Aktenzeichen: 3 Ws 250/01 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Zulässigkeit der zwangsweisen Medikation im Rahmen der einstweiligen Unterbringung
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: einstweilige Unterbringung, Zwangsmedikation, Zulässigkeit, weitere Beschwerde
Normen: StPO 81, StGB 63, StVollzG 178, StVollzG 101
Beschluss: Strafsache gegen A.G.,
wegen Totschlags, (hier: Beschwerde des Beschuldigten gegen die Genehmigung der Zwangsmedikation).
Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 11.06.2001 gegen den Beschluss der X. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 08.06.2001 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.08.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Der Beschuldigte befand sich in dieser Sache nach seiner vorläufigen Festnahme am 03.09.2000 zunächst bis zum 15.12.2000 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 04.09.2000 - 9 Gs 2991/00 - in Untersuchungshaft; seit dem 15.12.2000 ist er aufgrund Unterbringungsbefehls desselben Gerichts vom 14.12.2000 - 9 Gs 2991/00 - einstweilen im Westfälischen Zentrum für Forensische Psychiatrie in Lippstadt untergebracht.
Dem Beschuldigten wird mit der Antragsschrift vom 22.01.2001, die durch Beschluss der Strafkammer vom 27.02.2001 zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, zur Last gelegt, am 03.09.2000 in Bielefeld-Brackwede im Zustand der Schuldunfähigkeit den am 12.02.1962 geborenen S.B. durch sieben Schüsse in den Nacken und Rücken getötet zu haben, ohne Mörder zu sein.
Mit Urteil vom 26.06.2001 hat die Strafkammer im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB wegen dieser Tat angeordnet.
Die Vorsitzende der Strafkammer hatte Anfang Mai 2001 dem zuständigen Stationsarzt des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie die Genehmigung zur Zwangsmedikation des Beschuldigten mit dem Medikament Fluanxol erteilt.
Dieser Zwangsmedikation hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 21.05.2001 widersprochen und hilfsweise Beschwerde eingelegt, soweit ein Genehmigungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer vorliege. Dem Schriftsatz war eine Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie B. vom 16.05.2001 beigefügt, nach der dieser nach Begutachtung des Beschuldigten eine neuroleptische Zwangsmedikation für nicht erforderlich hielt.
Nach Einholung einer Stellungnahme der behandelnden Ärzte des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie, nämlich des Stationsarztes G. und der Abteilungsleiterin Dr. L., vom 23.05.2001 hat die Vorsitzende der Strafkammer mit Beschluss vom 08.06.2001 die Genehmigung der Zwangsmedikation aufrechterhalten. Die Vorsitzende hat sich dabei auf die vorgenannte Stellungnahme der behandelnden Ärzte gestützt, an deren fachlicher Kompetenz keinerlei Zweifel bestünden. Diese hatten in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass die Medikation mit dem Depotneuroleptikum Fluanxol aufgrund des von dem Beschuldigten gezeigten klinischen Bildes medizinisch indiziert gewesen sei und unbedingt langfristig fortgesetzt werden solle, zumal es zu einer deutlichen psychischen Stabilisierung bei dem Beschuldigten unter der Medikation gekommen sei. Die Ausführungen des Psychiaters B. erschienen psychiatrischerseits nicht begründet oder nachvollziehbar.
Gegen den Beschluss der Vorsitzenden vom 08.06.2001 richtet sich die mit Schriftsatz des Verteidigers vom 11.06.2001 erhobene weitere Beschwerde des Beschuldigten, neben der hilfsweise Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG gestellt worden ist. Der Verteidiger ist nach wie vor der Ansicht, die neuroleptische Zwangsmedikation sei bei dem Beschuldigten kontraindiziert und führe zu nicht hinnehmbaren Nebenwirkungen bei dem Beschuldigten. Er hat dies mit Schriftsatz vom 10.07.2001 unter Bezugnahme auf ein weiteres Schreiben des Sachverständigen B. vom 28.06.2001 wiederholt und vertieft.
Der Senat hat die den Beschuldigten im Westfälischen Zentrum für Psychiatrie behandelnden Ärzte sowie den von der Strafkammer im Sicherungsverfahren bestellten psychiatrischen Sachverständigen Dr. T. jeweils zu Stellungnahmen zu der Frage der Angemessenheit und Zumutbarkeit der (Zwangs-)Medikation veranlasst, die unter dem 04.07.2001 (Dr. T.) sowie unter dem 29.06.2001 (WZFP) bei dem Senat eingegangen sind. Der Senat hat die Stellungnahmen dem Verteidiger zur Gewährung rechtlichen Gehörs zugeleitet, gleichzeitig hat er die Stellungnahme der Klinik vom 29.06.2001 dem psychiatrischen Sachverständigen
Dr. T. vor Eingang von dessen Stellungnahme zur Kenntnisnahme und Auswertung gebracht. Der Senat hat darüber hinaus die Krankenunterlagen des WZFP Lippstadt sowie eine Abschrift des Urteils der Strafkammer beigezogen.
II.
Der von dem Verteidiger als weitere Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf ist gem. § 300 StPO als einfache Beschwerde (§ 304 StPO) auszulegen. Einzelne Maßnahmen, die den Vollzug der einstweiligen Unterbringung betreffen, ordnet nach Erhebung der öffentlichen Klage der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts an, § 126 a Abs. 2 S. 1, § 119 Abs. 3 StPO i.V.m. § 126 Abs. 2 S. 3 StPO. Die Entscheidung des Vorsitzenden
ist nur mit der Beschwerde nach § 304 StPO anfechtbar (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 126 Rdnr. 11, § 119 Rdnr. 49; Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 119 Rdnr. 155). Der Statthaftigkeit der Beschwerde steht dabei insbesondere nicht entgegen, dass die Maßnahme vom Vorsitzenden des erkennenden Gerichts (§ 305 StPO) erlassen worden ist, weil die Entscheidung über die Zwangsmedikation in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfällung steht (vgl. Löwe/Rosenberg-Hilger, a.a.O.).
Die statthafte Beschwerde, der die Vorsitzende nicht abgeholfen hat, § 306 Abs. 2 StPO, hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Behandlung des Beschuldigten ist medizinisch notwendig und wird nach ärztlichen Regeln durchgeführt. Sie ist insbesondere auch nicht aufschiebbar.
Im Rahmen einer einstweiligen Unterbringung ist eine zwangsweise medizinische Behandlung zulässig, soweit sie sich im Rahmen der §§ 178, 101 StVollzG hält (vgl. Löwe/Rosenberg-Hilger, a.a.O., § 126 a Rdnr. 16 m.w.N.; Baumann, NJW 1980, S. 1873 (1879)). Nach § 101 Abs. 1 StVollzG ist die medizinische Behandlung zwangsweise u.a. bei schwerwiegender Gefahr für die
Gesundheit des Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig, wobei die Maßnahmen für die Beteiligten zumutbar sein müssen und nicht mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Gefangenen verbunden sein dürfen.
Diese Voraussetzungen liegen hier ausweislich der fachpsychiatrischen Ausführungen der behandelnden Ärzte des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie Lippstadt vom 23.05.2001 und vom 29.06.2001 in Verbindung mit der Stellungnahme des forensischen Sachverständigen Dr. T. vom 04.07.2001 vor. Das bei dem Beschuldigten vor der Zwangsmedikation mit Fluanxoldepot gezeigte Verhalten ließ danach schwerwiegende Gefahren sowohl für seine Gesundheit als auch für die Gesundheit anderer Personen, nämlich des Pflegepersonals und weiterer Insassen des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie befürchten. Der Beschuldigte stand unter großer psychischer Anspannung, die einen Impulsdurchbruch erwarten ließ. Zu welchem Verhalten er dann fähig war, zeigt nicht zuletzt die hier von ihm begangene Tötungshandlung. Die Behandlung gestaltete sich von Anfang an erfolgreich. Nach der Stellungnahme der Klinik vom 29.06.2001 hat sich das Zustandsbild des Beschuldigten unter der medikamentösen Therapie deutlich verbessert, so dass die Fortsetzung der neuroleptischen Medikation weiter dringend angeraten wird. Der Beschuldigte sei inzwischen zu einer freiwilligen Einnahme der verordneten Medizin bereit, wobei angesichts des verbesserten psychischen Befundes und einer mittlerweile erreichten guten Compliance die Umstellung auf ein atypisches Neuroleptikum geplant wird. Insgesamt erscheine die medikamentöse Behandlung zusehends Fortschritte zu machen und solle kontinuierlich fortgesetzt werden. Die bisher verabreichten Medikamente sollen bei weiter anhaltendem positiven Behandlungsverlauf zugunsten des atypischen Neuroleptikums Olanzapin verlassen werden. Der forensische Sachverständige Dr. T. hat in Kenntnis dieser Stellungnahme des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie selbst ausgeführt, dass er die dort eingeleitete medikamentöse Behandlung aus seiner medizinischen Sicht und
aufgrund langjähriger eigener klinischer Erfahrungen für indiziert, angemessen und im Interesse des Patienten liegend erachte. Die Klinik sei bei der Indikationsstellung sehr sorgfältig vorgegangen. Aus der letzten Stellungnahme der Klinik ergebe sich, dass das Zustandsbild des Patienten sich inzwischen deutlich gebessert habe. Entsprechende Feststellungen hat auch die Strafkammer in ihrem schriftlichen Urteil getroffen. Auch die beigezogenen Krankenunterlagen ergeben ein solches Bild.
Bei dieser Sachlage erweisen sich die Angriffe des Verteidigers gegen die medizinische (Zwangs-)Behandlung des Beschuldigten im Ergebnis als ebenso unbegründet wie die Ausführungen des Sachverständigen B.. Dem Senat sind sowohl Dr. T. als auch die behandelnden Ärzte des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie in Lippstadt als äußerst sachkundig und erfahren in der Behandlung psychisch kranker Straftäter bekannt. Der Sachverständige B. ist dagegen in seinem Schreiben vom 16.05.2001 von einem falschen oder jedenfalls verkürzten Sachverhalt ausgegangen, indem er dort ausführte, aus den Krankenunterlagen des WZFP ergäben sich keine konkreten Gründe für eine von dem Beschwerdeführer ausgehende Fremdgefährdung. Tatsächlich war es danach aber bereits im März und April 2001 zu Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers in Bezug auf einen Zimmernachbarn gekommen, von dem er sich bedroht fühlte und den er im Rahmen einer Freistunde zur Rede stellte. Zuvor hatte er mit Fäusten und einer leeren Flasche gegen die Wand zu diesem Zimmernachbarn geklopft.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Strafkammer bereits während der Untersuchungshaft geplant hatte, einen Zellengenossen, von dem er sich unter Druck gesetzt fühlte, auf die Liste der sog. Todeskandidaten zu setzen.
Von einer Eigengefährdung des Beschwerdeführers, der am 05./06.06.2001 auch tatsächlich einen Suizidversuch unternommen hatte, geht der Sachverständige B. ebenso aus wie das WZFP und der Sachverständige T..
Soweit der Sachverständige B. dem durch eine Gesprächstherapie - statt der vorgenommenen Medikation - entgegenwirken will, steht dem entgegen, dass der Beschwerdeführer auf Anraten seines Verteidigers bisher jedes therapeutische Gespräch mit den Ärzten des WZFP abgelehnt hat. Spätestens an dieser Stelle ist für den Senat im übrigen nicht mehr nachvollziehbar, was die Verteidigung für den unbestritten seelisch schwerwiegend erkrankten Beschwerdeführer mit diesem Vorgehen in der Sache erreichen will.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
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