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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 494/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Jugendgerichtsverfahren

Normen: StPO 261, StPO 267, JGG 3, JGG 13

Beschluss: Strafsache gegen J.S.,
wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Amtsgerichts Bochum vom 8. Februar 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25.06.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bochum Bezirksjugendschöffengericht hat gegen den jugendlichen Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung einen Freizeitarrest sowie einen sozialen Hilfsdienst von 30 Stunden verhängt, der binnen drei Monaten seit Rechtskraft des Urteils zu leisten ist.

Nach den getroffenen Feststellungen hielt sich der Angeklagte am Mittag des 28. Juni 2000 mit einem anderen Jugendlichen und der damals dreizehn Jahre alten J.W. auf dem Schulhof der Gesamtschule Stöckstraße in Herne-Wanne auf. Der Angeklagte führte eine sog. Soft-Air-Pistole mit sich, mit der sich kleine Kunststoffkugeln mittels Luftdruck verschießen lassen. Er hatte Dosen in einem Halbkreis aufgestellt und benutzte diese als Zielscheibe, als die damals vierzehn Jahre alte Geschädigte C.V. in Begleitung ihrer zwei Jahre alten Schwester auf dem Schulhof eintraf. Der Angeklagte schoss zunächst mehrere Male in die Luft und anschließend auf die Beine der Zeugin J.W., die er auch mehrmals traf. Sodann richtete er die Pistole auf die Beine der Zeugin C.V. und traf diese drei- bis viermal. Eine oder zwei Kugeln landeten auf den Windeln der kleinen Schwester der Zeugin V. Die Treffer an den Beinen der beiden Mädchen waren schmerzhaft und hinterließen später deutlich erkennbare Hautverfärbungen. Aus einer Entfernung von etwa zwei bis drei Metern richtete der Angeklagte sodann die Pistole auf den Kopf der Zeugin C.V. und drückte ab. Eine Patrone der Soft-Air-Pistole traf die Zeugin V. am linken Auge, die sich daraufhin ihre Hand vor das Auge hielt und weinte. Der Angeklagte ging zu ihr und sagte, dies habe er nicht gewollt.

Die Zeugin C.V. suchte nach diesem Vorfall einen Augenarzt auf, der an ihrem linken Auge eine Hornhaut- sowie eine Pupillenverletzung feststellte. Die Sehkraft war zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils noch vermindert.

Der Angeklagte hat sich zur Sache und zu seinem Lebenslauf nicht eingelassen.

Das Amtsgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung auf folgende Sätze beschränkt:

"Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestand kein Zweifel daran, dass der Angeklagte gezielt auf die Zeuginnen W. und V. geschossen hat. Sein Gesamtverhalten beweist, dass er mit der Pistole gut umgehen konnte und zielsicher war. Es konnte ausgeschlossen werden, dass es sich bei den Kugeln, die die Beine der Mädchen und das Auge der Zeugin V. trafen, um Abpraller von den Dosen oder anderen Gegenständen handelte. Als der Angeklagte die Pistole auf den Kopf der Geschädigten richtete, nahm er zumindest billigend in Kauf, dass die Zeugin auch am Auge getroffen und verletzt wurde. Da es sich bei der Pistole um ein gefährliches Werkzeug handelt, hat er sich insoweit der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB schuldig gemacht."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Sprungrevision eingelegt, mit der er die Aufhebung des amtsrichterlichen Urteils erstrebt. Er rügt unter näherer Begründung die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückzuverweisen.

II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung kann nicht bestehen bleiben, weil ausreichende Feststellungen zur subjektiven Tatseite fehlen und die Beweiswürdigung nicht die Mindestanforderungen des § 267 StPO erfüllt, so dass eine sachlich-rechtliche Überprüfung, ob die zu den (objektiven) Feststellungen führenden Beweiserwägungen frei von Rechtsfehlern sind, nicht möglich ist.

Nicht zu beanstanden sind die Ausführungen des Tatrichters, wonach die "Soft-Air-Pistole" als Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu gelten hat. Sie ist nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet, erheblichere Körperverletzungen zu verursachen.

Jedoch reichen die tatrichterlichen Feststellungen nicht aus, um hierauf eine Verurteilung des Angeklagten wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung zu begründen. In dem angefochtenen Urteil wird lediglich mitgeteilt, der Angeklagte habe mit "bedingtem Vorsatz" gehandelt, ohne jedoch die Tatsachen zu erwähnen, die dieser rechtlichen Bewertung zugrunde liegen. Ungeachtet dessen sind die Urteilsgründe darüber hinaus widersprüchlich, als es im Rahmen der Strafzumessung heißt:

"Gegen den Angeklagten sprach, dass er äußerst leichtsinnig gehandelt hat ... ."

Die Formulierung "leichtsinnig" spricht vielmehr dafür, dass der Tatrichter eine fahrlässige Begehungsweise angenommen hat. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass der Angeklagte ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen unmittelbar nach der Tatausführung zu der Zeugin gegangen ist und zu ihr gesagt hat, das habe er nicht gewollt.

Auch die Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, da die eingangs zitierten Ausführungen nicht den Mindestanforderungen des § 267 StPO entsprechen.

Aus dem Regelungsgehalt des § 261 StPO ergibt sich, dass der Tatrichter den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten nahe legt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen hat ( Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Rdnr. 6 zu § 261). Die Urteilsgründe müssen eine Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen enthalten ( vgl. BGH MDR 1974, 548; NStZ 1993, 501 ), was aber nicht bedeutet, dass in den Urteilsgründen in allen Einzelheiten darzulegen ist, auf welche Weise der Richter zu bestimmten Feststellungen gelangt ist. Insbesondere darf die Beweiswürdigung nicht in der bloßen Wiedergabe der Zeugenaussagen bestehen, da dies lediglich eine Beweisdokumentation, nicht aber eine Beweiswürdigung ist.

Das angefochtene Urteil setzt sich an keiner Stelle mit den Zeugenaussagen auseinander. Es wird weder mitgeteilt, ob die Zeugen übereinstimmend im Sinne der Feststellungen ausgesagt haben noch ob und wenn ja, inwieweit sie voneinander abweichen. Unklar bleibt auch, aufgrund welcher Überlegungen der Tatrichter letztlich zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass nämlich
"kein Zweifel daran bestand, dass der Angeklagte gezielt auf die Zeuginnen W. und V. geschossen hat, dass sein Gesamtverhalten beweist, dass er gut mit der Pistole umgehen konnte und zielsicher war und dass ausgeschlossen werden konnte, dass es sich bei den Kugeln, die die Beine der Mädchen und das Auge der Zeugin V. trafen, um Abpraller von den Dosen oder anderen Gegenständen handelte".

Demzufolge ist dem Revisionsgericht eine sachlichrechtliche Prüfung, ob die Beweiserwägungen, die zu den objektiven Feststellungen geführt haben, frei von Rechtsfehlern sind, nicht möglich.

Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurück zu verweisen.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte der Tatrichter im Falle einer Verurteilung ebenfalls die Verhängung eines Zuchtmittels für erforderlich halten, so wird er sich eingehend mit der Frage zu befassen haben, aus welchen Gründen es nicht genügt, auf die mildere Rechtsfolge der Erziehungsmaßregeln gemäß § 5 Abs. 1 JGG zu erkennen. Nur wenn Letztere nicht ausreichen und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuchtmittel ( § 13 Abs. 1 JGG ) erfüllt sind, sind solche zu verhängen (Subsidiaritätsprinzip des § 5 Abs. 2 JGG; vgl. hierzu Brunner / Dölling, JGG, 10. Aufl., § 5 Rdnr. 1 ).


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