Aktenzeichen: 1 Ss OWi 545/2001 OLG Hamm
Leitsatz: Ein schlüssig erklärter Widerspruch gegen das schriftliche Verfahren ist in jeder Äußerung des Betroffenen zu sehen, aus der hervorgeht, dass der Betroffene mit einer Entscheidung allein aufgrund des bis dahin aktenkundigen Sachverhalts nicht einverstanden ist, sondern eine weitere Klärung des Tathergangs wünscht.
Senat: 1
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Widerspruch des Betroffenen gegen Entscheidung ohne Hauptverhandlung, Auslegung, schlüssige Erklärung, Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren
Normen: OWiG 72
Beschluss: Bußgeldsache gegen H.S.,
wegen Verstoßes gegen § 121 Abs. 1 OWiG.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 19. März 2001 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 6. März 2001 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 03.07.2001 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gem. § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.
Gründe:
Durch Bußgeldbescheid der Stadt Netphen vom 29. November 2000 ist gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 250,- DM wegen Verstoßes gem. § 121 Abs. 1 OWiG festgesetzt worden, gegen den der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Nachdem das Verfahren an das Amtsgericht Siegen weitergeleitet worden ist, hat das Amtsgericht dem Betroffenen unter dem 16. Februar 2001 den Hinweis nach § 72 OWiG zugeleitet, der ihm am 21. Februar 2001 zugestellt worden ist. Mit Schreiben vom 22. Februar 2001 hat der Betroffene unter Bezugnahme auf das gerichtliche Aktenzeichen mitgeteilt, dass er gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Netphen Widerspruch erhebe. Darüber hinaus hat er ausgeführt, der zuständige Sachbearbeiter bei der Stadt Netphen habe ihm mitgeteilt, der Bußgeldbescheid sei hinfällig. Die Anzeige sei zurückgezogen worden und damit sei alles in Ordnung. Mit Verfügung vom 26. Februar 2001 hat das Amtsgericht dem Betroffenen mitgeteilt, dass sich die Einstellung lediglich auf das Strafverfahren beziehe, das Bußgeldverfahren sei von einer Anzeige nicht abhängig. Darüber hinaus ist der Betroffene auf die Möglichkeit der Einspruchsrücknahme aufmerksam gemacht worden. Im Übrigen ist auf die Verfügung vom 16. Februar 2001 hingewiesen worden. Durch Beschluss gem. § 72 OWiG vom 6. März 2001 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit gem. § 121 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße von 250,- DM festgesetzt. Gegen diesen ihm am 13. März 2001 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit Schreiben seines Verteidigers vom 19. März 2001, eingegangen beim Amtsgericht Siegen am 20. März 2001, Rechtsbeschwerde eingelegt.
Die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene mit einer den Anforderungen der §§ 344, 345 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG entsprechenden Begründung rügt, das Amtsgericht habe unzulässigerweise durch Beschluss gem. § 72 OWiG entschieden, ist gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG zulässig und begründet.
Der Tatrichter darf nach § 72 Abs. 1 OWiG nur dann durch Beschluss entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Zwar hat der Betroffene nach Zustellung des durch § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG vorgeschriebenen Hinweises nicht ausdrücklich Widerspruch gegen das Beschlussverfahren erhoben. Gleichwohl hätte das Amtsgericht unter den gegebenen Umständen nicht zum Nachteil des Betroffenen von einem Einverständnis mit dem Beschlussverfahren ausgehen dürfen.
Ob in dem Schreiben des Betroffenen vom 22. Februar 2001 eine Widerspruchserklärung liegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, namentlich des wirklichen Willens des Betroffenen und der Reichweite einer abgegebenen Erklärung festzustellen (Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 72 Rdnr. 14). Auch schlüssiges Verhalten reicht für die Annahme einer Widerspruchserklärung aus. Ein schlüssig erklärter Widerspruch gegen das schriftliche Verfahren ist in jeder Äußerung des Betroffenen zu sehen, aus der hervorgeht, dass der Betroffene mit einer Entscheidung allein aufgrund des bis dahin aktenkundigen Sachverhalts nicht einverstanden ist, sondern eine weitere Klärung des Tathergangs wünscht (BayObLG, VRS 92, 425; OLG Hamm,
VRS 58, 46).
Danach ergibt sich vorliegend aus dem Schreiben des Betroffenen vom 22. Februar 2001, dass er mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren nicht einverstanden war. Der Betroffene bestreitet weiterhin den Tatvorwurf. Bereits in dem Bestreiten eines Betroffenen wird zum Teil ein schlüssiger Widerspruch gegen eine Entscheidung im Beschlussverfahren gesehen (OLG Hamm, VRS 58, 46). Vorliegend beschränkt sich die Einlassung des Betroffenen aber nicht auf ein Bestreiten des Tatvorwurfs, sondern er nimmt Bezug auf nach Erlass des Bußgeldbescheides geführte Gespräche mit dem Sachbearbeiter der Stadt Netphen. Damit bringt der Betroffene zum Ausdruck, dass er davon ausgeht, das Verfahren dürfe überhaupt nicht fortgeführt werden. Darüber hinaus hat der Betroffene unter Bezugnahme auf das gerichtliche Aktenzeichen erklärt, er erhebe gegen den Bußgeldbescheid Widerspruch. Dieses Schreiben war die unmittelbare Reaktion auf das dem Betroffenen am 21. Februar 2001 zugestellte Formblatt und bezog sich eindeutig auf diese Anfrage des Gerichts. Denn in dem Schreiben war das Aktenzeichen des Amtsgerichts aufgeführt. Legt der Betroffene aber auf den Hinweis des Gerichts nach § 72 OWiG "gegen den Bußgeldbescheid Widerspruch ein", so kann diese Erklärung ohne Klarstellung nicht als Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren angesehen werden (SchlHA E/L 81/97). Wenn trotz allem das Gericht Zweifel daran gehabt haben sollte, ob das genannte Schreiben einen Widerspruch gegen das Beschlussverfahren darstellte, hätte es dem Betroffenen die Möglichkeit zur Klarstellung geben müssen. Zwar wird das Einverständnis unterstellt, wenn der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zum Widerspruch nicht nutzt. Diese Unterstellung wird jedoch wieder beseitigt, wenn der Betroffene durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren, d.h. in einem Verfahren nach Lage der Akten ohne Aufklärung des Sachverhaltes nicht einverstanden ist (Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 72 Rdnr. 13). Dieses hat der Beschwerdeführer aber mit seinem Schreiben vom 22. Februar 2001 zum Ausdruck gebracht, so dass die Voraussetzungen für eine Beschlussentscheidung nach § 72 OWiG nicht vorlagen.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Siegen zurückzugeben.
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