Aktenzeichen: 2 Ss 357/01 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Zur Frage, wann das Fehlen eines ausdrücklichen Eröffnungsbeschlusses bei Vorliegen von Verbindungsbeschlüssen und dem Erlass eines Haftbefehls ausnahmsweise kein Prozesshindernis darstellt.
2. Zur ordnungsgemäßen Begründung des Rechtsfolgenausspruchs.
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Eröffnungsbeschluss nicht bei der Akte, Ersetzung,
Normen: StPO 207
Beschluss: Strafsache gegen H.K.,
wegen gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 23. November 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.06.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen "gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit zu vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. Ferner wurde das Straßenverkehrsamt angewiesen, ihm vor Ablauf einer Sperrfrist von noch drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte am Abend des 13. Mai 1999 eine gefährliche Körperverletzung begangen; vorsätzlich ohne Fahrerlaubnis ist er an einem Tag zwischen Anfang 1999 und dem 24. Februar 1999, sowie am 24. Februar 1999, am 27. April 1999, am 6. Juli 1999 und am 8. Juli 1999 gefahren.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte zunächst rechtzeitig Berufung eingelegt, ist aber durch die gegenüber dem Amtsgericht rechtzeitig innerhalb der Revisionsbegründungsfrist abgegebene Erklärung zulässig auf das Rechtsmittel der Sprungrevision übergegangen.
Nach der Revisionsbegründung, mit der ausschließlich die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird, ist die Revision in zulässiger Weise auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt worden.
Die - beschränkte - Revision hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.
Dabei ist im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfung der Verfahrensvoraussetzungen zunächst festzustellen, dass hinsichtlich der abgeurteilten Taten - weitere Taten sind zudem gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden - ein Prozesshindernis nicht vorliegt.
Zwar befindet sich hinsichtlich der Taten zu 1, 2, 5 und 6 des angefochtenen Urteils ein Eröffnungsbeschluss entsprechend dem Wortlaut des § 207 Abs. 1 StPO nicht bei den Akten. Hinsichtlich der Taten zu 1 und 2 ist jedoch im Hauptverhandlungstermin vom 27. September 1999 in Anwesenheit der damaligen Verteidigerin des Angeklagten eine Verbindung dieses Verfahrens (5 Js 407/99) mit drei weiteren Verfahren, in denen jeweils entsprechend § 207 Abs. 1 StPO formulierte Eröffnungsbeschlüsse vorgelegen haben, erfolgt.
Da der Angeklagte unentschuldigt zu diesem Termin nicht erschienen war, erging sodann - unter Bezeichnung auch der Taten zu 1 und 2- ein Haftbefehl gem. § 230 StPO, wobei zudem das Aktenzeichen 5 Js 507/99 (Taten zu 1 und 2) führend war und es auch im weiteren Verlauf des Verfahrens blieb. Unter diesem Aktenzeichen erfolgte dann nach der Festnahme des Angeklagten auch die Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 23. November 2000.
Auch hinsichtlich der Taten zu 5 und 6 (5 Js 489/99) befindet sich ein dem Wortlaut des § 207 Abs. 1 StPO entsprechender Eröffnungsbeschluss nicht bei den Akten. In der Hauptverhandlung vom 23. November 2000 ist dieses Verfahren jedoch ebenfalls mit dem weiterhin führenden Verfahren 5 Js 407/99 - sowie den bereits zuvor verbundenen Verfahren - verbunden worden, wobei sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger im Hinblick auf beide Verfahren zudem auf sämtliche Einlassungs- und Ladungsfristen verzichtet haben. Die jeweiligen Vorwürfe des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hat der Angeklagte auch entsprechend den Anklagen umfassend gestanden.
Unter diesen Gesamtumständen kann den jeweiligen Verbindungsbeschlüssen noch hinreichend entnommen werden, dass das Amtsgericht auch insoweit eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts vorgenommen hat (vgl. BGH NStZ 1988, 236; BGH bei Kusch NStZ 1994, 24; BGH bei Dallinger MDR 1975, 197, 198).
Die gegenteilige Entscheidung des hiesigen 5. Strafsenats vom 4. März 1999 (5 Ss 12/99), mit welcher ein Verbindungsbeschluss nicht als ausreichende Verfahrensgrundlage angesehen worden ist, betrifft einen nicht vollständig vergleichbaren Sachverhalt und steht somit der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen.
Der damit aufgrund der zulässigen Revision zu überprüfende Rechtsfolgenausspruch kann jedoch - zumindest vorläufig - keinen Bestand haben.
Es begegnet bereits rechtlichen Bedenken, dass der Tatrichter zunächst unter Abwägung der zuvor erörterten Erwägungen die Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zwei Monaten, die er für "schuld- und strafangemessen und erforderlich" gehalten hat, um auf den Angeklagten im erforderlichen Maße einzuwirken, vorgenommen und formelhaft begründet hat. Zu den Einzelstrafen - bezeichnet als Einsatzstrafen - von fünfmal vier Monaten und einmal sechs Monaten wird sodann lediglich im Anschluss daran dargelegt, dass das Gericht von diesen ausgegangen ist.
Auch wenn der Angeklagte mehrfach und auch einschlägig vorbestraft ist, hätte es in diesem Zusammenhang zumindest einer kurzen Erörterung der Unerlässlichkeit der Verhängung unter sechs Monaten liegender Freiheitsstrafen bedurft. Der § 47 StGB wird jedoch nicht einmal erwähnt.
Bereits dieser Mangel führt zur Aufhebung der jeweils unter sechs Monaten liegenden Einzelstrafen und somit auch der Gesamtfreiheitsstrafe.
Darüber hinaus hat der Tatrichter bezüglich der gefährlichen Körperverletzung zwar eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB angenommen, jedoch nicht deutlich gemacht, ob er die sich daraus ergebende Milderungsmöglichkeit und die Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB gesehen und von dieser Gebrauch gemacht hat. Die Angabe des abstrakten Strafrahmens des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und der §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB von 6 Monaten bis zu 10 Jahren könnte jedenfalls dagegen sprechen. Auch darin ist ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung auch dieser Einzelstrafe führen muss, zu sehen.
Soweit das Amtsgericht bezüglich der gefährlichen Körperverletzung nicht auch erörtert hat, ob insoweit ein minder schwerer Fall i.S.d. § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB gegeben sein könnte, muss darin nicht in jedem Fall ein durchgreifender Rechtsfehler liegen. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend folgendes ausgeführt:
"Das Gericht ist insbesondere ermessensfehlerfrei nicht von einem minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung ausgegangen; einer Erörterung im Urteil bedurfte es insoweit nicht. Zwar erfordert nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen eines sogenannten gesetzlich "vertypten" Milderungsgrundes, insbesondere des § 21 StGB, bei der Strafrahmenwahl grundsätzlich zunächst zu prüfen, ob wegen eines solchen Milderungsgrundes ein minder schwerer Fall gegeben, ob der Regelstrafrahmen gem. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist oder ob eine Strafrahmenmilderung versagt wird. Wenn aber alle Umstände, die für die Wertung der Tat und des Täters bedeutsam sein können, einschließlich der verminderten Schuldfähigkeit von vornherein die Annahme eines minder schweren Falles als so fernliegend oder gar abwegig erscheinen lassen, dass die Verneinung des minder schweren Falles auf der Hand liegt, dann bedarf es hierzu - weil selbstverständlich - auch nicht der Erörterung im Urteil (zu vgl. BGH GA 1987, 226 m.w.N.). Die Annahme eines minder schweren Falles setzt ein beträchtliches Überwiegen der mildernden Faktoren voraus (zu vgl. Tröndle/Fischer, StPO, 49. Aufl., Rdnr. 42 zu § 46 m.w.N.). Die mildernden Faktoren, nämlich die zu einer verminderten Schuldfähigkeit führende erhebliche Alkoholisierung, die zeitlich vorgelagerte Streitsituation und die letztlich nicht schwerwiegenden, aber auch nicht unerheblichen Verletzungsfolgen vermögen die erschwerenden Umstände nicht aufzuwiegen. Der Angeklagte ist bereits mehrfach einschlägig vorbestraft. Die wegen dieser Taten verhängten Jugend- oder Freiheitsstrafen hat der Angeklagte jeweils vollständig verbüßt. Zur Zeit der Tat stand der Angeklagte unter Bewährung. Die Annahme eines minder schweren Falles lag damit hier so fern, dass es einer Erörterung im Urteil nicht bedurfte."
Schließlich hat das Amtsgericht im Rahmen der Erörterung, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kommt, ausgeführt, der vielfach vorbestrafte Angeklagte habe zwar in Ostdeutschland eine neue Existenz aufgebaut, doch habe insbesondere auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung der Angeklagte die "mit seinem Verhalten verbundenen Gefahren für die Sicherheit im Straßenverkehr nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit erkannt und verinnerlicht". In diesem Zusammenhang hat der Tatrichter jedoch nicht mitgeteilt, welcher Art die neu aufgebaute Existenz ist und worauf sich der von dem Gericht in der Hauptverhandlung gewonnene persönliche Eindruck, der auch nicht näher beschrieben wird, stützt, so dass das Revisionsgericht nicht in der Lage ist, das Urteil insoweit auf sachlich-rechtliche Mängel zu überprüfen.
Nach alledem war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
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