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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 57, 58 u. 59/2001 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 13 Abs. 5 BRAGO im Pauschvergütungsverfahren

Senat: 2

Gegenstand: Pauschvergütung

Stichworte: Pauschvergütung, besonderer Umfang, besondere Schwierigkeit, lange zurückliegende Beiordnung, Nichtbetriebenes Strafverfahren, Übergangsregelung

Normen: BRAGO 99, BRAGO 13, BRAGO 99

Beschluss: Strafsache gegen H.T.,
wegen sexuellen Missbrauchs (hier: Anträge auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die als Pflichtverteidiger bestellten Verteidiger bzw. für die als Beistand der Nebenklägerin bestellte Rechtsanwältin).

Auf die Anträge
1.der Rechtsanwältin N. aus H. vom 20. April 2000 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten,
2.der Rechtsanwältin H. aus G. vom 8. Oktober 1999 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung der ehemaligen Nebenklägerin,
3.des Rechtsanwalts M. aus H. vom 31. Juli 2000 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten,
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25.06.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

  1. Antragstellerin zu 1) wird anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren in Höhe von 20.8405 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 44.000 DM (in Worten: vierundvierzigtausend Deutsche Mark) bewilligt.

Der Antragstellerin zu 2) wird anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren in Höhe von 25.100 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 50.000 DM (in Worten: fünfzigtausend Deutsche Mark) bewilligt.

Dem Antragsteller zu 3) wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 11.500 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 20.500 DM (in Worten: zwanzigtausendfünfhundert Deutsche Mark) bewilligt.

Die weitergehenden Anträge werden abgelehnt

Gründe:
I.
Die Antragsteller(in) zu 1 und 3) waren dem ehemaligen Angeklagten, dem ein sexueller Missbrauch seiner Tochter, die sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat, vorgeworfen wurde, als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Antragstellerin zu 2) war der Nebenklägerin als Beistand beigeordnet. Die Antragstellerin zu 1) wurde dem ehemaligen Angeklagten am 18. Mai 1994 beigeordnet, die Antragstellerin ihrer Mandantin am 15. März 1996 und der Antragsteller zu 3) dem ehemaligen Angeklagten am 31. März 1999. Die Antragsteller beantragen für ihre für den ehemaligen Angeklagten bzw. für die Nebenklägerin jeweils erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die sie im wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründen:

Die Hauptverhandlung gegen den ehemaligen Angeklagten hat zunächst in der Zeit vom 12. November 1996 bis zum 10. April 1997 an insgesamt 35 Tagen stattgefunden. Im Hauptverhandlungstermin am 10. April 1997 wurde die Aussetzung der Hauptverhandlung beschlossen. Nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten fand dann in der Zeit vom 27. April 1999 bis zum 30. September 1999 die Hauptverhandlung erneut an 31 Tagen statt. Die erste Hauptverhandlung war dicht terminiert, teilweise wurde an 4 Tagen/Woche verhandelt.

Die Antragstellerin zu 1) hat an allen 35 Tagen der ersten Hauptverhandlung und an allen 31 Tagen der zweiten Hauptverhandlung teilgenommen. Die durchschnittliche Dauer betrug im ersten Teil 4 Stunden 50 Minuten, an sechs Tagen wurde ganztags verhandelt. Im zweiten Teil betrug die durchschnittliche Dauer nur rund 3 Stunden. Die Antragstellerin zu 1) hat außerdem noch an einer richterlichen Zeugenvernehmung, an eine Haftbefehlverkündung und an einem Haftprüfungstermin teilgenommen.

Die Antragstellerin zu 2) hat an allen 35 Tagen der ersten Hauptverhandlung und an 29 der 31 Tage der zweiten Hauptverhandlung teilgenommen. Die durchschnittliche Dauer betrug im ersten Teil ebenfalls 4 Stunden 50 Minuten, an sechs Tagen wurde ganztags verhandelt. Im zweiten Teil betrug die durchschnittliche Dauer nur rund 3 Stunden.

Der Antragsteller zu 3) hat an 30 der 31 Tage der zweiten Hauptverhandlung teilgenommen. Die durchschnittliche Dauer betrug nur rund 2 Stunden 45 Minuten. Der Antragsteller zu 3) ist dem ehemaligen Angeklagten am 31. März 1999 beigeordnet worden und musste sich in das komplexe Aktenmaterial von rund 10 Bänden mit etwa 2.000 Seiten bis zum Beginn der Hauptverhandlung am 27. April 1999 einarbeiten.

Wegen des weiteren Umfangs der jeweiligen Inanspruchnahme und der jeweils von den Antragstellern für den ehemaligen Angeklagten bzw. für die Nebenklägerin erbrachten Tätigkeiten wird auf die den Antragstellern bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 20. April 2001 Bezug genommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren der Antragstellerin zu 1 betragen 20.840 DM. Der Antragstellerin zu 2) stehen gesetzliche Gebühren in Höhe von 25.100 DM zu. Diese Antragstellerinnen haben eine Pauschvergütung etwa in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr bzw. des Dreifachen der gesetzlichen Gebühren beantragt. Der Antragsteller zu 3), dessen gesetzliche Gebühren 11.500 DM betragen, hat eine um 10.000 DM erhöhte Pauschvergütung beantragt.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat das Verfahren als "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dem angeschlossen. Er ist zudem der Ansicht, dass das Verfahren für die Antragstellerinnen zu 1) und 2) "besonders umfangreich" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO gewesen ist, für den Antragsteller zu 3) hingegen nicht.

II.
Allen drei Antragstellern waren Pauschvergütungen zu bewilligen (§ 99, 102 BRAGO).

1.
Das Verfahren war "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend der Fall. Insoweit tritt der Senat mit dem Vertreter der Staatskasse der sachnahen Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer bei; ein Grund, dieser nicht zu folgen, ist nicht ersichtlich (vgl. insoweit Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Die besondere Schwierigkeit ergibt sich vorliegend insbesondere aus der schwierigen Beweiswürdigung, die im Urteil der Strafkammer, das insgesamt 135 Seiten lang ist, 70 Seiten umfasst. Zu beurteilen waren komplizierte Fragen der Glaubwürdigkeit der Geschädigten hinsichtlich ihrer Angaben, die sich auf lange Zeit zurückliegende Taten bezogen. Dazu sind mehrere komplexe Sachverständigengutachten eingeholt worden.

2.
Das Verfahren war auch für alle drei Antragsteller "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Hinsichtlich des Antragstellers zu 3) schließt sich der Senat der anderen Einschätzung des Vertreters der Staatskasse nicht an..

Bei den insoweit zu berücksichtigenden Tätigkeiten hat der Senat die Teilnahme der Antragsteller an den jeweiligen Hauptverhandlungsterminen berücksichtigt. Dabei übersieht der Senat hinsichtlich der Antragstellerinnen zu 1) und 2) zunächst nicht, dass diese während der ersten Hauptverhandlung mit einer durchschnittlichen Dauer von jeweils rund 4 Stunden und 50 Minuten für ein Strafkammerverfahren nur durchschnittlich lang gewesen sind, obwohl die Antragstellerinnen auch an sechs ganztägigen Hauptverhandlungsterminen teilgenommen haben. Zu berücksichtigen ist aber die teilweise dichte Terminierung mit 4 Terminen/Woche. Dies wird insgesamt nicht durch die nur unterdurchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine während der zweiten Hauptverhandlung kompensiert. Insgesamt sind nämlich, wovon der Senat aufgrund der Erfahrungen aus anderen Verfahren ausgeht, erhebliche Vorbereitungs- und Nachbereitungszeiten zu berücksichtigen, die vorliegend schon wegen der zahlreichen Zeugen, die während der Hauptverhandlungen vernommen worden sind, angefallen sind. Das führt nach Überzeugung des Senats auch dazu, beim Antragsteller zu 3) ebenfalls "besonderen Umfang" anzunehmen. Bei ihm ist zusätzlich noch zu berücksichtigen, dass er sich nach seiner Bestellung innerhalb von nur drei Wochen in den äußerst komplexen Verfahrensstoff einarbeiten musste. Er hatte nicht nur die bis dahin eingeholten, schwierigen Sachverständigengutachten auszuwerten, sondern musste sich auch mit dem Ergebnis der ausgesetzten Hauptverhandlung und den darin von den Zeugen gemachten Angaben auseinander setzen.

3.
Bei der Bemessung der nach allem damit den Antragstellern sowohl wegen der "besonderen Schwierigkeit" als auch wegen des "besonderen Umfangs" zu gewährenden Pauschvergütungen hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.

Besonderes Gewicht hatte dabei neben der einerseits teilweise nur unterdurchschnittlichen Dauer der Hauptverhandlungstermine und deren teilweise nur lockere Terminierung der Umstand, dass das Verfahren für die Antragstellerin zu 1) inzwischen 5 ½ Jahre und für die Antragstellerin zu 2) immerhin auch schon 4 Jahre dauert. Bei allen drei Antragstellern hat der Senat die besondere Schwierigkeit des Verfahrens, die weit über den Durchschnitt hinausgeht, berücksichtigt. Bei den Antragstellerinnen zu 1) und 2)ist schließlich die lange Zeitdauer berücksichtigt worden, die seit der jeweiligen Antragstellung bis zur nunmehrigen Bewilligung der Pauschvergütungen durch den Senat verstrichen ist. Dies ist ein verfahrensbezogener Umstand, der nach der Rechtsprechung des Senats bei der Bewilligung einer Pauschvergütung von Belang ist (Beschluss des Senats vom 9. Januar 2001 - 2 (s) Sbd. 6-231 u.a./00 = ZAP EN-Nr. 222/2001).

Bei der Antragstellerin zu 1) hat der Senat zudem folgendes berücksichtigt: Die Antragstellerin ist bereits am 18. Mai 1994 beigeordnet worden. Für sie gelten daher nach § 134 Abs. 1 BRAGO noch die alten Sätze der gesetzlichen Gebühren. Daran ist der Senat im Hinblick auf die gesetzliche Übergangsregelung in § 134 BRAGO bei der Bemessung der Pauschvergütung grundsätzlich gebunden. Andererseits kann nicht verkannt werden, dass die Antragstellerin zu 1) ihre Tätigkeiten im wesentlichen zu einer Zeit erbracht hat, in der die durch das KostenänderungsG 1994 angehobenen Sätze der gesetzlichen Gebühren galten. Dies ist ein von der Antragstellerin zu Recht als ungerecht empfundener Umstand. Dem ließ sich - wegen § 134 BRAGO - entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu 1) allerdings nicht dadurch begegnen, dass der Bemessung der Pauschvergütung für die Antragstellerin zu 1) die durch das Kostenänderungsgesetz 1994 erhöhten gesetzlichen Gebühren zugrunde gelegt werden. Der Senat hat jedoch den Rechtsgedanken des § 13 Abs. 5 BRAGO herangezogen, da das Verfahren vorliegend zwischen der Aussetzung der Hauptverhandlung am 10. April 1997 und dem Neubeginn am 27. April 1999 zwei Jahre weitgehend nicht betrieben worden ist. Dieser Umstand hat bei der Antragstellerin zu 1) dazu geführt, dass ihre gesetzlichen Gebühren im Verhältnis stärker angehoben worden sind als die der beiden anderen Antragsteller.

Die unterschiedlich bemessenen Pauschvergütungen der Antragsteller beruhen im Übrigen einerseits auf der unterschiedlichen Anzahl von Hauptverhandlungstagen, an denen die Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten bzw. die Nebenklägerin tätig geworden sind. Bei allen Antragstellern war eine die Mittelgebühren eines Wahlverteidigers deutlich übersteigende Pauschvergütung angemessen.

Die Bewilligung von Pauschvergütungen über die Wahlverteidigerhöchstgebühren hinaus - wie von den Antragstellerinnen zu 1) und 2) beantragt - kam hingegen nicht in Betracht. Auf eine Pauschvergütung in dieser Höhe ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur dann zu erkennen, wenn die Tätigkeit für den ehemaligen Angeklagten bzw. die Nebenklägerin den Pflichtverteidiger bzw. den Beistand über einen längeren Zeitraum ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch genommen hat. Das ist vorliegend angesichts der Dichte der Hauptverhandlungstermine und ihrer teilweise nur unterdurchschnittlichen Dauer indes nicht der Fall und wird auch von den Antragstellern im Grunde nicht geltend gemacht.

Soweit der Antragstellerin zu 1) mit den bewilligten 44.000 DM eine Pauschvergütung über der bei ihr 42.780 DM betragenden Wahlverteidigerhöchstgebühr bewilligt worden ist, ist damit zwar die Wahlverteidigerhöchstgebühr überschritten worden. Dies beruht aber auf der dargelegten Anwendung des Rechtsgedankens des § 13 Abs. 5 BRAGO; dies führt für die Berechnung der Pauschvergütung auch dazu, für diese von einer (fiktiven) höheren Wahlverteidigerhöchstgebühr auszugehen.


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