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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ss 710/01 OLG Hamm

Leitsatz: Sendet der KFZ-Haftpflichtversicherer Mahn- und Kündigungsschreiben nur durch einfachen Brief, kann die Wirksamkeit einer nach § 39 Abs. 3 VVG ausgesprochenen Kündigung regelmäßig nicht festgestellt werden, wenn der Versicherungsnehmer den Empfang der Schreiben nicht einräumt und - außer der Absendung des Briefes - weitere positive Beweisanzeichen für den Zugang nicht gegeben sind.

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: Fahren ohne Versicherungsschutz, Beweiswürdigung, Zugang des Kündigungsschreibens

Normen: VVG 39

Beschluss: Strafsache gegen P.Z.
wegen Fahrens ohne Versicherungsschutz

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 25. Mai 2001 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31.07.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Siegen zurückzuverweisen.

Gründe:
Durch das angefochtene Urteil ist der Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Versicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 40,- DM verurteilt worden.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte zahlte die am 1. Juli 2000 und 1. Oktober 2000 fälligen Folgeprämien seiner Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nicht. Der Vertrag wurde daher von Seiten der Versicherung am 12. Oktober 2000 gekündigt. Dieses Schreiben, das an die Bogenstraße 33, die frühere Adresse des Angeklagten adressiert war, hat den Angeklagten aufgrund des von ihm gestellten Nachsendeantrages unter seiner (damaligen) Adresse in Hilchenbach erreicht. Am 27. November 2000 befuhr der Angeklagte mit dem nicht haftpflichtversicherten Personenkraftwagen der Marke Opel (Kennzeichen SI-FB 70) öffentliche Straßen in Hilchenbach und Kreuztal. Er hätte erkennen können, dass der Haftpflichtversicherungsvertrag vom 26. Oktober 2000 gekündigt worden war."

Der Angeklagte hat bestritten, dass ihm das Kündigungsschreiben der Versicherung zugegangen sei. Das Amtsgericht hat seine gegenteilige Überzeugung von dem Zugang des Kündigungsschreibens wie folgt begründet:

"Nach der Hauptverhandlung, insbesondere dem Verhalten des Angeklagten, steht außerdem zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte die Kündigung erhalten hat. Anders als in den von dem Verteidiger des Angeklagten überreichten Entscheidungen des Kammergerichts Berlin und des Oberlandesgerichts Köln sprechen genügend positive Beweiszeichen für den Zugang des Kündigungsschreibens. Das Kündigungsschreiben wurde zwar mit einfachem Brief an die alte Adresse des Angeklagten versandt. Der Angeklagte selbst hat sich jedoch dahingehend eingelassen, dass er einen Nachsendeantrag bei der Post gestellt hat. Der Brief ist auch ebenso wie die beiden vor der Kündigung versandten Schreiben nicht zurückgekommen.

Soweit der Verteidiger des Angeklagten hierzu behauptet hat, auch die vor der Kündigung versandten Schreiben seien dem Angeklagten nicht zugegangen, ist dies als eine Schutzbehauptung zu sehen. Der Angeklagte selbst hat jegliche Reaktion auf die Frage des Gerichts, ob diese Schreiben ihn erreicht hätten, vermieden. Statt dessen hat der Verteidiger ohne Rückfrage an den Angeklagten sofort gesagt, dass auch diese Schreiben den Angeklagten nicht erreicht hätten. Diese Antwort des Verteidigers beruhte damit nicht auf den Angaben des Angeklagten. Sie ist unglaubhaft und auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Angeklagte selbst gesagt hat, er hätte einen Nachsendeantrag gestellt, nicht nachvollziehbar."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. Mai 2001 Rechtsmittel eingelegt. Nach erfolgter Zustellung des Urteils hat er am 5. Juli 2001 das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und gleichzeitig begründet. Mit dem Rechtsmittel wird die Aufhebung des Urteils insgesamt erstrebt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

Die Sprungrevision des Angeklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden. Sie ist auch im Übrigen gem. § 335 Abs. 1 StPO zulässig. Die Zulässigkeit der Sprungrevision ist auch nicht davon abhängig, dass zuvor eine Berufung nach § 313 Abs. 2 S. 1 StPO angenommen worden ist (BGH NJW 1995, 2367 f.; BayObLG StV 1993, 572 f.).

Die Revision hat auch auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Siegen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt:

"Die Ausführungen des Amtsgerichts tragen den Schluss, das Kündigungsschreiben der Versicherung sei dem Angeklagten zugegangen, nicht. Sendet der KFZ-Haftpflichtversicherer Mahn- und Kündigungsschreiben nur durch einfachen Brief, kann die Wirksamkeit einer nach § 39 Abs. 3 VVG ausgesprochenen Kündigung regelmäßig nicht festgestellt werden, wenn der Versicherungsnehmer den Empfang der Schreiben nicht einräumt und - außer der Absendung des Briefes - weitere positive Beweisanzeichen für den Zugang nicht gegeben sind (zu vgl. OLG Köln VRS 73, 153 ff.).

Das Gericht hat den Umstand, dass der Angeklagte einen Nachsendeantrag gestellt hat, zu Unrecht als positives Beweiszeichen für den Zugang des durch die Versicherung an ihn abgesandten Kündigungsschreiben angesehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein mit einfacher Post versandter Brief auf dem Postweg verloren geht, ist in dem Fall, in dem der Empfänger verzogen ist, auch wenn ein Nachsendeauftrag gestellt ist, zumindest nicht geringer, als wenn der Empfänger noch unter der auf dem Brief angegebenen Anschrift wohnt. Auch der Umstand, dass der Angeklagte behauptet, drei aufeinanderfolgende Schreiben der Versicherung hätten ihn nicht erreicht, lässt sich nicht als zusätzliches positives Beweisanzeichen für deren Zugang verwerten. Auch wenn der vollständige Verlust von drei Schreiben unter diesen Umständen unwahrscheinlich erscheint, kann mit dieser Begründung doch nicht ausgeschlossen werden, dass eines der Schreiben, z.B. gerade das entscheidende Kündigungsschreiben, auf dem Postweg verlorengegangen sein könnte (zu vgl. OLG Köln, a.a.O.)."

Diese Ausführungen macht der Senat sich zu eigen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde. Sind aber die Erwägungen des Amtsgerichts nicht geeignet, den Zugang der qualifizierten Mahnungen und des Kündigungsschreibens zu beweisen, so ergibt sich aus den Feststellungen nicht, dass der Versicherungsvertrag durch die Kündigung vom 12. Oktober 2000, bei der es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, zur Auflösung gebracht worden ist.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung sonstige, für eine Verurteilung des Angeklagten ausreichende Feststellungen zur Frage des Zugangs von Mahn- und Kündigungsschreiben, z.B. durch Vernehmung der Ehefrau als Zeugin, getroffen werden können, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Siegen, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat, zurückzuverweisen.


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