches Verfahren unter Beteiligung des Angeklagten (Verfolgten) eingeleitet wird, sobald der in Abwesenheit Verurteilte verhaftet wird oder sich aus freiem Willen zur Vollstreckung der Strafe den Behörden stellt. Das in Abwesenheit des Angeklagten erlassene Urteil wird sodann von Amts wegen annulliert, sobald das nach Anhörung der Prozessparteien gefällte Urteil erlassen wird. Der Angeklagte kann während dieses Verfahrens Vollstreckungsaufschub beantragen. Gegen das kontradiktorische Urteil sind sodann alle zulässigen Rechtsmittel möglich (vgl. Entscheidung der Berufungskammer von Thessaloniki vom 4. März 1998 - Nr. 222 -Bl. 72 ff., 76 ff. d.A.).

Die Auslieferung ist auch nicht gemäß § 73 IRG in Verbindung mit dem ordre public unzulässig, weil die von dem Gericht verhängte Strafe unangemessen hoch ist (vgl. dazu Lagodny in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 73 IRG, Rdnr. 60 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Ein Auslieferungsverbot kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um eine „unerträglich schwere Strafe“ handelt (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 1986 - 2 BvR 661/86 - in Eser/Lagodny, internationale Rechtshilfe in Strafsachen - Rechtsprechungssammlung, Nr. U 134). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, auch wenn die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren auf den ersten Blick zumindest hart erscheinen mag. Berücksichtigt man jedoch, dass jeder einzelne Fall des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach deutschem Recht mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht ist und dem Verfolgten mindestens 20 solcher Fälle zur Last gelegt werden, erscheint die verhängte Freiheitsstrafe jedenfalls nicht als unerträglich schwer.

Die Auslieferung des Verfolgten ist auch nicht wegen der langen Dauer des Verfahrens, in dem nun mehr als 23 Jahre nach Begehung der Taten durch den Verfolgten die Auslieferung zur Strafvollstreckung beantragt wird, unzulässig. Vorliegend ist die lange Verfahrensdauer im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich der Verfolgte dem Verfahren nach Haftverschonung durch Flucht entzogen hat. Eine Aburteilung des Verfolgten war daher nach dem bis 1991 gültigen griechischen Recht in Abwesenheit nicht zulässig. Erst mit dem seit dem 18. März 1991 gültigen ersten Absatz des Art. 2 des § 432 der griechischen Strafprozessordnung ist die Verurteilung in Abwesenheit des Angeklagten rechtlich möglich geworden. Die Verurteilung des Verfolgten lediglich ein Jahr nach Inkrafttreten dieser Regelung ist daher nicht zu beanstanden.

Ferner ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der um Auslieferung eines Verfolgten zur Strafvollstreckung ersuchende Staat mit seinem Auslieferungsantrag zum Ausdruck bringt, dass seine Rechtsordnung die Vollstreckung der Verurteilung, deren wegen das Ersuchen ergeht, im eigenen Hoheitsbereich zulässt. Der ersuchte Staat ist nicht gehalten, diese rechtliche Beurteilung, die eine ausschließliche Angelegenheit des ersuchenden Staates ist, zu überprüfen (vgl. BVerfG, o.g. Beschluss vom 31. August 1986).

Auch angesichts der Gesamtverfahrensdauer von inzwischen mehr als 25 Jahren stehen vorliegend die völkerrechtlichen Mindeststandards und die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland einer Auslieferung nicht entgegen. Insoweit hatte der Senat bereits in seinem Beschluss vom 30. Juni 1999 auf seine Entscheidung vom 16. Juni 1998 in (2) 4 Ausl. 563/96 (75/97) = NStZ-RR 1998, 351 hingewiesen. In jenem Verfahren hatte der Senat die Auslieferung eines Verfolgten in die Türkei zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, die durch Abwesenheitsurteil vom 17. April 1990 wegen der am 22. November 1975 begangenen fahrlässigen Tötung von zwei Menschen verhängt worden war, für unzulässig erklärt.

Während wesentlicher Gesichtspunkt jener Entscheidung der Umstand war, dass dem damaligen Verfolgten lediglich der Vorwurf einer leichten Fahrlässigkeit gemacht worden ist, unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt insbesondere dadurch, dass es sich um vorsätzlich begangene schwere Straftaten zum Nachteil eines 12-jährigen Kindes handelt.

Auch der Umstand, dass der Verurteilte seit inzwischen 17 Jahren mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist und die Eheleute drei gemeinsame Kinder haben sowie die soziale Integration des Verfolgten, worauf er anlässlich seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Paderborn am 19. April 2001 hingewiesen hat, vermögen bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit der Auslieferung eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.


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